OLG München, Urteil vom 04.08.2009 - 5 U 2971/09
Fundstelle
openJur 2012, 102188
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Landshut vom 19. März 2009 aufgehoben.

II. Die Klage wird abgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckbaren Betrags leistet.

V. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 11. März 2005 am 01. Juli 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Er macht im vorliegenden Verfahren den zweitrangigen Teil eines Rückgewähranspruches nach Insolvenzanfechtung geltend.

Die Schuldnerin bot unter der Produktbezeichnung „P. M. A.“ (nachfolgend: PMA) ihren Kunden die Möglichkeit an, am Erfolg oder Misserfolg von Optionsgeschäften teilzunehmen. Sie warb mit jährlich zu erzielenden Renditen zwischen 8,7 % und 14,07 %. Der Beklagte erklärte am 26. Februar 1996 seinen Beitritt. Im Zeitraum seiner Beteiligung erlitt die Schuldnerin tatsächlich Verluste. Um diese zu verschleiern, leitete sie den Anlegern Kontoauszüge zu, in denen frei erfundene Gewinne ausgewiesen waren. Die Gelder der Anleger wurden nur zu einem geringen Teil und später überhaupt nicht mehr in Termingeschäften angelegt. Die Einlagen von Neukunden verwendete die Schuldnerin in der Art eines „Schneeballsystems“ für Aus- und Rückzahlungen an Altkunden.

Der Beklagte leistete am 01. März 1996 eine Einlage von umgerechnet € 15.338,76 (DM 30.000,00) zuzüglich eines Agios von umgerechnet € 997,02 (DM 1.950,00), insgesamt € 16.335,78 (DM 31.950,00). Er erhielt am 31.Dezember 2001 eine Auszahlung von umgerechnet € 14.316,17 (DM 28.000,00) und am 31. Oktober 2002 eine solche von € 5.000,00.

Mit seiner vor dem Amtsgericht Landshut unter dem Aktenzeichen 2 C 1317/08 rechtshängigen Klage verlangt der Kläger als erstrangigen Teil des Anspruches aus Insolvenzanfechtung den Differenzbetrag zwischen den an den Beklagten geleisteten Auszahlungen und seiner Einlage (€ 3.977,41).

Die Höhe seines Rückgewähranspruches aus Insolvenzanfechtung beziffert der Kläger, gestützt auf die Darstellung über die „Verteilung des realen Handelsergebnisses und Neuberechnung der Gebühren für Managed-Account-Konten“ des Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters O. L. vom 09. März 2007 (Anlage K 10), auf insgesamt € 13.100,40 (Anlage K 11). Als zweitrangigen Teil dieses Anspruches fordert der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit den den Klageantrag im amtsgerichtlichen Verfahren überschießenden Betrag von € 9.122,99 zuzüglich Zinsen hieraus. Der Berechnung liegt die Annahme zugrunde, dass nach Anfechtung des ausbezahlten Scheingewinnes alles zurückzugewähren sei, was den Betrag übersteigt, der sich als Einlagenrückzahlungsanspruch des Anlegers unter Zugrundelegung der Vertragsbedingungen der PMA-Anlage errechnen würde. Demgemäß hat der Kläger die nach seiner Darstellung real erlittenen Handelsverluste im PMA-Segment auf die Einlagen der Anleger umgelegt und auf der Grundlage des so ermittelten „bereinigten“ Kontostandes die vertragliche Bestandsprovision berechnet und dem Anlegerkonto belastet. Die Differenz zwischen dem so berechneten Aus- und Rückzahlungsanspruch des Anlegers und den tatsächlich geleisteten Auszahlung(en) stellt nach Ansicht des Klägers den Rückgewähranspruch aus Insolvenzanfechtung dar.

Der Beklagte bestreitet die Richtigkeit der der Berechnung zugrunde gelegten Tatsachen und hält die Rechtsansicht des Klägers zum Umfang des Anspruches aus Anfechtung für unzutreffend.

Das Landgericht hat am 19. März 2009 die Klage in vollem Umfang zugesprochen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten mit dem Ziel der Klageabweisung.

Im Übrigen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 04. August 2009 Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Beklagten erweist sich als begründet und führt zur Abweisung der Klage.

Der Insolvenzverwalter kann die Auszahlung von im sog. Schneeballsystem erzielten Scheingewinnen durch die spätere Insolvenzschuldnerin als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 InsO anfechten mit der Folge der Rückgewähr in das Vermögen der Insolvenzschuldnerin im Umfang des § 143 Abs. 2 InsO (BGH, Urteile vom 11.12.2008 - IX ZR 195/07, NJW 2009, 363 und vom 25.06.2009 – IX ZR 157/08).

11Danach hat der Empfänger, der – wie vorliegend – nicht weiß und nach den Umständen auch nicht wissen muss, dass die unentgeltliche Leistung die Gläubiger benachteiligt, die erlangte unentgeltliche Leistung gemäß den Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung zurückzugewähren, soweit er durch die Leistung bereichert ist, § 143 Abs. 2 Satz 1 InsO i.V.m. § 818 BGB. Bei Eintritt in den Anfechtungszeitraum ergab sich für den Beklagten bei Anwendung der Saldotheorie ein Guthaben in Höhe des vollen Einlagebetrages von € 15.338,76, auf welches die Schuldnerin in der Folgezeit Zahlungen von insgesamt € 19.316,17 geleistet hat, weshalb sich der Rückgewähranspruch (nur) in Höhe des anderweitig rechtshängigen Betrages von € 3.977,41 berechnet. Der Wert der in das Vermögen des Anfechtungsgegners gelangten Bereicherung, §§ 134, 143 Abs. 2 Satz 1 InsO i.V.m. § 818 BGB, besteht nämlich nach der Saldotheorie nur im Wert des Erlangten abzüglich der Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Erwerb (Münch- Komm/Kirchhof, InsO, 2. Aufl., § 134 Rn. 45 und § 143 Rn. 105; BGH, Urteil vom 23.10.1980 – IVa ZR 45/80, NJW 1981,277; BGH, Urteil vom 19.01.1951 – I ZR 15/50, NJW 1951, 270). Wegen der vorliegend anzuwendenden Sondervorschrift des § 143 Abs. 2 Satz 1 InsO ist der Beklagte hinsichtlich seines Anspruches auf Rückzahlung der Einlage nicht nach § 144 Abs. 1 InsO auf die Anmeldung zur Insolvenztabelle zu verweisen (vgl. zu § 143 Abs. 1 InsO: MünchKomm/Kirchhof, a.a.O., § 143 Rn. 10, 59 und 70 sowie § 144 Rn. 16). Vielmehr mindert der Betrag der gemachten Aufwendung unmittelbar den Rückgewähranspruch aus Insolvenzanfechtung, weil der Beklagte in dieser Höhe nicht bereichert ist (Staudinger/ Lorenz, BGB [2007] § 818 Rn. 37). In dieser Weise gewährleistet die Vorschrift des § 143 Abs. 2 InsO, die die strenge Haftung des Anfechtungsgegners nach § 143 Abs. 1 InsO abmildert, den Schutz des Anfechtungsgegners aus einer unentgeltlichen Leistung (BGH, Urteil vom 11.12.2008 – IX ZR 195/07, Tz. 16).

§ 819 Abs. 2 BGB steht der Saldierung vorliegend nicht entgegen. Voraussetzung eines verwerflichen Empfangs ist das Bewusstsein des Empfängers, sittenwidrig zu handeln. Für ein solches Bewusstsein des Beklagten ist nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich.

Nicht richtig ist die Annahme des Klägers, die geleistete Einlage des Beklagten habe sich während des Anfechtungszeitraumes auf der Grundlage der Bestimmungen des Beitrittsvertrages vermindert. Zwischen dem Beklagten und der Schuldnerin ist kein rechtswirksamer Vertrag über den Beitritt des Beklagten zum PMA zustande gekommen. Bei dem Anlageprodukt handelt es sich um ein Schneeballsystem, welches darauf angelegt ist, dass die ersten Anleger einen den Prognosen entsprechenden Gewinn sicher erzielen, während die sich nach dem verfolgten Ziel stetig vergrößernde Masse der späteren Anleger nicht nur keinen Gewinn erzielen wird, sondern darüber hinaus ihrer Einlage verlustig geht, weil die Neueinzahlungen sämtlich zur Bedienung der Altanleger Verwendung finden. Die Teilnahme an einem solchen Schneeballsystem ist wegen Sittenwidrigkeit nichtig, § 138 BGB. Der Kläger kann aus dem nichtigen Beitrittsvertrag ebenso wie die Schuldnerin selbst keine Ansprüche herleiten.

14Die Berechnungsweise des Klägers läuft darauf hinaus, den sittenwidrigen Vertrag als gültig zu behandeln und zum Nachteil des Beklagten im Anfechtungszeitraum fortzusetzen. Dieser Handhabung steht ihrerseits der Einwand der Sittenwidrigkeit, § 138 BGB, entgegen. Im Rahmen des § 143 Abs. 2 Satz 1 InsO können die vom Insolvenzverwalter auf den nichtigen Vertrag gestützten Positionen mithin nicht in die Ermittlung des Saldos einfließen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil die Vielzahl gleich gelagerter Verfahren vor Gerichten verschiedener Oberlandesgerichtsbezirke eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.