BGH, Urteil vom 28.09.2016 - IV ZR 41/14
Fundstelle
openJur 2018, 4494
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz vom 3. Januar 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 4.262,34 € festgesetzt.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Klägerseite (Versicherungsnehmer, im Folgenden: d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden: Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Lebensversicherung.

Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Oktober 2001 abgeschlossen. Im Antragsformular befand sich eine Belehrung über das Rücktrittsrecht.

Mit Schreiben vom 28. Januar 2010 erklärte d. VN "den Widerspruch gemäß § 5a VVG/den Widerspruch nach § 8 VVG, vorsorglich die Anfechtung nach § 119 BGB, hilfsweise die Kündigung". Der Versicherer akzeptierte die Kündigung zum 1. März 2010 und zahlte das Fondsguthaben zuzüglich Beitragsguthaben aus. Mit Schreiben vom 24. Juni 2011 wiederholte d. VN "den Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. bzw. nach § 8 VVG".

Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts, insgesamt 4.262,34 €.

Nach Auffassung d. VN hat er wirksam den Widerspruch nach § 5a VVG a.F. erklärt. Falls der Vertrag im so genannten Antragsmodell des § 8 VVG in der seinerzeit gültigen Fassung vom 21. Juli 1994 (im Folgenden: § 8 VVG a.F.) geschlossen worden sei, sei er wirksam vom Versicherungsvertrag zurückgetreten. Da er nicht ordnungsgemäß über das Rücktrittsrecht belehrt worden sei, habe er auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. den Rücktritt noch erklären können.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

Gründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Dieses hat angenommen, dass der Vertrag nach dem Antragsmodell zustande gekommen sei. D. VN habe die vollständige Verbraucherinformation und die Allgemeinen Versicherungsbedingungen bei Antragstellung vom Versicherer erhalten. Das Berufungsgericht hat zu der Auffassung tendiert, der klagende VN sei als angeblicher Bereicherungsgläubiger darlegungs- und beweispflichtig dafür, die erforderlichen Informationen nicht erhalten zu haben. Selbst wenn man eine Darlegungs- und Beweispflicht des Versicherers dafür annehmen wolle, dass d. VN die betreffenden Unterlagen erhalten habe, wäre dieser Beweis als erbracht anzusehen. Die widersprüchlichen Ausführungen d. VN, er habe die Unterlagen nicht erhalten bzw. es sei ihm nicht erinnerlich, sie erhalten zu haben, und er habe sie auch nach gründlicher Sichtung nicht finden können, könnten keine nachteiligen Folgen für den Versicherer auslösen. D. VN habe den strengen Anforderungen an ein Bestreiten mit Nichtwissen in Fällen, in denen es um Vorgänge seiner eigenen Wahrnehmung im Sinne von § 138 Abs. 4 ZPO gehe, nicht genügt. Es hätte ihm oblegen, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass er sämtliche Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft habe. Allein die Behauptung, er habe seine Unterlagen gründlich gesichtet, genüge nicht.

Ein Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. scheide nicht aufgrund der erteilten Belehrung aus, da sich diese lediglich zu einem Rücktrittsrecht verhalte, zudem nicht drucktechnisch deutlich hervorgehoben und deshalb in materieller und formeller Hinsicht nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Das Widerrufsrecht sei indes erloschen, da d. VN nach der Kündigung im März 2010 den Rückkaufswert erstattet bekommen habe, so dass beiderseits eine vollständige Erbringung der Leistungen eingetreten sei.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Ein - mit der Revision allein weiterverfolgter - Anspruch auf Prämienrückzahlung kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht versagt werden.

1. Aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass der Versicherungsvertrag im Antragsmodell zustande gekommen ist und d. VN das Rücktrittsrecht aus § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. wirksam ausgeübt hat.

a) Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, d. VN habe bei Antragstellung die vollständige Verbraucherinformation und die Allgemeinen Versicherungsbedingungen erhalten. Ob d. VN - wie das Berufungsgericht in Erwägung gezogen hat - darlegen und beweisen muss, dass ihm diese Unterlagen bei Antragstellung nicht zugegangen sind, kann dahinstehen. Das Berufungsgericht hat für den Fall, dass dem Versicherer die Darlegungs- und Beweislast für den Zugang der Unterlagen obliegt, rechts- und verfahrensfehlerfrei das Bestreiten mit Nichtwissen durch d. VN für unzulässig gehalten. Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nach § 138 Abs. 4 ZPO nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Anderenfalls tritt die Geständniswirkung des § 138 Abs. 3 ZPO ein (BGH, Urteil vom 12. November 2015 - I ZR 167/14, GRUR 2016, 836 Rn. 124 m.w.N.). Nur ausnahmsweise kommt ein Bestreiten eigener Handlungen und Wahrnehmungen dann in Betracht, wenn die Partei nach der Lebenserfahrung glaubhaft macht, sich an gewisse Vorgänge nicht mehr erinnern zu können. Die bloße Behauptung, sich nicht zu erinnern, reicht indessen nicht aus (BGH, Urteil vom 10. Oktober 1994 - II ZR 95/93, NJW 1995, 130 unter 3 d aa m.w.N.). Gemessen daran hat das Berufungsgericht die Erklärung d. VN, er könne sich nicht erinnern, die Verbraucherinformation und die Versicherungsbedingungen erhalten zu haben, und habe seine Unterlagen gründlich gesichtet, zu Recht nicht ausreichen lassen.

b) Die mit Schreiben vom 28. Januar 2010 abgegebene Erklärung d. VN kann ungeachtet ihrer Bezeichnung als "Widerspruch nach § 8 VVG" als Rücktritt gemäß § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. ausgelegt werden. Entscheidend ist, dass darin der unbedingte Wille zum Ausdruck kommt, sich rückwirkend vom Vertrag lösen und die Rückzahlung sämtlicher Prämien geltend machen zu wollen (vgl. Senatsurteil vom 17. Dezember 2014 - IV ZR 260/11, VersR 2015, 224 Rn. 13 m.w.N.).

c) Bei Abgabe der Rücktrittserklärung vom 28. Januar 2010 war die Rücktrittsfrist nach dem zugrunde zu legenden Sachverhalt noch nicht abgelaufen.

aa) Mangels - noch nachzuholender - Feststellungen des Berufungsgerichts ist in der Revisionsinstanz davon auszugehen, dass d. VN nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 8 Abs. 5 Satz 3 VVG a.F. belehrt wurde. Allerdings war die Belehrung im Antragsformular nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, deshalb inhaltlich falsch, weil sie sich "lediglich" zu einem Rücktrittsrecht verhielt. Ein solches Recht gewährte § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. d. VN nach einem Vertragsschluss im Antragsmodell.

Eine - vom Berufungsgericht vermisste - drucktechnische Hervorhebung der Belehrung war - wie die Revisionserwiderung geltend macht - vom Wortlaut des § 8 Abs. 5 VVG a.F. (wie auch des § 8 Abs. 4 VVG in der vom 1. Januar 1991 bis zum 28. Juli 1994 gültigen Fassung) nicht ausdrücklich vorausgesetzt. Der Senat hat aber zu § 8 Abs. 5 VVG a.F.

bereits klargestellt, dass auch eine Belehrung über das Rücktrittsrecht zur Erreichung ihres gesetzlichen Zweckes inhaltlich möglichst umfassend, unmissverständlich und aus Sicht der Verbraucher eindeutig sein musste. Das erforderte eine Form der Belehrung, die dem Aufklärungsziel Rechnung trug und darauf angelegt war, den Angesprochenen aufmerksam zu machen und das maßgebliche Wissen zu vermitteln (Senatsurteile vom 17. Dezember 2014 aaO Rn. 16; vom 16. Oktober 2013 - IV ZR 52/12, VersR 2013, 1513 Rn. 14 m.w.N.). Mit der Frage, ob die d. VN gegebene Belehrung diesen formalen Anforderungen genügte oder nicht, wird sich das Berufungsgericht noch näher zu befassen haben.

bb) Im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung stünde der Wirksamkeit der Rücktrittserklärung nicht der Ablauf der für einen solchen Fall bestimmten Frist aus § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. entgegen, nach der das Rücktrittsrecht bei unterbliebener Belehrung jedenfalls einen Monat nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Diese Befristung ist unwirksam, wie der Senat aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung des § 8 VVG a.F. entschieden und im Einzelnen begründet hat (Senatsurteil vom 17. Dezember 2014 aaO Rn. 20 ff.).

cc) Ein vom Berufungsgericht angenommenes Erlöschen des Rücktrittsrechts infolge beiderseits vollständiger Leistungserbringung (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. Oktober 2013 aaO Rn. 25 ff.) kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil eine analoge Anwendung der Regelungen aus § 7 Abs. 2 VerbrKrG, § 2 Abs. 1 Satz 4 HWiG nach Außerkrafttreten dieser Gesetze zum Zeitpunkt der Abwicklung des Vertrages im Jahre 2010 nicht mehr möglich ist (vgl. dazu Senatsurteil vom 17. Dezember 2014 aaO Rn. 28).

2. Nach der Zurückverweisung wird sich das Berufungsgericht gegebenenfalls auch mit der Höhe der nach § 346 Abs. 1 BGB zurück zu gewährenden Leistungen und Nutzungszinsen zu befassen haben (vgl. Senatsurteile vom 17. Dezember 2014 aaO Rn. 35 ff.; vom 11. November 2015 - IV ZR 513/14, VersR 2016, 33 Rn. 31 ff.; vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 35 ff.; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 33 ff.).

Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski Lehmann Dr. Brockmöller Vorinstanzen:

AG Kamenz, Entscheidung vom 24.05.2013 - 2 C 631/11 -

LG Görlitz, Entscheidung vom 03.01.2014 - 2 S 112/13 -