OLG Köln, Urteil vom 23.10.1997 - 18 U 11/95
Fundstelle
openJur 2012, 77050
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 14. Dezember 1994 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 0 284/94 - abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12.721,27 DM nebst 8,5 % Zinsen vom 11. Oktober 1993 bis 3O. November 1993, 8 % Zinsen vom 1. Dezember 1993 bis 31. Mai 1994 und ab 1. Juni 1994 6,75 % Zinsen sowie vorgerichtliche Mahn- und Sperrkosten in Höhe von 23,OO DM zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und hat auch in der Sache

Erfolg.

Der Klägerin steht gegen den Beklagten der geltend gemachte

Anspruch auf Zahlung rückständiger Telefonkosten in Höhe von

12.721,27 DM nebst unstreitiger Verzugszinsen sowie Mahn- und

Sperrkosten aus § 611 BGB iVm §§ 11 - 14, 16 der

T.munikationsverordnung vom 29.6.1991 in der Fassung vom 16.9.1992

zu .

Der Beklagte hatte für seine damalige Wohnung in H., K. 53, am

26. 3. 1992 einen Telefonanschluß mit der Tel.Nr. X erhalten . Die

Telefonrechnungen vom 14.4., 12.5., 15.6., 14.7., 12.8. und

10.9.1993 für diesen Anschluß belaufen sich auf insgesamt 14.208,80

DM. Davon hat der Beklagte 1.464,53 DM bezahlt, so daß ein offener

Betrag in Höhe der Klageforderung verbleibt.

Der Beklagte bestreitet , mehr als die beglichenen Gebühren

verursacht zu haben , und macht geltend, Manipulationen am Netz

bzw. an den Erfassungseinrichtungen der T. seien nicht

auszuschließen. Der Senat hat dazu Beweis erhoben durch Einholung

schriftlicher Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing-W. und

Beiziehung des im Verfahren 112 C 617/92 AG Köln erstatteten

Gutachtens von Prof. Dr. B..

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist davon auszugehen, daß

die in Rechnung gestellten Einheiten durch Telefonate angefallen

sind, die von dem Telefonanschluß des Beklagten geführt wurden. Es

kann deshalb dahinstehen, ob bereits ein Beweis des ersten

Anscheins für die richtige Erfassung der automatisch

aufgezeichneten Tarifeinheiten spricht, wie dies von der in der

angefochtenen Entscheidung wiedergegebenen überwiegenden

Rechtsprechung angenommen wird, sofern keine Anhaltspunkte für

technische Mängel bei der Gebührenerfassung gegeben sind . Damit

besteht keine Veranlassung zur Zulassung der Revision .

Wie in dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen

Dipl.-Ing. W. vom 22. 7. 1996 (Bl. 5o9 ff. d.A.) dargelegt und

anhand der zu den Akten gereichten Unterlagen nachvollziehbar, hat

die von der Klägerin durchgeführte sog. Vollprüfung (Bl. 340 ff.)

und der in der Zeit vom 15.4. - 22.4., 22.4. - 7.5. und 24.6. -

8.7.1993 erfolgte Zählvergleich ( Bl. 238 ff.) ergeben , daß die

technischen Einrichtungen zur Gebührenerfassung störungsfrei

funktionierten. Sonstige Fehlerquellen , die zu einer

Gebührenerfassung geführt haben könnten, ohne daß entsprechende

Telefonate von dem Anschluß des Beklagten geführt wurden, sind

ebenfalls auszuschließen.

Manipulierte Aufschaltungen kommen bei dem Telefonanschluß des

Beklagten nach den nachvollziehbaren Festellungen und Erläuterungen

im Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. W. nicht in Betracht .

Es bestehen weder Anhaltspunkte für die Aufschaltung Dritter

zwischen Anschlußdose und Vermittlungsstelle noch für einen

Mißbrauch innerhalb der T.-Vermittlungsstelle . Die dem Beklagten

in Rechnung gestellten Telefonkosten können auch nicht durch

elektronische Manipulationen am Telefonnetz verursacht worden sein

Aufschaltungen Dritter zwischen Anschlußdose und

Vermittlungsstelle sind bereits deshalb unwahrscheinlich, weil sie

, wie der Sachverständige dargelegt hat, jeweils einen erheblichen

Zeitaufwand erfordert hätten und häufigere Betätigungen dieser Art

visuell aufgefallen wären. Solche Aufschaltungen hätten nach den

weiteren Darlegungen des Sachverständigen auch akustisch von dem

Beklagten bemerkt werden müssen. Denn bei Austauschschaltungen wäre

die Leitung tot gewesen und bei Parallelschaltungen hätten andere

Gespräche mitgehört werden können. Bei der dichten Folge der von

den Beklagten anerkannten und der nicht anerkannten

Telefonverbindungen hätten dem Beklagten derartige Aufschaltungen

nicht verborgen bleiben können .

Der Sachverständige hat dafür als ein Beispiel die am Abend des

19. 4. 1993 geführten Gespräche genannt. Weiter kann dazu etwa

angeführt werden, daß am 2O. 4. 1993 nach Beendigung eines nicht

anerkannten Gesprächs nach Hamburg um 23.12 Uhr ein anerkanntes

Gespräch nach Una um 23.15 Uhr geführt wurde. Für den 1. 5.1993 ist

ein nicht anerkannter Anruf von 12.29 Uhr bis 12.36 Uhr vermerkt,

zuvor hatte der Beklagte anerkanntermaßen bis 12.28 Uhr telefoniert

. Ein nicht anerkannter Anruf am 6. 5.1993 endete um 23.47 Uhr , um

23.48 wurde ein anerkanntes Gespräch begonnen . Daß die zahlreichen

nicht anerkannten Anrufe jeweils zeitlich so gelegen haben sollen,

daß der Beklagte die Aufschaltung nicht bemerken konnte, ist bei

der Anzahl der unmittelbar vor oder danach geführten anerkannten

Gespräche nicht vorstellbar .

Der Beklagte trägt jetzt zwar vor, er habe gelegentlich bemerkt

, daß der Anschluß "tot" sei. Dieser Vortrag ist allerdings

unsubstantiiert und erscheint auch nicht glaubhaft . Denn es ist

davon auszugehen, daß der Beklagte Anzeichen für eine Störung

seines Telefonanschlusses sogleich berichtet hätte, als er auf

Zahlung der hohen Telefonkosten in Anspruch genommen wurde .

Gegen manipulierte Aufschaltungen im Bereich vor der

Vermittlungsstelle spricht schließlich das registrierte zahlreiche

Abheben des Handapparates ohne Wahl und das Anwählen nur einzelner

Nummern und dies jeweils innerhalb von einer Minute. Ein derartiges

Wählverhalten läßt sich damit erklären, daß Manipulationen

vorgetäuscht werden sollen. Für einen Dritten sind derartige

Aufschaltungen völlig unnütz .

Aufschaltungen in der Vermittlungsstelle durch das Personal der

Klägerin sind ebenso unwahrscheinlich.

Wie von dem Sachverständigen dargelegt, ist die betreffende

Vermittlungsstelle zu den Zeiten , in denen die nicht anerkannten

Anrufe im wesentlichen registriert wurden, nicht besetzt. Die

Zuordnung zu bestimmten Teilnehmeranschlüssen ist am Verteiler

nicht erkennbar , so daß gezielte Aufschaltungen zu Lasten einer

bestimmten Person nicht ohne weiteres möglich wären. Von der

Klägerin sind nach Aussage des im Verfahren 11 O 19/96 LG Bonn

vernommenen Zeugen Dipl.-Ing. Bx. allerdings Fälle festgestellt

worden , in denen Mitarbeiter auf T.internen Leitungen Beziehungen

zu Anbietern ausländischer Informationsdienste aufgebaut hatten ,

um an den eingenommenen Gebühren zu profitieren. Die oben

angeführten Umstände sprechen aber auch hier gegen Manipulationen

zu Lasten des Beklagten. Vor allem ist das erwähnte auffällige

Wählverhalten nicht mit profitorientierten kriminellen

Machenschaften zu erklären.

Schließlich sind elektronische Manipulationen am Telefonnetz zu

Lasten des Telefonanschlusses des Beklagten in H.

auszuschließen.

Wie in dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. W. vom

30.1.1997 dargelegt , ist die Vermittlungsstelle für diesen

Anschluß mit elektro - mechanischer Technik ausgestattet , so daß

ein Eindringen in das Netz über digitalisierte Vermittlungsstellen

hier nicht möglich ist . Nach dem im Verfahren 112 C 617/92 AG Köln

erstatteten Gutachten von Prof.Dr. B. vom 9.3.1994 können sog.

Telefon-Hacker mit dem Blue-Box- oder Red-Box-Verfahren

Telefonverbindung zu Lasten Dritter auch nur herstellen, wenn der

Kunde - was bei dem Beklagten nicht der Fall war - über eine 130'er

Nummer verfügt, bei der die Gebühren durch den Anschlußinhaber

getragen werden.

Prof. Dr. B. vermutet allerdings, daß die Klägerin trotz

gegenteiliger Versicherung in ihren Schaltcomputern Möglichkeiten

zur Vermittlung von R-Gesprächen vorgesehen hat, um diese später

anbieten zu können , so daß Insider durch das Blue-Box oder

Red-Box-Programm unter Umgehung der Sicherheitsverfahren zu Lasten

von Privatkunden telefonieren könnten . Konkrete Anhaltspunkte

dafür, daß derartige bisher geheimgehaltene Funktionen geschaffen

wurden , gibt es indessen nicht. Davon könnten auch nur Anschlüsse

mit digitalisierten Vermittlungsstellen betroffen sein. Es besteht

deshalb im vorliegenden Verfahren keine Veranlassung, von der

Klägerin dazu die Vorlage der Studie des Bundesamtes für Sicherheit

in der Informationstechnik "Projektbericht : überhöhte

Fernmelderechnungen" zu verlangen.

Soweit die Klägerin in dem wegen der Umstellung der Vermittlung

internationaler Telefon-Service-Nummern auf Handbetrieb gegen sie

geführten Prozeß - 11 0 19/96 LG Bonn - selbst Manipulationen des

Telefonverkehrs geltend gemacht hat, geht es um den erwähnten

Mißbrauch T.interner Leitungen durch Mitarbeiter sowie von

Telefongroßanlagen durch Telefon-Hacker. Eine generelle

Netzunsicherheit , von der auch der Telefonanschluß des Beklagten

betroffen gewesen sein könnte , hat die Klägerin damit nicht

eingeräumt. Bei der erwähnten technischen Ausstattung der

Vermittlungstelle haben derartige Manipulationsmöglichkeiten zu

Lasten des Beklagten ohnehin nicht bestanden.

Auch hier gilt schließlich, daß der Beklagte Aufschaltungen

hätte bemerken müssen und daß das erwähnte auffällige Wählverhalten

mit Aufschaltungen nicht zu erklären ist.

Dafür, daß der Beklagte selbst die von ihm nicht anerkannten

Telefonate geführt hat, spricht die Fortsetzung der nächtlichen

Anrufe bei überseeischen Telefondiensten von dem durch den Vater

des Beklagten zunächst unter der Rufnummer 5X und sodann unter der

Nummer 9X angemeldeten Anschluß in der vom Beklagten nunmehr

bewohnten A. Wohnung.

Unstreitig sind für die Tel.Nr. 5X folgende Tarifeinheiten

registriert worden :

24. 2. bis 28. 2. 1994: 1.236 Einheiten,

28. 2. bis 28. 3. 1994: 2.46O Einheiten,

28. 3. bis 28. 4. 1994 : 2.558 Einheiten,

28. 4. bis 3O. 5. 1994 : 934 Einheiten,

3O. 5. bis 29. 6. 1994 : 6.149 Einheiten,

29. 6. bis 28. 7. 1994 : 2.747 Einheiten,

28. 7. bis 18. 8. 1994 : 4.991 Einheiten.

Für die Rufnummer 5X sind folgende Tarifeinheiten

angefallen :

27. 1. bis 24. 2. 1995 : 2.949 Einheiten,

24. 2. bis 17. 3. 1995 : 1.561 Einheiten.

Daß diese hohen Telefonkosten durch Telefonverbindungen mit

ausländischen Service-Anbietern verursacht sind, stellt der

Beklagte nicht in Abrede . Dies ergibt sich auch aus der

Aufzeichnung der in der Zeit vom 18.5. bis 7.6.1995 geführten

Telefonate (Bl.366 f.). Mit Manipulationen , die zufällig den

Beklagten betroffen haben könnten , läßt sich die Fortsetzung der

Anrufe bei überseeischen Telefondiensten von zwei verschiedenen

Anschlüssen mit drei Telefonnummern schlechterdings nicht mehr

erklären.

Für solche Manipulationen gibt es hier aus den im Gutachten des

Sachverständigen Dipl.-Ing. W. vom 22.7.1996 dargelegten Gründen

ebenfalls keine Anhaltspunkte . Dafür , daß bei den aufgezeichneten

Anrufen in kurzen Zeiträumen dieselbe Nummer angewählt worden ist,

hat die Klägerin eine einleuchtende Erklärung geliefert. Es soll

sich nämlich um eine sogenannte Partyline handeln, bei der man sich

in eine sogenannte Gesprächsrunde mit Gleichgesinnten einschalten

und unter derselben Nummer verschiedene Gesprächsrunden erreichen

kann . Wie in dem Gutachten des Sachverständige Dipl.-Ing. W.

dargelegt , ist die Herstellung der Verbindung auch innerhalb

kürzester Zeiträume möglich gewesen, weil der Beklagte in der A.

Wohnung über einen digitalen Telefonanschluß mit Mehrfrequenzwahl

verfügt.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die Aufzeichnung der

für seine A. Wohnung registrierten Telefonate im vorliegenden

Verfahren verwertbar . Mit der Aufzeichnung ist nicht gegen das

Post- und Fernmeldegeheimnis verstoßen worden, denn der Vater des

Beklagten hatte als Anschlußinhaber unstreitig zuvor einen

Einzelgebührennachweis verlangt. Durch die Verwertung der

Aufzeichnung wird auch nicht in das Persönlichkeitsrecht des Vaters

des Beklagten eingegriffen , weil der Anschluß allein von dem

Beklagten benutzt wird .

Der von dem Beklagten geäußerte Verdacht , daß es sich um

gezielte Manipulationen durch Personen innerhalb oder außerhalb des

Fernmeldedienstes handelte, mit denen ihm geschadet werden sollte,

ist nicht durch Tatsachenvortrag konkretisiert . Der Beklagte

behauptet nicht einmal , daß ihm bestimmte Personen feindlich

gesonnen sein könnten . Die Behauptung , daß durch Telefonate am

Vorabend der mündlichen Verhandlung vor dem Senat

Belastungsmaterial gegen den Beklagten beschafft werden sollte, ist

aus der Luft gegriffen.

Zu der beantragten Einholung eines weiteren Gutachtens besteht

keine Veranlassung. Die gegen das Gutachten und die Sachkunde des

Sachverständigen erhobenen Einwände sind unbegründet. Der

Sachverständige hat zu ihnen in seinem zweiten Gutachten Stellung

genommen. Danach trifft es insbesondere nicht zu, daß der

Sachverständige mit der modernen Vermittlungstechnik nicht vertraut

sein soll . Bei dem Sachverständigen besteht aus den Gründen des

Senatsbeschlusses vom 25.3.1997 nicht die Besorgnis der

Befangenheit. Eine mündliche Erläuterung der Gutachten erscheint

nicht geboten . Sie wird von dem Beklagten auch nicht mehr

beantragt.

Die Vorausssetzungen für die beantragte Parteivernehmung liegen

nicht vor. Es bestehen keine restlichen Zweifel, die dadurch

ausgeräumt werden könnten. Vielmehr ist bewiesen, daß die in

Rechnung gestellten Telefonate vom Anschluß des Beklagten aus

geführt worden sind. Diese sind deshalb von dem Beklagten zu

bezahlen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr.

10, 713 ZPO.

Berufungsstreitwert und Beschwer des Beklagten : 12.721,27

DM