BGH, Urteil vom 09.01.2018 - XI ZR 402/16
Fundstelle
openJur 2018, 4858
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 22. Juni 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob sich ein zwischen ihnen bestehender Verbraucherdarlehensvertrag aufgrund des von den Klägern erklärten Widerrufs ihrer auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt hat.

Die Parteien schlossen am 26. Juni 2006 einen grundpfandrechtlich gesicherten Darlehensvertrag über 225.000 € mit spätestem Auszahlungstermin zum 28. Februar 2009. Der bis zum 28. Februar 2019 festgeschriebene Sollzinssatz lag bei 4,68% p.a. Die Beklagte belehrte die Kläger auf zwei aufeinander folgenden Seiten über ihr Widerrufsrecht wie folgt:

Die Kläger nahmen das Darlehen in Anspruch. Unter dem 26. Juni 2014 widerriefen sie ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen.

Ihrem Antrag festzustellen, dass der Darlehensvertrag der Parteien "aufgrund wirksamen Widerrufes der Kläger" gemäß Schreiben vom 26. Juni 2014 "rückabzuwickeln" sei, hat das Landgericht entsprochen. Den Antrag der Kläger, die Beklagte außerdem zur Erstattung vorgerichtlich verauslagter Rechtsanwaltskosten zu verurteilen, hat es abgewiesen. Zugleich hat es die Kläger auf die Hilfswiderklage der Beklagten, die die Beklagte nach Hilfsaufrechnung mit eigenen, aus einem Rückgewährschuldverhältnis resultierenden Ansprüchen unter die aufschiebende Bedingung gestellt hat, "dass das Gericht den Widerruf der Kläger hinsichtlich ihrer auf den Abschluss des streitgegenständlichen Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärung für wirksam" erachte, verurteilt, an die Beklagte 200.549,15 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von zweieinhalb Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. März 2015 zu zahlen. Die weitergehende Hilfswiderklage der Beklagten hat das Landgericht abgewiesen.

Auf die Berufung nur der Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Kläger, mit der sie ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Beklagten weiterverfolgen.

Gründe

Die Revision der Kläger hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Es könne dahinstehen, ob die von den Klägern erhobene Feststellungsklage zulässig sei. Jedenfalls sei sie unbegründet. Zwar habe die Beklagte die Kläger undeutlich über das ihnen zustehende Widerrufsrecht belehrt. Der Ausübung des Widerrufsrechts stehe aber der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Zwar seien für die Ausübung des Widerrufsrechts die Motive des Widerrufenden grundsätzlich ohne Bedeutung. Ausnahmsweise greife aber der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung ein, wenn die objektiv zu ermittelnden Zwecke der Ausübung des Rechts in keinem Zusammenhang mit dem Telos der Norm stünden, die dem Verbraucher dieses Widerrufsrecht eröffne, und der betroffene Unternehmer schutzwürdig sei. Der Widerruf habe hier dem Zweck gedient, den Klägern eine günstigere Anschlussfinanzierung nach Maßgabe des heutigen Zinsniveaus zu ermöglichen. Es gehe mithin um einen Fall sehr später Vertragsreue aufgrund gewandelter wirtschaftlicher Verhältnisse. Damit liege ein besonders eindeutiger Fall des Rechtsmissbrauchs vor. Dass die Ausübung des Widerrufsrechts rechtsmissbräuchlich sei, werde dadurch bestätigt, dass die sonstigen, vom Bürgerlichen Gesetzbuch zur Verfügung gestellten Instrumentarien zur Lösung von einem Vertrag oder zu dessen Anpassung an gewandelte Verhältnisse hier eindeutig nicht zur Anwendung kämen. Die bei Vertragsschluss offenbar falsche Erwartung der Kläger zur weiteren Entwicklung des Zinsniveaus trage eine Anfechtung zweifelsfrei nicht, da es sich um einen Motivirrtum handele. §§ 313, 314 BGB seien nicht anwendbar. Das Verwendungs- und Prognoserisiko sei vertraglich eindeutig dem Darlehensnehmer zugewiesen.

Die Beklagte sei hinreichend schutzwürdig, so dass bei einer Gesamtabwägung der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung begründet sei. Ihre Schutzwürdigkeit sei danach zu bemessen, wie gravierend die Mängel der Widerrufsbelehrung seien. Im konkreten Fall seien die Mängel nicht gravierend genug, um die Beklagte nicht mehr als schutzwürdig anzusehen.

II.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.

1. Das Berufungsgericht hat im Ausgangspunkt richtig erkannt, den Klägern sei gemäß § 495 Abs. 1 BGB das Recht zugekommen, ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen nach § 355 Abs. 1 und 2 BGB in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2, §§ 32, 38 Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem 1. August 2002 und dem 10. Juni 2010 geltenden Fassung zu widerrufen. Die Widerrufsfrist war, was das Berufungsgericht weiter zutreffend gesehen hat, bei Erklärung des Widerrufs noch nicht abgelaufen, weil die Beklagte die Kläger durch die Verwendung des Worts "frühestens" undeutlich über die Voraussetzungen für den Fristlauf belehrt hat. Darüber hinaus hat die Beklagte die Kläger mittels des "Besondere[n] Hinweis[es]" unzutreffend über die Bedingungen für ein Erlöschen des Widerrufsrechts unterrichtet (Senatsurteil vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 455/16, juris Rn. 18). Da die Beklagte das Muster für die Widerrufsbelehrung in der hier maßgeblichen, zwischen dem 8. Dezember 2004 und dem 31. März 2008 geltenden Fassung der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV nicht verwandt hat, kann sie sich auf dessen Gesetzlichkeitsfiktion nicht berufen.

2. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zu einer rechtsmissbräuchlichen Ausübung des Widerrufsrechts weisen indessen Rechtsfehler auf. Sie widersprechen dem Grundsatz, dass ein Verstoß des Widerrufenden gegen § 242 BGB nicht daraus hergeleitet werden kann, der vom Gesetzgeber mit der Einräumung des Widerrufsrechts intendierte Schutzzweck sei für die Ausübung des Widerrufsrechts nicht leitend gewesen (Senatsurteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 47 mwN). Im Übrigen hängt das Ergebnis einer Subsumtion unter § 242 BGB nicht davon ab, wie gewichtig der Belehrungsfehler ist (Senatsurteil vom 12. Juli 2016, aaO, Rn. 40).

III.

Das Berufungsurteil unterliegt mithin der Aufhebung (§ 562 ZPO), da es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Da der Senat der dem Tatrichter obliegenden Würdigung der konkreten Umstände nach § 242 BGB nicht vorgreifen kann (st. Rspr., vgl. zuletzt nur Senatsurteil vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 393/16, WM 2017, 2247 Rn. 11 mwN), verweist er die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück (§ 563 Abs. 1 ZPO).

Vor einer neuerlichen Befassung mit § 242 BGB wird das Berufungsgericht den Klägern Gelegenheit zu geben haben, einen nach Maßgabe der Senatsrechtsprechung zulässigen Antrag zu stellen. Die Feststellungsklage der Kläger ist unzulässig (Senatsurteil vom 4. Juli 2017 - XI ZR 741/16, WM 2017, 1602 Rn. 14 ff. mwN). Es ist nach dem vom Senat zu beurteilenden Sach- und Streitstand nicht zu erwarten, dass ein dem Feststellungsantrag rechtskräftig stattgebendes Erkenntnis zu einer endgültigen Klärung sämtlicher Streitpunkte führen wird (vgl. Senatsurteil vom 24. Januar 2017 - XI ZR 183/15, WM 2017, 766 Rn. 16).

Sollte das Berufungsgericht nach einem Übergang der Kläger zu einem zulässigen Antrag erneut zu der Auffassung gelangen, der Widerruf der Kläger sei an § 242 BGB gescheitert, wird es das Senatsurteil vom 4. Februar 2014 (XI ZR 398/12, BKR 2014, 200 Rn. 24 mwN) zu beachten haben.

Ellenberger Joeres Matthias Menges Dauber Vorinstanzen:

LG Hamburg, Entscheidung vom 29.06.2015 - 325 O 259/14 -

OLG Hamburg, Entscheidung vom 22.06.2016 - 13 U 71/15 -