LG Köln, Urteil vom 22.03.2017 - 84 O 90/13
Fundstelle
openJur 2018, 7613
  • Rkr:
Tenor

I. Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 08.05.2013 (84 O 90/13), bestätigt durch Urteil des Landgerichts Köln vom 21.08.2013, wird mit Wirkung ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses aufgehoben.

II. Die nunmehrige Antragsgegnerin trägt sowohl die Kosten des Anordnungsverfahrens einschließlich des Widerspruchsverfahrens als auch die Kosten des Aufhebungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die nunmehrige Antragsgegnerin darf die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die nunmehrige Antragstellerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Sachverhalt ergibt sich aus dem nachstehend wiedergegebenen Urteil des Oberlandesgerichts Köln:

6 U 158/13

84 O 90/13 LG Köln

Anlage zum Verkündungsprotokoll vom

28. März 2014

Verkündet am

28. März 2014

Oberlandesgericht Köln

Im Namen des Volkes

URTEIL

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln

auf die mündliche Verhandlung vom 14. März 2014

durch seine Mitglieder

f ü r R e c h t e r k a n n t :

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 21.08.2013 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 84 O 90/13 - wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Gründe

I.

Die Beklagte betreibt eine Apotheke in den Niederlanden, von wo sie Arzneimittel an deutsche Kunden versendet. Sie warb seit dem Jahr 2000 mit Bonusmodellen, die sich an der Höhe der gesetzlichen Zuzahlung orientierten. Wegen von ihr im September 2012 und November 2012 angekündigter Gutschriftmodelle ging die Antragstellerin gerichtlich gegen sie vor. Ende April 2013 erfuhr sie, dass die Antragsgegnerin inzwischen mit einem dritten Modell warb, das Kunden für ihre Mithilfe beim Arzneimittel-Check pro Rezept bei einigen Erkrankungen 2,50 € bis 12 €, bei anderen Erkrankungen 2,50 € bis 20 € versprach. Sie erwirkte deshalb eine auf Unterlassung des Anbietens oder Gewährens einer Prämie in der konkreten Form lautende einstweilige Verfügung. Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen im Übrigen Bezug genommen wird, hat das Landgericht die einstweilige Verfügung bestätigt. Die Antragsgegnerin erstrebt im Berufungsrechtszug weiterhin deren Aufhebung und die Zurückweisung des Verfügungsantrags, hilfsweise Aussetzung des Verfahrens zur Einholung von Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union oder des Bundesverfassungsgerichts.

II.

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.

Zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen hat das Landgericht den Verfügungsantrag der Antragstellerin als zulässig und aus §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2 UWG in Verbindung mit § 78 AMG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 3 Abs. 1 AMPreisV begründet angesehen. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.

1. Weder besteht anderweitige Rechtshängigkeit (§ 261 ZPO) noch fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis für den Verfügungsantrag. Zwar spricht viel dafür, dass sich das damit angegriffene Prämienmodell von dem mit einstweiliger Verfügung des Landgerichts Köln vom 27.11.2012 - 84 O 245/12 LG - und Urteil desselben Gerichts vom 14.05.2013 - 84 O 3/13 = 6 U 103/13 OLG Köln - untersagten Modell nur in Punkten unterscheidet, die das Charakteristische der konkreten Verletzungsform unberührt lassen. Das steht der Zulässigkeit des Verfügungsantrags aber nicht entgegen. Der Gläubiger eines gerichtlichen Unterlassungstitels muss sich bei von dem untersagten Verhalten abweichenden Handlungen des Schuldners, die in den Kernbereich des Verbots fallen, nicht auf die Durchführung eines Ordnungsmittelverfahrens verweisen lassen, wenn dessen Ausgang ungewiss ist oder bezüglich des neuen Verstoßes Anspruchsverjährung oder Dringlichkeitsverlust drohen (vgl. BGH, GRUR 2011, 742 = WRP 2011, 873 [Rn. 20] - Leistungspakete im Preisvergleich; Senat, Urteil vom 24.08.2012 - 6 U 72/12 = MD 2013, 128 - Potticelli; Beschluss vom 14.12.2012 - 6 W 219/12 - myTV). Nachdem die Antragsgegnerin zwei früheren Bestrafungsanträgen wegen Zuwiderhandlung gegen die einstweilige Verfügung vom 27.11.2012 unter Ausschöpfung ihr zustehender Rechtsmittel entgegengetreten war (vgl. Senatsbeschlüsse vom 05.06.2013 - 6 W 69/13 - und 16.09.2013 - 6 W 146/13), konnte die Antragstellerin nicht mit einem schnelleren Erfolg auf diesem Weg rechnen und war es ihr nicht zuzumuten, von ihrem Verfügungsantrag gegen das in mehreren Punkten (Maximalprämie 20 € statt 15 €, fehlender Garantiebonus, zwei statt drei Prämienstufen) geänderte Prämienmodell abzusehen.

2. Die Dringlichkeitsvermutung (§ 12 Abs. 2 UWG) ist nicht widerlegt. Sogleich nach Entdeckung der geänderten Ausgestaltung des Prämienmodells anlässlich einer Gerichtsverhandlung am 24.04.2013 hat die Antragstellerin die Antragsgegnerin abgemahnt und am 03.05.2013 den Verfügungsantrag gestellt. Dringlichkeitsschädliches Verhalten der Antragstellerin während des laufenden Verfahrens ist nicht ersichtlich.

3. Die Beklagte hat mit der beanstandeten Ankündigung und Gewährung sogenannter Prämien den als Marktverhaltensregeln (§ 4 Nr. 11 UWG) anzusehenden Bestimmungen des deutschen Arzneimittelpreisrechts zuwidergehandelt.

a) Hiernach haben Apotheken bei der Abgabe von apothekenpflichtigen Fertigarzneimitteln an Endverbraucher einen einheitlichen Abgabepreis (§ 78 Abs. 2 S. 2 AMG) in Höhe von 3 Prozent über dem Nettoabgabepreis des pharmazeutischen Unternehmens zuzüglich 8,10 € und Umsatzsteuer (§ 3 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 AMPreisV) zu berechnen.

b) Diese Bestimmungen sind - wie § 78 Abs. 1 S. 4 AMG nunmehr klarstellt -auch auf Apotheken mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union anzuwenden, die wie die Antragsgegnerin solche Arzneimittel an deutsche Verbraucher im Wege des Versandhandels abgeben. Wie der Senat in seinen den Parteien und ihren Verfahrensbevollmächtigten bekannten beiden Urteilen vom 19.02.2014 - 6 U 103/13 und 6 U 113/13 - näher ausgeführt hat, verstößt diese Regelung weder gegen höherrangiges (Primär-) Recht der Europäischen Union noch gegen deutsches Verfassungsrecht.

Der Senat hat sich in den Urteilen vom 19.02.2014 der Auffassung angeschlossen, die zuvor der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes mit Beschluss vom 22.08.2012 - GmS-OGB 1/10 (BGHZ 194, 354 = GRUR 2013, 417 = WRP 2013, 621) - vertreten und eingehend begründet hat. Auf seine Darstellung der maßgeblichen Erwägungen, die für diese (laut Pressemitteilung vom Bundesgerichtshof in fünf Beschlüssen vom 26.02.2014 - I ZR 72/08, 77/09, 119/09, 120/09 und 79/10 - geteilten) Auffassung sprechen, nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug. Die von der Antragsgegnerin im Streitfall erneut vorgebrachten Gegengründe überzeugen den Senat auch nach nochmaliger Überprüfung nicht. Nach dem eigenen Vorbringen der Antragsgegnerin - in den früheren und im vorliegendem Verfahren - fehlt es bereits an einer diskriminierenden Ungleichbehandlung der Versandhandelsanbieter aus anderen Mitgliedsstaaten durch Bindung an die für die Abgabe an Endverbraucher geltenden Mindestpreise des deutschen Arzneimittelpreisrechts. Außerdem scheidet ein Verstoß gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit auch deshalb aus, weil die Anwendung der deutschen Bestimmungen nach Art. 36 AEUV zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gerechtfertigt wäre. Entsprechendes gilt für die geltend gemachte Verletzung des von der Antragsgegnerin in Anspruch genommenen Grundrechts der Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG. Konkrete neue Tatsachen, die in dieser Hinsicht zu einer anderen Beurteilung führen müssten, hat die Antragstellerin in vorliegender Sache - weiterhin - nicht dargetan. Insbesondere sind die von ihr in der Berufungsverhandlung vorgelegten Statistiken zur Entwicklung des deutschen Apothekenwesen nicht geeignet, eine relevante Verletzung der dem deutschen Gesetzgeber bei Ausübung seiner Einschätzungsprägorative gezogenen unionsrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Grenzen darzutun.

Für eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV oder an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG besteht danach kein sachlicher Grund; in formeller Hinsicht ist eine Aussetzung und Vorlage zudem nach dem Wesen des Eilverfahrens ausgeschlossen (vgl. Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 10. Aufl., Kap. 55 rn. 21 f.; Zöller / Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., vor § 916 Rn. 8 f.; jeweils m.w.N.).

c) Mit ihrer angegriffenen Werbung hat die Beklagte gegen die von ihr nach alledem zu beachtende deutsche Regelung des Apothekenabgabepreises verstoßen. Das streitbefangene Prämienmodell stellt sich in dieser Hinsicht als eine nach Lage der Dinge ebenso untaugliche Umgehungskonstruktion zur Gewährung unzulässiger Rabatte dar wie das ("15-€-Prämien"-) Modell, das Gegenstand des Senatsurteils vom 19.02.2014 - 6 U 103/13 - war.

Ein Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung liegt nicht nur vor, wenn ein Apotheker ein preisgebundenes Arzneimittel zu einem anderen als dem nach der Arzneimittelpreisverordnung zu berechnenden Preis abgibt, sondern auch, wenn für das preisgebundene Arzneimittel zwar der korrekte Preis angesetzt wird, dem Kunden aber gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen; insbesondere eine über einen bestimmten Geldbetrag lautende Gutschrift kann einen entsprechenden Vorteil darstellen (vgl. BGH, GRUR 2010, 1136 = WRP 2010, 1482 [Rn. 17 f.] - UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE; GRUR 2013, 1264 = WRP 2013, 1587 [Rn. 13] - RezeptBonus).

Die streitbefangenen "Geldprämien" stellen solche geldwerten Vorteile dar. Nach ihrer objektiven Zielrichtung und aus der Sicht eines verständigen Durchschnittsverbrauchers handelt es dabei um keine wirtschaftlich angemessenen Vergütungen für bestimmte Leistungen der Kunden, sondern um verschleierte Minderungen des Arzneimittelabgabepreises.

Dabei kommt es im Ergebnis nicht darauf an, ob Barrabatte bei der Abgabe von Arzneimitteln unabhängig von Wertgrenzen wettbewerblich stets unzulässig sind oder ob nach den für den Verletzungszeitpunkt (vor Neufassung des § 7 Abs. 1 Nr. 1 HWG mit Gesetz vom 07.08.2013, BGBl. I S. 3108) maßgeblichen, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen (vgl. BGH, GRUR 2010, 1136 = WRP 2010, 1482 [Rn. 24] - UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE) in Fällen, in denen es sich bei den gewährten Vergünstigungen um geringwertige Kleinigkeiten handelt, ein Verstoß gegen das Arzneimittelpreisrecht nicht geeignet ist, den Wettbewerb bzw. die Interessen von Marktteilnehmern in relevanter Weise zu beeinträchtigen. Denn selbst wenn danach der Beklagten in Einzelfällen (bei Gewährung von Gutschriften bis zu 1 € pro Medikament) kein spürbarer Wettbewerbsverstoß (§ 3 Abs. 1 und 2 S. 1 UWG) anzulasten sein mag (vgl. BGH, GRUR 2013, 1264 = WRP 2013, 1587 - RezeptBonus; GRUR 2013, 1262 = WRP 2013, 1590 - Rezept-Prämie), ist jedenfalls die mit der Klage in konkreter Form angegriffene Ankündigung und Gewährung einer Vergütung bis zu 20 € als unzulässige spürbare Einflussnahme auf die Entscheidungsfreiheit der angesprochenen Verbraucher anzusehen.

Diesem erheblichen Geldbetrag steht - entgegen dem Berufungsvorbringen - keine wirtschaftlich adäquate Gegenleistung der Kunden gegenüber, die geeignet sein könnte, die Unentgeltlichkeit der Vergünstigung auszuschließen oder ihre Spürbarkeit aufzuheben (vgl. Senat, GRUR-RR 2008, 446 [447] - Allinclusive Testwochen; GRUR-RR 2011, 380 - PTA-Gewinnspiel). Die von der Antragsgegnerin gegebene Begründung, dass die Prämie den Verbrauchern als Aufwandsentschädigung für die Mitwirkung bei der Qualitätssicherung der Beklagten gewährt werde, ist nach den Umständen des Streitfalles vielmehr als vorgeschoben anzusehen.

Weder in zeitlicher noch in wirtschaftlicher Betrachtung kann es überzeugen, dass die Beklagte die ihr nach niederländischem Recht obliegenden Pflichten zur Qualitätssicherung - denen sie nach eigenem Vorbringen schon seit langem nachzukommen hatte - erst zum Anlass für eine entgeltliche Beteiligung ihrer Kunden an einem Arzneimittel-Check genommen haben will, als sich für sie abzeichnete, dass ihre bisherigen, an die Rezepteinreichung anknüpfenden Boni mit gültigem deutschen Arzneimittelpreisrecht unvereinbar waren. Gegen ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen und für eine bewusst gewählte Ausweichkonstruktion spricht auch der Umstand, dass sie ihren Kunden im November 2012 zunächst ungefähr gleich hohe Prämien für ihre Teilnahme an dem nicht sehr genau beschriebenen Arzneimittel-Check anbot und später - nachdem das Landgericht diese Praxis mit einstweiliger Verfügung vom 27.11.2014 untersagt und zu erkennen gegeben hatte, das Verbot im Hauptsacheverfahren bestätigen zu wollen - die werblich herausgestellten, stark an das bisherige Bonusmodell erinnernden Modalitäten dieses "Prämienmodells" anpasste, ohne im Kern etwas an den Bedingungen der Prämiengewährung zu ändern. Nach wie vor knüpft die Zahlung der Prämie vorrangig an das vom Kunden übersandte Rezept und nur scheinbar an den durch die Mithilfe des Kunden beim Arzneimittelcheck ersparten Aufwand der Antragsgegnerin an. Die genaue Höhe der Prämie (zwischen 2,50 € und 20 €) hängt - soweit ersichtlich - nicht von im Einzelnen definierten Leistungen des Kunden im Rahmen der von der Antragsgegnerin zu erbringenden Verträglichkeitsprüfung, sondern von der Anzahl und dem Preis der verschriebenen Medikamente ab.

Zu Recht hat das Landgericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Beklagte bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln kein Entgelt für einen Arzneimittelcheck anbietet, obwohl bei diesen Medikamenten mangels vorangehender ärztlicher Prüfung und Verordnung objektiv kaum geringere Anforderungen an eine Wechselwirkungskontrolle und das Beratungsbedürfnis der Kunden bestehen. Dass in den Niederlanden bei rezeptfreien Medikamenten keine staatlich kontrollierte Qualitätssicherung stattfinden mag, belegt nicht, dass bei ihrer Lieferung nach Deutschland (ohne Bindung an Apothekenabgabepreise) ein solcher "Arzneimittelcheck" überflüssig wäre. Dagegen honoriert die Beklagte bei chronisch Kranken die Einreichung von Folgerezepten auch ohne Änderung der Patientenangaben zu seiner Disposition und anderen von ihm eingenommenen Medikamenten in gleicher Weise wie die Einreichung des Erstrezepts, was ebenfalls gegen eine an der Gegenleistung des Patienten orientierte Vergütung spricht.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.

Mit Urteil vom 19.10.2016 (C - 148/15) - H - hat der Europäische Gerichtshof wie folgt erkannt:

1. Art. 34 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die vorsieht, dass für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel einheitliche Apothekenabgabepreise festgesetzt werden, eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinn dieses Artikels darstellt, da sie sich auf die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch in anderen Mitgliedsstaaten ansässige Apotheken stärker auswirkt als auf die Abgabe solcher Arzneimittel durch im Inland ansässige Apotheken.

2. Art. 36 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die vorsieht, dass für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel einheitliche Apothekenabgabepreise festgesetzt werden, nicht mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen im Sinne dieses Artikels gerechtfertigt werden kann, da sie nicht geeignet ist, die angestrebten Ziele zu erreichen.

Unter Berufung auf dieses Urteil beantragt die nunmehrige Antragstellerin gemäß § 927 ZPO,

wie erkannt.

Die nunmehrige Antragsgegnerin beantragt,

die Anträge aus dem Schriftsatz vom 23.11.2016 zurückzuweisen.

Die nunmehrige Antragsgegnerin meint, es bestünden keine veränderten Umstände im Sinne des § 927 ZPO. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes führe nicht dazu, dass die einstweilige Verfügung nunmehr aufzuheben wäre. Die Unterlassungsansprüche ergäben sich aus § 7 HWG sowie aus dem Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und dem Deutschen Apothekerverband e.V. (GKV-Rahmenvertrag), dem die nunmehrige Antragstellerin beigetreten sei und sich demnach zur Einhaltung der Preisvorschriften nach § 78 AMG verpflichtet habe. Darüber hinaus sei die streitgegenständliche Werbung der nunmehrigen Antragstellerin auch irreführend im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 5, 5a UWG.

Die nunmehrige Antragstellerin tritt dem entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe:

Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 08.05.2013 (84 O 90/13), bestätigt durch Urteil des Landgerichts Köln vom 21.08.2013, war gemäß § 927 ZPO wegen veränderter Umstände mit Wirkung ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses aufzuheben.

Hierbei hat sich die Kammer von folgenden Erwägungen leiten lassen:

I. §§ 3, 4 Nr. 11 (jetzt § 3a), 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2 UWG i.V.m. § 78 AMG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 3 Abs. 1 AMPreisV

Auf diese Normen kann die einstweilige Verfügung der Kammer nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 10.10.2016 (C-148/15) nicht mehr gestützt werden. Dies steht zwischen den Parteien außer Streit, so dass sich weitere Ausführungen erübrigen.

II. §§ 3, 4 Nr. 11 (jetzt § 3a), 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2 UWG i.V.m. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HWG

Zwar hat die Kammer das Verbot auch auf diese Norm gestützt (vom OLG Köln im Berufungsurteil wohl offengelassen, jedenfalls werden dort nur die unter Ziffer I. angeführten Normen genannt). Auch haben sowohl die Kammer als auch das OLG Köln § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HWG auch in anderen zwischen den Parteien geführten Verfahren bei ähnlichen Fallkonstellationen entgegen der Ansicht der nunmehrigen Antragstellerin für anwendbar und tatbestandlich als erfüllt angesehen. Nach Auffassung der Kammer kann das Verbot nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes aber nicht mehr auf § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HWG gestützt werden. Zum einen ist die Rückausnahme des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 2 HWG ("Zuwendungen oder Werbegaben nach Buchstabe a sind für Arzneimittel unzulässig, soweit sie entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die aufgrund des Arzneimittelgesetzes gelten") auf ausländische Versandapotheken ebenfalls nicht mehr anwendbar. Zum anderen teilt die Kammer die Auffassung der nunmehrigen Antragstellerin, dass die unionsrechtlichen Aspekte, die der Europäische Gerichtshof angeführt hat, entsprechend auf § 7 HWG zu übertragen sind. Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes folgt, dass EU-ausländische Versandapotheken sich nicht an die Preisbindung halten müssen, d.h. die deutschen Festpreise für Arzneimittel unterschreiten dürfen. Dann aber muss es ihnen auch möglich sein, einen Barrabatt, einen Bonus oder einen sonstigen geldwerten Vorteil zu gewähren, der den Erwerb festpreisgebundener Arzneimittel günstiger erscheinen lässt. Dies folgt auch aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes, das gerade zu einem Bonussystem ergangen ist. Zudem haben sowohl die Kammer als auch der Senat die bisherigen Prämienmodelle der nunmehrigen Antragstellerin als Umgehungskonstruktion zur Gewährung nach der arzneimittelrechtlichen Preisbindung unzulässiger Rabatte angesehen. Man kann nicht einerseits EU-ausländischen Versandapotheken das Recht einräumen, mittels frei von ihnen zu bestimmender Preise Zugang zum deutschen Markt zu erhalten, andererseits aber die Art und Weise, wie ein geldwerter Vorteil gewährt wird, mittels des § 7 HWG wiederum einschränken. Dabei hat die Kammer nicht verkannt, dass das HWG und damit auch die Vorschrift des § 7 HWG einen anderen Schutzzweck hat als die Regelungen zur arzneimittelrechtlichen Preisbindung. Ein auf § 7 HWG gestütztes Unterlassungsgebot würde jedoch ebenfalls eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinn des Art. 34 AEUV darstellen.

III. § 7 Abs. 1 S. 1 HWG

In ihrem Schriftsatz vom 19.12.2016 (dort S. 10 ff.) stellt die nunmehrige Antragsgegnerin nicht mehr auf § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HWG, sondern auf § 7 Abs. 1 S. 1 HWG ab, indem sie unter Berufung auf eine Urteil des OLG Köln vom 01.07.2016 (6 U 151/15) ausführt, bei dem beanstandetem Prämienmodell handele es sich nicht um einen Barrabatt, sondern um eine Werbegabe.

Ob ein Barrabatt oder eine Werbegabe vorliegt, kann dahinstehen. Offenbleiben kann auch, ob die nunmehrige Antragsgegnerin im Aufhebungsverfahren nach § 927 ZPO die Begründung für die Aufrechterhaltung des gerichtlichen Verbotes auswechseln kann (vgl. später unter IV.).

Jedenfalls gelten die unionsrechtlichen Erwägungen, die die Kammer zu § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HWG angestellt hat (vgl. oben II.) auch im Rahmen des § 7 Abs. 1 S. 1 HWG.

IV. Verstoß gegen die Preisbindung kraft GKV-Rahmenvertrages

1) Insoweit ist es der nunmehrigen Antragsgegnerin jedenfalls im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren verwehrt, sich auf diesen völlig neuen Lebenssachverhalt, der erstmals im Schriftsatz vom 19.12.2016 vorgetragen worden ist, zu stützen.

Zwar ist vom Ansatz her zutreffend, dass sich die Prüfung innerhalb eines Aufhebungsverfahrens nach § 927 ZPO auch auf Beanstandungen erstrecken kann, auf die das Gericht die Unterlassungsverfügung ursprünglich nicht gestützt hat. Voraussetzung ist aber, dass der Antragsteller des einstweiligen Verfügungsverfahrens (hier also die Apothekerkammer Nordrhein) sich bereits im Anordnungsverfahren hierauf gestützt und auch die erforderlichen Tatsachen vorgetragen hat (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 22.05.2014 - 6 U 24/14 - Ciclopoli; OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.10.2014 - 6 U 92/14; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, § 12 Rn. 3.56). Hieran fehlt es, da von einem Verstoß gegen die Preisbindung kraft GKV-Rahmenvertrages im Anordnungsverfahren nicht ansatzweise die Rede war.

Darüber hinaus fehlt es wegen dieses neuen Anspruchsgrundes an der Dringlichkeit, da die nunmehrige Antragsgegnerin diesen ohne weiteres bereits in der Antragsschrift hätte vortragen können (OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.10.2014 - 6 U 92/14 - Rn. 10).

2) Aber selbst wenn sich - wie nicht - die nunmehrige Antragsgegnerin im Aufhebungsverfahren nach § 927 ZPO auf den behaupteten Verstoß gegen die Preisbindung kraft GKV-Rahmenvertrages berufen könnte, könnte der Bestand der einstweiligen Verfügung hierauf nicht gestützt werden.

a) Zum einen ist bereits fraglich, ob der GKV-Rahmenvertrag eine Marktverhaltensregel im Sinne des § 3a UWG (früher § 4 Nr. 11 UWG) darstellt. Erfasst werden nur gesetzliche Vorschriften, mithin jede Rechtsnorm. Mangels normativer Verbindlichkeit fallen privatautonome oder von Verbänden aufgestellte Regelungen - Vertragspartner des GKV-Rahmenvertrages sind der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und dem Deutschen Apothekerverband e.V. - nicht darunter (Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Auflage 2017, § 3a Rn. 1.52 - 1.60). Gegen die Einordnung als Marktverhaltensregel spricht auch, dass der GKV-Rahmenvertrag in § 11 Abs. 1 regelt, dass allein die zuständigen Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen bei Verstößen Maßnahmen aussprechen können. Ein Sanktionsrecht durch außenstehende Dritte sieht der GKV-Rahmenvertrag, an dem die nunmehrige Antragsgegnerin nicht beteiligt ist, unstreitig nicht vor.

b) Zum anderen gelten die unionsrechtlichen Erwägungen, die die Kammer zu § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HWG angestellt hat (vgl. oben II.) auch hinsichtlich des GKV-Rahmenvertrages. Ein auf den GKV-Rahmenvertrag gestütztes Unterlassungsgebot würde ebenfalls eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinn des Art. 34 AEUV darstellen. Dies sieht auch der GKV-Spitzenverband selbst so. Insoweit verweist die Kammer auf dessen nachstehend wiedergegebene Stellungnahme vom 13.02.2017, die in anderen zwischen den Parteien anhängigen Verfahren zu den Akten gereicht worden ist:

Wenn selbst der GKV-Spitzenverband als maßgebliche Vertragspartei einen Verstoß gegen die Regelungen des GKV-Rahmenvertrages nicht anzunehmen vermag, kann sich die nunmehrige Antragsgegnerin als außenstehende Dritte nicht zur "Hüterin des Rechts" aufschwingen und eine (nach ihrer Auffassung vorliegende) Vertragsverletzung unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten geltend machen.

V. Irreführung gemäß §§ 5, 5a UWG

Auch hierauf war der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ersichtlich nicht gestützt. Gerügt wurde einzig und allein der Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung. Zwar finden sich auch in der Antragsschrift Ausführungen zur Widersprüchlichkeit der Ausführungen der nunmehrigen Antragstellerin im Internet (dort S. 10 f.). Dies erfolgte aber zur Begründung, dass der Arzneimittelcheck nicht geeignet sei, die unmittelbare Kopplung der Prämiengewährung von der Rezepteinlösung aufzulösen. Auf Irreführungsaspekte als Gründe für die Aufrechterhaltung der einstweiligen Verfügung kann die nunmehrige Antragsgegnerin sich daher ausweislich der Ausführungen zu IV. 1) nicht stützen.

Unabhängig davon wären Irreführungsaspekte nicht geeignet, das beantragte und erwirkte Verbot des Anbietens und Gewährens der 20 €-Prämie als solche zu rechtfertigen. Unter Irreführungsgesichtspunkten könnten allenfalls die zur Irreführung der Verbraucher geeigneten Passagen des Internetauftritts der Antragstellerin verboten werden.

VI. Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 08.05.2013 (84 O 90/13), bestätigt durch Urteil des Landgerichts Köln vom 21.08.2013, war daher gemäß § 927 ZPO wegen veränderter Umstände mit Wirkung ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses, mithin ex tunc, aufzuheben.

Die Anordnung der einstweiligen Verfügung war im Lichte des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 19.10.2016 von Anfang an unbegründet, sie hätte bei zutreffender Gesetzesanwendung nicht erlassen werden dürfen. Durch eine Änderung der Rechtsprechung (hier: Abweichung vom Beschluss des Gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 22.08.2012 - GmS-OGB 1/10 - BGHZ 194, 354 = GRUR 2013, 417 = WRP 2013, 621) wird keine neue Rechtslage geschaffen, sondern nur festgestellt, wie die maßgeblichen Rechtsfragen von Anfang an richtigerweise hätten beantwortet werden müssen. Es liegt daher ein Fall einer von Anfang an unbegründeten Entscheidung vor (vgl. hierzu anschaulich: Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 28.01.2016 - 6 U 4/15 -, juris), so dass die einstweilige Verfügung der Kammer mit Wirkung ex tunc aufzuheben war.

VII. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 6 ZPO.

Die nunmehrige Antragsgegnerin hat auch die Kosten des Anordnungsverfahrens, mithin die gesamten Kosten, zu tragen.

Wie unter VI. ausgeführt, liegt ein Fall einer von Anfang an unbegründeten Entscheidung vor, so dass der im Rahmen des § 927 ZPO geltende Grundsatz der Kostentrennung nicht zur Anwendung kommt und eine Änderung der Kostenentscheidung des Anordnungsverfahrens zulässig und geboten erscheint (vgl. hierzu anschaulich: Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 28.01.2016 - 6 U 4/15 -, juris). Auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 28.01.2016 - 6 U 4/15 -, juris Rn. 17 ff.) kann sich die nunmehrige Antragsgegnerin nicht berufen. Zwar stritt die höchstrichterliche Rechtsprechung des Gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 22.08.2012 (GmS-OGB 1/10 - BGHZ 194, 354 = GRUR 2013, 417 = WRP 2013, 621) für die nunmehrige Antragsgegnerin. Die nunmehrige Antragstellerin hatte jedoch bereits vor Erlass der einstweiligen Verfügung durch Hinterlegung einer Schutzschrift auf die Unionsrechtswidrigkeit der arzneimittelrechtlichen Preisbindung hingewiesen, die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof beantragt und ihre rechtliche Sicht der Dinge stets weiter vertreten. Die nunmehrige Antragsgegnerin konnte daher nicht mit Gewissheit davon ausgehen, dass die deutsche höchstrichterliche Rechtsprechung auch vor dem Europäischen Gerichtshof Bestand haben wird. Es muss daher bei dem Grundsatz verbleiben, dass bei einer von Anfang an unbegründeten Anordnung im Aufhebungsverfahren auch die Kostenentscheidung zu ändern ist.

Streitwert für das Aufhebungsverfahren: wie im Anordnungsverfahren 100.000,00 €