FG Köln, Urteil vom 25.02.2016 - 11 K 3198/14
Fundstelle
openJur 2019, 4152
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des Ehegattensplittings in den Jahren 2002 bis 2008 vorliegen.

Die Kläger führen seit dem 20.2.2002 eine eingetragene Lebenspartnerschaft und wurden für die Jahre 2002 bis 2008 jeweils einzeln unter Anwendung des Grundtarifs zur Einkommensteuer veranlagt.

Sie erzielten in den Streitjahren unter anderem Einkünfte aus selbständiger Arbeit (Kläger zu 2. "..." bis 2003) und aus Vermietung und Verpachtung. Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung resultierten aus einer zwischen den Klägern bestehenden Grundstücksgemeinschaft ("..."). Darüber hinaus erzielten sie ab dem Jahr 2004 Einkünfte aus einem gemeinschaftlichen Gewerbebetrieb ("1 & 2 GbR - ..."). Die Einkünfte aus der Grundstücksgemeinschaft und aus dem Gewerbebetrieb wurden jeweils gesondert und einheitlich festgestellt.

Der Kläger zu 1. (...) wurde in den Streitjahren wie folgt zur Einkommensteuer veranlagt:

Jahr

Abgabe der Steuererklärung

Datum des letzten Steuerbescheids

2002

5.5.2004

26.1.2005

2003

28.4.2005

3.6.2005

2004

20.6.2006

29.10.2007

2005

2.1.2007

29.10.2007

2006

1.10.2007

25.1.2008

2007

30.5.2008

9.3.2010

2008

20.7.2009

17.5.2011

Die Steuerbescheide wurden bestandskräftig und standen nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Sie ergingen darüber hinaus nicht vorläufig im Hinblick auf die Frage, ob der Ausschluss eingetragener Lebenspartnerschaften vom Ehegattensplitting verfassungsgemäß sei. Für nähere Einzelheiten wird auf die in der Rechtsbehelfsakte des Beklagten befindlichen Steuerbescheide Bezug genommen.

Der Kläger zu 2. (...) wurde in den Streitjahren wie folgt zur Einkommensteuer veranlagt:

Jahr

Abgabe der Steuererklärung

Datum des letzten Steuerbescheids

2002

5.5.2004

2.6.2004

2003

28.4.2005

20.5.2005

2004

20.6.2006

8.3.2007

2005

2.1.2007

8.3.2007

2006

1.10.2007

20.12.2007

2007

12.1.2009

5.5.2009

2008

30.12.2009

21.5.2010

Auch diese Steuerbescheide wurden bestandskräftig und standen nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Sie ergingen darüber hinaus nicht vorläufig im Hinblick auf die Frage, ob der Ausschluss eingetragener Lebenspartnerschaften vom Ehegattensplitting verfassungsgemäß sei. Für nähere Einzelheiten wird auf die in der Rechtsbehelfsakte des Beklagten befindlichen Steuerbescheide Bezug genommen.

Mit einem beim Beklagten am 30.12.2013 eingegangenen Schreiben beantragten die Kläger unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7.5.2013 (2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07 und 2 BvR 909/06, BGBl. I 2013, 1647) die Änderung der unter anderem für die Streitjahre ergangenen Steuerbescheide und die Durchführung der Zusammenveranlagung unter Anwendung des Splittingtarifs. Für nähere Einzelheiten wird auf das in der Rechtsbehelfsakte des Beklagten befindliche Schreiben vom 30.12.2013 Bezug genommen.

Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Schreiben vom 6.1.2014 unter Hinweis auf die zwischenzeitlich eingetretene Bestandskraft der jeweiligen Steuerfestsetzungen ab. Für nähere Einzelheiten wird auf das in der Rechtsbehelfsakte des Beklagten befindliche Schreiben vom 6.1.2014 Bezug genommen.

Den hiergegen von den Klägern eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit getrennten Einspruchsentscheidungen vom 9.10.2014 zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass eine Änderung der Steuerfestsetzungen wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Bestandskraft nicht in Betracht komme. Die Voraussetzungen für eine Änderung der Steuerfestsetzungen lägen nicht vor. Im Übrigen sei für die Jahre 2002 bis 2006 Festsetzungsverjährung eingetreten, so dass insoweit auch schon aus diesem Grund eine Änderung ausscheide. Für nähere Einzelheiten wird auf die in der Gerichtsakte befindlichen Einspruchsentscheidungen vom 9.10.2014 (Bl. 20 ff. d.A.) Bezug genommen.

Mit ihrer Klage verfolgen die Kläger ihr ursprüngliches Begehren weiter und tragen zur Begründung vor, dass eine Zusammenveranlagung für die Jahre 2002 bis 2008 vorzunehmen sei. Der Beklagte habe sein Ermessen im Hinblick auf die Änderung der bereits ergangenen Steuerbescheide nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Es sei zu berücksichtigen, dass unter anderem die Grundlagenbescheide für die Jahre 2002 bis 2008 noch nicht bestandskräftig seien. Daher sei eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzungen zur Berücksichtigung der Zusammenveranlagung möglich. Im Übrigen werde bezweifelt, dass der Gesetzgeber die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7.5.2013 verfassungskonform bzw. europarechtskonform umgesetzt habe. Im Einzelnen sei folgendes zu berücksichtigen:

Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 7.5.2013 festgestellt, dass auch eingetragene Lebenspartner für die Veranlagungszeiträume ab dem 1.8.2001 die Anwendung des Splittingtarifs beanspruchen könnten. Dies sei vorliegend bei ihnen - den Klägern - der Fall, da die eingetragene Lebenspartnerschaft seit dem 20.2.2002 bestehe. Der Beklagte könne sich nicht auf eine zwischenzeitlich eingetretene Bestandskraft der Einzelveranlagungen berufen. Die Steuermehrzahlungen, die sich für die Streitjahre im Vergleich zwischen einer Einzel- und einer Zusammenveranlagung ergäben, beliefen sich ohne Zinsen hochgerechnet auf rund 50.000 Euro. Diese "Überzahlung" von Steuern sei ungerechtfertigt und nicht verfassungskonform. Aus Gründen der Gleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnern hätte der Gesetzgeber die Rückwirkung auf den 1.8.2001 für die Anwendung des Splittingtarifs auch auf bestandskräftige Steuerbescheide ausdehnen müssen. Entsprechende Regelungen seien in den damaligen Gesetzentwürfen von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD enthalten gewesen und im Bundestag und den Ausschüssen ausführlich debattiert worden. Aus den während der Gesetzesberatungen geführten Debatten und den verfassungsrechtlichen Überprüfungen sei klar zu entnehmen, dass die vom Gesetzgeber letztlich vorgenommene Beschränkung auf noch nicht bestandskräftige Steuerbescheide verfassungs- und europarechtswidrig sei. Die gesetzliche Neuregelung sei zudem mit einer langwierigen willkürlichen Verzögerung erfolgt und hätte bereits kurz nach der Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes im Jahr 2001 verabschiedet werden müssen. Schließlich sei die Anordnung einer Rückwirkung auch für bestandskräftige Steuerfestsetzungen ohne Weiteres möglich gewesen. Das im Gesetzgebungsverfahren hiergegen angeführte Argument der hohen Kostenbelastung für den Staat entbehre jeder Grundlage. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht seinerzeit nur über noch nicht bestandskräftige Steuerbescheide entscheiden müssen; daraus ergebe sich nicht, dass für bereits bestandskräftige Steuerbescheide etwas anderes gelte und eine Rückwirkung insoweit nicht in Betracht komme.

Während der Gesetzesberatungen sei stets darauf hingewiesen worden, dass eine "großzügige Bewertung der Bestandskraft durch die Steuerbehörden" zu erfolgen habe. Dabei seien insbesondere die Stichworte "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, §§ 48, 51 VwVfG, Verpflichtungsklage auf Erlass eines Steuerbescheids mit gemeinsamer Veranlagung in Verbindung mit dem Wiederaufgreifen des Verfahrens und Antrag auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, die Steuerbescheide aufzuheben und neu festzusetzen" gefallen. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Beklagte unter anderem in den Streitjahren stets auf eine Einzelveranlagung der Kläger gedrängt habe und keine Zusammenveranlagung habe vornehmen wollen. Dies sei letztmalig sogar im Veranlagungsverfahren für 2011 gegenüber dem damaligen Steuerberater der Kläger der Fall gewesen. Darüber hinaus führe die vom Beklagten in den jeweiligen Feststellungsbescheiden vorgenommene Aufteilung der Einkünfte nach der Beteiligungsquote zu einer doppelten Benachteiligung und einer doppelten Härte. Unverständlich sei, dass der Beklagte mit Datum vom 13.9.2013 einige Bescheide aus dem Bereich der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Besteuerungsgrundlagen, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen bzw. vorläufig ergangen waren, durch die Aufhebung des Vorbehalts bzw. durch eine entsprechende Änderung für "endgültig" erklärt habe und ihnen - den Klägern - hierdurch die Möglichkeit zur Durchführung einer Zusammenveranlagung habe verwehren wollen. Ihnen - den Klägern - sei es seinerzeit nicht zumutbar gewesen, die ursprünglichen Steuerbescheide fristgerecht anzufechten. Denn die Steuerbescheide hätten mit dem damals noch geltenden Recht im Einklang gestanden, so dass eine Anfechtung damals nicht erfolgversprechend gewesen sei.

Die Voraussetzungen für eine Änderung bzw. Aufhebung der bestandskräftigen Steuerbescheide seien gegeben. Eine Änderung bzw. die Aufhebung der bisherigen Steuerbescheide sei nach § 48 Abs. 1 VwVfG möglich. Die im Rahmen des § 48 Abs. 1 VwVfG vorzunehmende Abwägung ergebe eindeutig, dass die Steuerbescheide aufzuheben und im Wege einer Zusammenveranlagung neue Steuerbescheide zu erlassen seien. Dies ergebe sich unter anderem aus dem in Art. 21 Abs. 1 der Europäischen Grundrechtscharta verankerten Verbot von Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Ausrichtung. Die nationalen Behörden müssten dem EU-Recht nach dem Effektivitätsgrundsatz auch bei Ermessenentscheidungen Geltung verschaffen. Der bloße Verweis auf den Bestandsschutz bzw. die Bestandskraft der Steuerbescheide würde die bisherige Diskriminierung aber zementieren. Sie - die Kläger - hätten daher ein großes Interesse an der Aufhebung der bestandskräftigen Steuerbescheide. Die Steuerbescheide seien wegen der Verletzung von verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben rechtswidrig. Daher sei das Ermessen des Beklagten auf Null reduziert. Die Steuerbescheide seien daher aufzuheben und unter Anwendung des Splittingtarifs neu zu erlassen. Dem stehe auch der Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht entgegen, da das Europarecht die nationalen Fristenregelungen durchbreche. Die Anwendung des VwVfG sei im Übrigen nicht durch Vorschriften der Abgabenordung ausgeschlossen. Denn das VwVfG stehe als Gesetz über der Abgabenordnung als bloßer "Rechtsverordnung".

Abgesehen davon sei eine Änderung der Steuerbescheide nach der Abgabenordnung ebenfalls zulässig. Die Änderung sei gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vorzunehmen. Denn als Tatsache im Sinne dieser Vorschrift sei auch eine "Rechtstatsache" zu verstehen. Eine neue "Rechtstatsache" liege mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7.5.2013 vor. Jedenfalls müsse der Beklagte bei späteren Änderungen der für die Streitjahre bereits ergangenen Steuerbescheide die Zusammenveranlagung berücksichtigen. Dies ergebe sich aus § 177 AO. Für nähere Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 20.3.2015 (Bl. 59 ff. d.A.) sowie die Schreiben vom 21.2.2014 (Bl. 85 ff. d.A.), 31.7.2014 (Bl. 94 ff. d.A.) und vom 27.8.2014 (Bl. 100 ff. d.A.) Bezug genommen.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

die gegenüber dem Kläger zu 1. ergangenen Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2002 vom 26.1.2005, 2003 vom 3.6.2005, 2004 vom 29.10.2007, 2005 vom 29.10.2007, 2006 vom 25.1.2008, 2007 vom 9.3.2010 und für 2008 vom 17.5.2011 sowie die gegenüber dem Kläger zu 2. ergangenen Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2002 vom 2.6.2004, 2003 vom 20.5.2005, 2004 vom 8.3.2007, 2005 vom 8.3.2007, 2006 vom 20.12.2007, 2007 vom 5.5.2009 und 2008 vom 21.5.2010 nebst der jeweiligen Einspruchsentscheidungen aufzuheben und für die Jahre 2002 bis 2008 jeweils Zusammenveranlagungen durchzuführen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist zur Begründung auf die Ausführungen in seiner Einspruchsentscheidung.

Gründe

Die Klage ist zulässig und unbegründet.

1.

Die Kläger durften als Streitgenossen (§§ 59 FGO in Verbindung mit §§ 59 ff. ZPO) gemeinsam Klage erheben, um die von ihnen begehrte Zusammenveranlagung für die Streitjahre erreichen zu können.

2.

Die Klage ist unbegründet.

Der Ablehnungsbescheid vom 6.1.2014 und die Einspruchsentscheidungen vom 9.10.2014 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat es zu Recht unterlassen, die Einkommensteuerbescheide der Kläger zu ändern und für die Streitjahre Zusammenveranlagungen vorzunehmen, da die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben waren.

a)

Die für die Jahre 2002 bis 2008 gegenüber den Klägern ergangenen Einkommensteuerbescheide waren - was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist - bestandskräftig. Auf die im vorliegenden Verfahren alleine in Rede stehende Bestandskraft der Einkommensteuerfestsetzungen haben die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (Grundlagenbescheide) keinen Einfluss. Das gilt unabhängig davon, ob die Grundlagenbescheide zwischenzeitlich bestandskräftig sind, ob sie unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen oder ob - und gegebenenfalls inwieweit - sie vorläufig ergangen sind. Geänderte Grundlagenbescheide führen lediglich dazu, dass bereits bestandskräftige Folgebescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO insoweit zu ändern und an die Feststellungen der jeweiligen Grundlagenbescheide anzupassen sind.

b)

Eine Änderung der bestandskräftigen Steuerbescheide nach den allgemeinen Änderungsvorschriften der Abgabenordnung kommt nicht in Betracht.

aa)

Hinsichtlich der Jahre 2002 bis 2006 (beide Kläger) sowie 2007 (Kläger zu 1.) steht einer Änderung bereits der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen, vgl. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO.

Die Jahre 2002 bis 2006 waren bei beiden Klägern im Zeitpunkt der Antragstellung (30.12.2013) festsetzungsverjährt. Gleiches gilt für den Steuerbescheid des Klägers zu 1. für das Jahr 2007. Die Steuererklärungen der Streitjahre 2002 bis 2006 wurden für den Kläger zu 1. und den Kläger zu 2. jeweils in den Jahren 2004 bis spätestens 2007 abgegeben (siehe Tabelle). Für das Streitjahr 2007 gab der Kläger zu 1. seine Steuererklärung im Jahr 2008 ab. Vor diesem Hintergrund waren die Festsetzungsfristen für die Jahre 2002 bis 2006 und 2007 (Kläger zu 1.) gemäß §§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2; 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO am 30.12.2013 bereits abgelaufen.

Jahr

Beginn Festsetzungsfrist

Ende Festsetzungsfrist

2002

31.12.2004

31.12.2008

2003

31.12.2005

31.12.2009

2004

31.12.2006

31.12.2010

2005

31.12.2007

31.12.2011

2006

31.12.2007

31.12.2011

2007

31.12.2008 (Kläger zu 1.)

31.12.2009 (Kläger zu 2.)

31.12.2012 (Kläger zu 1.)

31.12.2013 (Kläger zu 2.)

2008

31.12.2009

31.12.2013

bb)

Aber auch unabhängig vom Eintritt der Festsetzungsverjährung sind die Voraussetzungen für eine Änderung der Steuerfestsetzungen für die Streitjahre 2002 bis 2008 nicht gegeben.

(1)

Eine Änderung nach § 165 Abs. 2 AO scheidet aus, da die jeweiligen Einkommensteuerbescheide im Hinblick auf die Frage, ob der Ausschluss eingetragener Lebenspartnerschaften vom Ehegattensplitting verfassungsgemäß sei, nicht vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 AO ergangen waren.

(2)

Ebenso wenig kommt eine Änderung nach § 164 Abs. 2 AO in Betracht, da die jeweiligen Steuerbescheide nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO standen.

(3)

Die Voraussetzungen für eine Änderung der Steuerfestsetzungen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO liegen nicht vor.

(a)

Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide unter anderem zu ändern, soweit Tatsachen nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen erst nachträglich bekannt werden. Tatsachen im Sinne dieser Vorschrift sind alle Sachverhaltsbestandteile, die Merkmal oder Teilstück des gesetzlichen Steuertatbestandes sein können, d.h. Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 25.1.2006 - II R 61/04, BFH/NV 2006, 1059). Erfasst werden daher alle Merkmale, die den steuerlichen Tatbestand ausfüllen und bei einer Subsumtion unter den Tatbestand die steuerliche Folge ergeben (vgl. nur BFH-Urteil vom 11.2.2009 - X R 56/06, BFH/NV 2009, 1411 m.w.N.). Darüber hinaus muss die nachträglich bekannt gewordene Tatsache entscheidungserheblich sein. Das heißt, sie hätte zu einer niedrigeren Steuer führen müssen, wenn sie bei Erlass des jeweiligen Steuerbescheids bekannt gewesen wäre. Ein Steuerbescheid darf wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen oder Beweismittel zu Gunsten des Steuerpflichtigen nicht aufgehoben oder geändert werden, wenn das Finanzamt bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen und Beweismittel nicht anders entschieden hätte. Wie das Finanzamt bei Kenntnis bestimmter Tatsachen oder Beweismittel einen Sachverhalt im Zeitpunkt der ursprünglichen Veranlagung gewürdigt hätte, ist im Einzelfall auf Grund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ausgelegt wurde, und den die Finanzämter bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen, die im Zeitpunkt der ursprünglichen Erteilung des Bescheids gegolten haben. Die Rechtserheblichkeit einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache ist daher zu verneinen, wenn das Finanzamt auch bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsache schon bei der ursprünglichen Veranlagung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Steuerfestsetzung gelangt wäre (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 23.11.1987 - GrS 1/86, BFHE 151, 495 und BFH-Urteil vom 6.11.1973 - VIII R 12/71, BStBl. II 1974, 67).

(b)

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Die Feststellung der Unvereinbarkeit einer Norm mit dem Grundgesetz ist bereits keine neue Tatsache im Sinne des § 173 AO (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 12.5.2009 - IX R 45/08, BStBl. II 2009, 891, dort zur Nichtigkeitserklärung; siehe auch Hoffmann, EFG 2008, 1596). Darüber hinaus fehlt es an der Rechtserheblichkeit einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache. Denn durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7.5.2013 sowie die im Anschluss daran vorgenommene Neuregelung des § 2 Abs. 8 EStG durch das EStGÄndG vom 15.7.2013 wurde erstmals eine neue Rechtslage geschaffen, nach der die Finanzämter die Zusammenveranlagung auch bei Lebenspartnerschaften anzuwenden hatten. Bis zu diesem Zeitpunkt galt die ursprüngliche gesetzliche Regelung, die eine Anwendung der Zusammenveranlagung auf Lebenspartnerschaften nicht vorsah. Da die Finanzverwaltung verpflichtet ist, die gültigen Gesetze anzuwenden und andere Verwaltungsanweisungen zum Zeitpunkt der jeweiligen Einzelveranlagungen der Kläger nicht existierten, hätte der Beklagte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch dann keine Zusammenveranlagung der Kläger durchgeführt, wenn die Kläger eine solche in ihren Einkommensteuererklärungen beantragt hätten. Der Antrag auf Zusammenveranlagung hätte daher seinerzeit für die Jahre 2002 bis 2008 nicht zu einer niedrigeren Steuer geführt. Eine Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheidet für die Streitjahre mangels Rechtserheblichkeit aus.

(4)

Für die Streitjahre kommt auch eine Änderung der Steuerfestsetzungen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht in Betracht. Denn die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7.5.2013 führt lediglich zu einer geänderten rechtlichen Beurteilung eines unverändert gebliebenen Sachverhalts. Die nachträgliche Änderung einer rechtlichen Beurteilung eines unveränderten Sachverhalts eröffnet bereits keine Änderungsmöglichkeit nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (vgl. BFH-Urteile vom 28.6.2006 - III R 13/06, BStBl. II 2007, 714 und vom 23.11.2006 - V R 28/05, BFH/NV 2007, 872).

(5)

Ein eigenständiger Anspruch auf Änderung der Bescheide ergibt sich nicht aus der Neuregelung, die der Gesetzgeber auf Grund der Entscheidung des BVerfG rückwirkend zum 1.8.2001 in Kraft gesetzt hat. Der Gesetzgeber kam dem Auftrag des BVerfG im Einkommensteueränderungsgesetz (EStGÄndG) vom 15.7.2013 durch die Neuregelung des § 2 Abs. 8 EStG nach. Hiernach sind die Bestimmungen zu Ehegatten und Ehen auch auf Lebenspartner und Lebenspartnerschaften anzuwenden. Die Vorschrift gilt gemäß § 52 Abs. 2a EStG a.F. für alle Fälle, in denen die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ist eine Änderung von bereits bestandskräftigen Steuerbescheiden ausgeschlossen. Die besondere Bedeutung der Bestandskraft wurde auch vom Gesetzgeber während der Gesetzesberatungen des EStGÄnDG vom 15.7.2013 betont. Insbesondere wurden die gegenläufigen Gesetzesanträge, nach denen eine Änderung auch von bereits bestandskräftigen Steuerbescheiden in Betracht kommen sollte, von den Koalitionsfraktionen ausdrücklich abgelehnt (vgl. z.B. BT-Drs. 17/14260, S. 6). Im Übrigen wurde durch die gesetzliche Neuregelung die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7.5.2013 vollständig umgesetzt. Denn auch das Bundesverfassungsgericht hat die Wirkungen seiner Entscheidung ausdrücklich auf noch nicht bestandskräftige Steuerbescheide beschränkt (vgl. BVerfG-Beschluss vom 7.5.2015 - 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07, BVerfGE 133, 377-443, Rn. 110: ...Danach hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. August 2001 die rechtliche Grundlage dafür zu schaffen, dass auch eingetragenen Lebenspartnern, deren Veranlagungen noch nicht bestandskräftig durchgeführt sind (§ 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG), - unter den für Ehegatten geltenden Voraussetzungen - die Wahl der Zusammenveranlagung und die damit verbundene Anwendung des Splittingverfahrens ermöglicht werden).

Die Beschränkung der gesetzlichen Neuregelung auf noch nicht bestandskräftige Steuerveranlagungen - so wie vom Bundesverfassungsgericht als Mindestmaß gefordert (vgl. BVerfG-Beschluss vom 7.5.2015 - 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07, BVerfGE 133, 377-443, Rn. 108) - unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Wirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in § 79 Abs. 2 BVerfGG geregelt ist. Danach ist gegen ein rechtskräftiges Strafurteil, das auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder nach § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm oder auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist, die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozessordnung zulässig. Im Übrigen bleiben vorbehaltlich der Vorschriften des § 95 Abs. 2 BVerfGG oder einer besonderen gesetzlichen Regelung die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Letzteres gilt in analoger Anwendung auch für die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen ein Gesetz nicht für nichtig, sondern lediglich nur für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt wird (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 21.5.1974 - 1 BvL 22/71 und 21/72, BVerfGE 37, 217, 262 und vom 22.3.1990 - 2 BvL 1/86, BVerfGE 81, 363, 384). Die analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 BVerfGG auf gesetzliche Regelungen, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden sind, bedeutet, dass die erforderliche gesetzliche Neuregelung auf noch nicht bestandskräftig entschiedene Fälle beschränkt werden darf.

Die Ungleichbehandlung von noch offenen und von bereits bestandskräftig entschiedenen Fällen verstößt nicht gegen das GG, insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsmäßigkeit des § 79 Abs. 2 BVerfGG mehrfach bestätigt (vgl. BVerfG-Urteile vom 12.12.1957 - 1 BvR 678/57, BVerfGE 7, 194, 195 ff.; vom 3.11.1965 - 1 BvR 62/61, BVerfGE 19, 150, 166 und vom 16.1.1980 - 1 BvR 127, 679/78, BVerfGE 53, 115, 130). Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit im Einzelfall steht im Widerstreit zu der rechtsstaatlichen Forderung nach Rechtssicherheit, wozu auch die Rechtsbeständigkeit bestandskräftiger Entscheidungen gehört. Wenn der Gesetzgeber in diesem Widerstreit in § 79 Abs. 2 BVerfGG - entsprechend der Vorgaben des Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 7.5.2013 - der Rechtssicherheit den Vorzug gegeben hat, so ist dies nicht zu beanstanden (vgl. auch BFH-Urteil vom 11.2.1994 - III R 50/92, BStBl. II 1994, 389). Unerheblich ist, ob der Gesetzgeber die Neuregelung auch auf bereits bestandskräftige Fälle hätte ausdehnen können. Zu einer solchen Ausdehnung war er jedenfalls nicht verpflichtet.

(6)

Eine Änderung nach §§ 48, 49 VwVfG NW scheidet bereits deshalb aus, weil das VwVfG NW nach § 2 Abs. 1 VwVfG NW nicht für die vorliegend zu beurteilenden Verfahren der Finanzbehörden nach der AO (vgl. § 1 Abs. 1 AO) gilt. Das VwVfG NW steht im Rang zudem - entgegen der Rechtsauffassung der Kläger - nicht über der Abgabenordnung, da die Abgabenordnung ebenfalls ein Gesetz ist.

cc)

Die Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzungen zur Durchführung der Zusammenveranlagung ist auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten nicht geboten. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass das Unterlassen der Änderungen gegen europarechtliche Vorgaben verstoßen könnte. Selbst wenn ein solcher Verstoß zu bejahen wäre, käme eine Änderung der Steuerfestsetzungen für die Streitjahre nicht in Betracht.

Denn unabhängig davon, ob die Beschränkung der Änderbarkeit auf noch nicht bestandskräftige Steuerbescheide überhaupt eine Diskriminierung im Sinne des Art. 21 Abs. 1 der Europäischen Grundrechtecharta darstellt, war es den Klägern unbenommen, seinerzeit die jeweiligen Einkommensteuerbescheide innerhalb der hierfür geltenden Fristen anzufechten und auf diese Weise den Eintritt der Bestandskraft zu verhindern, um von späteren gesetzlichen Neuregelungen profitieren zu können.

Die Rechtsverfolgung innerhalb der allgemeinen gesetzlichen Fristen ist auch bei Fragen des Unionsrechts möglich und zumutbar (vgl. BFH-Urteil vom 16.9.2010 - V R 57/09, BStBl. II 2011, 151). Verwaltungsakte, die - wie vorliegend - nach Ablauf einer angemessenen Frist (vgl. § 355 AO, siehe dazu auch BFH-Urteil vom 23.11.2006 - V R 67/05, BStBl. II 2007, 436) nicht mehr angefochten werden können, sind - selbst wenn sie gegen das Unionsrecht verstoßen sollten - für die Beteiligten bindend. Denn ein Steuerpflichtiger, der - wie die Kläger nach ihrem eigenen Sachvortrag - mit Rücksicht auf die zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses bestehende Rechtslage von einer Anfechtung abgesehen und es unterlassen hat, die Gerichte selbst von einem Verstoß der Steuerfestsetzung gegen das Unionsrecht zu überzeugen, nimmt den Eintritt der Bestandskraft - auch für den Fall einer späteren Rechtsprechungs- oder Gesetzesänderung - bewusst in Kauf (vgl. nur BFH-Urteil vom 16.9.2010 - V R 57/09, BStBl. II 2011, 151).

Im Übrigen ist es unionsrechtlich grundsätzlich nicht erforderlich, eine Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen, die nach Ablauf angemessener Fristen oder nach Erschöpfen des Rechtswegs bestandskräftig geworden ist (vgl. nur EuGH-Urteil vom 13.1.2004 Rs. C-453/00, Kühne & Heitz, Slg. 2004, I-837). Denn der Anspruch auf Überprüfung oder Änderung bestandskräftiger Entscheidungen setzt nach der Rechtsprechung des EuGH unter anderem voraus, dass das nationale Verfahrensrecht hierfür eine Rechtsgrundlage vorsieht und insoweit das Äquivalenz- sowie das Effektivitätsprinzip beachtet werden. Das Unionsrecht verlangt weder, im nationalen Verfahrensrecht einen entsprechenden Überprüfungs- oder Änderungsanspruch für bestandskräftige unionsrechtswidrige Verwaltungsakte vorzusehen, noch, dass aus dem Unionsrecht ein eigenständiger Überprüfungs- und Änderungsanspruch abgeleitet werden kann. Dementsprechend kommt die Aufhebung eines rechtswidrigen belastenden bestandskräftigen Verwaltungsakts in Fällen der vorliegenden Art nur dann in Betracht, wenn sie durch eine nationale Regelung ermöglicht wird. Ein bestandskräftiger Steuerbescheid ist deshalb auch unter Berücksichtigung von Art. 10 EG (jetzt: Art. 4 Abs. 3 2. Unterabsatz EUV) nicht änderbar, wenn das nationale Recht hierfür - wie im vorliegenden Fall (siehe oben) - keine Rechtsgrundlage vorsieht (vgl. nur BFH-Urteil vom 16.9.2010 - V R 57/09, BStBl. II 2011, 151).

Die fehlende Änderungsmöglichkeit für bestandskräftige unionsrechtswidrige Steuerbescheide in den §§ 172 ff. AO verstößt weder gegen den unionsrechtlichen Äquivalenzgrundsatz noch gegen das Effektivitätsprinzip. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber durch die Bestandskraft den Eintritt der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens bezweckt. Es ist Sache des Steuerpflichtigen, unter Übernahme des Kostenrisikos seine Chance zur Herbeiführung einer Korrektur der ihn betreffenden Steuerbescheide zu wahren, indem er Rechtsmittel einlegt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16.9.2010 - V R 57/09, BStBl. II 2011, 151).

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

4.

Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

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