LG Göttingen, Beschluss vom 04.06.2002 - 10 T 38/02
Fundstelle
openJur 2012, 38260
  • Rkr:
Tenor

Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Beschwerdewert: bis zu 22.500,00 EUR

Gründe

Die Schuldnerin hat am 07.11.2000 den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen sowie auf Erteilung von Restschuldbefreiung gestellt. In dem dem Antrag beigefügten Vermögensverzeichnis hat die Schuldnerin in der Spalte X 2 "Lohnabtretung, Sicherungsübereignung, Sicherungsabtretung" keine Eintragungen vorgenommen. Die Schuldnerin hat 15 Gläubiger mit einer Gesamtforderung in Höhe von 87.221,84 DM (44.595,82 EUR). Mit Beschluss vom 01.03.2001 hat das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und den G. zum Treuhänder bestellt. Nachdem der Treuhänder seinen Schlussbericht und die Schlussverteilung vorgelegt hat, hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 09.08.2001 das schriftliche Verfahren angeordnet und den Schlusstermin im schriftlichen Verfahren auf den 08.11.2001 bestimmt. Gleichzeitig hat es den Gläubigern Gelegenheit gegeben bis zum 01.11.2001 schriftlich Einwendungen gegen die Ankündigung der Restschuldbefreiung vorzubringen. Mit Schriftsatz vom 06.09.2001 hat der Treuhänder mitgeteilt, dass entgegen den Ausführungen der Schuldnerin eine Abtretung ihrer Ansprüche aus Arbeitseinkommen zugunsten der H. bestehe. Ferner hat der Treuhänder ein Schreiben der Bevollmächtigten der H. vom 27.09.2000 vorgelegt, mit dem diese die Schuldnerin zur Rückzahlung des Darlehens aufgefordert haben. In diesem Schreiben haben die Bevollmächtigten der H. die Schuldnerin auf die im Rahmen des Kreditvertrags vereinbarte Lohn- und Gehaltsabtretung hingewiesen und angekündigt, diese gegenüber dem Arbeitgeber offen zulegen, sofern die Schuldnerin ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkomme.

Die Beteiligte zu 2. hat mit Schriftsatz vom 02.10.2001 beantragt, der Schuldnerin die Restschuldbefreiung zu versagen und hierzu ausgeführt, die Schuldnerin habe in dem Vermögensverzeichnis unrichtige Angaben gemacht, weil sie die gegenüber der H. vorgenommene Abtretung nicht offen gelegt habe.

Die Schuldnerin hat ausgeführt, sie habe die Offenlegung der Abtretung bei der Antragstellung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig unterlassen. Tatsächlich habe sie keine Erinnerung mehr daran gehabt, dass sie bei der H. im Rahmen des Darlehensvertrags eine Lohnabtretungsklausel unterzeichnet habe. Im übrigen habe die H. im Rahmen der Vorbereitung des Verbraucherinsolvenzverfahrens ein von der Schuldnerin übersandtes Formular betr. die Forderungsaufstellung zurückgesandt. In diesem Formular sei ausdrücklich die Frage nach Aussonderungsrechten bzw. Absonderungsrechten gestellt worden. Die H. habe die Forderungsaufstellung übersandt, jedoch nicht auf die Lohnabtretung hingewiesen.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 16.04.2002 der Schuldnerin die Restschuldbefreiung versagt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, es liege der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Ziff. 6 InsO vor, denn die Schuldnerin habe in dem vorgelegten Vermögensverzeichnis grob fahrlässig unvollständige Angaben gemacht. Die Schuldnerin habe die Abtretung ihres Arbeitseinkommens nicht offenbart. Zwar sei nicht jede unterlassene Angabe einer Sicherungsabtretung im Vermögensverzeichnis grob fahrlässig. Hier sei jedoch zu berücksichtigen, dass der Schuldnerin erst kurze Zeit vor Erstellung des Vermögensverzeichnisses das Schreiben der Bevollmächtigten der H. vom 27.09.2002 zugegangen sei. Wenn die Schuldnerin dann gleichwohl die Abtretung in dem Vermögensverzeichnis nicht erwähne, sei dieses Verhalten grob fahrlässig. Die Schuldnerin habe das Vermögensverzeichnis sorgfältig ausfüllen müssen. Wenn sie tatsächlich beim Ausfüllen des Vermögensverzeichnisses an die Sicherungsabtretung nicht gedacht habe, sei dieses Verhalten grob fahrlässig.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Schuldnerin mit der sofortigen Beschwerde. Sie meint, ihr Verhalten sei nicht grob fahrlässig gewesen. Sie habe keine Erinnerung mehr daran gehabt, dass sie bei der H. im Rahmen des Darlehensvertrags eine formularmäßige Lohnabtretungsklausel unterzeichnet habe. Schließlich seien seit der Unterzeichnung der Klausel und der Erstellung des Vermögensverzeichnisses über 5 Jahre vergangen. Da sie in der Folgezeit kein Einkommen gehabt habe, habe sich die Lohnabtretung auch nicht ausgewirkt. Das Schreiben der Bevollmächtigten der H. vom 27.09.2002 habe die Schuldnerin nicht erhalten. Im übrigen habe sie sich im Rahmen des außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuchs redlich darum bemüht, alle Forderungen und Gläubiger zu erfassen, sie wolle jedoch nicht verhehlen, dass sie zeitweilig den Überblick über ihre Schulden verloren habe.

Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist gem. §§ 6 Abs. 1, 289 Abs. 2 InsO zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Das Amtsgericht hat im Ergebnis zutreffend der Schuldnerin die Restschuldbefreiung versagt. Zwar ist dem Amtsgericht hier ein Verfahrensfehler unterlaufen, dieser hat sich jedoch auf die Entscheidung nicht ausgewirkt und insbesondere die Rechte der Gläubiger und der Schuldnerin nicht beeinträchtigt. Die Kammer sieht deshalb davon ab, den Beschluss des Amtsgerichts wegen des Verfahrensfehlers aufzuheben. Das Amtsgericht hat zulässigerweise das schriftliche Verfahren angeordnet und den Gläubigern Gelegenheit gegeben, gegen die Ankündigung der Restschuldbefreiung schriftlich Einwendungen vorzubringen. Die vom Amtsgericht insoweit vorgenommene Fristsetzung ist indes verfahrensfehlerhaft. Das Amtsgericht hat den Schlusstermin im schriftlichen Verfahren auf den 08.11.2001 bestimmt und den Gläubigern Gelegenheit gegeben, ihre Einwendungen gegen die Ankündigung der Restschuldbefreiung bis zum 01.11.2001 vorzubringen. Nach § 289 Abs. 1 und Abs. 2 InsO sind die Insolvenzgläubiger im Schlusstermin zu dem Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung zu hören. Demzufolge müssen sie gem. § 289 Abs. 2 InsO den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung im Schlusstermin stellen. Die Versagungsgründe nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 InsO können weder vorher noch nach dem Schlusstermin geltend gemacht werden (Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung/Ahrens 3. Auflage, § 289 Rn. 4 f; Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung/Landfermann 2. Auflage, § 289 Rn. 4; Pape, Gläubigerbeteiligung im Insolvenzverfahren, 2000 Seite 206 Rn. 434 ff.; Kübler/Prütting/Wenzel, Insolvenzordnung, 11. Lfg. 11/00 § 298 Rn. 1; OLG Celle NZI 2002, 323). Eine Ausnahme hiervon gilt nur dann, wenn ein masseunzugängliches Verfahren vorliegt oder das Insolvenzgericht auf die Durchführung eines Schlusstermins, der in diesem Verfahren nicht vorgeschrieben ist, verzichtet. Diese Ausnahmen liegen hier jedoch nicht vor. Das Verfahren ist weder massearm noch hat das Insolvenzgericht auf die Durchführung des Schlusstermins verzichtet. Im Hinblick darauf musste das Amtsgericht den Gläubigern Gelegenheit geben, die Einwendungen gegen die Restschuldbefreiung bis zu dem angesetzten Schlusstermin am 08.11.2001 vorzubringen. Es ist nicht zulässig, die Frist der Gläubiger für die Einwendungen auf einen Zeitpunkt, der eine Woche vor dem Schlusstermin endet, zu begrenzen. Vielmehr muss den Gläubigern nach dem Gesetz Gelegenheit gegeben werden noch im Schlusstermin, und damit auch bis zu dem im schriftlichen Verfahren bestimmten Schlusstermin, die Einwendungen vorzutragen.

Hier haben indes die Gläubiger, die Einwendungen erhoben haben, diese vor dem vom Amtsgericht bestimmten Termin vorgebracht, so dass insoweit keine Beschneidung ihrer Rechte erkennbar ist. Da sich mithin - wie bereits oben ausgeführt - der Verfahrensfehler nicht ausgewirkt hat, kann die Kammer ohne Zurückverweisung des Verfahrens selbst entscheiden.

Das Amtsgericht hat die Restschuldbefreiung zu Recht versagt. Der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO liegt vor, denn die Schuldnerin hat in dem nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 vorzulegenden Verzeichnissen ihres Vermögens und ihres Einkommens grob fahrlässig unvollständige Angaben gemacht. Die Schuldnerin hat eine Abtretung des pfändbaren Teils ihres Arbeitseinkommens vom 04.09.1995 zu Gunsten der H. in dem Vermögensverzeichnis, das sie mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgelegt hat, nicht angegeben. Die Schuldnerin hat auch grob fahrlässig gehandelt. Grob fahrlässig handelt derjenige, der die objektiv erforderliche Sorgfalt nicht einhält und dasjenige unterlässt, was im gegebenen Fall jedem einzuleuchten hat. Dass die Schuldnerin die betr. Abtretung hätte angeben müssen, versteht sich von selbst, denn unter X 2 des Vermögensverzeichnisses ist ausdrücklich nach Lohnabtretungen, Sicherungsübereignungen und Sicherungsabtretungen gefragt.              . Soweit ein Teil der Rechtsprechung und der Literatur für die Würdigung der Frage, ob das Verhalten des Schuldners als grob fahrlässig zu bezeichnen ist, einen großzügigen Maßstab anlegt (vgl. AG Hamburg NZI 2000, 46, 47; Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung/Ahrens, 3. Auflage, § 290 Rn. 55) vermag die Kammer diese Auffassung nicht zu teilen. Der Begriff der groben Fahrlässigkeit ist definiert als ein besonders schwerer Verstoß gegen die objektiv erforderliche Sorgfalt, die im gegebenen Fall jedem einzuleuchten hat (vgl. BGH NJW 1994, 2022; BGH NJW 1997, 1012, 1013). Im Hinblick darauf ist es nicht geboten, für die Frage, ob den Schuldner im Rahmen des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO ein grob fahrlässiges Verhalten trifft, den Maßstab großzügiger anzulegen, denn von einem Schuldner, der Restschuldbefreiung begehrt, kann erwartet werden, dass er den insoweit mit dem Antrag zusammenhängenden Verpflichtungen genau nachkommt (Kübler/Prütting/Wenzel, Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Lfg. 11/01 § 290 Rn. 20, 22; Begründung RegE, BT-Drucks.12/2443,S.190f, abgedruckt in Kübler/Prütting, RWS-Dok.18, 2. Auflage, S. 546). Eine Lockerung der Sorgfaltsanforderungen bei der Auslegung des Begriffs der groben Fahrlässigkeit ist deshalb nicht gerechtfertigt.

Der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit gegenüber der Schuldnerin könnte indes zweifelhaft sein, wenn man davon ausgeht, dass die Schuldnerin seit der Unterzeichnung der Lohnabtretung im September 1999 bis zur Vorbereitung des Verbraucherinsolvenzverfahrens und der Restschuldbefreiung im Jahre 2000 von der Lohnabtretung nichts mehr gehört hat, zumal die H. keine Rechte aus der Lohnabtretung hergeleitet hat. Dass ein Schuldner eine fünf Jahre zurückliegende Lohnabtretung, die er im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Darlehensvertrags vorgenommen hat, vergisst, wenn er in der Folgezeit von der Lohnabtretung nicht berührt wird, rechtfertigt nicht den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit. Hier liegt der Fall jedoch anders, denn die Schuldnerin wurde 2 Monate vor ihrem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens von der H. auf die erfolgte Lohnabtretung hingewiesen. Die H. hat mit Schreiben vom 27.09.2000 der Schuldnerin mitgeteilt, dass sie die Lohn- und Gehaltsabtretung gegenüber dem Arbeitgeber der Schuldnerin offen legen werde, sofern die Schuldnerin zukünftig ihrer Zahlungsverpflichtung aus dem Kreditvertrag nicht nachkomme. Die Schuldnerin war also, während sie das Verbraucherinsolvenzverfahren vorbereitete, auf die Lohnabtretung hingewiesen worden, so dass ihr diese im Bewusstsein gewesen sein muss. Ihr Vorbringen, sie habe die Lohnabtretung vergessen, kann im Hinblick auf diesen kurzen Zeitabstand keine Berücksichtigung finden. Vielmehr handelte die Schuldnerin grob fahrlässig, indem sie in dem Antrag von November 2000 den Hinweis auf die Lohnabtretung unterließ.

Soweit die Schuldnerin mit der sofortigen Beschwerde bestreitet, das Schreiben der H. vom 27.09.2000 erhalten zu haben, wertet die Kammer dieses Vorbringen als reine Schutzbehauptung. Grundsätzlich muss zwar der Gläubiger, der den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung stellt, den Versagungsgrund glaubhaft machen (§ 290 Abs. 2 InsO). Hier kann jedoch die antragstellende Gläubigerin den Zugang des betr. Schreibens bei der Schuldnerin weder beweisen noch glaubhaft machen. Das Schreiben vom 27.09.2000 stammt von der H., mithin nicht von der antragstellenden Gläubigerin. Die antragstellende Gläubigerin hatte weder auf die Absendung noch auf den Zugang des Schreibens Einfluss, denn der gesamte Vorgang vollzog sich außerhalb ihrer Sphäre. Die Situation ist mithin nicht mit der im Zivilprozess geltenden Beweislage, nach der der Absender eines Schreibens den Zugang beim Adressaten zu beweisen hat, vergleichbar. Darüber hinaus gibt es hier keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Schreiben der H. vom 27.09.2000 der Schuldnerin nicht zugegangen ist. Die H. hat dieses Schreiben nicht als Rückbrief zurückerhalten. Da die H. auch nicht Antragstellerin im vorliegenden Restschuldbefreiungsverfahren ist, gibt es auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass dieses Schreiben ggf. erst nachträglich gefertigt sein könnte oder erst gar nicht an die Schuldnerin abgeschickt wurde. Vielmehr hat dieses Schreiben im vorliegenden Verfahren im Verhältnis der H. zur Schuldnerin keinerlei Funktion. Darüber hinaus hat die Schuldnerin den Zugang dieses Schreibens auch erst im Beschwerdeverfahren bestritten ohne einen denkbaren Grund für den unterbliebenen Zugang, wie etwa häufiger Verlust von Briefsendungen, darzulegen.

Die unvollständigen Angaben der Schuldnerin sind hier auch von gewisser Erheblichkeit (vgl. hierzu Kübler/Prütting/Wenzel, Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Lfg. 11/01 § 290 Rn. 21). Die Schuldnerin ist als Küchenhilfe beschäftigt und erhält einen monatlichen Nettoverdienst von 885,00 EUR. Aufgrund ihrer familiären Situation - sie ist gegenüber ihrem Ehemann und 2 Kindern unterhaltspflichtig - sind zwar zur Zeit keine pfändbaren Beträge zur Masse zu ziehen, dies könnte sich jedoch in der Zukunft ändern. Die Lohnabtretung aus dem Jahre 1995 würde sich dann zum Nachteil der übrigen Gläubiger auswirken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Den Beschwerdewert hat die Kammer nach § 3 ZPO festgesetzt und ist dabei vom Interesse der Schuldnerin an der Restschuldbefreiung ausgegangen, das sie mit 50 % der bestehenden Forderungen als angenommen. hat