OLG Hamburg, Beschluss vom 12.07.2018 - 5 Rev 4/18
Fundstelle
openJur 2018, 6464
  • Rkr:
Tenor

Dem Bundesgerichtshof wird gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 1 b) GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

Schließt das Verbot der Verschlechterung (§ 331 Abs. 1 StPO) die erstmalige Anordnung einer Einziehung von Taterträgen oder des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017) durch das Berufungsgericht auf die allein vom Angeklagten geführte Berufung auch dann aus, wenn eine selbständige Anordnung gemäß § 76a StGB möglich ist?

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hamburg hat den Angeklagten als Jugendschöffengericht mit Urteil vom 24. Juli 2017 wegen Betruges in zwei Fällen, davon in einem Fall versucht, zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt. Die Vollstreckung der Jugendstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Maßnahmen der Vermögensabschöpfung nach den §§ 73 ff. StGB wurden nicht getroffen und auch in den Urteilsgründen nicht erörtert. Die nur von dem Angeklagten geführte, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung hat das Landgericht mit Urteil vom 11. Dezember 2017 verworfen. Die von der Staatsanwaltschaft beantragte Anordnung einer Einziehung des – aus der vollendeten Tat stammenden –Tatertrages in Höhe von 30.000,- € hat die Kammer unter Hinweis auf das Verbot der Verschlechterung (§ 331 Abs. 1 StPO) abgelehnt. Beschränkt auf dieses Absehen von einer Wertersatzeinziehung wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer von der Generalstaatsanwaltschaft vertretenen, auf die Sachrüge gestützten Revision gegen das Urteil und beantragt, das Urteil insoweit aufzuheben und die Sache an eine andere Kammer zurückzuverweisen.

II.

Der Senat beabsichtigt, der wirksam beschränkten Revision stattzugeben, da er der Auffassung ist, dass die Anordnung der Einziehung durch das Berufungsgericht aus den nachfolgenden Gründen hätte erfolgen müssen und einer solchen Anordnung auch nicht das Verschlechterungsverbot entgegensteht:

a) Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen richtet sich vorliegend gemäß Art. 316h EGStGB nach § 73c StGB in der seit dem 1. Juli 2017 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017. Eine Entscheidung über die Anordnung des Verfalls war bis zum 1. Juli 2017 noch nicht ergangen, so dass die Ausnahmeregelung des Art. 316h S. 2 EGStGB nicht eingreift.

Die Vorschriften über die Einziehung von Taterträgen sind auch im Jugendstrafrecht anwendbar. Mangels abweichender Regelungen in § 8 Abs. 3 JGG und § 6 JGG ergibt sich dies aus der Verweisung in § 2 Abs. 2 JGG (s. zum Verfall BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 – 4 StR 126/10, BGHSt 55, 174).

b) Gemäß § 73c StGB n.F. ist die Einziehung eines Geldbetrages, der dem Wert des Erlangten entspricht, – abgesehen von hier ersichtlich nicht einschlägigen Opportunitätserwägungen (§ 421 StPO) – zwingend anzuordnen, wenn die Einziehung eines Gegenstandes wegen der Beschaffenheit des Erlangten oder aus einem anderen Grund nicht möglich ist.

Die Voraussetzungen einer entsprechenden Anordnung liegen vor: Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hat der Angeklagte in dem vollendeten Betrugsfall dem Geschädigten ein Kraftfahrzeug zu einem Preis von 30.000,- € verkauft und eine entsprechende Barzahlung entgegengenommen, ohne jemals über ein entsprechendes Fahrzeug verfügt zu haben. Den Urteilen des Amtsgerichts und der Kammer ist weiterhin zu entnehmen, dass der Angeklagte das Geld ausgegeben hat.

c) Das Verschlechterungsverbot des § 331 Abs. 1 StPO steht einer solchen Anordnung – anders als nach der bis zum 30. Juni 2017 geltenden Rechtslage – nicht (mehr) entgegen, soweit eine selbständige Anordnung gemäß § 76a StGB zulässig ist (HansOLG Urteil vom 5. April 2018 – 1 Rev 7/18, obiter dictum; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 331 Rn. 21; Köhler/Burkhard, NStZ 2017, 665, 670 f.; offengelassen HansOLG, Urteil vom 19. April 2018 – 2 Rev 6/18).

(1) Das Verschlechterungsverbot soll verhindern, dass der Angeklagte von den ihm zustehenden Rechtsmitteln nur deshalb keinen Gebrauch macht, weil er mit Nachteilen durch die Rechtsmitteleinlegung rechnen muss. Das Verschlechterungsverbot geht daher ins Leere, soweit Rechtseinbußen unabhängig von der Rechtsmitteleinlegung, also auch im Falle eines rechtskräftigen Abschlusses des Verfahrens drohen. So verhält es sich bei der Einziehung der Taterträge und des Wertes der Taterträge, soweit diese auch selbständig und nachträglich angeordnet werden müssen. Die Vorschrift des § 76a Abs. 1 StGB ordnet eine solche selbständige Einziehung obligatorisch an, wenn wegen der Straftat keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden kann. Der Gesetzgeber hat die einschränkende Bedingung für eine selbständige Anordnung, dass nämlich die Strafverfolgung „aus tatsächlichen Gründen“ nicht möglich ist, gestrichen. Daher hat die selbständige Einziehung auch dann zu erfolgen, wenn rechtliche Hindernisse der Strafverfolgung bzw. Verurteilung entgegenstehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers zielt dies insbesondere auf Fälle ab, in denen einer Verfolgung oder Verurteilung das rechtliche Hindernis des Strafklageverbrauchs entgegensteht, weil die Einziehung versehentlich unterblieben ist (BT-Drs.18/9525, S. 72). Ungeachtet dessen gilt der Vorrang des subjektiven Verfahrens gegenüber der selbständigen Anordnung im objektiven Verfahren nach § 435 ff StPO, § 76a StGB.

(2) Vorliegend wäre eine selbständige Anordnung selbst im Falle der Rechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils nicht gemäß § 76a Abs. 1 S. 3 StGB ausgeschlossen gewesen. Nach dieser Vorschrift ist eine Einziehung ausgeschlossen, wenn bereits rechtskräftig über sie entschieden wurde. Eine selbständige Einziehung kommt daher nur in Betracht, wenn die Einziehungsentscheidung in der Hauptverhandlung übersehen oder vergessen worden ist (HansOLG, Urteil vom 5. April 2018 – 1 Rev 7/18; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Köhler/ Burkhard, a.a.O.). Damit ist der Begriff der Entscheidung an dieser Stelle anders auszulegen als bislang üblich und auch anders zu verstehen als bei der Anwendung von Art. 316h EGStGB (dazu BGH, Urteil vom 29. März 2018 – 4 StR 568/17, Rn. 25), da die begründungslose Nichtanordnung nicht als rechtskraftfähige Anordnung verstanden werden könnte, ohne in Widerspruch zum Regelungskonzept des § 76a Abs. 1 StGB zu geraten.

Danach fehlt es vorliegend an einer rechtskraftfähigen Entscheidung: Im amtsgerichtlichen Urteil findet die Möglichkeit einer Einziehung keinerlei Erwähnung. Es kann dahinstehen, ob dieser Umstand bereits das Übersehen oder Vergessen hinreichend belegt. Denn weder in der Anklage noch im amtsgerichtlichen Protokoll findet die Möglichkeit einer Einziehung Erwähnung. Vielmehr hat das Amtsgericht dem Angeklagten mit Bewährungsbeschluss vom 24. Juli 2017 auferlegt, den durch die Tat verursachten Schaden in Höhe von 30.000,- € nach seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten nach besten Kräften wiedergutzumachen, mindestens jedoch in monatlichen Raten von 50,- €.

III.

Der Senat sieht sich aber an der beabsichtigen Aufhebung der Nichtanordnung der Einziehung durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken (Beschluss vom 6. November 2017 – 1 OLG 2 Ss 65/17, zitiert nach juris) gehindert.

Das Oberlandesgericht Zweibrücken hat die erstmalige Anordnung einer Einziehung durch das Berufungsgericht wegen Verstoßes gegen das Verschlechterungsverbot unter Anwendung des reformierten Rechts aufgehoben und insoweit – tragend und von der Auffassung des Senats abweichend – ausgeführt:

„Jedoch steht der vom Landgericht gem. § 73c StGB getroffenen Einziehung des Tatertrages das Verschlechterungsverbot (§ 331 StPO) entgegen. Das Verbot der Schlechterstellung erfasst „Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat“. Hierzu gehört auch die Anordnung der Einziehung von Taterträgen (vgl. zur Anordnung des Verfalls nach früherer Rechtslage: BGH, Beschluss vom 17.09.2013 ? 5 StR 258/13, NStZ 2014, 32, 33; OLG Hamm, Beschluss vom 08.10.2007 – 3 Ws 560/07, juris Rn. 17). Das Landgericht war deshalb aus Rechtsgründen daran gehindert, auf die Berufung des Angeklagten die vom Amtsgericht unterlassene Anordnung nachzuholen.“ (Rn. 5)

Der Bundesgerichtshof hat über die Frage noch nicht entschieden. Der Beschluss des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs hat die fortdauernde Geltung des Verschlechterungsverbots auch nach neuer Rechtslage nur in einem anders gelagerten Fall angenommen, in dem eine selbständige Anordnung auch nach Ansicht des vorlegenden Senats nicht in Betracht gekommen wäre, da insoweit bereits eine ausdrückliche Einziehungsentscheidung vom Landgericht getroffen worden war (BGH, Beschluss vom 10. April 2018 – 5 StR 101/18).