BGH, Beschluss vom 12.04.2017 - X ZR 66/14
Fundstelle
openJur 2018, 2511
  • Rkr:
Tenor

Die Anhörungsrüge gegen das Urteil vom 27. Oktober 2016 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Gründe

I. Mit Urteil vom 27. Oktober 2016 hat der Senat die Berufung der Klägerin gegen die erstinstanzliche Abweisung der Klage zurückgewiesen. Mit ihrer Anhörungsrüge macht die Klägerin geltend, die Entscheidung verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör, insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen zur Auslegung des Streitpatents und zur erfinderischen Tätigkeit.

II. Die gemäß § 321a ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet.

1. Die Gerichte sind verpflichtet, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Der verfassungsrechtlich gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) soll sicherstellen, dass die von den Gerichten zu treffenden Entscheidungen frei von materiellrechtlichen Fehlern oder Verfahrensfehlern ergehen, welche ihren Grund darin haben, dass der Vortrag der Parteien nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt worden ist (BVerfGE 60, 250, 252; BVerfGE 69, 141, 142 f.; BVerfGE 86, 133, 145 f.; BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 - X ZB 6/05, BGHZ 173, 47 Rn. 30 - Informationsübermittlungsverfahren II; Beschluss vom 15. April 2010 - Xa ZB 10/09, GRUR 2010, 950 Rn. 11 - Walzenformgebungsmaschine; Beschluss vom 31. März 2015 - X ZR 79/13, juris). Damit ist jedoch kein Anspruch darauf verbunden, dass jedes Vorbringen ausdrücklich beschieden wird. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Parteivorbringen in Erwägung gezogen hat, auch wenn es die von einer Partei daraus gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen nicht teilt (BGH, Beschluss vom 7. Juli 2011 - I ZB 68/10, GRUR 2012, 314 Rn. 15 - Medicus.log). Geht das Gericht allerdings auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von besonderer Bedeutung ist, nicht ein, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfGE 86, 133, 146; BGHZ 173, 47 Rn. 31 - Informationsübermittlungsverfahren II).

2. Nach diesen Grundsätzen hat der Senat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nicht verletzt.

a) Die Klägerin rügt, der Senat habe ihr durch ein Privatgutachten gestütztes Vorbringen übergangen, wonach die Biegeumformung von Blech seit der Bronzezeit bekannt sei und auch heute ein Standardverfahren in der Konstruktion von Blechbauteilen darstelle, nicht zur Kenntnis genommen.

Diese Rüge ist unbegründet.

Wie auch die Klägerin im Ansatz nicht verkennt, hat der Senat die Ausführungen des Privatgutachters Prof. Dr.-Ing. W. ausdrücklich erwähnt (Rn. 33). Er hat insbesondere berücksichtigt, dass die Zahl der in Betracht kommenden Bearbeitungsverfahren insgesamt gering ist, und das Vorbringen der Klägerin als nicht stichhaltig angesehen, weil sich für den Fachmann dennoch keine Veranlassung ergab, das in Rede stehende Verfahren im Zusammenhang mit Futtermischwagen der in D2, D5 und D6 offenbarten Bauart in Betracht zu ziehen (Rn. 34).

Diese Beurteilung hängt nicht davon ab, ob das Verfahren ein seit der Bronzezeit bekanntes Standardverfahren darstellt oder ob es als eines von wenigen überhaupt in Betracht kommenden Verfahren zum allgemeinen Fachwissen gehört. Soweit die Klägerin zwischen diesen Formulierungen inhaltliche Unterschiede erkennen will, betreffen diese nicht den für die Beurteilung des Streitfalls maßgeblichen Sachverhalt, sondern allenfalls die rechtliche Bedeutung, die diesem Sachverhalt zukommt. Dass der Senat hinsichtlich der zuletzt genannten Frage zu einer anderen Beurteilung gelangt ist als die Klägerin, begründet keine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG.

b) Die Klägerin rügt, der Senat habe ihren Vortrag übergangen, wonach es für die Mischfunktion allein auf die Form der Innenwand einschließlich der Leiteinrichtungen ankomme und dass diese bei den in D2, D5 und D6 offenbarten Mischwagen in gleicher Weise ausgestaltet sei wie bei dem vom Streitpatent geschützten Wagen.

Diese Rüge ist ebenfalls unbegründet.

Der Senat hat ausgeführt, dass das Streitpatent in Merkmalsgruppe 5 nicht nur eine Krümmung der Wandung in den Zwickelbereichen vorsieht, sondern zugleich eine Vertiefung an der Außenseite (Rn. 15). Bei dieser Ausgangslage kommt der Frage, ob die Vertiefung an der Außenseite zur Verwirklichung der angestrebten Funktion erforderlich ist, keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, ob sie in den Entgegenhaltungen D2, D5 und D6 offenbart ist. Dass letzteres zu verneinen ist, zieht auch die Klägerin nicht in Zweifel.

c) Die Klägerin macht geltend, in der mündlichen Verhandlung sei nicht deutlich geworden, dass es für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit auf eine Zusammenschau der Merkmalsgruppen 1 bis 4 des Patentanspruchs mit den Merkmalen der Gruppe 5 ankommen könne.

Diese Rüge ist ebenfalls unbegründet.

Dass die einzelnen Merkmale eines Patentanspruchs bei der Beurteilung der Frage der erfinderischen Tätigkeit grundsätzlich nicht isoliert betrachtet werden dürfen, zieht auch die Klägerin nicht in Zweifel. Besondere Umstände, aus denen die Klägerin hätte ableiten können, dass dies im Streitfall hinsichtlich der einzelnen Merkmale der Merkmalsgruppe 5 anders sein könnte, sind weder aufgezeigt noch sonst ersichtlich.

Unabhängig davon ergibt sich schon aus dem in der Anhörungsrüge wiedergegebenen Vorbringen der Klägerin, dass diese den in Rede stehenden Aspekt erkannt und zur Verwirklichung der genannten Merkmale in ihrer Gesamtheit vorgetragen hat. Der Senat hat dieses Vorbringen nicht übergangen, sondern als in der Sache unzutreffend angesehen, weil es entgegen der Auffassung der Klägerin für die Bejahung einer hinreichenden Veranlassung nicht ausreicht, wenn in D2, D5 und D6 eine den Vorgaben des Streitpatents entsprechende Ausgestaltung der Innenseite offenbart ist. Darin liegt keine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG.

d) Die Klägerin rügt, der Senat habe ihren Vortrag übergangen, dass das Merkmal 5.4 bei den Futtermischwagen der D2, D5 und D6 automatisch und zwangsläufig von selbst gebildet werde, wenn bei einem dieser Mischwagen die Wandung gemäß den Merkmalen 5.1 und 5.2 in den Zwickelbereichen zur Bildung von Leiteinrichtungen nach innen gekrümmt werde, und dass es sich bei Merkmal 5.4 aus diesem Grund um ein Scheinmerkmal handle.

Damit ist eine Gehörsverletzung nicht dargetan.

Die Frage, welche Form sich ergibt, wenn bei den Mischwagen aus D2, D5 und D6 die Wandung abweichend von der dort offenbarten Ausführungsform nach innen gekrümmt wird, wäre nur dann von Bedeutung, wenn der Fachmann Veranlassung gehabt hätte, diese Ausgestaltung in Betracht zu ziehen. Letzteres hat der Senat verneint.

e) Die Klägerin rügt, der Senat habe ihren Vortrag übergangen, wonach eine Vertiefung an der Außenwand den Vorteil biete, zusätzliche Elemente anbringen zu können, ohne die Breite des Mischwagens zu erhöhen.

Auch diese Rüge ist unbegründet.

Der Senat hat sich bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit mit der Frage befasst, ob eine Herstellung durch Umformen der Wand konkrete Vorteile bot, die dem Fachmann Veranlassung gegeben hätten, eine solche Konstruktion in Betracht zu ziehen (Rn. 34). Als solche Vorteile kommen im Streitfall die von der Klägerin geltend gemachten Kostenvorteile in Betracht. Der Senat hat das darauf bezogene Vorbringen für nicht durchgreifend erachtet und ist deshalb zu dem Ergebnis gelangt, dass für den Fachmann kein Anlass bestand, das genannte Herstellungsverfahren in Betracht zu ziehen. Angesichts dessen ist die Frage, welche Vorteile der Fachmann hätte erkennen können, wenn er diesem Gedanken dennoch nähergetreten wäre, nicht entscheidungsrelevant.

f) Die Klägerin rügt, der Senat habe ihren Vortrag zu dem Material- und Arbeitsaufwand bei der in D2, D5 und D6 offenbarten Konstruktion übergangen.

Diese Rüge ist ebenfalls unbegründet.

Der Senat ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die von der Klägerin angeführten Vorteile hinsichtlich Material- und Arbeitsaufwand nicht hinreichend groß sind, um dem Fachmann Anlass zu geben, die vom Streitpatent geschützte Konstruktion in Betracht zu ziehen (Rn. 34). Damit hat er das Vorbringen der Klägerin nicht unberücksichtigt gelassen, sondern lediglich eine abweichende rechtliche Schlussfolgerung daraus gezogen. Darin liegt keine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Bacher Grabinski Schuster Deichfuß Kober-Dehm Vorinstanz:

Bundespatentgericht, Entscheidung vom 30.06.2014 - 4 Ni 18/12 (EP) -

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