Hessischer VGH, Beschluss vom 18.02.1993 - 13 TG 2743/92
Fundstelle
openJur 2012, 20030
  • Rkr:
Gründe

Die zulässige Beschwerde der Antragsteller bleibt ohne Erfolg. Zu Recht hat es das Verwaltungsgericht abgelehnt, ihrem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu entsprechen und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern eine Duldung zu erteilen.

Dabei ist zunächst klarzustellen, daß eine vorläufige gerichtliche Regelung in der von den Antragstellern beantragten Form von vornherein nicht in Betracht kommen kann, da sie durch die von ihnen schon im vorliegenden Eilverfahren erstrebte Duldung - wenn auch nur vorläufig und unter dem Vorbehalt einer anderweitigen Entscheidung in der Hauptsache - bereits eine Rechtsposition erlangen würden, die dem Rechtsschutzziel der Klage im Hauptsacheverfahren entspricht. Zu einer solchen Vorwegnahme der Hauptsache ist das Verwaltungsgericht im Rahmen des von ihm gemäß § 123 VwGO gewährten einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht berechtigt (vgl. Kopp, VwGO, 9. Aufl., Rdnr. 13 zu § 123 VwGO). Danach käme allenfalls eine Verpflichtung der Antragsgegnerin in Betracht, einstweilen von einer Abschiebung der Antragsteller in ihr Heimatland abzusehen. Ein solcher Ausspruch ist nicht etwa mit der Zuerkennung einer Duldung in Sinne der §§ 55, 56 AuslG identisch. Zwar gewährt auch die Duldung ihrem rechtlichen Gehalt nach nur eine zeitweise Aussetzung der Abschiebung bei Fortdauer der dem Ausländer auferlegten Ausreisepflicht (vgl. §§ 55 Abs. 1, 56 Abs. 1 AuslG). Die dem Ausländer hierdurch vermittelte Rechtsposition ist gleichwohl in gewissem Umfang rechtlich abgesichert und gefestigt. So ist eine Duldung vor Ablauf der zeitlichen Befristung zu widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen sind (§ 55 Abs. 5 AuslG). Ist der Ausländer länger als ein Jahr geduldet, muß ihm überdies gemäß § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG die Abschiebung drei Monate vorher angekündigt werden. Die Duldung bildet schließlich auch die Grundlage für arbeits- und sozialrechtliche Ansprüche und Vergünstigungen (vgl. insbesondere die Möglichkeit zur Erlangung einer Arbeitserlaubnis gemäß § 5 Satz 2 Arbeitserlaubnisverordnung). Diese weitergehenden Rechtsfolgen sind mit einer von dem Verwaltungsgericht ausgesprochenen Verpflichtung, von der Abschiebung des Ausländers vorläufig abzusehen, nicht verbunden. Hierbei handelt es sich nämlich um ein besonderes, vom materiellen Recht losgelöstes prozessuales Sicherungsmittel, zu dessen Anordnung das Gericht im Verfahren nach § 123 VwGO nach allgemeiner Rechtsauffassung befugt ist (vgl. beispielsweise VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 14. März 1979 - XI 226/79 -, ESVGH 30, 84, 85; Redeker-von Oertzen, VwGO, 9. Aufl., Rdnr. 19 zu § 123 VwGO: Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3. Aufl., Anm. 216).

Auch eine solche vorläufige Regelung kommt indessen vorliegend nicht in Betracht, denn die Antragsteller haben, wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, einen sicherungsfähigen Rechtsanspruch, dessen Verwirklichung durch die von ihnen geforderte Rückkehr in das Heimatland im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO erschwert werden könnte, nicht glaubhaft gemacht. Aus dem gleichen Grunde erscheint es auch nicht notwendig, die Antragsteller gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO vor etwaigen mit der Ausreise aus dem Bundesgebiet für sie einhergehenden wesentlichen Nachteilen zu bewahren.

Ein sicherungsfähiges Bleiberecht kann den Antragstellern vorliegend nur in Form eines Anspruches auf Erteilung einer Duldung gemäß § 55 Abs. 2 bzw. Abs. 3 AuslG zustehen, denn sie sind aufgrund der wirksamen und bestandskräftigen Verfügungen des Landrates des W kreises vom 28. November 1989 bzw. 2. Januar 1990 unanfechtbar ausreisepflichtig. Das auch der zuletzt genannte, die Antragsteller zu 2) und 3) betreffende Bescheid vom 2. Januar 1990 durch ordnungsgemäße Zustellung an die Antragstellerin zu 1) als gesetzliche Vertreterin der Antragsteller zu 2) und 3) gemäß § 41 Abs. 1 HVwVfG bekanntgegeben und damit wirksam geworden ist, hat bereits das Verwaltungsgericht mit umfassender und zutreffender Begründung dargelegt. Auf die diesbezüglichen Ausführungen der Vorinstanz auf Seite 6, 4. Absatz bis Seite 7, 1. Absatz der Beschlußausfertigung kann, um Wiederholungen zu vermeiden, gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO verwiesen werden.

Eine Duldung kann den Antragstellern indessen, worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat, allerdings weder gemäß § 55 Abs. 2 noch gemäß § 55 Abs. 3 AuslG erteilt werden.

Eine Verpflichtung zur Duldung der Antragsteller gemäß § 55 Abs. 2 AuslG besteht deshalb nicht, weil ihre Abschiebung weder aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich, noch durch landesinterne Regelung gemäß § 53 Abs. 6 bzw. § 54 AuslG ausgesetzt worden ist.

Zwar hat das Hessische Ministerium des Innern und für Europaangelegenheiten u. a. auch für (ehemalige) Asylantragsteller und Vertriebenenbewerber aus Polen Regelungen über die Aufnahme gemäß § 32 AuslG bzw. über die Aussetzung der Abschiebung gemäß § 54 AuslG erlassen. Die hierin genannten Voraussetzungen für die Einräumung eines zumindest vorübergehenden Bleiberechtes in der Bundesrepublik Deutschland erfüllen die Antragsteller indessen nicht. Nach dem geltenden Erlaß vom 14. Februar 1992 - III A 51-23 d - (StAnz. S. 968) ist nur denjenigen ehemaligen Asylbewerberinnen und Asylbewerbern aus Polen, die vor dem 1. Mai 1987 eingereist sind und den ersten Asylantrag vor dem 1. August 1987 gestellt haben, der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Zu diesem begünstigten Personenkreis gehören die Antragsteller nicht, denn sie sind erst am 6. August 1988 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und haben erst am 2. Dezember 1988 bei der Ausländerbehörde des M -Kreises um Asyl nachgesucht.

Die Abschiebung der Antragsteller ist weiterhin auch nicht im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich. Daß ihnen eine Rückkehr nach Polen tatsächlich unmöglich ist, haben die Antragsteller selbst nicht behauptet. Auch rechtliche Gründe stehen einer Abschiebung der Antragsteller in ihr Heimatland nicht entgegen. Weder liegt in ihrem Fall eines der in § 53 Abs. 1 bis 4 genannten Abschiebungshindernisse vor, noch hat eine Abschiebung der Antragsteller etwa deshalb zu unterbleiben, weil sie hierdurch von dem Ehemann der Antragstellerin zu 1), der wegen des noch laufenden Vertriebenenverfahrens weiterhin im Bundesgebiet geduldet wird, getrennt würden. Das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG, auf das sich im übrigen lediglich die Antragstellerin zu 1) als Ehefrau, nicht aber die mit dem Ehemann der Antragstellerin zu 1) in keinerlei familienrechtlichen Beziehungen stehenden Antragsteller zu 2) und 3) berufen können, reicht nicht so weit, daß auch den Familienangehörigen eines lediglich geduldeten Ausländers der vorübergehende Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht werden müßte. Zwar haben die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Anwendung ausländerrechtlicher Vorschriften dem grundrechtlich gewährleisteten Schutz von Ehe und Familie durch Berücksichtigung der bestehenden ehelichen und familiären Bindungen eines Ausländers im Bundesgebiet Rechnung zu tragen. Diese Belange gebieten die Einräumung eines Aufenthalts- oder sonstigen Bleiberechtes für die Familienangehörigen des Ausländers indessen nur dann, wenn dieser selbst einen gefestigten aufenthaltsrechtlichen Status besitzt, den er durch die gemeinsame Rückkehr in das Heimatland verlieren würde (vgl. BVerfG, Beschluß vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u. a. -, DVBl. 1988, 98 (100, 101)). Ein solches - dauerhaft - gesichertes Aufenthaltsrecht besteht bei einem Ausländer, der wie der Ehemann der Antragstellerin zu 1), zur Ausreise verpflichtet und nur vorübergehend im Bundesgebiet geduldet wird, nicht. Auch aus Art. 116 Abs. 1 GG ergeben sich weder für den Vertriebenenbewerber selbst, noch für seine Familienangehörigen irgendwelche aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen (vgl. BVerfG, Beschluß vom 25. Februar 1992 - 2 BvR 182/92 -, InfAuslR 1992, 131, 132).

Die beantragte Duldung kann den Antragstellern weiterhin auch nicht auf der Grundlage des § 55 Abs. 3 AuslG erteilt werden, denn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen, die die vorübergehende weitere Anwesenheit der Antragsteller im Bundesgebiet erforderten, liegen erkennbar nicht vor. Die von den Antragstellern angeführten "schwerwiegenden Nachteile" bei Rückkehr in das Heimatland, besonders die zu erwartenden Schwierigkeiten bei der schulischen Reintegration der Antragsteller zu 2) und 3), können nicht als gewichtige persönliche Gründe im Sinne der oben genannten ausländerrechtlichen Bestimmung berücksichtigt werden, denn hierbei handelt es sich um Schwierigkeiten, mit denen - wenn auch möglicherweise in unterschiedlichem Maße - letztlich jeder Ausländer konfrontiert ist, der nach längerer Anwesenheit im Bundesgebiet wieder in sein Heimatland zurückkehren muß.

Zur Duldung der Antragsteller ist der Antragsgegner, wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung mit anderen Ausländern gemäß Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet. Auch der Senat vermag Hinweise auf die von den Antragstellern behauptete Verwaltungspraxis, auch Ehegatten und minderjährige Kinder von Vertriebenenbewerbern bis zur Entscheidung über den von diesem gestellten Antrag nach dem Bundesvertriebenengesetz zu dulden, nicht zu erkennen. Der bereits oben zitierte Erlaß des Hessischen Ministeriums des Innern und für Europaangelegenheiten vom 14. Februar 1992 sieht ein solches vorläufiges Bleiberecht für Familienangehörige von Vertriebenenbewerbern nicht vor. Selbst wenn aber den Bestimmungen der verwaltungsinternen Regelung zuwider auch Ehegatten oder minderjährigen Kindern von Vertriebenenbewerbern der vorübergehende Aufenthalt im Bundesgebiet ermöglicht worden sein sollte, könnten die Antragsteller aus dieser rechtswidrigen Handhabung von vornherein nichts zu ihren Gunsten herleiten.