BGH, Beschluss vom 11.10.2017 - VII ZR 46/15
Fundstelle
openJur 2018, 3872
  • Rkr:
Tenor

Der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wird teilweise stattgegeben.

Das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 3. März 2015 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und in der Sache insgesamt mit Ausnahme folgenden Punktes aufgehoben:

Von der Aufhebung unberührt bleibt die (Widerklage-)Verurteilung der Klägerin zur Zahlung der Vergütung für erbrachte Leistungen in Höhe von 227.253,74 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. August 2011.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen.

Gegenstandswert der Nichtzulassungsbeschwerde: 654.824,94 € des stattgebenden Teils: 427.571,20 €

Gründe

I.

Die Klägerin beauftragte die Beklagte nach vorangegangener öffentlicher Ausschreibung am 9. Mai 2006 durch zwei Aufträge sowie durch einen Zusatzauftrag vom 26. Oktober 2006 auf der Grundlage des Angebots der Beklagten vom 26. März 2006 mit Fensterbauarbeiten und mit der Errichtung der Glasfassade einer Sporthalle. Dabei vereinbarten die Parteien die Geltung der VOB/B.

Nachdem es Anfang März 2007 zu Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des Einbaus der Verglasung gekommen war, forderte die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 29. März 2007 (Anlage K 11) die Beklagte auf, bis zum 31. März 2007 die Absturzgefahr der vertikalen Verglasung oberhalb der Eingangsöffnung zu beseitigen. Zugleich verlangte sie, dass die Beklagte unter anderem folgende Mängel bis zum 5. April 2007 beseitigt:

"Es fehlen prüffähige statische Nachweise der Pfosten-Riegel-Konstruktion sowie deren Kreuz- und T-Verbindungen. Die Kreuz- und T-Verbindungen sind mittels zwei Riffel-Rundholzdübel formschlüssig verleimt. Der geforderte Kraftschluss an den vorgenannten Verbindungen ist nicht vorhanden. Hierbei besteht die Gefahr des Abreitens und des Abscherens der vertikalen Holzkonstruktion. Riffel-Dübel aus Holzart Buche, wie vorgefunden, sind aus materialtechnischen sowie bauphysikalischen- feuchteschutztechnischen und festigkeitstechnischen Eigenschaften nicht zulässig.

Es wird auf die vertraglichen Vereinbarungen unter Ziff. 5.3 Statik verwiesen, wonach für jede Fassade ein prüffähiger Nachweis für die Tragstruktur und deren Anbringung an den Rohbau geschuldet ist. ...

Sie werden deshalb aufgefordert, ... prüffähige statische Nachweise ... vorzulegen und das CE-Kennzeichen nachzuweisen. Zudem werden Sie aufgefordert, den erforderlichen Kraftschluss an den Kreuz- und T-Verbindungen herzustellen. Es darf kein Buchenholz verwendet werden."

Für den Fall der Nichteinhaltung einer der beiden Fristen wurde die Auftragsentziehung angedroht. Mit Anwaltsschreiben vom 12. April 2007 (Anlage K 13) setzte die Klägerin unter Androhung einer Auftragsentziehung der Beklagten eine Nachfrist bis zum 16. April 2007 zur Vorlage:

der prüffähigen Statik der Gläser, Konstruktion, Auflagerpunkte und kraftschlüssigen Verbindung der quer- und senkrechten Riegel, auch für die Shed-Fassaden, des Nachweises des g-Wertes und des Planes über den weiteren zeitlichen Ablauf der Bauarbeiten.

Mit Anwaltsschreiben vom 18. April 2007 entzog die Klägerin der Beklagten den Auftrag und forderte sie zur gemeinsamen Feststellung des Leistungsstands am 23. April 2007 auf. In dem Schreiben stützte sie die Kündigung nur auf die in dem Schreiben vom 12. April 2007 genannten Kündigungsgründe. Die Beklagte erklärte ihrerseits mit Anwaltsschreiben vom 30. April 2007 die Kündigung des Vertrags aus wichtigem Grund wegen der von der Klägerin ausgesprochenen Kündigung.

Die Klägerin macht mit der Klage Schadensersatz in Höhe der Mehrkosten von 340.641,83 € geltend, die durch den Abbau der Teilleistungen der Beklagten sowie durch die Kosten für den Neubau der Glasfassade und für die Mangelbeseitigung an den Einzelfenstern entstanden seien. Sie verlangt zudem die Feststellung, dass die Beklagte zur Erstattung der Mehrkosten verpflichtet ist, die in Folge der Bauverzögerung vom März 2007 bis Juni 2009 angefallen seien.

Die Beklagte macht zuletzt mit der Widerklage die Vergütung für die erbrachten Werkleistungen in Höhe von 229.664,87 € und für die nicht erbrachten Werkleistungen in Höhe von 119.834,52 € geltend.

Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 23.405,53 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 1.656,48 € stattgegeben. Auf die Widerklage hat es die Klägerin verurteilt, an die Beklagte 229.664,87 € (Vergütung für erbrachte Leistungen) nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat es Klage und Widerklage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufungen eingelegt.

Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz die Zahlung weiterer 274.331,15 € und die Erstattung zusätzlicher vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 3.531,92 € sowie die Feststellung der Erstattungspflicht der Beklagten für Mehrkosten infolge der Bauzeitverzögerungen verlangt. Die Beklagte hat mit der Widerklage ihren Anspruch auf Vergütung für die nicht erbrachten Leistungen weiterverfolgt und nach Aufrechnung mit dem vom Landgericht zuerkannten Betrag in Höhe von 25.062,01 € die Zahlung von weiteren 119.834,52 € geltend gemacht.

Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in BauR 2015, 1500 veröffentlicht ist, hat die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts abgewiesen und auf die Widerklage die Klägerin verurteilt, an die Beklagte 347.088,26 € (Vergütung für erbrachte und nicht erbrachte Leistungen) nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat es die Widerklage abgewiesen und die Berufungen der Klägerin und der Beklagten zurückgewiesen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, mit der sie die Zulassung der Revision erreichen will, soweit die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben worden ist.

II.

1. Das Berufungsgericht führt, soweit für die Beschwerde von Bedeutung, im Wesentlichen aus, der Klägerin stünde kein Anspruch auf Schadensersatz zu, da die Kündigung vom 18. April 2007 nicht auf einen wichtigen Grund im Sinne von § 8 Nr. 3 Abs. 1, § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) gestützt werden könne.

Eine Auftragsentziehung nach § 4 Nr. 7 VOB/B wäre zwar möglich gewesen, da die Leistungen der Beklagten unstreitig mangelhaft gewesen seien. Die Klägerin habe der Beklagten allerdings nicht wegen mangelhafter oder vertragswidriger Leistungen im Sinne von § 4 Nr. 7 VOB/B gekündigt, sondern weil die Beklagte innerhalb der ihr gesetzten Frist keine prüffähige statische Berechnung, keine vollständigen Werkstattzeichnungen der Fassadenkonstruktion und keinen Nachweis des g-Wertes vorgelegt habe. Zur Vorlage der in dem Schreiben vom 12. April 2007 (Anlage K 13) aufgeführten Unterlagen sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen, da die von der Klägerin geforderten Nachweise nach dem Vertragsinhalt nicht geschuldet gewesen seien.

Die Klägerin habe zwar in dem Schreiben vom 29. März 2007 beanstandet, dass die Verglasung nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden sei. Die Auftragsentziehung sei indes nicht auf den behaupteten Mangel der unzureichenden Sicherung und der Absturzgefahr der Glasfassade oberhalb der Eingangsöffnung gestützt worden. Gleiches gelte für die Glasscheiben, bei denen sich die beschichtete Fläche nicht auf Position 3, sondern auf Position 2 befunden habe. Dass infolge der unterschiedlichen Einbausituation das Erscheinungsbild der Glasfassade uneinheitlich sei, bedürfe keiner abschließenden Klärung, da die Klägerin die Auftragsentziehung vom 18. April 2007 nicht darauf gestützt habe.

Die Kündigung sei auch nicht darauf gestützt worden, dass die Beklagte für die Pfosten-Riegel-Verbindungen Riffeldübel aus Buchenholz verwendet habe, keine kraftschlüssige Verbindung der Holzkonstruktion vorgelegen und die Gefahr des Abreitens und des Abscherens bestanden habe.

Eine Kündigung müsse zwar nicht begründet werden. Allerdings müsse eine Kündigung aus wichtigem Grund erkennen lassen, auf welchen Kündigungsgrund sie gestützt werde. Jedenfalls wenn die Kündigung ausdrücklich auf einen bestimmten Grund beziehungsweise bestimmte Gründe gestützt werde, sei die Beendigung des Vertragsverhältnisses allein auf diese Gründe beschränkt. Das Nachschieben von Kündigungsgründen sei zwar möglich, sofern die nachgeschobenen Kündigungsgründe zum Zeitpunkt der Auftragsentziehung vorgelegen hätten. Die Klägerin habe bis zur Kündigung der Beklagten wegen der unberechtigten Auftragsentziehung und bis zum Beginn der Selbstvornahme keine Kündigungsgründe nachgeschoben.

2. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision führt im tenorierten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, § 544 Abs. 7 ZPO. Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts beruht insoweit auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG.

a) Das Berufungsgericht hat das erstinstanzliche Vorbringen der Klägerin, wonach Riffeldübel nach dem Inhalt des Leistungsverzeichnisses ohne bauaufsichtliche Zulassung nicht hätten verwendet werden dürfen, nicht zur Kenntnis genommen und auch bei der Entscheidung nicht berücksichtigt.

aa) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt voraus, dass im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Berufungsgericht in den Gründen des Berufungsurteils auf den wesentlichen Kern des Vorbringens einer Partei zu einer Frage nicht ein, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Januar 2017 - VII ZR 181/16, BauR 2017, 884 Rn. 19; vom 23. Februar 2016 - VII ZR 28/15 Rn. 7; vom 20. Mai 2014 - VII ZR 187/13 Rn. 6 m.w.N.).

bb) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

Das Vorbringen der Klägerin, die Montage der Glasfassade habe nach den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses (Anlage K 1, S. 20, 68), mit denen die vereinbarte Beschaffenheit festgelegt worden sei, nur mit bauaufsichtlich zugelassenen Befestigungs- und Verbindungsmitteln erfolgen sollen, ist von dem Berufungsgericht in seinem Kerngehalt nicht verbeschieden worden. Es hat nichts dazu ausgeführt, ob die Verwendung bauaufsichtlich nicht zugelassener Dübel in Abweichung von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses einen Werkmangel darstellt.

Der Gehörsverstoß ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es das genannte Vorbringen der Klägerin berücksichtigt hätte. Die Androhung der Entziehung des Auftrags in dem Schreiben vom 29. März 2007 (Anlage K 11) ist unter anderem darauf gestützt worden, dass die Riffeldübel aus Buche "nicht zulässig" seien. Diese Beanstandung der Klägerin ist dahin auszulegen, dass sie die fehlende bauaufsichtliche Zulassung der Riffeldübel in dem Schreiben vom 29. März 2007 als Sachmangel gerügt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 2015 - VII ZR 70/14, BauR 2015, 1842 Rn. 21 = NZBau 2015, 618).

b) Die angefochtene Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar.

aa) Das Berufungsgericht ist unzutreffend davon ausgegangen, dass die in dem Schreiben vom 29. März 2007 (Anlage K 11) aufgeführten Mängel nicht für die Kündigung vom 18. April 2007 herangezogen werden könnten. Hierbei hat es nicht berücksichtigt, dass das Nachschieben von Kündigungsgründen durch den Auftraggeber auch noch nach der Kündigung des Auftragnehmers beziehungsweise nach der Selbstvornahme des Auftraggebers erfolgen kann. Aus dem Erfordernis, dass eine Kündigung nicht begründet werden muss, ergibt sich zwangsläufig, dass Kündigungsgründe jederzeit nachgeschoben werden können, sofern sie im Zeitpunkt der Kündigung vorgelegen haben (vgl. BGH, Urteile vom 22. Oktober 1981 - VII ZR 310/79, BGHZ 82, 100, 109, juris Rn. 36; vom 23. Juni 2005 - VII ZR 197/03, BGHZ 163, 274, 277, juris Rn. 15; in: Ingenstau/Korbion/Joussen/Vygen, VOB Teile A und B, 20. Aufl., § 8 Abs. 6 VOB/B Rn. 6).

Für eine auf § 8 Nr. 3 in Verbindung mit § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) gestützte Kündigung ist zwar für das Nachschieben von Kündigungsgründen grundsätzlich erforderlich, dass die in § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) geregelten Voraussetzungen gegeben sind. Beim Nachschieben von Kündigungsgründen kann eine Kündigung nach § 8 Nr. 3 VOB/B (2002) daher nur dann als wirksam angesehen werden, wenn die in § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) genannten Voraussetzungen im Zeitpunkt der Kündigung bereits vorlagen. Denn eine versäumte Frist kann nicht nachgeholt werden (vgl. Kniffka in Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 4. Aufl., 9. Teil Rn. 7; Vygen/Joussen, Bauvertragsrecht nach VOB und BGB, 5. Aufl., Rn. 2964). Die Voraussetzungen des § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) waren vorliegend erfüllt, da in dem Schreiben vom 29. März 2007 wegen der darin aufgeführten Mängel eine wirksame Androhung der Auftragsentziehung vorlag. Die in diesem Schreiben aufgeführten Mängel konnten daher zur Begründung der Kündigung noch nachgeschoben werden.

bb) Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht auch Gelegenheit, sich mit den weiteren Rügen der Klägerin in der Nichtzulassungsbeschwerde auseinanderzusetzen.

3. Im Übrigen wird von einer Begründung abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO).

Eick Kartzke Graßnack Borris Brenneisen Vorinstanzen:

LG Tübingen, Entscheidung vom 16.05.2014 - 7 O 429/08 -

OLG Stuttgart, Entscheidung vom 03.03.2015 - 10 U 62/14 -