LG Aschaffenburg, Endurteil vom 09.03.2017 - 12 O 339/16
Fundstelle
openJur 2018, 9523
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.544,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 9.9.2016 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger auf dessen Lebenszeit monatlich ab dem 1.4.2017 eine Rente von 264,00 EUR, zahlbar im Voraus jeweils zum Monatsersten, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus jeweils ab Fälligkeit zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 1.500,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 1.7.2015 zu zahlen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte 19 % und der Kläger 81 % zu tragen.

6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, wegen des Rentenanspruchs ohne Sicherheitsleistung, im Übrigen nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 95.735,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger, geboren am ...1950, macht gegen die Beklagte weitergehenden Ersatz materieller und immaterieller Schäden aus einem Verkehrsunfall vom 03.09.1998 geltend.

Das Oberlandesgericht Bamberg hat mit Urteil vom 22.12.2015, Az. 5 U 162/11, festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche zukünftig entstehenden materiellen und immateriellen Schäden aus dem Verkehrsunfall zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder einen anderen Dritten übergegangen sind.

Der Kläger verlangt aufgrund dessen den Ersatz entgangener Rentenleistungen seit 1.7.2015 in Höhe von 17.400,00 EUR. Ab dem 1.7.2016 verlangt der Kläger den Ersatz künftig ausbleibender Rentenleistungen in Höhe von monatlich 1.450,00 EUR.

Diese Leistungen bestünden zum einen aus einer Rente des Klägers aus der gesetzlichen Rentenversicherung (BfA) in Höhe von gerundet 2.100,00 EUR pro Monat seit dem 1.7.2015 auf Grundlage der Differenz zwischen der seitens des Klägers seit seinem 65. Lebensjahr tatsächlich bezogenen Rente von 890,00 EUR netto und der fiktiven Rente, die der Kläger erhielte, wenn er seit 1998 immer den Höchstsatz der Beiträge bezahlt hätte.

Der Kläger sei insoweit auch prozessführungsbefugt, da er auf dem Sozialrechtswege andernfalls keine Möglichkeit gegenüber der BfA habe, diese zur Nachforderung der Rentenversicherungsbeiträge von der Beklagten zu veranlassen.

Zum anderen bestünden die Leistungen aus einer Zusatzrente des Klägers von der VBL in Höhe von gerundet 250,00 EUR pro Monat seit dem 1.7.2015 auf Grundlage der fiktiven Rente, die der Kläger erhielte, wenn er seit ca. 18 Jahren als nicht verbeamteter Lehrer Beiträge geleistet hätte.

Darüber hinaus verlangt der Kläger ein weitergehendes Schmerzensgeld von 4.000,00 EUR.

Das künstliche Gebiss, das der Kläger infolge des Unfalls erhalten hatte, musste zwischenzeitlich unstreitig erneuert werden.

Überdies begehrt der Kläger ein Abwesenheitsgeld von 385,00 EUR.

Der Kläger beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 17.400,00 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1.7.2015 zu bezahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger seit 1.7.2016 eine monatlich vorauszahlbare monatliche Rente von 1.450,00 EUR zu bezahlen nebst 5 % Zins über dem Basiszinssatz hieraus, ab dem 1. eines jeden Monats bis zum Ableben des Klägers.

Die Beklagte wird verurteilt, weitere 4.385,00 EUR zu bezahlen, nebst 5 % Zins seit dem 30.4.2014.

Die Beklagte beantragt

Klageabweisung.

Die Beklagte trägt vor, dass ein Anspruch des Klägers auf Ersatz der Rentenleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß §§ 116, 119 SGB X kraft Gesetzes auf den Rentenversicherungsträger übergegangen sei.

Ein weitergehendes Schmerzensgeld könne der Kläger nicht beanspruchen, da die umfangreichen Behandlungsmaßnahmen an den Zähnen des Klägers infolge des Unfalls im Rahmen der Bemessung des durch das OLG Bamberg zugesprochenen Schmerzensgeldes von 20.000,00 EUR bereits vollständig berücksichtigt worden seien.

Ein Abwesenheitsgeld sei dem deutschen Schadensrecht fremd.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

I.

Dem Kläger stehen ein weitergehender Schadensersatz und ein weitergehendes Schmerzensgeld in der zugesprochenen Höhe zu.

1.

Im Hinblick auf eine entgangene Zusatzrente von der VBL beläuft sich der weitere Schaden des Klägers auf monatlich 264,00 EUR und damit auf 5.544,00 EUR für den Zeitraum vom 1.7.2015 bis zum 31.3.2017.

a)

Dass Angestellte im öffentlichen Dienst eine derartige Zusatzrente aufgrund einer Pflichtversicherung beziehen, ist allgemeinkundig und bedarf daher keines Beweises.

b)

Der zuerkannte Betrag beruht auf einer Schätzung gemäß § 287 Abs. 1 ZPO, da der Kläger den Anspruch ausdrücklich einer solchen durch das Gericht unterstellt hat.

Der Schätzung liegen die folgenden Erwägungen zugrunde:

Es ist davon auszugehen, dass der Kläger in der monatlichen Betriebsrente "VBLklassik" als Pflichtversicherung angemeldet gewesen wäre. Nach der Satzung der VBL hängt die Höhe dieser monatlichen Betriebsrente von der Summe aller im Laufe der Jahre angesammelten Versorgungspunkte ab. Die Versorgungspunkte pro Versicherungsjahr werden anhand des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts und des jeweiligen Altersfaktors ermittelt.

Als zusatzversorgungspflichtiges Entgelt hat das Gericht vorliegend den für den Kläger zu erwartenden steuerpflichtigen Arbeitslohn zugrunde gelegt. Der Kläger hätte als angestellter Berufsschullehrer in Hessen im Jahr 1998 auf Grundlage des damals in Hessen geltenden BAT, Vergütungsgruppe I, Lebensaltersstufe 23, ein Bruttomonatsgehalt von umgerechnet gerundet 3.200,00 EUR bezogen. Zuletzt hätte er im Jahr 2015 bei gewöhnlicher Entwicklung und unter normalen Umständen auf Grundlage des TV-H, Entgeltgruppe E 13, Stufe 5, Tabelle 01.03.2015 - 30.06.2015, ein Bruttomonatsgehalt von ca. 4.972,86 EUR bezogen. Das durchschnittliche Bruttpmonatsgehalt des Klägers hätte daher gerundet 4.086,00 EUR betragen. Ausgehend vom Alter des Klägers im Jahr 1998 hätte dessen durchschnittlicher Altersfaktor (1,1 im Jahr 1998 und 0,8 im Jahr 2015) bis zum Jahr 2015 einen Wert von 0,95 gehabt. Der Kläger hätte daher pro Jahr durchschnittlich 3,88 Versorgungspunkte gesammelt ([zusatzversorgungspflichtiges Entgelt / 12] / 1.000 × Altersfaktor = Anzahl der Versorgungspunkte). Im Laufe seines Berufslebens (17 Jahre) wäre der Kläger somit bis, zum Jahr 2015 auf gerundet 66 Versorgungspunkte gekommen.

Daraus folgt multipliziert mit dem bei der VBL anzulegenden Messbetrag von 4,00 EUR eine monatliche Betriebsrente von gerundet 264,00 EUR.

2.

Im Hinblick auf ein weitergehendes Schmerzensgeld hält das Gericht ein solches in Höhe von 1.500,00 EUR für angemessen.

Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten ab (BGH VersR 1976, 440; 1980, 975; 1988, 299). Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt (st. Rspr.; siehe z.B. BGH NJW 2006, 1068, 1069). Maßgebend sind zudem die Zahl und Schwere der Operationen, die Dauer der stationären und der ambulanten Heilbehandlungen und der Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit (vgl. BGH VersR 1955, 615; OLG Brandenburg, Urt. v. 14.07.2016 - 12 U 121/15). Besonderes Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu (siehe nur OLG Brandenburg, Urt. v. 08.03.2007 - 12 U 154/06; OLG München, Urt. v. 29.10.2010 - 10 U 3249/10).

Vorliegend war für das Gericht insbesondere die Überlegung entscheidend, dass die Erneuerung des Zahnersatzes eine weitere ambulante Heilbehandlung darstellte, auf die sich der Kläger auch noch lange Zeit nach dem schädigenden Ereignis einlassen musste. Der Eingriff ist wegen seiner Dauer und seines Umfangs mit weiteren Schmerzen und Unannehmlichkeiten verbunden. Nach Ansicht des Gerichts waren die damit verbundenen weiteren Beeinträchtigungen noch nicht von dem Schmerzensgeldbetrag abgedeckt, der dem Kläger bereits zugesprochen wurde.

3.

Im Hinblick auf eine entgangene Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung scheidet ein weitergehender Schadensersatz jedoch aus. Der Kläger ist hierfür nicht aktivlegitimiert, da derartige Ersatzansprüche gemäß §§ 116, 119 SGB X kraft Gesetzes auf den Rentenversicherungsträger bzw. Sozialversicherungsträger übergegangen sind.

Der Einwand des Klägers, er könne die Ersatzansprüche nicht gegenüber der Rentenversicherung durchsetzen, erweist sich insoweit als unerheblich. Für den Beitragsregress ist allein die Rentenversicherung zuständig. Soweit es dem Kläger um eine Erhöhung des monatlichen Rentenbetrages geht, so bleibt es ihm unbenommen, diese als Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung gegenüber der Rentenversicherung direkt geltend zu machen.

4.

Ein Abwesenheitsgeld steht dem Kläger mangels Rechtsgrundes ebenfalls nicht zu. Der Vortrag des Klägers ist insoweit im Übrigen unsubstantiiert, da nicht ersichtlich ist, zu welchem Zeitpunkt der Kläger wo von welchem Ort abwesend gewesen sein soll. Ein gerichtlicher Hinweis darauf war entbehrlich, da die Beklagtenseite die Schlüssigkeit des Vortrags in diesem Punkt bereits ausdrücklich in der Klageerwiderung gerügt hat (Bl. 25 d.A.).

II.

Die Zinsansprüche des Klägers folgen aus §§ 291, 288, 286 BGB. Insoweit war der bereits fällige Rentenanspruch des Klägers erst ab Rechtshängigkeit zu verzinsen, da der Kläger den Rentenanspruch auch nach seinem eigenen Vorbringen nicht angemahnt hat. Der zukünftige Rentenanspruch war ab Fälligkeit zu verzinsen, § 291 Satz 1 2. Hs. BGB.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 8, 709, 9 ZPO.