LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.02.2011 - 2 Sa 557/10
Fundstelle
openJur 2018, 8180
  • Rkr:
Tenor

Das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 02.09.2010 - 2 Ca 233/10 - wird auf die Berufung der Klägerin hin aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht Trier zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung - auch der Kosten des Berufungsverfahrens - bleibt dem Arbeitsgericht vorbehalten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer seitens der Beklagten gegenüber der Klägerin ausgesprochenen Änderungskündigung.

Unter dem 01.12.1981/02.12.1981 unterschrieben die Parteien einen schriftlichen Arbeitsvertrag für nebenamtliche kirchliche Arbeitnehmer, wonach die Klägerin als Organistin eingestellt wurde. Später wurde die Klägerin neben ihrer Tätigkeit als Organistin auch noch als Chorleiterin für die Beklagte tätig und übernahm gemäß Nachtragsvereinbarung vom 12.08./13.08.2000 zusätzlich die Funktion einer Chorleiterin für O.

In der mit der Klageschrift zu den Gerichtsakten in Abschrift eingereichten Nachtragsvereinbarung wird in § 4 Abs. 2 die durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit auf wöchentlich 8,016 Stunden festgesetzt und in § 6 Abs. 1 bezeichnet, dass dem Arbeitsvertrag weiterhin die jeweils gültigen Bestimmungen der kirchlichen Arbeits- und Vergütungsordnung (KAVO) zu Grunde liegen. In der Nachtragsvereinbarung ist das Geburtsdatum der Klägerin mit dem 29.06.1965 angegeben. Mit Schreiben vom 22.01.2010, der Klägerin zugegangen am 01.02.2010 sprach die Beklagte eine Änderungskündigung aus. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:

"Sehr geehrte Frau A.,

der Verwaltungsrat hat beschlossen, das mit Ihnen gemäß Arbeitsvertrag vom 01.07.1995 bestehende Arbeitsverhältnis als Organistin und Chorleiterin ordentlich zum 30.09.2010 zu kündigen.

Gleichzeitig bieten wir Ihnen an, Sie ab dem 01.10.2010 mit einem wöchentlichen Beschäftigungsumfang von 4,08 Stunden als Organistin weiter zu beschäftigen.

Wir bitten Sie, uns binnen drei Wochen nach Zugang dieses Schreibens mitzuteilen, ob Sie das Angebot, das Arbeitsverhältnis in geringerem Beschäftigungsumfang fortzusetzen, annehmen.

Mit freundlichen Grüßen"

Die Klägerin hat am 22.02.2010 Feststellungsklage erhoben. Sie hat sich in ihrem Klageantrag auf fehlende soziale Rechtfertigung berufen und wollte den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Arbeitsbedingungen festgestellt haben.

In der Güteverhandlung beim Arbeitsgericht Trier - Gerichtstag Gerolstein - erklärte der Vertreter der Beklagten, diese beschäftigte lediglich zwei Arbeitnehmer. Das Arbeitsgericht verwies den Rechtsstreit an die Kammer, bestimmte Kammertermin, gab der Beklagten auf, sämtliche Einwendungen gegen die Klage, insbesondere sämtliche Kündigungsgründe, abschließend und substantiiert unter Beweisantritt darzulegen und räumte der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme auf dieses Vorbringen ein. Die Beklagte nahm Stellung, bestätigte die Angaben der Klägerin zu den Beschäftigungszeitpunkten, wies darauf hin, dass das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung fände und die Klage auch außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes keinen Erfolg haben könnte. Gründe, die eine Sittenwidrigkeit rechtfertigen, habe die Klägerin nicht vorgetragen.

Die Klägerin replizierte, die Ausführungen zu fehlenden Anwendungsmöglichkeiten des Kündigungsschutzgesetzes seien grundsätzlich zutreffend, dies ändere aber nichts daran, dass die Kündigung gleichwohl unrechtmäßig sei. Die Änderungskündigung sei verursacht worden durch ein nur noch als intrigant zu nennendes Verhalten eines Pastors.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass die mit der Änderungskündigung der Beklagten vom 22.01.2010 ausgesprochene Änderung ihrer Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt ist und das Arbeitsverhältnis über den Kündigungstermin hinaus unverändert fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, aus dem Vortrag der Klägerin ergebe sich, dass die Klägerin sich mit der Vorsitzenden des Kirchenchors und den übrigen Chormitgliedern überworfen habe und von der Mehrheit nicht mehr als Dirigentin gewünscht werde. Da eine kollegiale Zusammenarbeit mit der Klägerin wegen deren eigensinnigen Verhaltens nicht mehr möglich gewesen sei, sei die Änderungskündigung erforderlich gewesen, um ein Auseinanderbrechen des Chores zu verhindern.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 02.09.2010 verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung verstoße weder gegen § 138 BGB noch gegen § 242 BGB. Sie widerspreche nicht den Grundsätzen der Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Bundesarbeitsgericht. Hierzu führt das Arbeitsgericht ins Einzelne gehend aus.

Das Urteil wurde der Klägerin am 02.10.2010 zugestellt. Die Klägerin hat hiergegen am 15.10.2010 Berufung eingelegt und, nachdem die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis 23.12.2010 verlängert worden war, mit an diesem Tag eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Klägerin nimmt Bezug auf die anwendbare kirchliche Arbeits- und Vergütungsordnung KAVO, wonach sie gemäß § 40 Abs. 2 nach Lebensalter und Betriebszugehörigkeit ordentlich unkündbar sei. Eine außerordentliche Kündigung habe die Beklagte nicht ausgesprochen. Auch sei die Feststellung zum Umfang der Beschäftigung von 10,014 Wochenstunden im arbeitsgerichtlichen Urteil fehlerhaft, die Klägerin sei zu 10,75 Wochenstunden beschäftigt worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Trier abzuändern und festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Kündigung vom 22.01.2010 zum 30.09.2010 rechtsunwirksam ist.

Vorsorglich stellt sie den Antrag,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht Trier zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, rügt den Vortrag der Klägerin zur tariflichen Unkündbarkeit als verspätet, das Arbeitsgericht habe der Klägerin eine ausreichende Auflage erteilt, die Klägerin hätte die Berufung auf die Unkündbarkeit früher vorbringen müssen. Im Übrigen bestreitet die Beklagte, dass die Klägerin seit 1981 durchgängig im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt gewesen sei und somit ordentlich nicht mehr kündbar. Des Weiteren weist die Beklagte darauf hin, dass die Klägerin mit Schreiben vom 04.10.2010 fristlos ihre Organistenstelle in O. gekündigt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen. Weiter wird verwiesen auf die Feststellungen zum Sitzungsprotokoll vom 10.02.2011.

Gründe

I.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 520 ZPO).

II.

Die Berufung ist insoweit vorläufig begründet, als das Urteil des Arbeitsgerichts Trier aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen war.

Das Arbeitsgericht hat unter Berücksichtigung der in der ersten Instanz zur Begründung der Unwirksamkeit der Kündigung eingeführten Tatsachen die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.

Die Klägerin hat im Berufungsverfahren die Begründung des Arbeitsgerichts, dass das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung fände, dass weder § 138 BGB noch § 242 BGB der Kündigung entgegen stünden, nicht substantiiert angegriffen. Die Ausführungen sind im Übrigen zutreffend, so dass gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG hierauf verwiesen werden kann.

Der Umstand, dass die von der Klägerin wöchentlich zu leistende Stundenzahl im arbeitsgerichtlichen Urteil nicht zutreffend angegeben wurde, beruht auf eigenem Vortrag der Klägerin in ihrer Klagebegründung. Er war auch für die Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht tragend.

Die in erster Instanz von der Klägerin in den Rechtsstreit eingeführten Gründe führen daher, weil die Entscheidung des Arbeitsgerichts insofern zutreffend ist, nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.

Soweit die Klägerin erstmals in der Berufung die Unwirksamkeit der Kündigung wegen der mit Bezugnahme auf die KAVO vereinbarte ordentliche Unkündbarkeit geltend macht, ist sie mit diesbezüglichem Parteivortrag in der Berufungsinstanz nach § 6 Abs. 1 KSchG ausgeschlossen.

Nach dieser Vorschrift kann sich ein Arbeitnehmer, der innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung im Klagewege geltend gemacht, dass eine rechtswirksame Kündigung nicht vorliege, bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zur Begründung der Unwirksamkeit der Kündigung auch auf innerhalb der Klagefrist nicht geltend gemachte Gründe berufen (§ 6 Abs. 1 KSchG - begrenzt insoweit über § 533 ZPO und § 67 ArbGG hinausgehend die Möglichkeit, neue Unwirksamkeitsgründe in der Berufungsinstanz geltend zu machen). Neue Unwirksamkeitsgründe können demnach nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz geltend gemacht werden (vgl. BAG Urteil vom 08.11.2007 - 2 AZR 314/06 = NJW 2008, 1336, NZA 2008, 936).

Diese Grundsätze geltend auch für eine Änderungskündigung entsprechend.

Die Klägerin hat in erster Instanz die Unwirksamkeit der Kündigung zunächst auf Sozialwidrigkeit gestützt, also auf Fehlen eines betrieblichen oder in ihrer Person oder ihrem Verhalten bedingten Grund. Nachdem zwischen den Parteien die fehlende Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes nicht mehr im Streit stand, hat die Klägerin gleichwohl ihr Klageziel mit der Berufung auf Treuwidrigkeit bzw. Sittenwidrigkeit weiter verfolgt. Die Unwirksamkeit der Kündigung infolge Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit hat die Klägerin im Verfahren erster Instanz nicht geltend gemacht.

Der tarifvertragliche oder arbeitsvertragliche vereinbarte Ausschluss der ordentlichen Kündigung zählt aber den Unwirksamkeitsgründen einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen ordentlichen Kündigung, die gemäß den §§ 4, 6 KSchG rechtzeitig prozessual geltend gemacht werden müssen (vgl. BAG, Urteil vom 08.11.2007, aaO.).

Prinzipiell wäre die Klägerin damit mit dem erstmaligen Berufen auf den vertraglich vereinbarten Ausschluss der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit durch Inbezugnahme der KAVO im Berufungsverfahren ausgeschlossen.

Gleichwohl konnte die Berufungskammer die Berufung nicht mit der Begründung zurückweisen, die Klägerin habe verspätet die Rüge des Ausschlusses der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit erhoben. Erstinstanzlich wurde ihr kein Hinweis nach § 6 Satz. 2 KSchG erteilt. Nach § 6 Satz 2 KSchG soll das Arbeitsgericht den Arbeitnehmer auf die Möglichkeit nach § 6 Satz 1 KSchG hinweisen. Entgegen seiner Fassung als Sollvorschrift enthält diese Bestimmung eine § 139 ZPO konkretisierende zwingende Regelung (vgl. BAG a. a. O.).

Ein diesbezüglicher Hinweis ist vom Arbeitsgericht nicht erteilt. Das Arbeitsgericht hat die Klägerin nicht darauf hingewiesen, dass sie sämtliche Unwirksamkeitsgründe gegen die ausgesprochene Änderungskündigung zum Schluss der letzten Tatsachenverhandlung erster Instanz in den Prozess einführen muss. Der allgemein gehaltene Hinweis zur Klageerwiderung reicht hierzu nicht aus.

In der Literatur umstritten ist, ob das Arbeitsgericht von sich aus alle denkbaren Unwirksamkeitsgründe von Amts wegen abzufragen hat (vgl. etwa Bader, NZA 2004, 65, 69, der den Arbeitsgericht empfiehlt, frühzeitig eine formularmäßige Abfrage durchzuführen) oder ob die Hinweispflicht an die konkrete prozessuale Situation anknüpft, wie sie sich aus dem Vortrag der Parteien ergibt (ErfK - Kiel, 11. Auflage, § 6 KSchG RandNr. 6). Andere Unwirksamkeitsgründe müssen aus der konkreten prozessualen Situation erkennbar in Betracht kommen. Dabei ist es unerheblich, ob die klagende Partei anwaltlich vertreten ist. Die Hinweispflicht kann nicht danach differenziert werden, ob ein Arbeitnehmer sich rechtskundig vertreten lässt oder den Rechtsstreit ohne diese Hilfe führt.

Die konkrete prozessuale Situation erforderte es, die Klägerin auch auf die Möglichkeit der Geltendmachung des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung hinzuweisen. Zwar ergibt sich aus ihrem Sachvortrag in der Klageschrift nicht unmittelbar die Anwendbarkeit etwaiger arbeitsvertraglicher Regelungen mit Bezugnahme auf kirchliche Arbeitsbedingungen und den daraus sich ergebenden Ausschluss der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit. Die Klägerin hat jedoch mit ihren Anlagen zur Klageschrift, aus denen ihr Geburtsdatum hervorging und der Angabe, dass sie seit dem 01.12.1981 ununterbrochen als Organistin beschäftigt sei und dem aus der Anlage ersichtlichen Bezug auf die Vereinbarung der KAVO ausreichend Tatsachen vorgetragen, die das Arbeitsgericht hätten veranlassen müssen, den Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit in Erwägung zu ziehen und entsprechende Hinweise an die Klägerin zu erteilen.

Die Regelungen der KAVO sind einfach durch Nachfrage im Internet hinterfragbar. Allgemein bekannt ist, dass sich die Regelungen der Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmern im kirchlichen Bereich in wesentlichen Teilen entsprechend zu Regelungen im öffentlichen Dienst verhalten und unter Geltungsbereich des Bundesangestellten-Tarifvertrages eine relativ frühe Unkündbarkeit von Arbeitsverhältnissen tariflich vereinbart war. Damit liegt es nahe, dass diese Regelungen auch im kirchlichen Bereich vergleichbaren Eingang gefunden haben. Bei den Bestimmungen der KAVO für das Bistum T-Stadt handelt es sich nicht um entfernt liegende, sporadisch auftretende tarifliche Regelungen, sondern wie dargestellt, um Normen, die eine Vielzahl von Arbeitnehmern betreffen, einfachst recherchiert werden können und es daher nicht fern liegt, dass bei Arbeitsverhältnissen im kirchlichen Bereich, die weitestgehend parallel zu den Regelungen im öffentlichen Dienst abgehandelt werden, eine nach Lebensalter und Betriebszugehörigkeit gestaffelte ordentliche Unkündbarkeit vorliegen kann.

In der konkreten prozessualen Situation wäre also ein Hinweis an die Klägerin, bei bestehenden sonstigen Unwirksamkeitsgründen diese bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zur Meidung eines Ausschlusses geltend zu machen, angebracht gewesen.

III.

Welche Rechtsfolgen sich aus dem unterlassenen Hinweis nach § 6 S. 2 KSchG ergeben, wird nicht einheitlich beurteilt. Teilweise wird angenommen, der Arbeitnehmer könne in diesem Fall auch in der Berufungsinstanz Unwirksamkeitsgründe in das Verfahren einführen (vgl. KR Friedrich, KSchG, § 6 RandNr. 38, Bader NZA 2004, 65). Teilweise wird vertreten, das Berufungsgericht sei in einem Falle eines fehlenden Hinweis verpflichtet, das Verfahren an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen (vgl. zum alten Rechtszustand BAG 30.11.1961, 2 AZR 295/61 = BAGE 12, 75).

In der Entscheidung vom 08.11.2007 - 2 AZR 314/06 - (a. a. O.) hat das BAG die Frage offen gelassen.

Der Auffassung, die Klägerin könne aufgrund des fehlenden Hinweises Unwirksamkeitsgründe noch in der Berufungsinstanz einführen, steht bereits der eindeutige Wortlaut des § 6 S. 1 KSchG entgegen. Dieser beschränkt die Geltendmachung von Unwirksamkeitsgründen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung erster Instanz. Eine Heilung des Verstoßes ist deswegen nur dadurch möglich, dass dem Arbeitnehmer vom Arbeitsgericht die Gelegenheit gegeben wird, sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung unter anderen Gesichtspunkten als den bislang geltend gemachten zu berufen. Dies kann nur durch Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das Arbeitsgericht geschehen (vgl. BAG 30.11.1961, 2 AZR 295/61 a. a. O.).

Eine Aufhebung und Zurückverweisung steht auch nicht § 68 ArbGG entgegen, wonach wegen eines Mangels im Verfahren eine Zurückweisung ausgeschlossen ist. § 68 ArbGG bezweckt eine Beschleunigung des Verfahrens und macht daher nur in solchen Fällen Sinn, in denen der Verfahrensfehler noch in der Berufungsinstanz geheilt werden kann. Die Bestimmung gilt deswegen nicht für Verfahrensverstöße, bei denen dies in der Berufungsinstanz nicht mehr erfolgen kann. Eine Heilung des Verstoßes ist jedoch nur dadurch möglich, dass dem Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht die Gelegenheit gegeben wird, sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung unter anderen Gesichtspunkten als den bislang geltend gemachten zu berufen. § 68 ArbGG steht damit einer Zurückverweisung im Falle einer fehlenden Belehrung nach § 6 S. 2 KSchG nicht entgegen (vgl. Schwab/Weth, ArbGG, 3. Auflage, § 68 RandNr. 32).

Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 08.11.2007 (aaO.) in welchem die prozessuale Behandlung offen gelassen wurde, ausgeführt, dass einiges dafür sprechen möge, dass das Berufungsgericht zu einer eigenen Entscheidung befugt sei, allerdings nicht näher ausgeführt, was dafür sprechen könne.

§ 6 KSchG gibt keine Vorgabe, wie nach einem Verstoß gegen die Hinweispflicht durch das Arbeitsgericht zu verfahren ist, § 68 ArbGG regelt unzweideutig, dass wegen eines Mangels im Verfahren das Arbeitsgericht die Zurückweisung des Rechtsstreits an die erste Instanz nicht zulässig ist. Nach einhelliger Meinung ist jedoch dann eine Ausnahme zu machen, wenn ein Verfahrensmangel vorliegt, der im zweiten Rechtszug nicht mehr korrigiert werden kann. Da der eindeutige Gesetzeswortlaut eine Ausschlussfrist zur Geltendmachung bis zum Schluss der Tatsachenverhandlung erster Instanz macht, kann nach dieser eindeutigen gesetzlichen Bestimmung der Verfahrensmangel im Berufungsverfahren nicht mehr geheilt werden, weil dann immer noch die Klägerin nicht bis zum Schluss der Tatsachenverhandlung erster Instanz den Mangel des Ausschlusses der ordentlichen Kündbarkeit geltend macht hätte. Der Hinweis auf den Beschleunigungsgrundsatz und der Hinweis, dass nicht zwingend eine zweite Tatsacheninstanz zur Überprüfung einer erhobenen Rüge gegen die Wirksamkeit der Kündigung zur Verfügung stehen muss, entkräftet nicht den Umstand, dass die klare gesetzliche Regelung die Geltendmachung der Unwirksamkeitsgründe in erster Instanz verlangt, und somit bei unterbliebenem gebotenem rechtlichen Hinweis nach § 6 S. 2 KSchG die Sache zwingend an das Arbeitsgericht zur Nachholung zurückzuverweisen ist.

Das Arbeitsgericht wird dann auch die tatsächlichen Voraussetzungen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung feststellen müssen.

IV.

Eine Kostenentscheidung ist noch nicht möglich. Das Arbeitsgericht hat einheitlich über die Kosten des Rechtsstreits, auch des Berufungsverfahrens, zu entscheiden.

Die Zulassung der Revision für beide Parteien beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Zu § 6 S. 2 KSchG n. F. ist eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts bislang nicht ergangen, die Entscheidung der Kammer steht im Einklang zum Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 26.03.2009 - 25 Sa 148/09 -, andererseits im Widerspruch zu Entscheidungen des LAG Düsseldorf (vgl. Urteil vom 15.03.2010 - 16 Sa 882/09 - und vom 03.11.2008 - 14 Sa 1034/08 -). Damit liegen die Zulassungsgründe nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ArbGG vor.