BGH, Beschluss vom 13.09.2018 - V ZB 61/18
Fundstelle
openJur 2018, 733
  • Rkr:
Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg vom 16. Februar 2018 und der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 15. März 2018 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Landkreis Harburg auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

Der Betroffene, ein albanischer Staatsbürger, reiste 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 24. September 2015 wurde sein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt, die Abschiebung nach Albanien angedroht und ein Einreiseverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung festgesetzt. Am 3. Februar 2016 wurde der Betroffene abgeschoben.

Im Februar 2018 wurde er erneut in der Bundesrepublik Deutschland angetroffen. Die beteiligte Behörde hat beantragt, Haft für vier Wochen zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen anzuordnen. Für den Fall, dass über den Antrag nicht sofort entschieden werden kann, hat sie beantragt, hilfsweise gemäß § 427 FamFG durch einstweilige Anordnung die vorläufige Freiheitsentziehung anzuordnen. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 16. Februar 2018 Sicherungshaft bis zum 16. März 2018 angeordnet. Am 15. März 2018 ist der Betroffene abgeschoben worden. Das Landgericht hat die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist die Anordnung von Haft rechtmäßig, insbesondere lägen die Haftgründe gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG vor.

III.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Anordnung von Abschiebungshaft hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil es zu diesem Zeitpunkt an der erforderlichen Abschiebungsandrohung fehlte.

1. Zu den von dem Haftrichter zu prüfenden Vollstreckungsvoraussetzungen gehört grundsätzlich das Vorliegen einer Abschiebungsandrohung nach § 59 AufenthG. Eine solche Androhung muss auch dann erfolgen, wenn der Ausländer gemäß § 14 AufenthG unerlaubt eingereist und deshalb nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig ist (Senat, Beschluss vom 17. März 2016 - V ZB 39/15, Rn. 5, juris mwN). Eine Abschiebungsandrohung war hier nicht deshalb entbehrlich, weil der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 24. September 2015 eine Abschiebungsandrohung enthielt. Durch die Abschiebung des Betroffenen am 3. Februar 2016 nach Albanien ist diese Abschiebungsandrohung "verbraucht"; sie wirkt nicht als vorsorgliche Androhung für den Fall einer erneuten unerlaubten Einreise fort (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Januar 2018 - V ZB 62/17, Asylmagazin 2018, 182 Rn. 12).

2. Eine Abschiebungsandrohung lag im Zeitpunkt der Haftanordnung durch das Amtsgericht nicht vor. Dies ergibt sich aus dem Haftantrag, in dem die beteiligte Behörde ausführt, dass die Abschiebungsandrohung dem Betroffenen binnen einer Woche nach der Anhörung in die JVA Langenhagen zugestellt werde. Liegen - wie hier - die Abschiebungsvoraussetzungen bei Beantragung der Sicherungshaft noch nicht vor, muss sich die Behörde darauf beschränken, eine vorläufige Freiheitsentziehung gemäß § 427 FamFG zu beantragen (Senat, Beschluss vom 16. Mai 2013 - V ZB 44/12, InfAuslR 2013, 349 Rn. 11). Dem hat die beteiligte Behörde Rechnung getragen, indem sie neben dem Antrag auf Entscheidung im Hauptsacheverfahren hilfsweise beantragt hat, im Wege der einstweiligen Anordnung eine vorläufige Freiheitsentziehung anzuordnen. Der Haftrichter durfte daher, solange die Zustellung der Abschiebungsandrohung an den Betroffenen noch ausstand und damit die Voraussetzungen für eine Haftanordnung im Hauptsacheverfahren noch nicht erfüllt waren, nur eine vorläufige Freiheitsentziehung gemäß § 427 FamFG bis zur Behebung des Hindernisses anordnen. Dass die Zustellung der Abschiebungsandrohung im Zeitpunkt der Haftanordnung noch nicht erfolgt war, lässt sich dem Beschluss des Amtsgerichts entnehmen. Darin ist die Formulierung aus dem Haftantrag über die noch ausstehende Zustellung der Abschiebungsandrohung wortgleich übernommen worden. Gleichwohl hat das Amtsgericht im Hauptsacheverfahren und nicht im einstweiligen Anordnungsverfahren entschieden. Dies ergibt sich eindeutig aus den Beschlussgründen der amtsgerichtlichen Entscheidung, in der ausgeführt ist, "dass vom Erlass einer zunächst nur einstweiligen Anordnung abgesehen wurde".

3. Der Verfahrensmangel ist durch das Beschwerdegericht nicht behoben worden. Ob die Abschiebungsandrohung - wie im Haftantrag angekündigt - zwischenzeitlich ergangen war, hat das Beschwerdegericht nicht aufgeklärt.

4. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Abschiebung des Betroffenen kann die fehlende Aufklärung nicht mehr nachgeholt werden, da hierfür auch die persönliche Anhörung des Betroffenen zu dem Ergebnis der Ermittlungen erforderlich wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 17. März 2016 - V ZB 39/15, juris Rn. 10 mwN). Das rechtliche Gehör kann vorliegend nicht ausreichend dadurch gewährt werden, dass dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wird. Da im Haftantrag ausdrücklich ausgeführt ist, dass die Abschiebungsandrohung dem Betroffenen noch nicht zugestellt wurde, bezog sich die Anhörung durch den Haftrichter (§ 420 Abs. 1 FamFG) nicht auf das Vorliegen dieser Vollstreckungsvoraussetzung. Daher musste der Betroffene nach einer Zustellung der Abschiebungsandrohung hierzu persönlich angehört werden.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

Stresemann Weinland Kazele Göbel Hamdorf Vorinstanzen:

AG Lüneburg, Entscheidung vom 16.02.2018 - 101 XIV 204 B -

LG Lüneburg, Entscheidung vom 15.03.2018 - 6 T 28/18 -