BGH, Beschluss vom 12.06.2018 - II ZB 23/17
Fundstelle
openJur 2018, 6315
  • Rkr:
Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 26. Juli 2017 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 376.422,12 €

Gründe

I.

Der Kläger hat gegen das seinem erstinstanzlichen Bevollmächtigten am 18. April 2017 zugestellte, u.a. klageabweisende Urteil am 18. Mai 2017 durch seinen zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten Berufung eingelegt. Nach Hinweis des Berufungsgerichts auf die versäumte Berufungsbegründungsfrist hat der Kläger mit Schriftsatz vom 3. Juli 2017 beantragt, "die zum 19.6.2017 abgelaufene Frist zur Begründung der Berufung um einen Monat bis zum 19.7.2017 zu verlängern" und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt: Sein zweitinstanzlicher Prozessbevollmächtigter habe am 10. Mai 2017 vom erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten das erstinstanzliche Urteil und das diesbezügliche Empfangsbekenntnis per E-Mail erhalten. Am 11. Mai 2017 habe sein neuer Prozessbevollmächtigter seine erfahrene und ansonsten zuverlässige Rechtanwaltsfachangestellte M. , die seit dem Jahr 2000 als Rechtsanwaltsfachangestellte tätig sei, angewiesen, eine Akte anzulegen und die Frist zur Einlegung der Berufung auf den 18. Mai 2017 sowie die zur Begründung der Berufung auf den 19. Juni 2017 zu notieren. Frau M. habe nach Ausdruck des Urteils und des Empfangsbekenntnisses die Akte angelegt, die Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung auf dem Urteilsausdruck eingetragen, die Frist zur Einlegung der Berufung im Fristenbuch auf den 18. Mai 2017 notiert, es jedoch unterlassen, die Berufungsbegründungsfrist auf den 19. Juni 2017 in das Fristenbuch einzutragen.

Mit Beschluss vom 26. Juli 2017 hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft, aber unzulässig. Es fehlt an dem nach § 574 Abs. 2 ZPO erforderlichen Zulassungsgrund. Die Rechtsbeschwerde macht unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) eine Verletzung der Verfahrensgrundrechte auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip), des Willkürverbots aus Art. 3 Abs. 1 GG und auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG geltend. Solche Rechtsverletzungen liegen jedoch nicht vor.

1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruhe auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten, dessen Verschulden sich der Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Weder habe der Prozessbevollmächtigte selbst die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenbuch überprüft, noch habe er, nachdem sich in der Akte kein entsprechender Erledigungsvermerk befunden habe, ohne eigene Prüfung des Fristenkalenders berechtigt davon ausgehen dürfen, dass die Berufungsbegründungsfrist in diesen eingetragen worden sei. Nach dem Sachvortrag im Wiedereinsetzungsgesuch und ausweislich der eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten M. habe ein unverschuldetes Fristversäumnis nicht vorgelegen, da danach weder die Weisung bestanden habe, die Eintragung der in den Handakten vermerkten Frist zur Berufungsbegründung im Fristenkalender durch einen Erledigungsvermerk in der Handakte festzuhalten, noch ein derartiger Vermerk von der Rechtsanwaltsfachangestellten M. tatsächlich vorgenommen worden sei. Es habe keines Hinweises gemäß § 139 ZPO bedurft, um dem Kläger die Möglichkeit zu weiterem Sachvortrag zu geben. Die Angaben im Wiedereinsetzungsgesuch und dem ergänzenden Schriftsatz vom 21. Juli 2017 seien vollständig und klar. Dass darin weder von einer Weisung, den Eintrag von Fristen im Fristenbuch durch Erledigungsvermerk in den Akten festzuhalten, noch von einem von der Rechtsanwaltsfachangestellten M. in den Akten angebrachten Erledigungsvermerk die Rede sei, lasse für sich genommen keine Ergänzungs- oder Erläuterungsbedürftigkeit des Vorbringens erkennen. Wenn der geschilderte Ablauf innerhalb der Kanzleiorganisation der Prozessbevollmächtigten des Klägers die zu stellende Sorgfaltsanforderungen nicht vollständig erfülle, ergebe sich daraus nicht, dass das Vorbringen des Klägers ergänzungsbedürftig sei.

2. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung im Ergebnis zu Recht versagt und die Berufung des Klägers zutreffend als unzulässig verworfen.

a) Der Kläger hat die Frist zur Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 2 ZPO versäumt. Die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist begann gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Zustellung des Urteils des Landgerichts am 18. April 2017. Sie ist gemäß § 222 Abs. 1 und 2 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB am 19. Juni 2017, einem Montag, abgelaufen. Innerhalb dieser Frist ist keine Berufungsbegründung eingegangen.

b) Den wirksam gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen, weil nach dem Wiedereinsetzungsvorbringen ein dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumnis nicht auszuschließen ist. Der Kläger hat weder das Vorhandensein einer den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Organisation des Fristenwesens genügenden Fristenkontrolle im Büro des Prozessbevollmächtigten noch die Erteilung einer konkreten Einzelanweisung zur Eintragung der Berufungsbegründungsfrist, auf deren Erledigung der Prozessbevollmächtigte ohne weiteres hätte vertrauen dürfen, dargetan.

Die Wiedereinsetzung setzt nach § 233 Satz 1 ZPO voraus, dass die Partei ohne ihr Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil nicht auszuschließen ist, dass an der Fristversäumung ein Verschulden des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers ursächlich mitgewirkt hat; dieses muss sich der Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

aa) Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Grundsätzlich obliegen alle Aufgaben, die dem Ziel der ordnungsgemäßen Fristwahrung dienen, dem Rechtsanwalt persönlich (MünchKomm-ZPO/Stackmann, 5. Aufl., § 233 Rn. 112). Für den Fall, dass er nicht alle Aufgaben selbst wahrnimmt, sondern die Notierung von Fristen - wie hier - einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft überlässt, muss durch geeignete organisatorische Maßnahmen sichergestellt sein, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2018 - II ZB 14/17, juris Rn. 10; Beschluss vom 19. September 2017 - VI ZB 40/16, MDR 2017, 1380 Rn. 8; Beschluss vom 15. April 2014 - II ZB 11/13, NJOZ 2014, 1339 Rn. 9). Zu den zur Ermöglichung einer von dem Rechtsanwalt durchzuführenden Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2018 - II ZB 14/17, juris Rn. 10; Beschluss vom 19. September 2017 - VI ZB 40/16, MDR 2017, 1380 Rn. 8; Beschluss vom 29. Juni 2017 - III ZB 95/16, juris Rn. 7; Beschluss vom 15. April 2014 - II ZB 11/13, NJOZ 2014, 1339 Rn. 9).

Der Rechtsanwalt hat die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Handakten zur Bearbeitung wegen einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden. Diese Pflicht erstreckt sich auch darauf, ob das (zutreffend errechnete) Fristende im Fristenkalender notiert worden ist. Dabei kann sich der Rechtsanwalt jedoch grundsätzlich auf eine Prüfung des Erledigungsvermerks in der Handakte beschränken. Ist die Erledigung der Eintragung im Fristenkalender ordnungsgemäß in der Handakte vermerkt und drängen sich insoweit keine Zweifel auf, braucht er nicht noch zu überprüfen, ob das Fristende auch tatsächlich im Fristenkalender eingetragen ist. Andernfalls wäre die zulässige Einschaltung von Bürokräften in die Fristenüberwachung weitgehend sinnlos (BGH, Beschluss vom 14. Juni 2006 - IV ZB 18/05, NJW 2006, 2778 Rn. 6 mwN). Der Rechtsanwalt ist aber nur dann von einer eigenständigen Prüfung des Fristenkalenders befreit, wenn die Büroorganisation die klare Anweisung enthält, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechender Vermerk in der Akte eingetragen werden kann.

Denn sonst besteht die Gefahr, dass der Erledigungsvermerk in der Handakte bereits vor der Eintragung in den Kalender angebracht wird und die Gegenkontrolle versagt (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2018 - II ZB 14/17, juris Rn. 10; Beschluss vom 19. September 2017 - VI ZB 40/16, MDR 2017, 1380 Rn. 8; Beschluss vom 29. Juni 2017 - III ZB 95/16, juris Rn. 9; Beschluss vom 15. April 2014 - II ZB 11/13, NJOZ 2014, 1339 Rn. 10; Beschluss vom 26. November 2013 - II ZB 13/12, WM 2014, 424 Rn. 10, alle mwN). Sieht die Organisationsanweisung nicht vor, dass in der Handakte Erledigungsvermerke anzubringen sind, genügt es, wenn die Arbeitsanweisung vorschreibt, dass die Fristen zunächst im Fristenkalender zu notieren sind und erst dann in der Akte (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2018 - II ZB 14/17, juris Rn. 10; Beschluss vom 15. April 2014 - II ZB 11/13, NJOZ 2014, 1339 Rn. 10).

bb) Dass im Büro des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers solche organisatorischen Anweisungen bestanden haben, lässt sich dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsverfahren nicht entnehmen. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht in den Vortrag des Klägers auch nichts hineininterpretiert, was diesem nicht zu entnehmen ist. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass die Anweisung bestand, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechender Erledigungsvermerk in der Akte eingetragen werden kann oder die Fristen auf sonstige Weise in der Akte notiert werden können. Auch aus der eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten M. ergeben sich keine solchen Anweisungen.

cc) Dem Verschuldensvorwurf stünde auch nicht entgegen, wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Rechtsanwaltsfachangestellte M. angewiesen hätte, eine Akte anzulegen und die Frist zur Einlegung der Berufung auf den 18. Mai 2017 sowie die zur Begründung der Berufung auf den 19. Juni 2017 zu notieren.

Auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen und Anweisungen für die Fristenwahrung in einer Anwaltskanzlei kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar dann nicht an, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleikraft, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, welche bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine ausgebildete und bisher zuverlässig tätige Bürokraft eine konkrete Einzelanweisung, auch wenn sie mündlich erteilt wird, befolgt und ordnungsgemäß ausführt. Er ist deshalb im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010 - II ZB 10/09, MDR 2010, 533, 534 mwN).

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit seinem Wiedereinsetzungsgesuch lediglich vorgetragen, er habe im Anschluss an die Übermittlung des landgerichtlichen Urteils die Büroangestellte M. angewiesen, eine Akte anzulegen und die Frist zur Einlegung der Berufung auf den 18. Mai 2017 sowie die zur Begründung der Berufung auf den 19. Juni 2017 zu notieren. Es erscheint schon fraglich, ob diese "Weisung" zur Eintragung der Rechtsmittelfristen als konkrete Einzelanweisung oder aber durch die zur organisatorischen Ausgestaltung des Fristenwesens in der Kanzlei getroffenen allgemeinen, vorliegend unzureichenden, Anordnungen erfolgte. Selbst wenn von einer konkreten Einzelanweisung auszugehen wäre, müsste diese, da eine entsprechende allgemeine Anweisung nicht dargelegt ist, zur Ermöglichung einer zuverlässigen Gegenkontrolle durch den Rechtsanwalt beinhalten, dass unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechender Erledigungsvermerk in der Akte eingetragen werden kann oder die Fristen auf sonstige Weise in der Akte notiert werden können.

dd) Eines Hinweises an den anwaltlich vertretenen Kläger nach § 139 ZPO durch das Berufungsgericht auf diese Gesichtspunkte bedurfte es entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht. Ein Nachschieben von Vortrag mit der Rechtsbeschwerde ist daher ausgeschlossen. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Organisation des Fristenwesens stellt, sind bekannt und müssen einem Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Tragen die zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags gemachten Angaben diesen Anforderungen nicht Rechnung, deutet das nicht auf Unklarheiten oder Lücken des Vortrags hin, die aufzuklären oder zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2018 - II ZB 14/17, juris Rn. 12; Beschluss vom 29. Juni 2017 - III ZB 95/16, juris Rn. 11; Beschluss vom 19. Juli 2016 - II ZB 3/16, juris Rn. 29; Beschluss vom 15. April 2014 - II ZB 11/13, NJOZ 2014, 1339 Rn. 12; Beschluss vom 26. November 2013 - II ZB 13/12, WM 2014, 424 Rn. 12).

ee) Die unzureichenden Vorkehrungen zur Fristwahrung des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers waren kausal für das Fristversäumnis, welches bei im Übrigen ordnungsgemäßem Verlauf vermieden worden wäre.

Born Wöstmann Bernau B. Grüneberg V. Sander Vorinstanzen:

LG Augsburg, Entscheidung vom 11.04.2017 - 81 O 1605/14 -

OLG München, Entscheidung vom 26.07.2017 - 14 U 1695/17 -