AG Arnsberg, Beschluss vom 15.11.2013 - 11 VI 196/13
Fundstelle
openJur 2019, 4653
  • Rkr:
Tenor

Die Tatsachen, die zur Begründung des Antrages der Antragstellerin vom 09.04.2013 (UR-Nr. 000/2013 des Notars H. X. in E.) erforderlich sind, werden für festgestellt erachtet.

Die sofortige Wirkung des Beschlusses wird ausgesetzt und die Erteilung des Erbscheins bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses zurückgestellt.

Gründe

Am 00.00.2013 verstarb in T. der am 00.00.1945 geborene, zuletzt in B. wohnhaft gewesene V. F. I. (im folgenden Erblasser genannt).

Der Erblasser war in erster Ehe verheiratet mit der Antragstellerin. Mit dieser errichtete er am 03.09.2003 ein handschriftliches gemeinschaftliches Testament, nach dessen Inhalt sie sich gegenseitig zu Alleinerben und ihren Sohn N. I. zum Schlusserben einsetzten. In einem handschriftlichen Nachtrag vom 20.02.2003 bestimmten sie, dass der erwähnte Testamentsinhalt auch für den Fall der Ehescheidung gelten solle. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Testaments mit dem Nachtrag (Blatt 16 bis 16 R. der Akte 11 IV 335/13) verwiesen. Im September 2011 wurde die Ehe geschieden.

Im Dezember 2011 heiratete der Erblasser die Antragsgegnerin. Mit dieser errichtete er am 10.01.2012 ein notarielles gemeinschaftliches Testament unter gleichzeitigem Widerruf bisher getroffener Verfügungen von Todes wegen. Der Erblasser setzte in diesem Testament für den - eingetretenen - Fall seines Vorversterbens seinen Neffen C. U. zum Erben ein und vermachte der Antragsgegnerin ein lebenslängliches Wohnungsrecht an seiner Eigentumswohnung in Arnsberg. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des notariellen Testamentes (Blatt 29 bis 32 der Akte 11 IV 335/13) Bezug genommen.

Während des vorliegenden Rechtsstreits ließ die Antragsgegnerin in Ausübung einer ihr vom Erblasser erteilten und über dessen Tod hinaus geltenden Vollmacht vom 05.04.2011 (Blatt 79 ff. der Akte), auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten ebenfalls verwiesen wird, das erwähnte notarielle gemeinschaftliche Testament vom 10.01.2012 der Antragstellerin zum Zwecke des Widerrufs der letztwilligen Verfügungen vom 03.09./20.10.2003 zustellen. Darüber hinaus erklärte sie in einem an das Nachlassgericht gerichteten Schreiben vom 24.05.2013 die Anfechtung der letztwilligen Verfügungen des Erblassers vom 03.09./20.10.2003. Wegen der entsprechenden Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Anfechtungserklärung (Blatt 1 ff. der Akte 11 IV 706/13) Bezug genommen.

Der erwähnte Neffe des Erblassers, C. U., hat die ihm möglicherweise zugefallene Erbschaft durch Erklärung vom 02.07.2013 (Blatt 11 der Akte 11 VI 386/13) ausgeschlagen.

Die Antragstellerin vertritt die Ansicht, sie sei alleinige Erbin nach dem Erblasser geworden, weil die in dem Testament vom 03.09.2003 getroffenen Verfügungen wechselseitig seien und entsprechend des Nachtrages vom 20.10.2003 auch nach der Ehescheidung weiter wirksam geblieben seien. Der Erblasser habe daher am 10.01.2012 nicht wirksam anderweitig testieren können. Durch die Zustellung des Testaments vom 10.01.2012 habe das gemeinschaftliche Testament vom 03.09./20.10.2003 auch nicht mehr wirksam widerrufen werden können, weil ein solcher Widerruf nur zu Lebzeiten des Erblassers habe erfolgen können. Die Testamentsanfechtung sei unwirksam, weil wegen des Wortlautes des Testaments vom 10.01.2012 anzunehmen sei, dass der Erblasser nur die in diesem notariellen Testament ausdrücklich erwähnten letztwilligen Verfügungen habe widerrufen wollen. Das gemeinschaftliche Testament vom 03.09.2003 sei jedoch nicht erwähnt worden.

Die Antragstellerin beantragt,

ihr einen Erbschein zu erteilen, der sie als Alleinerbin ausweist.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie vertritt die Ansicht, die letztwillige Verfügung des Erblassers im Testament vom 03.09.2003 sei nicht wechselbezüglich gewesen, weil nur der Erblasser offenbar erhebliches Vermögen gehabt habe. Deshalb sei seine letztwillige Verfügung mit Scheidung seiner ersten Ehe unwirksam geworden. Selbst im Falle der Annahme einer Wechselbezüglichkeit sei diese mit Ehescheidung entfallen. Im Übrigen könne dem Testamentsnachtrag vom 20.10.2003 nur entnommen werden, dass die letztwillige Verfügung vom 03.09.2003 im Falle der Scheidung vorläufig weiter geltend sollte. Die Bindungswirkung sei bei der Wiederverheiratung jedoch erloschen. Letztlich könne diese Problematik dahinstehen, weil der Erblasser seine testamentarischen Verfügungen vom 03.09./20.10.2003 in dem notariellen Testament vom 10.01.2012 wirksam widerrufen habe. Die Zustellung dieser Widerruferklärung habe auch noch nach dem Tod des Erblassers erfolgen können. Darüber hinaus sei die letztwillige Verfügung des Erblassers vom 03.09.2003 von ihr, der Antragsgegnerin, wirksam angefochten worden, sowohl wegen ihres Übergehens als Pflichtteilsberechtigte als auch wegen Irrtums des Erblassers über die eventuelle Bindungswirkung seiner testamentarischen Verfügung im Falle seiner Wiederverheiratung.

Zur Vertiefung des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Antrag der Antragstellerin ist begründet.

Die Antragstellerin ist auf Grund des Testaments vom 03.09.2003 alleinige Erbin nach dem Erblasser geworden. Dieses gemeinschaftliche Testament ist gemäß § 2268 Abs. 2 BGB mit Scheidung ihrer mit dem Erblasser geschlossenen Ehe nicht unwirksam geworden. In dem Nachtrag vom 20.10.2003 haben der Erblasser und die Antragstellerin nämlich ausdrücklich bestimmt, dass ihre letztwilligen Verfügungen im Falle der Ehescheidung weiter gelten sollten. Dass diese im Falle einer Wiederverheiratung unwirksam werden sollen, lässt sich dem gemeinschaftlichen Testament vom 03.09.2003 nicht entnehmen. Wenn dies so gewollt gewesen wäre, hätte es nahe gelegen, dies auch entsprechend klarzustellen. Der Wortlaut des Nachtrages ist insoweit eindeutig.

Der Erblasser hat seine letztwillige Verfügung vom 03.09.2003 auch nicht durch das Testament vom 10.01.2012 wirksam widerrufen.

Die bloße Erklärung des Erblassers in dem Testament vom 10.01.2012, er widerrufe vorsorglich alle etwa bisher getroffenen Verfügungen von Todes wegen, reicht für einen wirksamen Widerruf nicht aus. Die Verfügungen im Testament vom 03.09.2003 waren nämlich wechselbezüglich, so dass ein wirksamer Widerruf gemäß § 2271 Abs. 1 BGB nur in der Form des § 2296 Abs. 2 BGB, nämlich durch notariell beurkundete Erklärung gegenüber der Antragstellerin möglich war. Allein die Vermögensverhältnisse des Erblassers und der Antragstellerin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung zwingen nicht zu der Annahme, ihre letztwilligen Verfügungen seien nicht wechselbezüglich gewesen. Allerdings können erhebliche Unterschiede in den Vermögensverhältnissen von Ehegatten zu besonderer Prüfung Anlass geben, ob die letztwillige Verfügung des vermögenden Ehegatten, der keinen Vermögensvorteil zu erwarten hat, in ein Abhängigkeitsverhältnis zu der seines Ehegatten gestellt werden sollte. Es kann in diesem Zusammenhang offen bleiben, wie die Vermögensverhältnisse des Erblassers und der Antragstellerin im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments im Einzelnen sich dargestellt haben. Denn unabhängig davon ist von der Wechselbezüglichkeit der letztwilligen Verfügungen im Testament vom 03.09.2003 auszugehen. Der Erblasser hat nämlich sehr zeitnah am 20.10.2003 mit der Antragstellerin einen Ehevertrag geschlossen (vgl. Blatt 53 ff. der Akte). Mit diesem Vertrag hat er der Antragstellerin die Hälfte seines Grundbesitzes übertragen und andere Vermögenswerte zukommen lassen. Am selben Tag haben beide den Nachtrag zum Testament unterzeichnet. Vor diesem Hintergrund kann angenommen werden, dass der Erblasser durchaus von der Wechselbezüglichkeit der letztwilligen Verfügungen im Testament vom 03.09.2003 ausgegangen ist. Die Möglichkeit des einseitigen formlosen Widerrufs der testamentarischen Verfügung seiner Ehefrau wäre vor dem Hintergrund der Einräumung des Miteigentumsanteils an einem Grundstück sicherlich nicht im Sinne des Erblassers gewesen. Da andere Feststellungen nicht getroffen werden können, gilt die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB, wonach von einer Wechselbezüglichkeit der letztwilligen Verfügungen von Eheleuten auszugehen ist, wenn sie sich gegenseitig bedenken oder dem einen Ehegatten eine Zuwendung gemacht wird und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine letztwillige Verfügung zu Gunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist. Dies ist im Testament vom 03.09.2003 durch Einsetzung des Sohnes des Erblassers und seiner Ehefrau als Schlusserben geschehen. Dementsprechend sind beide letztwilligen Verfügungen im Testament vom 03.09.2003 als wechselbezüglich anzusehen.

Der Erblasser konnte somit, wie bereits erwähnt, seine letztwillige Verfügung vom 03.09.2003 gemäß §§ 2271 Abs. 1, 2296 Abs. 2 BGB nur durch notariell beurkundete Erklärung gegenüber der Antragstellerin wirksam widerrufen. Zwar ist das gemeinschaftliche Testament vom 10.01.2012 notariell beurkundet. Die in diesem Testament beurkundete Widerruferklärung des Erblassers ist der Antragstellerin jedoch nicht ordnungsgemäß zugegangen. Die Antragsgegnerin war auf Grund der ihr erteilten Vollmacht vom 05.04.2011 zur Veranlassung der Zustellung der Widerruferklärung nicht berechtigt. Im Hinblick auf die Regelung des § 2296 Abs. 1 BGB, wonach der Widerruf nicht durch einen Vertreter erfolgen kann, hätte der Erblasser selbst alles tun müssen, was von seiner Seite aus zu geschehen hatte, damit seine Widerrufserklärung der Antragstellerin zugehen konnte. Dies hat der Erblasser aber gerade nicht getan, weil er den beurkundenden Notar nicht angewiesen hat, die notarielle Widerruferklärung der Antragstellerin zustellen zu lassen. Möglicherweise hat er dies bewusst unterlassen. Es ist nämlich kaum vorstellbar, dass er zum Zeitpunkt der Errichtung des notariellen Testamentes am 10.01.2012 von dem mit der Antragstellerin errichteten gemeinschaftlichen Testament vom 03.09.2003 keine Kenntnis mehr gehabt haben könnte, zumal die Frage der Gebundenheit durch ein früheres gemeinschaftliches Testament ausweislich der Urkunde vom 10.01.2012 Gegenstand der Besprechung war.

Darüber hinaus ist die Zustellung der Widerruferklärung aber auch verspätet erfolgt. Gemäß § 130 Abs. 2 BGB hat es allerdings auf die Wirksamkeit einer Willenserklärung keinen Einfluss, wenn der Erklärende nach deren Abgabe stirbt. Nach der wohl überwiegenden Ansicht in Literatur und Rechtsprechung ist der Widerruf eines gemeinschaftlichen Testamentes jedoch im Falle des Ablebens des Widerrufenden nur wirksam, wenn die Erklärung sich zum Zeitpunkt des Todes bereits "auf dem Weg" zum Erklärungsempfänger befand und die Zustellung alsbald erfolgt ist (vgl. z. B BGHZ 48, 374 ff; Palandt, BGB, § 130 Anm. 12 und § 2271 Anm. 7; Münchener Kommentar, Erbrecht, § 2271 Anm. 9). Die Ausführungen der Antragsgegnerin hierzu geben keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

Die Antragsgegnerin hat die letztwillige Verfügung des Erblassers vom 03.09.2003 auch nicht gemäß § 2079 BGB wirksam angefochten. Allerdings ist sie als pflichtteilsberechtigte Ehefrau anfechtungsberechtigt. Es liegt jedoch kein Anfechtungsgrund vor. Zweck der Anfechtung ist in erster Linie, das gesetzliche Erbrecht eines Pflichtteilsberechtigten vor einer nicht fehlerfrei motivierten Verfügung eines Erblassers zu schützen (vgl. Münchener Kommentar, a. a. O, § 2079 Anm. 3 m. w. N.). Die Antragsgegnerin wäre aber bei Zugrundelegung der letztwilligen Verfügung des Erblassers im gemeinschaftlichen Testament vom 10.01.2012 und im Falle der wirksamen Anfechtung des Testaments vom 03.09.2003 nicht gesetzliche Erbin geworden. Würde man die Anfechtung für begründet erachten, würde die Antragsgegnerin somit besser gestellt, als der Erblasser es in dem erwähnten gemeinschaftlichen notariellen Testament selbst vorgesehen hatte. Dies ist nicht Sinn einer Anfechtung. In einem solchen Fall kann die Anfechtung ausnahmsweise allenfalls nur insoweit wirksam sein, dass die der Antragstellerin zugefallene Erbschaft belastet ist mit dem der Antragsgegnerin zugewendete Vermächtnis in Form des lebenslänglichen Wohnrechts. An der Stellung der Antragstellerin als Alleinerbin würde dies aber nichts ändern. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass der vom Erblasser in Testament vom 10.01.2012 als Erbe eingesetzte Neffe die Erbschaft ausgeschlagen hat und die Antragsgegnerin bei wirksamer Anfechtung des Testaments vom 03.09.2003 auf Grund gesetzlicher Erbfolge möglicherweise Miterbin geworden wäre. Denn diese Rechtsstellung hätte sie nicht auf Grund der Anfechtung, sondern lediglich auf Grund der Erklärung eines Dritten erhalten.

Auch die von der Antragsgegnerin gemäß § 2078 Abs. 1 BGB erklärte Testamentsanfechtung wegen Irrtums greift nicht durch. Im Interesse des Erblassers sind an dem Beweis eines Inhaltsirrtums strenge Anforderungen zu stellen. Wie bereits ausgeführt, kann mangels konkreter Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden, dass die Wechselbezüglichkeit der letztwilligen Verfügungen vom 03.09.2003 im Falle einer Wiederverheiratung enden sollte. Dementsprechend kann hierauf auch keine Anfechtung wegen vermeintlichen Irrtums des Erblassers gestützt werden. Die Formulierung im Testamentsnachtrag vom 20.10.2003 ist eindeutig. Dass der Erblasser sich über die im Falle einer Wiederverheiratung geltende Rechtslage im Unklaren war und eine Fortdauer der Bindungswirkung für diesen Fall nicht gewollt hat, bleibt spekulativ. Im Übrigen gelten obige Ausführungen, wonach die Antragsgegnerin durch eine Anfechtung keine bessere Rechtsposition erlangen kann, als sie bei einer Wirksamkeit des gemeinschaftlichen Testamentes vom 10.01.2012 hätte.

Nach alledem ist der Antrag der Antragstellerin auf Erteilung eines Erbscheins, wonach sie Alleinerbin geworden ist, begründet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt. Beschwerdeberechtigt ist derjenige, dessen Rechte durch den Beschluss beeinträchtigt sind.

Die Beschwerde ist bei dem Amtsgericht - Nachlassgericht - Arnsberg, Eichholzstr. 4, 59821 Arnsberg schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden. Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie ist zu unterzeichnen und soll begründet werden.

Die Beschwerde muss spätestens innerhalb eines Monats nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses bei dem Amtsgericht - Nachlassgericht - Arnsberg eingegangen sein. Dies gilt auch dann, wenn die Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines anderen Amtsgerichtes abgegeben wurde. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses. Die Bekanntgabe ist entweder durch Zustellung oder am dritten Tage nach Aufgabe zur Post bewirkt. Fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.

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