OLG Köln, Beschluss vom 06.01.2016 - 10 UF 162/15
Fundstelle
openJur 2019, 3727
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 233 F 274/14
Tenor

Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

Dem Antragsgegner wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt I, B, bewilligt.

Der Senat weist gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG darauf hin, dass er beabsichtigt, die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Aachen vom 10.09.2015 - 233 F 274/14 - als unbegründet zurückzuweisen.

Die Antragstellerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweis binnen drei Wochen ab Zugang des Beschlusses.

Gründe

I.

Die Beteiligten sind die Eltern der Kinder B2, geboren am 26.02.1998, L, geboren am 20.07.2000 und B3, geboren am 24.11.2003. Die Eltern trennten sich im Oktober 2012, wobei die Kinder - auf eigenen Wunsch - in beiden Haushalten lebten. In einem vorangegangenen Verfahren 233 F 82/13, welches auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Antragstellerin gerichtet war, einigten sich die Eltern im Termin am 24.04.2013 entsprechend der Vorschläge von Gericht und Jugendamt auf ein Wechselmodell, welches seither praktiziert wird.

Die Antragstellerin hat eine Abänderung des Modells und die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge beantragt und hierzu gemeint, das Wechselmodell sei gescheitert, da - so hat sie behauptet - der Antragsgegner (der nur schriftlich mit ihr verkehrt) kaum zu Absprachen und Kooperation in der Lage sei und die Kinder verstärkte Verhaltensaufälligkeiten zeigten, die, so hat sie weiter gemeint, ihren Grund im Wechselmodell und der väterlichen Einflussnahme hätten. Dem ist der Antragsgegner entgegen getreten, der insbesondere gemeint hat, der rein schriftliche Kontakt der Eltern untereinander stehe dem praktizierten Wechselmodell nicht entgegen.

Das Amtsgericht hat nach Anhörung der Kinder den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung insbesondere ausgeführt, das nunmehr schon jahrelang ausgeübte Wechselmodell entspreche dem Kindeswohl am besten. Nicht nur der Kontinuitätsgrundsatz, sondern auch die Bedürfnisse der Kinder entsprechend ihrer Anhörung sprächen für die Beibehaltung des Wechselmodells. Die Kinder, die aufgrund ihres Alters bereits hinreichend einsichtsfähig seien, hätten sich einhellig für das bisherige Modell ausgesprochen, so dass zu besorgen sei, dass der Erziehungsprozess bei alleiniger Sorge der Antragstellerin - welche dann von ihren Kindern für die Veränderung "verantwortlich gemacht" zu werden drohe - durch eine Änderung noch erschwert werde.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, mit welcher diese ihre erstinstanzlichen Anträge weiter verfolgt und für deren Durchführung Verfahrenskostenhilfe beantragt wird. Sie behauptet, sie sei zum damaligen familiengerichtlichen Vergleich genötigt worden und habe schon damals das Wechselmodell nicht gewünscht. Weder die (von ihr behaupteten) Verhaltensauffälligkeiten der Kinder noch die tiefgreifenden Schwierigkeiten der elterlichen Kommunikation seien richtig gewürdigt worden; tatsächlich seien die Kinder emotional und sozial stark belastet, was sie aber in der Anhörung und der dortigen Kürze der Zeit nicht hätten kommunizieren können und wollen.

II.

Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe kommt nicht in Betracht, weil die Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg hat. Das Amtsgericht hat zu Recht den Antrag zurückgewiesen.

Maßstab der Entscheidung ist nach § 1671 Abs. 1 BGB das Kindeswohl. Bei der hiernach gebotenen zweistufigen Prüfung hat das Amtsgericht zu Recht auf der ersten Stufe angenommen, dass bereits die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht dem Kindeswohl entspräche. Zwar können, worauf die Beschwerde im Grundsatz zu Recht hinweist, die Eltern das gemeinsame Sorgerecht nur dann weiterhin ausüben, wenn sie - als unverzichtbare Voraussetzung hierfür - auch Kooperationsbereitschaft zeigen, also den Willen, die Verantwortung für das Kind auch nach der Trennung zusammen zu tragen (BVerfG, Urt. v. 03.11.1982 - 1 BvL 25/80, FamRZ 1982, 1179; BVerfG, Beschl. v. 18.12.2003 - 1 BvR 1140/03, FamRZ 2004, 354).

Die Notwendigkeit ausreichender Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft bedeutet jedoch nicht, dass die gemeinsame elterliche Sorge bereits dann abzulehnen wäre, wenn die Gefahr von Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen der Eltern besteht oder sich bereits in der Vergangenheit an dem einen oder anderen Punkt Konflikte entzündet haben und streitig ausgetragen wurden (OLG Naumburg, Beschl. v. 06.08.2014 - 3 UF 130/14, FamRZ 2015, 763). Zur Normalität in Eltern-Kind-Beziehungen gehört vielmehr, dass Eltern über Einzelfragen der Erziehung unterschiedliche Auffassungen haben (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.03.2015 - 18 UF 304/14, n.v.). Die Zerstrittenheit der Eltern kann nur dann zum Anlass der Aufhebung eines gemeinsamen Sorgerechts gemacht werden, wenn die begründete Annahme besteht, dass die Kindeseltern eine dem Kindeswohl dienende gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge nicht gewährleisten können; eine (selbst heillose) Zerstrittenheit der Eltern als solche allein genügt hierfür nicht (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 11.03.2008 - 4 UF 119/07, NJW-RR 2008, 1319). Daher setzt eine dem Kindeswohl entsprechende gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung lediglich ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige, soziale Beziehung zwischen den Eltern sowie eine Orientierung der Eltern am Kindeswohl voraus (BVerfG, Beschl. v. 18.12.2003 - 1 BvR 1140/03, FamRZ 2004, 354; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.03.2015 - 18 UF 304/14, n.v.).

Auch unter Berücksichtigung des streitigen Vorbringens der Antragstellerin hat der Senat keinen Anlass, am Vorliegen jedenfalls dieses Mindestmaßes an Kooperation zu zweifeln. Die vorgelegten Unterlagen - mehrheitlich handschriftlich verfasste Mitteilungen des Antragsgegners, der seine Urheberschaft nicht bestritten hat und auch dem Inhalt nicht entgegen getreten ist - belegen zwar auch aus Sicht des Senats nachdrücklich, dass es maßgebend der Antragsgegner ist, der durch Art und Inhalt der von ihm gewählten Kommunikation ein - soweit möglich - "normales" Miteinander der Beteiligten verhindert. Schon sein - nur exemplarisch hervorgehobenes - Verhalten anlässlich der Bewusstlosigkeit des Kindes B2 im Schwimmbad, welches der Antragsgegner zum Anlass nahm, die Antragstellerin an ihre "Aufsichtszeiten" zu erinnern (Bl. 94 d.A.) ist erkennbar wenig zielführend. Hier müssen die Elternteile - worauf indes ebenfalls das Amtsgericht bereits hingewiesen hat - an ihrer Kommunikationsfähigkeit arbeiten und im Interesse der gemeinsamen Kinder aufeinander zugehen.

Das Amtsgericht hat indes ebenfalls zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Kommunikationsschwächen allein - die auch der Senat nicht verkennt, deren ungeachtet aber gleichwohl die Betreuung der drei gemeinsamen Kinder nunmehr schon seit Jahren wenngleich nicht störungsfrei, aber doch: funktioniert - nicht hinreichen, um mit Blick auf das maßgebliche Kindeswohl eine abweichende Sorgerechtsentscheidung zu treffen.

Der Senat nimmt hierfür Bezug auf die Ausführungen des Amtsgerichts zur Frage des Kindeswillens und seiner Maßgeblichkeit gerade mit Blick auf das Alter der Kinder, zur Kontinuität eines seit Jahren gelebten Modells und zur durchaus berechtigten Sorge, eine Änderung dieses - von den Kindern favorisierten - Modells könne der Mutter als "Verursacherin" zur "Last gelegt" werden. Gerade dem Grundsatz der Kontinuität eines Sorgerechtsmodells kommt hierbei, wie auch die Stellungnahme des Verfahrensbeistandes in der Beschwerdeinstanz erkennen lässt, erhebliches, für das Kindeswohl relevantes Gewicht zu. Die Kinder leben nicht nur seit einem langen Zeitraum trotz aller Schwierigkeiten in dem Wechselmodell, sie befürworten es auch und gerade deshalb ausdrücklich. Sind aber die Kinder an beide Elternteile sicher gebunden, sind also beide - für sich betrachtet - in der Lage, auf die körperlichen, psychischen und sozialen Bedürfnisse der Kinder zu reagieren und diese in angemessener Weise zu befriedigen, spricht dies ebenso wie der Aspekt der Kontinuität und die Eignung beider Elternteile unter dem Gesichtspunkt der Förderung der Kinder für eine Beibehaltung des Wechselmodells.

Hierbei weist der Senat darauf hin, dass er die geschilderten Verhaltensauffälligkeiten der Kinder durchaus ernst nimmt, ihre etwaigen Ursachen indes - wie auch der Verfahrensbeistand ausgeführt hat - eher in der gestörten Beziehung der Eltern zu suchen sein dürften als in der konkreten Ausgestaltung des elterlichen Sorgerechts, und jedwede Form elterlicher Sorge am "Grundproblem" einer elterlichen Kommunikation, die offenbar durch ein Fortdauern der Beziehungsproblematik weiterhin belastet ist, nichts ändern würde. Die Kinder erleben immer wieder, wie ihre beiden von ihnen geliebten Eltern sich verletzen, was gerade die Jüngste, B3, belastet und dem Kindeswohl abträglich ist. Beide Beteiligte sollten sich daher bewusst sein, dass sie die Verantwortung für ihre Kinder haben und dafür sorgen müssen, dass es ihnen gut geht.

Der Senat kann aber nicht feststellen, dass sich an dieser Situation zugunsten der Kinder durch die Übertragung der Alleinsorge auf die Antragstellerin etwas ändern würde. Dies wäre erst dann denkbar, wenn sich die Situation der Kinder spürbar verbessert, weil Auseinandersetzungen der Eltern vermieden werden und diese erwartete Entwicklung dem Kindeswohl dient (KG, Beschl. v. 21.02.2006 - 13 UF 115/05, FamRZ 2006, 1626). Die Spannungen der Eltern wurzeln indes nicht in Differenzen bei Fragen elterlicher Sorge, sondern resultieren aus dem Ende der Paarbeziehung. Die Auflösung gemeinsamer elterlicher Sorge kann aber nicht damit gerechtfertigt werden, Konfliktpotential aus der Elternbeziehung zu nehmen und die Position der Kindesmutter durch Übertragung der Alleinsorge zu stärken (OLG Hamm, Beschl. v. 23.07.2013 - 2 UF 39/13, FamRZ 2014, 573).

Umgekehrt ist es vielmehr gerade so, dass die elterliche Sorge in der Vergangenheit ohne tiefgreifende Störungen und die Inanspruchnahme weiterer gerichtlicher Hilfe ausgeübt werden konnte, auch und gerade dann, wenn der Antragsgegner - wie die Antragstellerin behauptet - in vielen kleineren Punkten (Betreuungszeiten, Zahnarztkosten etc.) den "Streit um des Streits willen" sucht, aber eben doch die wesentlichen Rahmenbedingungen des Wechselmodells weitgehend störungsfrei feststehen und gelebt werden können.

III.

Für den Fall, dass die Beschwerde auch ohne Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe durchgeführt werden soll, beabsichtigt der Senat eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 68 Abs. 3 FamFG), weil von einer mündlichen Verhandlung keine weitergehenden Erkenntnisse zu erwarten sind.

Der Senat verkennt nicht, dass die Verpflichtung zur persönlichen Anhörung des Kindes grundsätzlich auch für das Beschwerdegericht gilt, die nochmalige persönliche Anhörung also die Regel ist. Von diesem Grundsatz kann indes eine Ausnahme gemacht werden, wenn neue entscheidungserhebliche Tatsachen nicht vorgetragen sind, eine Änderung des rechtlichen Gesichtspunkts nicht eingetreten ist und weder der Zeitablauf noch sonstige Gründe die nochmalige Anhörung des Kindes geboten erscheinen lassen. Vorliegend sind die Kinder im erstinstanzlichen Verfahren ordnungsgemäß angehört worden; auch der Verfahrensbeistand hat in beiden Instanzen Stellungnahmen zu der Haltung der Kinder abgegeben. Die dort vermittelte Sicht der Kinder weist eine klare und konsistente Haltung auf, die - soweit es um die Ermittlung des Kindeswillens geht - der Senat bereits den aktenkundigen Erkenntnissen hinreichend zu entnehmen vermag.