FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.12.2012 - 6 K 2104/10
Fundstelle
openJur 2018, 8649
  • Rkr:
Tenor

I. Der Umsatzsteuerbescheid 2007 vom 18. September 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2010 wird dahingehend geändert, dass die steuerpflichtigen Umsätze um 369.634,53 Euro reduziert und die steuerfreien Umsätze um 439.865,10 Euro erhöht werden.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der vom Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Streitig ist die umsatzsteuerliche Beurteilung des Verkaufs von zwanzig neuen VW Golfs durch die Klägerin an einen Abnehmer mit Sitz in England im Jahr 2007 im Rahmen eines Reihengeschäfts.

Die Klägerin betreibt als Vertragshändlerin des Volkswagenkonzerns ein Autohaus mit Werkstatt und Gebrauchtfahrzeughandel. Mit zehn Rechnungen vom 31. Juli 2007 veräußerte sie unter Vermittlung von Herrn O. S. zehn Neufahrzeuge zum Preis von jeweils 21.696,51 Euro inklusive Transportkosten und Kfz-Briefgebühr (gesamt: 216.965,10 Euro) an die Firma S Transport Services Limited (im Folgenden "S") mit Sitz in C in England (Rechnungen Bl. 66 bis Bl. 75 d. PrA.). Weitere zehn Fahrzeuge veräußerte sie zum Preis von jeweils 22.290,00 Euro inklusive Transportkosten und Kfz-Briefgebühr (gesamt: 222.900,00 Euro) mit Rechnungen vom 7. November 2007 ebenfalls an die Firma S mit Sitz in C (Rechnungen Bl. 76 bis 95 d. PrA.). Die von S angegebene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer "GB...083" wurde von der Klägerin mit einfacher Bestätigung am 26. Juli 2007 und am 30. August 2007 erfolgreich als gültig verifiziert (Bl. 32 d. PrA.).

Als Käufer für die ersten zehn VW Golfs war zunächst in den verbindlichen Bestellungen die Firma C Limited in London benannt (z.B. Bl. 18 d. Bp-Akte). Die Klägerin änderte dies später auf die Firma S durch Überkleben des Adressfeldes (z.B. Bl. 21 d. Bp-Akte). Die Fahrzeuge wurden durch eine Spedition "C Services" transportiert (CMR Frachtbriefe Bl. 104 ff. d. PrA.), wobei ein Fahrzeugtransport durch die E Ltd. als Unterfrachtführer der C Services Ldt. (CS) abgewickelt wurde (Bl. 164 d. PrA.). Die VW Golfs des ersten Kaufpakets wurden am 26. Juli 2007 bzw. am 1. August 2007 von der Spedition bei der Klägerin in B abgeholt (vgl. CMR-Frachtbriefe, Bl. 105 und Bl. 107 d. PrA.). Die Golfs des zweiten Kaufpaktes am 7. November 2007 bzw. ein Fahrzeug am 18. Dezember 2007 (vgl. CMR-Frachtbriefe, Bl. 108 f. d.PrA.). Empfänger der Lieferungen war ausweislich der Frachtbriefe jeweils die Firma W, wobei 11 Fahrzeuge unmittelbar nach S (GB) (Bl. 104 ff. d. PrA.) und 9 Fahrzeuge nach T (GB) (Bl. 108 d. PrA. bzw. Bl. 48 d. Bp-Akte) geliefert wurden.

Im Rahmen eines während des Klageverfahrens vom Beklagten angestrengten Auskunftsersuchen vom 29. Dezember 2010 an die britische Finanzverwaltung konnte folgender weiterer Sachverhalt ermittelt werden (siehe Antwort Bl. 172 d. PrA.): Danach verkaufte S alle Fahrzeuge an die Firma W aufgrund mündlicher Vereinbarung unter Rechnungsstellung mit Mehrwertsteuerausweis (siehe Beispielsrechnung Bl. 178 d. PrA.). Die ersten zehn Fahrzeuge wurden jeweils mit Rechnung vom 11. Juli 2007 zu einem Preis von jeweils 13.361,70 £ zzgl. 2.338,30 £ Mehrwertsteuer von S an die Firma W verkauft (Bl. 178 d. PrA.). Die weiteren zehn Fahrzeuge wurde mit Rechnung vom 17. Oktober 2007 zu einem Verkaufspreis von jeweils 14.212,77 £ zzgl. 2.487,23 £ Mehrwertsteuer von S an die Firma W Ltd. veräußert (Bl. 185 d. PrA.). Die Beauftragung der Spedition C Services, die Fahrzeuge bei der Klägerin abzuholen und zu W zu befördern, erfolgte durch Auftrag und auf Rechnung der Firma W Limited, vertreten durch ihren Geschäftsführer I. C. (Bl. 176 d. PrA.).

Die Klägerin behandelte die Fahrzeuglieferungen umsatzsteuerlich als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen. Im Anschluss an eine Umsatzsteuernachschau ging das Finanzamt aufgrund einer Auskunft der britischen Finanzbehörden davon aus, dass die Lieferung der Fahrzeuge steuerpflichtig sei. Der Beklagte erließ am 14. Mai 2009 einen Umsatzsteuerbescheid für 2007, indem er die erklärten steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen in Höhe von 439.865,10 Euro nicht anerkannte und in der Folge die steuerpflichtigen Umsätze um 369.634,53 Euro erhöhte (Bl. 6 d. Umsatzsteuerakte). Die Klägerin legte hiergegen form- und fristgerecht Einspruch ein (Bl. 8 d. Umsatzsteuerakte). Darüber hinaus reichte die Klägerin eine geänderte Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr ein, der das Finanzamt bis auf die Behandlung der hier streitgegenständlichen Fahrzeuglieferungen mit geändertem Umsatzsteuerbescheid vom 18. September 2009 folgte (Bl. 65 d. PrA.).

Mit Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2010 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück (Bl. 75 ff. d. Umsatzsteuerakte). Nach Ansicht des Beklagten erfüllten die streitgegenständlichen Fahrzeuglieferungen nicht die in § 6a Abs. 1 UStG gestellten Anforderung an eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung (Bl. 82 d. Umsatzsteuerakte). Der Beklagte stützte seien Ausführungen sowohl auf den nicht erbrachten Buch- und Belegnachweis, als auch auf fehlenden Vertrauensschutz. Hinsichtlich des Sachverhalts legte er die Feststellungen des Operativen Ermittlungs-Teams der Finanzverwaltung zugrunde. Danach seien sowohl die Firma S Limited als auch die Firma C Limited sowie der als Vermittlungsperson auftretende Herr S nach Überprüfung durch die englischen Finanzbehörden als Missing Trader Beteiligte an einem Umsatzsteuer-Betrug. Das Finanzamt bestreite nicht, dass die Fahrzeuge nach England verbracht worden seien (Bl. 83 und Bl. 86 d. Umsatzsteuerakte). Allerdings seien die Fahrzeuge ausweislich der zeitnah erstellten Frachtbriefe an die Fa. W in S und nicht an die Firma S geliefert worden. Es könne davon ausgegangen werden, dass die Klägerin um die Sachverhalte wusste, die zur Umgehung der Steuerfreiheit führten (Bl. 83 und Bl. 84 d. Umsatzsteuerakte). Hierauf deute auch der Umstand hin, dass die Klägerin die Auftragsbestätigung mit einer anderen Firmenadresse überklebt habe (Bl. 84 d. Umsatzsteuerakte). Zudem sei die verbindliche Bestellung der Fahrzeuge für eine Firma aus England ausweislich der Faxkennung von einem spanischen Internetcafe erfolgt. Diese Tatsache hätte die Klägerin veranlassen müssen, sich eine Bevollmächtigung des Auftraggebers nachweisen zu lassen. Bei Betrachtung des gesamten Sachverhaltes dränge sich der Schluss auf, dass die Klägerin mehr wisse, als dem Finanzamt bekannt sei. Die Klägerin habe keine Nachweis erbringen können, dass die S Limited ihr tatsächliche Handelspartner gewesen sei.

Mit ihrer am 16. August 2010 beim Finanzgericht Rheinland-Pfalz eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Steuerfreiheit der streitgegenständlichen Lieferungen. Die Klägerin trägt vor, der als Vermittler aufgetretene Herr S habe zunächst einen Kontakt zur Firma C hergestellt. Er habe sodann per e-mail am 25. Juli 2007 mitgeteilt, dass die Bestellung über S abgewickelt werden sollte (Bl. 35 und Bl. 143 d. PrA.) und folgende Anschrift mitgeteilt (Bl. 143 d. PrA.):

S ... Limited

T... Cottage

R... Lane D...

C... (Ort)

Grafschaft Postleitzahl

Zu diesem Zeitpunkt seien die Aufträge bereits geschrieben und adressiert gewesen. Da die Abholung der ersten Fahrzeuge bereits für den Folgetag vorgesehen gewesen sei, sei es einfacher gewesen, die neue Adresse auf Etiketten zu drucken und aufzukleben als den vollständigen Auftrag zu stornieren und neu anzulegen (Bl. 36 d. PrA.). Insofern sei auch der Vortrag des Beklagten in der Einspruchentscheidung widerlegt, die Klägerin habe keinen Grund für das Überkleben der Adressen gehabt (Bl. 36 d. PrA.). Die Klägerin könne die Steuerfreiheit buch- und belegmäßig nachweisen. Es existierten sowohl ein Doppel der jeweiligen Rechnungen sowie "weiße Speditionsbescheinigungen", die gemäß BMF-Schreiben vom 5.5.2010 als sonstiger handelsüblicher Beleg im Sinne des § 17a Abs. 4 Nr. 2 UStDV anerkannt würden. Ebenso existierten CMR-Frachtbriefe unter Ausweis der jeweiligen Fahrgestellnummer. Zusammen mit dem seitens der Spedition ausgestellten Certificate of Shipment stehe eindeutig fest, dass die Fahrzeuge nach England geliefert worden seien.

Zwar habe eine am 30. August 2007 gestartete qualifizierte Abfrage der Umsatzsteueridentifikationsnummer für die Firma S lediglich hinsichtlich des Firmennamens und der Postleitzahl Übereinstimmung ergeben, nicht jedoch hinsichtlich des Orts und der Straße. Dies sei jedoch auf die falsche Erfassung des englischen Adressformats in der EDV der Klägerin zurückzuführen. Insoweit verweist sie auf eine mail einer Mitarbeiterin der Klägerin vom 25. Juli 2007, in der diese an einen weiteren Mitarbeiter schreibt: "(...) habe eben erst die Adresse für die Rechnungslegung und Verbuchung von 216 Tsd € bekommen. Wollte diese auch in Care anlegen, nur wie? Das bekomme ich in den Kundendaten überhaupt nicht in die vorgegebenen Felder???" (Bl. 142 d. PrA.). Die Mitarbeiterin habe in der Folge im Straßenfeld "Lane D..."  statt "R... Lane" eingegeben. D... sei jedoch nicht Bestandteil des Straßennamens, sondern ein Ortsteil von C (Bl. 34 d. PrA.). Aufgrund der Bestätigung der mit der Adresse verbundenen und bestätigten Postleitzahl sei dem Abweichen keine Bedeutung zugemessen worden, da es offensichtlich gewesen sei, dass das Problem am englische Adress-Format gelegen habe (Bl. 35 und Bl. 139 d. PrA.). Zudem sei eine Bestätigung des englischen Companies Houses über die Fa. S als Gesellschaft mit beschränkter Haftung eingeholt worden (Bl. 140 d. PrA.).

Aufgrund des im Rahmen des Klageverfahrens vom Beklagten angestrengten Auskunftsersuchens gehe der Beklagte nicht mehr von einem Umsatzsteuerbetrug unter Einschaltung von sog. Missing Tradern, sondern von einem Reihengeschäft aus. Aufgrund der neueren Erkenntnisse sei von einem Reihengeschäft mit zwei Lieferungen auszugehen, wobei die bewegte Lieferung unter Verweis auf das BFH Urteil im Verfahren V R 3/10 die Lieferung zwischen der Klägerin und der Firma S sei. Die Klägerin habe vor Abholung der Fahrzeuge keine Kenntnis von der Weiterveräußerung der Fahrzeuge durch die Firma S an die Firma W besessen. Insofern habe sie auch den Weiterveräußerungspreis nicht gekannt. Sie habe im Rahmen des Kaufvertrages mit der Firma S unter Verwendung deren USt-ID-Nummer vielmehr vereinbart, dass diese die Versendung bzw. Beförderung der Fahrzeuge übernehme (Bl. 202 d. PrA.). Aufgrund der vertraglichen Vereinbarung zwischen der Klägerin und S sei es ohne Bedeutung, dass die Speditionsfirma von der Firma W beauftragt worden sei (Bl. 203 d. PrA.).

Die Klägerin beantragt, den Umsatzsteuerbescheid 2007 vom 18. September 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2010 dahingehend zu ändern, dass die steuerpflichtigen Umsätze um 369.634,53 Euro reduziert und die steuerfreien Umsätze um 439.865,10 Euro erhöht werden.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, nach Vorliegen der ergänzenden Ermittlungen sei von einem Reihengeschäft zwischen der Klägerin, der Firma S und der W auszugehen (Bl. 169 d. PrA.). Es stehe nunmehr fest, dass die an S verkauften Fahrzeuge im Auftrag des dritten Unternehmens in der Reihe nach Großbritannien befördert worden seien (Bl. 169 d. PrA.). Insofern sei die Beförderung dem letzten Lieferer in der Reihe zuzuordnen, vorliegend der Lieferung S an W. Die Lieferung der Klägerin sei als vorangehende Lieferung am Ort des Versendungsbeginns keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung (Bl. 170 d. PrA.). Die Klägerin könne sich auch nicht auf den Gutglaubensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG berufen (Bl. 170 d. PrA.). Insoweit werde auf die Ausführung in der Einspruchsentscheidung verwiesen. Die dortigen Ausführungen, insbesondere zur Bestellung per Fax über ein spanisches Internetcafe, zur Firma C, den vertretungsberechtigten Personen der Fa. S etc. erhielten noch besonderes Gewicht durch die nunmehr festgestellte Tatsache, dass die Fa. S die Fahrzeuge mit Nettopreisen unter ihrem (Netto-) Einkaufspreis veräußert und nur mit der ausgewiesenen VAT einen Gewinn erzielt habe (Bl. 170 d. PrA.). Vorliegend scheitere Vertrauensschutz auch daran, dass die Fa. S keine unrichtigen Angaben gemacht habe. Insbesondere sei die Klägerin nicht über den Bestimmungsort der Ware getäuscht worden, da aus den vorgelegten Nachweisen klar ersichtlich gewesen sei, dass die Fahrzeuge an W geliefert worden seien (Bl. 171 d. PrA.).

Gründe

Die Klage ist begründet. Der Umsatzsteuerbescheid 2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit der Beklagte die Steuerfreiheit für die veräußerten zwanzig Fahrzeuge versagt hat.

I.

1. Lieferungen von neuen Fahrzeugen, die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG im Inland der Umsatzsteuer unterliegen, sind nach § 4 Nr. 1 b UStG i.V.m. § 6a Abs. 1 S. 1 UStG als innergemeinschaftliche Lieferungen von der Umsatzsteuer befreit, wenn der Unternehmer oder sein Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet.

Ein innergemeinschaftlicher Erwerb ist erst dann bewirkt und die Steuerbefreiung erst dann anwendbar, wenn das Recht, wie ein Eigentümer zu verfügen, vom Veräußerer auf den Erwerber übergegangen ist und der Lieferant nachweist, dass der Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert worden ist und aufgrund dieses Versandes bzw. dieser Beförderung den Liefermitgliedstaat physisch verlassen hat (EuGH Urteil vom 27. September 2007, C-409/04, Teleos u.a., Rn. 42). Das Merkmal der Beförderung oder Versendung ist noch nicht erfüllt, wenn der Liefergegenstand lediglich dem Empfänger oder seinem Beauftragten im Ausgangsstaat übergeben wird.

Der Unternehmer hat die Voraussetzungen der Steuerfreiheit nach § 6a Abs. 1 UStG gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. der Umsatzsteuerdurchführungsverordnung durch Belege und buchmäßige Aufzeichnungen nachzuweisen.

Steht unabhängig vom Buch- und Belegnachweis fest, dass die materiellen Anforderungen an eine innergemeinschaftliche Lieferung vorliegen, ist gleichwohl von einer steuerfreien Lieferung auszugehen. Die Umsätze sind nämlich anhand ihrer objektiven Merkmale zu besteuern (EuGH Urteil vom 27. September 2007, C-146/05, Collée, Slg. 2007, I-07861). Wurde ein Neufahrzeug von einem Unternehmer an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Abnehmer versandt oder befördert und gelangt das Fahrzeug in der Folge physisch in den anderen Mitgliedstaat, ist die Steuerbefreiung zu gewähren, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat.

Eine andere Beurteilung greift nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH nur ein, wenn der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um seine eigene Beteiligung an dieser Steuerhinterziehung zu verhindern (EuGH-Urteil vom 6. September 2010, C-273/11, Mecsek-Gabona, BFH/NV 2012, 1919; BFH Urteil vom 14. Dezember 2011, XI R 33/10, BFH/NV 2012, 1009).

2. Wird der in das übrige Gemeinschaftsgebiet beförderte oder versandte Gegenstand im Rahmen eines sog. Reihengeschäfts geliefert, ist zunächst zu klären, ob die innergemeinschaftliche Beförderung der ersten oder der zweiten Lieferung zuzurechnen ist. Die Beantwortung dieser Frage hängt nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH von einer umfassenden Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls ab (EuGH Urteil vom 16. Dezember 2010, C-430/09, Euro Tyre Holding, BFH/NV 2011, 149), wobei folgende Grundsätze nach der Rechtsprechung zu beachten sind:

a) Schließen bei einem sog. Reihengeschäft mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte ab und gelangt der Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer, ist die Beförderung oder Versendung des Gegenstands gem. § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG nur einer der Lieferungen zuzuordnen. In Übereinstimmung damit kommt es nach der Rechtsprechung des EuGH bei zwei aufeinanderfolgenden Lieferungen desselben Gegenstands, die gegen Entgelt zwischen Steuerpflichtigen vorgenommen werden, die als solche handeln, zu einer einzigen innergemeinschaftlichen Versendung oder Beförderung dieses Gegenstands, wobei die Versendung oder Beförderung nur einer der beiden Lieferungen zugeordnet werden kann, die dann als einzige nach Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei ist (EUGH Urteil vom 6. April 2006, C-245/04, EMAG Handel Eder, Slg. 2006, I-3227).

b) Der Ort der Lieferung, der zur innergemeinschaftlichen Versendung oder Beförderung von Gegenständen führen kann, befindet sich im Mitgliedstaat des Beginns der Versendung oder Beförderung.

c) Für die Lieferung, der die Beförderung oder Versendung nicht zuzuordnen ist, gilt § 3 Abs. 7 Satz 2 UStG: Lieferungen, die der Beförderung oder Versendung vorangehen, gelten nach § 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 UStG dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung des Gegenstands beginnt. Lieferungen, die der Beförderung oder Versendung folgen, gelten nach § 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 2 UStG dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung des Gegenstands endet. In Übereinstimmung damit gilt nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG als Ort der Lieferung für den Fall, dass der Gegenstand nicht versandt oder befördert wird, der Ort, an dem sich der Gegenstand zur Zeit der Lieferung befindet. Auch hiernach ist maßgebend, ob die Lieferung der Beförderungs- oder Versendungslieferung vorangeht oder folgt.

d) Wird der Gegenstand der Lieferung durch einen Abnehmer befördert oder versandt, der zugleich Lieferer ist, ist gemäß § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn zuzuordnen, es sei denn, er weist nach, dass er den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet hat.

1. Zutreffend gehen die Beteiligten davon aus, dass vorliegend ein Reihengeschäft zwischen der Klägerin, S und der Firma W vorliegt. Es liegen mehrere Lieferungen über die streitgegenständlichen Fahrzeuge vor; von der Klägerin an S sowie von S an W. Entgegen den Ausführungen des Beklagten ist vorliegend jedoch nicht die Lieferung S an W als "bewegte" Lieferung anzusehen, sondern die Lieferung der Klägerin an S. Zwar dürfte nach den Feststellungen des Auskunftsersuchens der britischen Finanzbehörden und aufgrund der in diesem Zusammenhang vorgelegten Unterlagen feststehen, dass die Spedition CS von der Firma W beauftragt und bezahlt wurde. Insoweit wird auf die vorliegenden Rechnungen der Spedition an die Firma W Ltd. und die Lieferunterlagen der Firma CS verwiesen (Bl. 181 ff. d. PrA.). Allerdings steht zur Überzeugung des Senats nach umfassender Würdigung der Umstände des Einzelfalls nicht fest, dass die Klägerin Kenntnis vom Weiterverkauf der Fahrzeuge besaß. Der Geschäftsführer der Klägerin, Herr R. A., hat insoweit in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er an den damaligen Verkaufsverhandlungen maßgeblich beteiligt gewesen sei. Es sei mit dem Verantwortlichen der Fa. S abgesprochen gewesen, dass diese die Abholung der Fahrzeuge auf dem Firmengelände in B über eine Spedition veranlasse. Für eine solche Absprache spricht auch, dass ausweislich der vorliegenden sog. weißen Speditionsbescheinigungen der CS Limited die Fahrzeuge nach "W, Hausnummer B... Lane, S (Ort), Grafschaft (Großbritannien)" an "S Limited, T.. Cottage, R... Lane D..., C (Ort), Grafschaft PLZ" versendet werden sollten (Bl. 96 d. PrA.). Ausweislich der weißen Speditionsbescheinigung der Firma CS wurde ihr der Auftrag von der Firma S erteilt (Bl. 97 d. PrA.). Zwar steht diese Aussage im Widerspruch zu den im Rahmen des Auskunftsersuchens vorgelegten Unterlagen. Allerdings ist auf die Kenntnis im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages abzustellen. Die Beauftragung der Firma CS durch die Firma W ist jedoch erst im Rahmen des laufenden Klageverfahrens bekannt geworden.

Gegen die Annahme, dass die Lieferung der Klägerin an S die bewegte Lieferung ist, spricht auch nicht, dass ausweislich der vorliegenden CMR-Frachtbriefe die streitgegenständlichen Fahrzeuge an die Firma "W" ausgeliefert werden sollten (Bl. 104 ff. d. PrA.). Denn nach dem glaubhaften Vortrag des Geschäftsführers der Klägerin in der mündlichen Verhandlung hatte der Abnehmer S im Rahmen des Kaufvertrages versichert, die Versendung/Beförderung der Fahrzeuge zu übernehmen (Bl. 202 d. PrA.). Auch hier ist wieder auf die Kenntnis bei Abschluss des Kaufvertrages abzustellen und nicht auf die Kenntnis der sich anschließenden Versendung.

2. Die bewegte innergemeinschaftliche Lieferung zwischen der Klägerin und S ist auch steuerfrei. Dabei kann es vorliegend dahin stehen, ob die Klägerin den Buch- und Belegnachweis erbracht hat oder - wie der Beklagte ausführt - dieser Nachweis nicht vollständig erbracht wurde. Denn nach dem übereinstimmendem Vortrag beider Beteiligten sind die materiellen Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung gegeben. Die Fahrzeuge sind unstreitig unmittelbar von der Firma CS bzw. einem Unterfrachtführer von B nach England versendet worden. Dies ergibt sich auch aus den vorgelegten CMR-Frachtbriefen und dem Certificate of Shipment.

Auf die Frage des Vertrauensschutzes nach § 6a Abs. 4 UStG kommt es daher entgegen der Auffassung des Beklagten nicht an. Vertrauensschutz ist allenfalls dann zu gewähren, wenn der Buch- und Belegnachweis geführt wurde, aber dessen ungeachtet feststeht, dass der Liefergegenstand nicht ins Übrige Gemeinschaftsgebiet verbracht wurde (BFH Urteil vom 12. Mai 2011, V R 46/10, BStBl. II 2011, 957, m.w.N.). Vorliegend steht jedoch nach der objektiven Beweislage fest, dass die streitgegenständlichen Fahrzeuge nach England versendet wurden.

Soweit der Beklagte in der Einspruchsentscheidung ausdrücklich ausführt, dass die Klägerin Kenntnis von der Beteiligung an einem Umsatzsteuerbetrug besaß und den Vorwurf der "Bösgläubigkeit" auch im Rahmen des Klageverfahrens aufrecht erhält, kann das Gericht dem nicht folgen.

Zwar wäre trotz physischer Verbringung der Fahrzeuge nach England die Steuerfreiheit zu versagen, wenn die Klägerin wusste oder hätte wissen müssen, an einem Umsatzsteuerbetrug beteiligt zu sein. Nach den vorliegenden Unterlagen steht jedoch weder zur Überzeugung des Senats fest, dass ein Umsatzsteuerbetrug durch den Abnehmer vorlag, noch, dass die Klägerin von einem solchen wusste bzw. hätte wissen müssen.

Der Beklagte hat vorliegend weder schriftsätzlich ausdrücklich vorgetragen, dass die Abnehmer der streitgegenständlichen Fahrzeuge einen Umsatzsteuerbetrug begangen haben noch konnte ein solcher auf Befragen des Gerichts in der mündlichen Verhandlung durch den Beklagten positiv festgestellt oder belegt werden. Insbesondere liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor, dass die Fa. S die Fahrzeuge in England nicht der Umsatzsteuer unterworfen hat. Zwar hat der Beklagte im Rahmen des Einspruchsverfahrens erklärt, dass nach Auskunft der englischen Finanzverwaltung eine betriebliche Aktivität der Firma S nichts bekannt sei und diese Firma daher als Missing Trader eingestuft werde (Bl. 77 d. Umsatzsteuerakte). Auch die Kontaktperson O. S. sei den Finanzbehörden nicht bekannt. Zudem habe die englische Finanzbehörde die Firma W als Beteiligte am Umsatzsteuerbetrug als Missing-Trader eingestuft. Allerdings konnten diese Ausführungen nicht durch entsprechende Belege untermauert werden. Soweit sich in den Auszügen aus der Steuerfahndungsakte eine "Antwort auf das SCAC-Ersuchen der deutschen Behörden (GZ des VVT DE2057)" befindet (Bl. 66 d. Bp-Akte), kann das Gericht anhand der vorliegenden Unterlagen weder die Authentizität dieser Unterlagen noch deren Vollständigkeit überprüfen. Es fehlt sowohl ein offizieller Aussteller des Schreibens als auch ein Ausstellungsdatum. Ebenso wenig kann festgestellt werden, ob sich die Auskunft vollständige in den Akten befindet - Seitenzahlen enthält sie nicht.  Zudem steht diese Auskunft zumindest teilweise im Widerspruch zu der im Rahmen des Klageverfahrens eingereichte Auskunft der englischen Finanzbehörden (Bl. 176 d. PrA.). Danach sind die Firmen S und W den Finanzbehörden sehr wohl bekannt. Die streitgegenständlichen Fahrzeuge sind danach auch in den Einkaufs- und Verkaufsaufzeichnungen der W verbucht worden (Bl. 177 d. PrA.). Zwar ist dem Beklagten insoweit zuzustimmen, dass ein mögliches Indiz für einen Umsatzsteuerbetrug ist, dass der Weiterveräußerungspreis ohne Mehrwertsteuer für die Lieferung S an W mit 13.361,70 £ bzw. 14.212,77 £ unter Zugrundelegung des damaligen Wechselkurses unter dem Einzelveräußerungspreis der Klägerin an die Firma S lag. Allerdings hat der Beklagte weder nachgewiesen, dass die Firma S tatsächlich keine Erwerbsbesteuerung durchgeführt hat, noch, dass die Firma W die Vorsteuern aus den Lieferungen geltend gemacht bzw. die Lieferungen nicht als umsatzsteuerpflichtige Umsätze erfasst hat.

Steht schon nicht fest, ob ein Umsatzsteuerbetrug vorliegt, bedarf es keiner weiteren Ausführungen, ob die besonderen Umstände des Verkaufs eine Beteiligung der Klägerin an einem Umsatzsteuerbetrug nahe legen könnten.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.