OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.02.2018 - 11 E 1038/16
Fundstelle
openJur 2019, 4068
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 18 L 224/15

Auf die Beschwerde der Antragstellerin werden der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 10. November 2016 und der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts vom 13. Juli 2015 unter Zurückweisung des Kostenfestsetzungsantrags der Antragsgegnerin aufgehoben.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Erinnerungs- und Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin werden der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 10. November 2016 und der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts vom 13. Juli 2015 unter Zurückweisung des Kostenfestsetzungsantrags der Antragsgegnerin aufgehoben.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Erinnerungs- und Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die gemäß § 165 Satz 2 i. V. m § 151 und den §§ 147 bis 149 VwGO zulässige Beschwerde hat Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung der Antragstellerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 13. Juli 2015 zu Unrecht zurückgewiesen.

Die Kosten des für die Antragsgegnerin im Rahmen des Beschwerdeverfahrens - 16 B 270/15 - tätig gewordenen Rechtsanwalts sind nicht erstattungsfähig.

I. Nach § 164 VwGO hat der Urkundsbeamte des Gerichts des ersten Rechtszugs auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Kosten festzusetzen. Umfang und Höhe des Kostenerstattungsanspruchs obsiegender Beteiligter - hier der Antragsgegnerin - richten sich nach § 162 VwGO. Nach § 162 Abs. 1 VwGO sind nur die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten erstattungsfähig. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen bestimmt sich nicht nach der subjektiven Auffassung der Beteiligten, sondern danach, wie ein verständiger Beteiligter, der bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, in gleicher Lage seine Interessen wahrgenommen hätte. Dabei ist grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen, weil andernfalls ein Verfahrensbeteiligter das Kostenrisiko zu Lasten anderer Beteiligter unkalkulierbar erhöhen könnte. Allerdings sind Kosten eines Rechtsanwalts stets erstattungsfähig, dies gilt grundsätzlich auch zugunsten von Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Behörden, selbst wenn diese über rechtskundige Beamte verfügen.

Vgl. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 23. Auflage 2017, § 162 Rn. 1 c und 10, m. w. N.

Gemessen hieran lagen die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 VwGO in dem konkreten Fall nicht vor. Grundsätzlich kann die Antragsgegnerin einen Erstattungsanspruch für die Kosten eines tätig gewordenen Rechtsanwalts in einem Beschwerdeverfahren geltend machen. Im Zusammenhang mit dem Beschwerdeverfahren - 16 B 270/15 - waren die Kosten für die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin jedoch für die zweckentsprechende Rechtsverteidigung nicht notwendig. Denn es hat bereits keine Rechtsverteidigung im oben aufgeführten Sinne stattgefunden. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin ist bis zur Entscheidung des 16. Senats über die Beschwerde der Antragstellerin lediglich außerprozessual tätig geworden, denn er ist gegenüber dem Oberverwaltungsgericht nicht in Erscheinung getreten. Er hat seine am 31. März 2015 erfolgte Bestellung dem Oberverwaltungsgericht nicht vor Erlass des die Beschwerde der Antragstellerin zurückweisenden Beschlusses vom 13. April 2015 - 16 B 270/15 - angezeigt. Vielmehr hat er sich erstmals drei Wochen nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens durch unanfechtbaren Beschluss, nämlich am 4. Mai 2015, für die Antragsgegnerin gemeldet, als er beim Verwaltungsgericht den Kostenfestsetzungsantrag stellte. Bis zur Entscheidung des Senats hat er zudem weder einen Zurückweisungsantrag gestellt noch sich sonst in irgendeiner Form gegenüber dem Senat geäußert. Dazu hätte aber vor allem deshalb Veranlassung bestanden, weil der Senat die Beteiligten am 2. April 2015 per Telefax darauf hingewiesen hatte, dass über die Beschwerde der Antragstellerin "in diesem Monat" (also im April 2015) entschieden werden solle. Die Antragsgegnerin hätte mithin, sollte die anwaltliche Tätigkeit (noch) zweckentsprechend für ihre Rechtsverteidigung erfolgen, bereits am 2. April 2015, aber spätestens, als der beauftragte Rechtsanwalt ihr den Entwurf einer Beschwerdeerwiderung am 8. April 2015 vorgelegt hat, darauf hinwirken müssen, dass dieser seine Vertretung anzeigt oder sonst prozessual in Erscheinung tritt. Denn aus Sicht einer verständigen Beteiligten musste es sich ihr aufdrängen, dass eine Beschwerdeerwiderung oder eine sonstige Stellungnahme nur dann (noch) zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig war, wenn sie bis zur angekündigten, alsbald erfolgenden Beschlussfassung abgegeben würde.

II. Nichts anderes ergibt sich unter Berücksichtigung der von der Urkundsbeamtin im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 13. Juli 2015 unter Bezugnahme auf die Kommentierung zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vertretenen Auffassung,

vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, Kommentar, 21. Auflage 2013, VV 3200, Rn. 16, 18, 20,

einer nach außen hin erkennbaren Tätigkeit des beauftragten Rechtsanwalts bedürfe es nicht. Die auf 1,1 ermäßigte Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 des Vergütungsverzeichnisses (VV) der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz entstehe bereits mit der Entgegennahme der Information, sie sei jedenfalls dadurch verdient, dass der beauftragte Rechtsanwalt eine Beschwerdeerwiderung verfasst und der Antragsgegnerin zur Abstimmung vorgelegt habe.

Diese Kommentierung betrifft die Frage, ob die Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV ausgelöst worden ist, nicht jedoch, ob sie auch vom Gegner zu erstatten ist. Dementsprechend sind die von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in Bezug genommenen und oben zitierten Kommentarstellen mit "III. Tätigkeit",

s. hierzu Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, Kommentar, 21. Auflage 2013, VV 3200, vor Rn. 16 ff.,

und nicht mit "Kostenerstattung" überschrieben,

s. hierzu Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, Kommentar, 21. Auflage 2013, VV 3200, vor Rn. 37 ff.

Zur "VIII. Kostenerstattung" heißt es in dem von ihr zitierten Kommentar unter der *Überschrift "2. Zurückweisungsantrag",

s. hierzu Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, Kommentar, 21. Auflage 2013, VV 3200, vor Rn. 38 ff.,

dass der Rechtsanwalt eine auf 1,1 ermäßigte Verfahrensgebühr verdienen könne, wenn er tätig geworden sei, bevor das Rechtsmittel begründet worden sei. Dabei sei es für die Erstattbarkeit der Gebühr nicht erforderlich, dass die Tätigkeit des Anwalts nach außen getreten sei. Weiter genüge eine Bestellungsanzeige.

Vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, Kommentar, 21. Auflage 2013, VV 3200, 41, m. w. N.,

Mit Blick auf die Überschrift und den weiteren Hinweis auf das Genügen einer Bestellungsanzeige entsteht damit in einem solchen Fall dann ein Kostenerstattungsanspruch, wenn der beauftragte Rechtsanwalt entweder einen Zurückweisungsantrag gestellt oder eine Bestellungsanzeige beim Rechtsmittelgericht eingereicht hat. In der aktuellen Ausgabe des zitierten Kommentars finden sich vergleichbare Hinweise unter "X. Kostenerstattung" in einer insbesondere hinsichtlich einer Bestellungsanzeige und eines (im Verwaltungsgerichtsprozess nicht relevanten zu früh gestellten) Zurückweisungsantrags differenzierten Darstellung.

Vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, Kommentar, 23. Auflage 2017, VV 3201, vor Rn. 50 ff., insbesondere Rn. 65 f., wonach die Bestellungsanzeige für die Erstattung einer 1,1 Verfahrensgebühr ausreicht, wenn der Rechtsanwalt in der Vorinstanz nicht Prozessbevollmächtigter war.

Nichts anderes folgt auch aus dem Hinweis "4. Interne Prüfung" in dem von der Urkundsbeamtin zitierten Kommentar, wonach die anfallende 1,1 Verfahrensgebühr für die Tätigkeit des Berufungsbeklagtenvertreters auch dann zu erstatten sei, wenn diese nicht nach außen in Erscheinung getreten sei, der Rechtsanwalt aber geprüft habe, ob etwas, das zur Berufungsinstanz und nicht gemäß § 19 RVG noch zur ersten Instanz gehöre, zu unternehmen sei.

Vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, Kommentar, 21. Auflage 2013, VV 3200, Rn. 63.

Auch auf dieser Grundlage kann hier eine Kostenerstattung nicht begründet werden, weil der beauftragte Rechtsanwalt zwar (nur) betreffend das Beschwerdeverfahren geprüft hat, dieser die Antragsgegnerin aber weder in der ersten Instanz anwaltlich vertreten hat noch sonst als "Berufungsbeklagtenvertreter" in Erscheinung getreten ist. Dass diese Kommentierung so zu verstehen ist, wird durch den entsprechenden Hinweis "7. Interne Prüfung" in der aktuellen Ausgabe des Kommentars bestätigt. Danach wird für einen solchen Fall auf die oben aufgezeigte Kommentierung "(? Rn. 63 ff.)" verwiesen, die für die Kostenerstattung entweder von einem "2. Zurückweisungsantrag" oder einer "3. Bestellungsanzeige" ausgeht und weiter ausgeführt, dass etwas anderes gelte, wenn der Rechtsanwalt bereits in der Vorinstanz Prozessbevollmächtigter gewesen sei und seine Tätigkeit gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG noch zur ersten Instanz gehöre.

Vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, Kommentar, 23. Auflage 2017, VV 3201, Rn. 76.

Ausgehend hiervon setzt die überwiegend an der Rechtsprechung der Rechtsmittelgerichte der Zivilgerichtsbarkeit orientierte Kommentierung für die Kostenerstattung der anwaltlichen Tätigkeit voraus, dass die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten zwar nicht in jedem Fall, wohl aber - schon infolge des im Unterschied zum Verwaltungsprozess in der Regel für die Kläger- sowie die Beklagtenseite vor den Rechtsmittelgerichten der Zivilgerichte nach § 78 Abs. 1 ZPO gleichermaßen geltenden Anwaltszwangs - der Prozessbevollmächtigte selbst im Rechtsmittelverfahren in Erscheinung getreten sein muss, sei es dadurch, dass er die Partei bereits erstinstanzlich vertreten, einen Zurückweisungsantrag gestellt oder eine Bestellungsanzeige abgegeben hat.

Vgl. hierzu auch Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, Kommentar, 23. Auflage 2017, VV 3201, Rn. 81 f. zur Frage der Kostenerstattung für die anwaltliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts als Partei, dem jedenfalls ohne Bestellungsanzeige für die Rechtsmittelinstanz ein Kostenerstattungsanspruch nicht zustehe.

Danach lässt sich auch unter Berücksichtigung der zitierten Kommentierung zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz kein Erstattungsanspruch der Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin auf die für die Beauftragung des Rechtsanwalts entstandene auf 1,1 ermäßigte Verfahrensgebühr herleiten, weil die Antragsgegnerin - wie oben bereits ausgeführt - nicht schon in erster Instanz durch den Prozessbevollmächtigten vertreten und bis zur unanfechtbaren Entscheidung des 16. Senats in dem Beschwerdeverfahren - 16 B 270/15 - weder ein Zurückweisungsantrag gestellt noch eine Bestellungsanzeige beim Oberverwaltungsgericht eingereicht worden war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtsgebührenfreiheit ergibt sich aus § 66 Abs. 8 Satz 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).