FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.01.2010 - 6 K 2465/08
Fundstelle
openJur 2018, 8554
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

Streitig ist, ob für das Kind T Kindergeld festzusetzen ist. Die Beteiligten streiten in diesem Zusammenhang darüber, ob das Kind wegen einer Behinderung oder der Anordnung des Maßregelvollzugs außer Stande ist, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.

Das Kind des Klägers, der Sohn T (geboren am 25. April 1980), ist auf Anordnung der Staatsanwaltschaft in der Justizvollzugsanstalt untergebracht und verbüßt dort den Rest einer Haftstrafe. Mit am 10. April 2008 bei der Beklagten eingegangenem Formularvordruck beantragte der Kläger Kindergeld für den Sohn T. Beigefügt war ein ärztliches Attest zur Vorlage bei der Kindergeldkasse der Klinik N in A vom 27. Juni 2006, in dem es heißt:

"Herr T. K., geb. am 25.04.1980, ist seit Januar 2001 im Zusammenhang mit seiner schizophrenen Erkrankung und Polytoxikomanie stationär in unserer Einrichtung untergebracht.

Die Drogenabhängigkeit besteht seit ca. 1998. An einer paranoiden Schizophrenie ist Herr K. seit 1999/2000 erkrankt.

Trotz kontinuierlicher antipsychotischer Medikation bleibt sein Wahnsystem stabil und hoch aktuell. Psychopathologisch persistieren formale und inhaltliche Denkstörungen, z.B. in Form von Gedankenausbreitung und Gedankenentzug, ferner auch akustische Halluzinationen, z.B. in Gestalt kommentierender Stimmen. Darüber hinaus manifestiert sich eine ausgeprägte Minussymptomatik, welche geprägt ist durch Affektverflachung, Antriebsminderung und sozialen Rückzug.

Die vorbeschriebenen Krankheitszeichen, insbesondere die sogenannte Minussymptomatik, reduzieren die soziale Leistungsfähigkeit und allgemeine Belastbarkeit des Patienten in erheblichem Maße.

Krankheitsbedingt ist Herr K. nicht in der Lage, seinen Alltag angemessen zu struktu-rieren und sich selbst zu versorgen."

Weiterhin beigefügt war ein weiteres ärztliches Attest der Klinik N vom 15. September 2004. Nach dem ebenfalls den Kindergeldantrag in Anlage beigefügten Bescheid des Amtes für soziale Angelegenheiten vom 27. Juli 2008 beträgt der Grad der Behinderung 50.

Mit Bescheid vom 28. April 2008 wies die Beklagte den Antrag des Klägers auf Kindergeld ab mit der Begründung, die Behinderung des Kindes sei nach den vorliegenden Unterlagen nicht ursächlich dafür, dass es seinen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten könne. Der Sohn befinde sich im angeordneten Maßregelvollzug. Ursächlich für seine fehlende Möglichkeit, sich selbst zu unterhalten, sei damit der angeordnete Maßregelvollzug und nicht seine Erkrankung bzw. Behinderung.

Mit seinem hiergegen form- und fristgerecht eingelegten Einspruch trug der Kläger vor, dass er sich der Sichtweise der Beklagten nicht anschließen könne. Es sei bekannt, dass Personen, die eine nicht zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe verbüßen, u.U. ihrem Beruf weiter nachgehen könnten im offenen Vollzug. Genau so sei es im Rahmen des Maßregelvollzuges möglich, eine Beschäftigung außerhalb des Krankenhauses anzutreten, wenn die entsprechende Lockerungsstufe erreicht sei. Hierzu sei aber eine gewisse gesundheitliche Stabilität notwendig. Auch seinem Sohn sei eine solche Möglichkeit grundsätzlich gegeben. Sein Gesundheitszustand lasse dies allerdings nicht zu. Die fehlende Möglichkeit, sich selbst zu unterhalten, scheitere folglich nicht am Maßregelvollzug, sondern an dem Grad der Behinderung bzw. Erkrankung. Auf die ärztlichen Atteste der Klinik N werde Bezug genommen.

Mit Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2008 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Im vorliegenden Fall sei im Einspruchsverfahren durch Kopie des Schwerbehindertenausweises nachgewiesen, dass für den Sohn T mit Wirkung ab dem 10. April 2006 ein Grad der Behinderung von 50 v.H. anerkannt worden sei. Der Kindergeldakte sei zu entnehmen, dass sich das Kind bis Juni 1999 in einer beruflichen Ausbildung im Ausbildungsberuf "Kaufmann im Groß- und Außenhandel-Großhandel" befunden habe und diese Ausbildung am 15. Juni 1999 erfolgreich abgeschlossen worden sei. Im Anschluss daran sei er vom 1. August 1999 bis zum 7. Januar 2000 als Verkäufer tätig gewesen, dann ab 24. Januar 2000 arbeitslos und im Zeitraum vom 12. April 2000 bis zum 7. Januar 2001 im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Verbandsgemeinde R tätig gewesen.

Der Kindergeldakte sei weiterhin zu entnehmen, dass der Sohn seit dem 8. Januar 2001 inhaftiert und seit dem 12. Januar 2001 in der forensischen Abteilung des N untergebracht gewesen sei. Nach geltender Rechtsauffassung sei eine Berücksichtigung beim Kindergeldanspruch als behindertes Kind nur dann möglich, wenn sich aus den vorliegenden Unterlagen zweifelsfrei ergebe, dass das Kind bereits vor Unterbringung auf Grund einer Behinderung außer Stande gewesen sei, eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. In diesem Fall sei die Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt trotz Unterbringung in der forensischen Klinik gegeben.

Vorliegend sei der Sohn T vor seiner Inhaftierung durchaus in der Lage gewesen, eine berufliche Ausbildung zu absolvieren und erfolgreich abzuschließen sowie durch eine nichtselbständige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Voraussetzungen für die Berücksichtigung als behindertes Kind im Sinne des § 63 EStG i.V.m. § 32 Abs. 4 EStG lägen somit nicht vor bzw. ließen sich nicht feststellen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 29. Oktober 2008 bei Gericht eingegangenen Klage. Er trägt klagebegründend vor, dass es zwar zuträfe, dass sich der Sohn des Klägers noch im Maßregelvollzug befinde, dies begründe jedoch nicht die Einschränkung, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Sohn des Klägers sei auf Grund seiner gesundheitlichen Situation nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Hierauf werde seitens der behandelnden Ärzte der Klinik N ausdrücklich hingewiesen. Nach dem Attest der Klinik vom 27. Juni 2006 sei der Kläger auf Grund seiner Drogenabhängigkeit, die seit ca. 1998 bestehe, an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt, die trotz kontinuierlicher antipsychotischer Medikamentation nicht zu einer Besserung des Gesundheitszustandes führe. Es verbleibe bei dem krankhaften Wahnsystem. Die Krankheit führe dazu, dass eine ausgeprägte Minussymptomatik bestehe, welche zu er Affektverflachung, Antriebsminderung und sozialem Rückzug führe, so dass hierüber die soziale Leistungsfähigkeit in erheblichem Maße reduziert sei und der Sohn krankheitsbedingt seinen Alltag nicht angemessen strukturieren und sich selbst versorgen könne.

Trotz dieser eindeutigen medizinischen Feststellung habe die Beklagte darauf abgestellt, dass der angeordnete Maßregelvollzug die Selbstversorgung ausschließe. Diese Feststellung habe die Beklagte ohne die weitergehende Abklärung auf medizinischem Gebiet vorgenommen, so dass der Sachverhalt diesbezüglich noch nicht hinreichend aufgeklärt sei. Die vorgelegten Atteste seien aber diesbezügliche Beweisanzeichen.

Die Argumentation der Beklagten gehe auch insoweit fehl, da es auch im Maßregelvollzug grundsätzlich möglich sei, eine Selbstversorgung vorzunehmen, sei es durch Aufnahme von Tätigkeit im internen Maßregelvollzug, sei es unter Auflage im offenen Vollzug. Diese Möglichkeiten seien dem Kläger auf Grund seiner gesundheitlichen Situation jedoch nicht möglich, was wiederum für die Argumentation des Klägers spreche, das aus gesundheitlichen Gründen eine Eigenversorgung nicht möglich sei. Dem Kläger stehe damit der geltend gemachte Kindergeldanspruch zu.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Bescheides vom 28. April 2008 und der Einspruchsentscheidung vom 02. Oktober 2008 die Beklagte zu verpflichten, über den Kindergeldantrag vom 10. April 2008 unter der Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte tritt der Klage entgegen und nimmt zur Klageerwiderung Bezug auf die angefochtene Einspruchsentscheidung vom 02. Oktober 2008.

Mit Beschluss des - damals noch zuständigen - 2. Senats des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. März 2009 ist der Rechtsstreit gem. § 6 Abs. 1 FGO dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden.

Gründe

Die zulässige Klage führt in der Sache nicht zum Erfolg. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass der begehrte Kindergeldanspruch nicht besteht.

1. Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 u. 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten und die Behinderung vor dem 27. Lebensjahr eingetreten ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein behindertes Kind dann außer Stande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann. Dies ist der Fall, wenn die Behinderung einer Erwerbstätigkeit entgegensteht und das Kind über keine anderen Einkünfte und Bezüge verfügt. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG stellt nicht allein darauf ab, dass ein Kind körperlich, geistig oder seelisch behindert ist; vielmehr muss es wegen seiner Behinderung außer Stande sein, sich selbst zu unterhalten (Urteil des BFH. v. 15.10.1999 VI R 40/98, BStBl. II 2000, 75). Die Behinderung muss mit anderen Worten ursächlich dafür sein, dass sich das Kind nicht selbst unterhalten kann.

2. Vorliegend befindet sich der Sohn des Klägers im streitbefangenen Zeitraum im Maßregelvollzug. Im Maßregelvollzug (auch "Forensik" genannt) werden nach § 63 und nach § 64 Strafgesetzbuch (StGB) unter bestimmten Umständen psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter untergebracht. Daneben gibt es als weitere Form der so genannten Maßregeln der Besteuerung und Sicherung die Sicherungsverwahrung, die nach § 66 StGB verhängt werden kann.

Fachlich zuständig ist die forensische Psychiatrie. Nach dem Strafgesetzbuch werden im Maßregelvollzug psychisch kranke Rechtsbrecher untergebracht, die im Sinne der Paragrafen § 20 oder § 21 des Strafgesetzbuches als schuldunfähig oder vermindert Schuldfähig gelten, bei denen zugleich unter Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat eine weitere Gefährlichkeit zu erwarten ist und wenn ein Zusammenhang zwischen Delikt und psychischer Störung besteht. Bei suchtkranken Delinquenten muss für eine Einweisung in eine Entziehungsanstalt gemäß § 64 keine Einschränkung der Schuldfähigkeit vorliegen.

Diese genannten Feststellungen trifft das Gericht in der Hauptverhandlung. Die Betroffenen werden anschließend in den Maßregelvollzug eingewiesen. Im Vollzug gelten die Maßregelvollzugsgesetze. Z.T. sind dies eigene Landesgesetze, z.T. Abschnitte in den Psychisch-Kranken-Gesetzen der anderen Bundesländer.

Dabei ist zu unterscheiden:

- § 63 StGB − Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus − bezieht sich auf schuldunfähige oder vermindert schuldfähige Straftäter, die aufgrund ihrer Erkrankung als für die Allgemeinheit gefährlich gelten und von denen weitere erhebliche Straftaten (Gewaltdelikte, aber auch Sexualdelikte) zu erwarten sind. Diese Maßregel ist unbefristet.

- § 64 StGB − Unterbringung in der Entziehungsanstalt − bezieht sich auf suchtkranke  Straftäter. Diese Maßregel ist grundsätzlich auf zwei Jahre befristet, wobei sich die Aufenthaltsdauer in der Maßregel durch entsprechende Höchstfristberechnungen verschieben/verlängern kann.

3. Wegen Kindergeld für ein behindertes Kind, das wegen einer Straftat in einer psychiatrischen Klinik untergebracht ist, hat das FG Nürnberg im Urteil vom 17. Januar 2008 (IV 352/2005, JurisDok) ausgeführt:

"Im Streitfall ist der Sohn der Klägerin wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Während der Zeit des Strafvollzugs ist er deshalb unabhängig davon, ob er behindert ist oder nicht, außer Stande einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dies gilt auch unabhängig davon, ob er in einer Strafvollzugsanstalt einsitzt oder ob seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankhaus angeordnet ist. Für die Zeit der einstweiligen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 126a StPO ergibt sich jedenfalls dann nichts anderes, wenn - wie im Streitfall - dieser einstweiligen Unterbringung eine Verurteilung folgt. Der Klägerin steht deshalb nach Auffassung des Senats Kindergeld auch dann nicht zu, wenn ihr Kind an einer bereits vor dem 27. Lebensjahr aufgetretenen geistigen, körperlichen oder seelischen Behinderung leidet. Die Ausgangslage der Klägerin ist keine andere wie die von Eltern, deren Kind aufgrund einer Verurteilung in einer Strafvollzugs- oder psychiatrischen Anstalt einsitzt und das entweder nicht behindert ist oder dessen Behinderung erst nach dem 27. Lebensjahr eingetreten ist. Auch in diesen Fällen fallen, soweit sich die Eltern um ihr Kind kümmern, Fahrtaufwendungen oder andere Kosten für den persönlichen Bedarf des Kindes an, die dennoch nicht dazu führen, dass Kindergeld bezahlt wird, wenn das Kind älter als 18 Jahre ist.

Kindergeld wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung ist nach Auffassung des Senats daher nur dann zu bezahlen, wenn die Behinderung die alleinige Ursache für die Nichtmöglichkeit des Selbstunterhalts ist. Treten, wie im Streitfall, andere Ursachen hinzu, so ist Kindergeld nicht zu gewähren. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Klägerin, dass der Streitfall mit dem vom BFH (o.a. BStBl. II 2000, 75) entschiedenen Fall vergleichbar ist. Der Unterschied besteht darin, dass im vom BFH entschiedenen Fall eine Unterbringung allein wegen der Behinderung erfolgte, wohingegen im Streitfall die Unterbringung wegen einer Straftat angeordnet wurde."

Der BFH hat sich im Beschluss vom 25. Februar 2009 (III B 47/08, BFH/NV 2009, 929) dieser Auffassung angeschlossen und formuliert:

"Die Behinderung muss somit ursächlich für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt sein. Dem FG ist darin zu folgen, dass die Kausalität zu verneinen ist, wenn ein Kind wegen einer strafrechtlichen Verurteilung in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht ist und bereits wegen seiner Freiheitsbeschränkung keiner Erwerbstätigkeit nachgehen kann."

4. Die vorgenannten Grundsätze gelten auch für ein Kind, das sich im Maßregelvollzug befindet. Der Sohn des Klägers ist wegen des Maßregelvollzugs und der dadurch bedingten Freiheitsbeschränkung außer Stande, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sofern der Kläger vorträgt, dass es auch im Maßregelvollzug grundsätzlich möglich sei, eine Selbstversorgung vorzunehmen und dem Sohn diese Möglichkeiten auf Grund seiner gesundheitlichen Situation sei nicht möglich, hat er schon den hierzu erforderlichen Nachweis nicht erbracht. Im Übrigen lässt die zitierte Rechtsprechung des BFH (III B 47/08 aaO, vgl. z.B. auch FG Saarland 15. Mai 2009 2 K 1625/08, n.v.) nicht erkennen, dass dieser Umstand für die Kausalitätsfrage des Streitfalles von Bedeutung ist. Unabhängig von den vorgenannten Erwägungen weist die Beklagte in diesem Zusammenhang auch zu Recht darauf hin, dass der Sohn trotz der festgestellten Behinderung eine Berufsausbildung abgeschlossen und nach Eintritt der Behinderung (Gutachten Klinik N vom 27. Juni 2006: "seit 1999/2000 erkrankt") bereits beruflich tätig gewesen sei.

4. Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.