OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.03.1997 - 5 B 3201/96
Fundstelle
openJur 2012, 76307
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 4.500,-- DM festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat den gemäß § 80 Abs. 5 VwGO

erhobenen Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der

aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 5. September 1996

gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom

3. September 1996 zu Recht zurückgewiesen. Die im Rahmen

dieser Vorschrift vorzunehmende Abwägung zwischen dem privaten

Interesse des Betroffenen, von dem Sofortvollzug bis zum

Abschluß des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, und

dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung der

für notwendig gehaltenen Maßnahmen zum Schutze der

Allgemeinheit fällt zu Lasten des Antragstellers aus.

Bei der im vorläufigen Verfahren gebotenen summarischen

Prüfung der Sach- und Rechtslage erweist sich die angefochtene

Ordnungsverfügung vom 3. September 1996 als rechtmäßig.

1. Der Antragsgegner durfte die Untersagung der

Hundehaltung und die damit verbundene Aufforderung, den Hund

an ein Tierheim abzugeben, auf § 14 OBG NW stützen, um eine

Störung der öffentlichen Sicherheit abzuwehren. Der

Antragsteller hält einen gefährlichen Hund i.S.d. § 1

Buchst. b der Ordnungsbehördlichen Verordnung über die Zucht,

die Ausbildung, das Abrichten und das Halten gefährlicher

Hunde (GefHuVO NW) vom 21. September 1994 (GV NW S. 1086 und

1140) ohne die hierfür gemäß § 2 Abs. 1 GefHuVO NW

erforderliche ordnungsbehördliche Erlaubnis (unter b). Weder

wird § 14 OBG NW durch § 6 GefHuVO NW verdrängt (unter a) noch

wird die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung dadurch in Frage

gestellt, daß die in der GefHuVO NW geregelten Voraussetzungen

für die Erteilung der Erlaubnis teilweise nichtig sind

(unter c).

a) Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß

§ 14 OBG NW nicht durch § 6 GefHuVO NW, wonach das Halten

eines gefährlichen Hundes bei Vorliegen einer Gefahr für Leben

oder Gesundheit von Menschen oder Tieren untersagt werden

kann, verdrängt wird. Abgesehen davon, daß der

Verordnungsgeber zu einer derartigen Einschränkung des § 14

OBG NW nicht ermächtigt wäre, bestehen auch keine

Anhaltspunkte, daß mit § 6 GefHuVO NW eine abschließende

Regelung dergestalt angestrebt ist, daß ein Rückgriff auf die

Generalermächtigung des § 14 OBG NW ausgeschlossen sein

soll.

Vgl. auch Verwaltungsvorschriften

zur Anwendung der GefHuVO NW (MBl. NW

1995, 1406), zu § 6.

b) Das Verwaltungsgericht hat ferner zutreffend dargelegt,

daß es sich bei dem vom Antragsteller gehaltenen Pitbull-

Staffordshire-Terrier-Mischlingsrüden "S. " um einen

bissigen und damit gefährlichen Hund i.S.d. § 1 Buchst. b

GefHuVO NW handelt. Eine Bissigkeit im Sinne dieser Vorschrift

liegt nicht bereits bei jeder Beißerei zwischen Hunden vor.

Das Beißen als artgemäße Verhaltensweise des Hundes kann nur

im Zusammenhang mit den gesamten Begleitumständen eine

"Bissigkeit" begründen. Bei einem Beißvorfall zwischen Hunden

erweist sich ein Hund insbesondere dann als bissig, wenn er

einen anderen Hund gebissen und verletzt hat, ohne selbst von

diesem angegriffen worden zu sein, oder wenn er einen anderen

Hund trotz dessen erkennbarer artüblicher Unterwerfungsgestik

gebissen hat.

Vgl. zum Ganzen

Verwaltungsvorschriften zur Anwendung

der GefHuVO NW (MBl. NW 1995, S. 1406),

Nr. 4.1 zu § 2.

Hiervon ausgehend hat sich bei der gebotenen summarischen

Prüfung der Hund des Antragstellers als "bissig" erwiesen. Er

hat am 14. April 1996 einem Labrador-Rüden - trotz dessen

Unterwerfungshaltung - mehrere schwere Bißwunden am Hals

beigebracht und konnte von diesem nur durch tätliches

Einwirken der betroffenen Hundehalter getrennt werden. Auf die

umfangreichen und zutreffenden Ausführungen des

Verwaltungsgerichts, die durch das den Vorfall lediglich

bagatellisierende Beschwerdevorbringen nicht entkräftet worden

sind, kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden

122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Ob der Hund des Antragstellers darüber hinaus, wie das

Verwaltungsgericht meint, auch gefährlich i.S.d. § 1 Buchst. a

GefHuVO NW ist, kann offenbleiben. Jedenfalls bedarf der

Antragsteller für die Haltung seines Hundes "S. " einer

Erlaubnis nach § 2 Abs. 1 GefHuVO NW. Eine solche Erlaubnis

besitzt der Antragsteller nicht; er hat sie trotz Hinweises

und Aufforderung durch den Antragsgegner bislang auch nicht

beantragt.

c) Die Ordnungsverfügung ist auch nicht deshalb

rechtswidrig, weil die ihr zugrundeliegenden Vorschriften der

GefHuVO NW über das Halten gefährlicher Hunde der

Rechtsgültigkeit entbehrten. Allerdings verstößt § 3 Satz 1

GefHuVO NW gegen höherrangiges Recht und ist nichtig; diese

Teilnichtigkeit der GefHuVO NW führt jedoch nicht zur

Rechtswidrigkeit der Ordnungsverfügung.

(1) Die auf § 26 OBG NW beruhende GefHuVO NW genügt den

Formerfordernissen des § 30 OBG NW für ordnungsbehördliche

Verordnungen. Insbesondere ist der örtliche Geltungsbereich in

der GefHuVO NW angegeben (§ 30 Nr. 5 OBG NW).

Vgl. dazu OVG Lüneburg, Urteil vom

13. Juni 1952 - III OVG A 407/51 -,

OVGE 5, 508 ff.; OLG Schleswig, Urteil

vom 31. Oktober 1951 - Ss 293/51 -, NJW

1952, 317.

Zwar enthält weder die Präambel (Einleitung) - wie es der

Verwaltungsübung in Nordrhein-Westfalen entspricht - noch der

nachfolgende Text der Verordnung einen ausdrücklichen Hinweis

auf den örtlichen Geltungsbereich; aus der amtlichen

Óberschrift und Abkürzung "GefHuVO NW" ist jedoch für jeden

Normadressaten erkennbar, daß sich die vom Ministerium für

Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-

Westfalen erlassene Verordnung auf das gesamte Land Nordrhein-

Westfalen erstrecken soll.

(2) Die Regelung des § 2 GefHuVO NW, die Halter

gefährlicher Hunde einer an Zuverlässigkeit und Sachkunde

geknüpften Erlaubnispflicht unterwirft, begegnet keinen

rechtlichen Bedenken. Die damit verbundenen Einschränkungen

der allgemeinen Handlungsfreiheit der Hundehalter sind

gerechtfertigt, weil sie dem Schutz von Menschen und Tieren

vor gefährlichen Hunden dienen. Das präventive Verbot mit

Erlaubnisvorbehalt erscheint geeignet, den von diesen Hunden

ausgehenden Gefahren zu begegnen. Das Verhalten des Halters

gegenüber seinem Hund wird allgemein als eine maßgebliche

Ursache für Aggressivität und Gefährlichkeit von Hunden

angesehen.

Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil

vom 18. August 1992 - 1 S 2550/91 -,

NVwZ 1992, 1105, 1109 f.; Bay VerfGH,

Entscheidung vom 12. Oktober 1994

- Vf. 16-VII-92 und Vf. 5-VII-93 -,

BayVBl. 1995, 76 und 109, 110 je

m.w.N.

Gemessen an der Bedeutung der zu schützenden Rechtsgüter

stellt der Erlaubnisvorbehalt auch keine unverhältnismäßige

Einschränkung der Handlungsfreiheit dar.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die

Erlaubniserteilung sind hinreichend bestimmt. Die

Anforderungen an die Sachkunde lassen sich mit Blick auf den

Regelungszweck der Verordnung hinreichend genau ermitteln.

(3) Soweit die GefHuVO NW in § 3 Satz 1 vorsieht, daß die

erforderliche Sachkunde durch eine Sachkundebescheinigung des

Verbandes für das Deutsche Hundewesen e.V. (VDH) oder eine

Sachkundeprüfung des VDH oder des Landestierschutzverbandes

NRW e.V. erbracht wird, verstößt sie gegen Art. 20 Abs. 2 und

3 GG und ist nichtig. Der VDH und der Landestierschutzverband

sind mangels einer gesetzlichen Grundlage nicht wirksam mit

der Wahrnehmung öffentlichrechtlicher Funktionen betraut

worden.

(a) Bei der den beiden Verbänden durch § 3 Satz 1

GefHuVO NW in Verbindung mit der sogenannten

Kooperationsvereinbarung (MBl. NW 1995, 1575) übertragenen

Tätigkeit handelt es sich um die Wahrnehmung staatlicher

Aufgaben. Die beiden Verbände werden als "Beliehene"

hoheitlich tätig; denn sie haben in eigener Verantwortung und

Zuständigkeit einen Teil der der Ordnungsbehörde obliegenden

Prüfung der Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung nach

§ 2 GefHuVO NW wahrzunehmen. Nach der Regelungskonzeption des

Verordnungsgebers,

siehe hierzu auch die

Verwaltungsvorschriften zur Anwendung

der GefHuVO NW (MBl. NW 1995,

1406),

hat die Prüfungstätigkeit der beiden Verbände nicht

lediglich vorbereitenden oder unterstützenden Charakter; sie

erfolgt nicht in der Art einer bloßen

Sachverständigenbefragung oder -begutachtung. Vielmehr

befinden die beiden Verbände abschließend und verbindlich

darüber, ob die Sachkunde eines betroffenen Hundehalters

gegeben ist. Wird der Sachkundeprüfungsnachweis von einem der

beiden Verbände erteilt, hat die Ordnungsbehörde - bei

Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - die Erlaubnis nach

§ 2 GefHuVO NW zu erteilen; wird der Nachweis wegen

Nichtbestehens der Prüfung nicht erteilt, versagt die

Ordnungsbehörde die Erlaubnis. Dabei kann dahinstehen,

inwieweit die beiden Verbände hoheitliche Maßnahmen mit

Außenwirkung oder lediglich - wofür viel spricht -

unselbständige Feststellungen behördeninterner Art

treffen,

zum vergleichbaren Problem amtlich

anerkannter Prüfer und Sachverständiger

bei der Erteilung der Fahrerlaubnis

vgl. etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil

vom 24. März 1965 - 2 A 88/64 -, NJW

1965, 1622 f.;

denn die Ausübung hoheitlicher Tätigkeit setzt eine

Zuständigkeit zum Erlaß von (außenwirksamen) Verwaltungsakten

nicht zwingend voraus,

vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November

1971 - 1 C 7.70 -, DÖV 1972, 500, 501

m.w.N.

(b) Die Óbertragung der beschriebenen Aufgabe auf die

beiden privatrechtlichen Verbände bedurfte einer gesetzlichen

Legitimation. Eine "Beleihung" von Privatpersonen ist nur

wirksam, wenn sie durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes

erfolgt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. März 1969

- 7 C 37.67 -, DVBl. 1970, 735, 736;

BVerwG, Urteil vom 19. März 1976

- 7 C 67/72 -, VerwRspr. 28, Nr. 50

S. 214, 221; OVG NW, Urteil vom

13./27. September 1979 - 16 A 2693/78 -,

NJW 1980, 1406, 1407; Steiner, JUS 1969,

69, 73 m.w.N.; Ossenbühl, VVDStRL 29,

137, 169 ff. m.w.N.

Daran fehlt es hier. Zwar ermächtigt § 26 OBG NW zum Erlaß

von ordnungsbehördlichen Verordnungen zur Abwehr von Gefahren

für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, nicht jedoch zur

Beleihung der beiden Verbände oder anderer (privater) Dritter.

Darüber hinaus erfordert das Demokratiegebot (Art. 20

Abs. 2 GG) eine demokratische Legitimation und Kontrolle von

mit Verwaltungsaufgaben betrauten Privaten.

Vgl. Ossenbühl, a.a.O., S. 159 ff.;

Wolff/Bachhof/Stober,

Verwaltungsrecht II, 5. Aufl. 1987,

§ 104 Rdnr. 7.

Bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen

Prüfung ist nicht erkennbar, daß die beiden Verbände der

staatlichen Aufsicht und Kontrolle unterliegen, soweit sie

öffentlichrechtliche Aufgaben wahrnehmen. Der Vorbehalt in

Nr. 5 der sogenannten Kooperationsvereinbarung, daß die

Sachkundeprüfung "nach den vom MURL anerkannten Vorschriften"

durchzuführen ist, stellt keine staatliche Kontrolle der in

Anwendung der genannten Vorschriften durchgeführten

Prüfungstätigkeit dar.

(c) Die Nichtigkeit des § 3 Satz 1 GefHuVO NW führt indes

nicht zur Nichtigkeit der sonstigen Bestimmungen über den

Erlaubnisvorbehalt oder gar der GefHuVO NW insgesamt. Aus der

Nichtigkeit einzelner Vorschriften folgt die Nichtigkeit der

ganzen Rechtsverordnung nur dann, wenn die übrigen mit der

Rechtsordnung zu vereinbarenden Bestimmungen keine

selbständige Bedeutung haben oder wenn sie mit der nichtigen

Vorschrift eine untrennbare Einheit bilden.

Vgl. zur (Teil-)Nichtigkeit von

Gesetzen BVerfG, Beschluß vom

12. November 1958 - 2 BvL 4, 26, 40/56,

1, 7/57 -, BVerfGE 8, 274, 301; BVerfG,

Beschluß vom 31. Mai 1990 - 2 BvL 12,

13/88, 2 BvR 1436/87 -, BVerfGE 82,

159, 189 m.w.N.

Die sonstigen Vorschriften der GefHuVO NW, einschließlich

der Regelungen über den Erlaubnisvorbehalt, können sinnvoll

für sich bestehen und vollzogen werden. Óber das Vorliegen der

nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 GefHuVO NW erforderliche Sachkunde ist,

solange der Sachkundenachweis nicht verfassungsgemäß neu

geregelt worden ist, von der für die Erlaubniserteilung

zuständigen Ordnungsbehörde in eigener Verantwortung

- gegebenenfalls unter Einbeziehung sachkundiger Dritter - zu

entscheiden.

Die Rechtmäßigkeit der hier angegriffenen Ordnungsverfügung

wird mithin von der Nichtigkeit des § 3 Satz 1 GefHuVO NW

nicht berührt.

d) Die angegriffene Ordnungsverfügung ist auch im übrigen

rechtlich nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht hat

zutreffend ausgeführt, daß die in der Ordnungsverfügung

getroffene Anordnung geeignet, notwendig und verhältnismäßig

ist.

2. Die Androhung unmittelbaren Zwangs findet ihre

Rechtsgrundlage in §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 3, 58, 62 und

63 VwVG NW.

3. Bei der weiteren, über die Erfolgsaussichten im

Hauptsacheverfahren hinausgehenden Interessenabwägung

überwiegt ebenfalls das öffentliche Interesse. Es besteht ein

erhebliches öffentliches Interesse daran, während des

Rechtsmittelverfahrens Gefahren für Leben und Gesundheit von

Menschen sowie das Eigentum Dritter abzuwenden; dem steht

lediglich das nachrangige Interesse des Antragstellers an

einer privaten Hundehaltung gegenüber. Im Rahmen der Abwägung

ist ferner zu berücksichtigen, daß es in der Macht des

Antragstellers liegt, die Voraussetzungen für die

Erlaubniserteilung herbeizuführen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die

Streitwertfestsetzung beruht auf § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1

GKG.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25

Abs. 3 Satz 2 GKG).