BGH, Beschluss vom 05.10.2004 - KVR 14/03
Fundstelle
openJur 2012, 57246
  • Rkr:
Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts wird der Beschluß des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 30. April 2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 2.121.861,30 € (= 4,15 Mio. DM) festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 1 (im folgenden: Melitta Bentz) und die Beteiligte zu 2 (im folgenden: Bentz Beteiligungsgesellschaft) gehören als Holdinggesellschaften zur Melitta Unternehmensgruppe Bentz KG (nachfolgend: Melitta-Gruppe), einer bedeutenden deutschen Unternehmensgruppe für die Herstellung und den Vertrieb von Haushaltsprodukten wie Kaffeefiltern, Haushaltsfolien und -tüchern, Gefrier-, Müllund Staubsaugerbeuteln, aber auch von Kaffee und Kaffeemaschinen. Die Melitta-Gruppe erzielte 1999 einen konsolidierten weltweiten Umsatz in Höhe von 2,125 Mrd. DM, davon 1,716 Mrd. DM in der Europäischen Union und 1,206 Mrd. DM im Inland.

Die Melitta Bentz und die Bentz Beteiligungsgesellschaft produzieren über drei Tochtergesellschaften Staubsaugerbeutel. Derartige Beutel werden von den Herstellern, so auch von den Unternehmen der Melitta-Gruppe, auf drei verschiedenen Wegen abgesetzt: erstens über die Staubsauger-Gerätehersteller, die diese mit ihrer (Geräte-)Marke versehenen Beutel teilweise als Erstausrüstung verwenden, teilweise an den Elektrofachhandel und teilweise direkt an Endverbraucher abgeben, zweitens über die Sortimentsanbieter, die unter ihrer eigenen Handelsmarke Staubsaugerbeutel an den Einzelhandel vertreiben, und drittens über den Einzelhandel, der seinerseits die Staubsaugerbeutel entweder unter einer eigenen Handelsmarke oder unter der Marke des Staubsaugerbeutelherstellers an Endverbraucher vertreibt. In Deutschland bringt die Melitta-Gruppe die von ihr hergestellten und an die Händler vertriebenen Staubsaugerbeutel u.a. unter der Marke "Swirl" in den Verkehr. Der Umsatz der Melitta-Gruppe mit Staubsaugerbeuteln betrug 1999 in Westeuropa (EU-und EFTA-Staaten) 182,5 Mio. DM.

Die Beteiligte zu 3 (im folgenden: Airflo Europe) ist ein in Belgien ansässiges Unternehmen, das ebenso wie die Papierindustrie Limburg N.V. (im folgenden: Limburg) zur belgischen Schultink-Gruppe gehört. Die Schultink-Gruppe ist über verschiedene Holdinggesellschaften (darunter die Beteiligten zu 4 und zu 5) in vollständigem Besitz der Familie Schultink, der auch die Beteiligten zu 6 und zu 7 angehören. Die Unternehmen der Schultink-Gruppe, die im operativen Geschäft tätig sind, produzieren und vertreiben ausschließlich Staubsaugerbeutel, die sie an Gerätehersteller und außerhalb Deutschlands auch an den Einzelhandel liefern.

Limburg - speziell zu diesem Zweck von der Schultink-Gruppe gegründet - beliefert aufgrund eines langfristigen Liefervertrages ausschließlich den Staubsaugerhersteller Vorwerk. Die Umsätze der Schultink-Gruppe lagen im letzten Geschäftsjahr vor der Anmeldung bei 59 Mio. DM weltweit und bei 52,1 Mio. DM in Westeuropa. Von den Umsätzen in Westeuropa entfielen 34,5 Mio. DM auf Airflo Europe und 17,6 Mio. DM auf Limburg. Die Umsätze von Airflo Europe sind nur zu einem geringen Teil (0,8 Mio. DM), diejenigen von Limburg zu einem erheblichen Teil (14,1 Mio. DM) in Deutschland erwirtschaftet worden.

Mit Schreiben vom 28. Januar 2000 meldete die Melitta Bentz beim Bundeskartellamt die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens zwischen der Bentz Beteiligungsgesellschaft (oder einer ihrer Tochtergesellschaften) sowie der Airflo Europe und der Papierindustrie Limburg N.V. an, in das die operativen Staubsaugerbeutelaktivitäten (ohne Vertrieb) der beiden Unternehmensgruppen eingebracht werden sollten. Der Zusammenschluß sollte in der Weise vollzogen werden, daß die Bentz Beteiligungsgesellschaft 60% der Geschäftsanteile der Airflo Europe übernehmen sollte. Diese sowie die bei den bisherigen Eigentümern verbliebenen Anteile sollten sodann mit verschiedenen Einheiten der Melitta-Gruppe aus dem Staubsaugerbeutelbereich in ein zu gründendes Gemeinschaftsunternehmen eingebracht werden, an dem die Schultink-Gruppe 20% und die Melitta-Gruppe 80% halten sollten. In einer zwischen der Schultinkund der Melitta-Gruppe geschlossenen Grundvereinbarung vom 30. Juli 1999 ist festgelegt, daß die beiden Hauptgesellschafter der Schultink-Gruppe, die Beteiligten zu 6 und zu 7, jeweils für mindestens fünf Jahre als Geschäftsführer des Gemeinschaftsunternehmens tätig werden sollen. Ferner sind der Beteiligte zu 6 und der Beteiligte zu 7 für jeweils mindestens fünf Jahre als Präsident bzw. Geschäftsführer von Limburg vorgesehen.

Nachdem das Bundeskartellamt den Beteiligten die beabsichtigte Untersagung des Zusammenschlußvorhabens mit Schreiben vom 23. Mai 2000 angekündigt hatte, erklärten die Beteiligten gegenüber dem Bundeskartellamt, daß die Papierindustrie Limburg N.V. nicht mehr an der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens beteiligt sein werde.

Mit Beschluß vom 21. Juni 2000 hat das Bundeskartellamt - ungeachtet des Ausscheidens von Limburg aus dem Zusammenschlußvorhaben - den Beteiligten die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens zwischen der Bentz Beteiligungsgesellschaft bzw. einem ihrer Tochterunternehmen und der Airflo Europe sowie den Erwerb von 20% der Anteile und den hiermit verbundenen Sonderrechten an dem zu gründenden Gemeinschaftsunternehmen durch die Gesellschafter und/oder Unternehmen der Schultink-Gruppe untersagt (BKartA WuW/E DE-V 275). Es ist dabei von einem einheitlichen sachlichen Markt ausgegangen, in dem die Staubsaugerbeutelhersteller ihre Produkte anbieten, hat also nicht nach den Abnehmerkreisen - den Geräteherstellern auf der einen und dem Sortimentsund Einzelhandel auf der anderen Seite - differenziert. Den räumlich relevanten Markt hat das Bundeskartellamt in der Weise abgegrenzt, daß es ökonomisch von einem die Europäische Union und die EFTA-Staaten umfassenden westeuropäischen Markt ausgegangen ist. Hiervon zu trennen sei der rechtlich relevante Markt, der nach der Backofenmarkt-Entscheidung des Bundesgerichtshofs auf den Geltungsbereich des Gesetzes beschränkt sei. Allerdings seien für die Beurteilung der Marktstellung in diesem Markt die Verhältnisse auf dem europäischen Markt in die Betrachtung einzubeziehen. Das Bundeskartellamt hat ausführlich begründet, weshalb die Melitta-Gruppe in diesem Markt über eine überragende Marktstellung verfüge. Es hat sich dabei in erster Linie auf eine Marktanteilsbetrachtung, auf die Finanzkraft sowie auf den Zugang zu den Absatzmärkten bezogen und ausgeführt, daß diese Stellung auch durch potentiellen Wettbewerb nicht hinreichend kontrolliert werde. Im Inland verfüge die Melitta-Gruppe über einen Marktanteil von 59,1%, der sich durch den angemeldeten Zusammenschluß (ohne Limburg) geringfügig auf 59,5% erhöhe. Im ökonomischen Markt Westeuropa liege der Marktanteil der Melitta-Gruppe vor dem Zusammenschluß bei 47,7% und erhöhe sich durch den Zusammenschluß um den Marktanteil von Airflo Europe auf 56,8%.

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 bis 7 hat das Oberlandesgericht die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts mit Beschluß vom 30. April 2003 aufgehoben (OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 1112). Hiergegen wendet sich das Bundeskartellamt mit seiner - vom Oberlandesgericht zugelassenen - Rechtsbeschwerde. Mit ihr erstrebt das Bundeskartellamt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht. Die Beteiligten beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

II.

Das Beschwerdegericht hat die Voraussetzungen für eine Untersagung nach § 36 Abs. 1 GWB verneint, weil der angemeldete Zusammenschluß die marktbeherrschende Stellung der Melitta-Gruppe auf dem inländischen Markt nicht verstärke. Zur Begründung hat es ausgeführt:

In sachlicher Hinsicht sei der relevante Markt entgegen der Ansicht des Bundeskartellamts nach Abnehmergruppen in einen Markt der Belieferung der Gerätehersteller und einen Markt der Belieferung des Handels (Sortimentsund Einzelhandel) abzugrenzen. Was die räumliche Marktabgrenzung angehe, könne an sich mit dem Bundeskartellamt von einem westeuropäischen Angebotsmarkt ausgegangen werden, da die Hersteller von Staubsaugerbeuteln in der Lage seien, europaweit zu liefern. Im Rahmen der Fusionskontrolle seien allerdings allein die Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den inländischen Markt maßgebend, da es um die nationale Zusammenschlußkontrolle gehe. Der räumlich relevante Markt könne daher nicht größer sein als das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.

Daß sich durch das angemeldete Gemeinschaftsunternehmen die marktbeherrschende Stellung der Melitta-Gruppe verstärken werde, lasse sich nicht feststellen, und zwar unabhängig davon, ob man - wie das Bundeskartellamt - von einem einheitlichen oder - wie das Beschwerdegericht - von einem in zwei Abnehmergruppen aufgeteilten sachlichen Markt ausgehe. Auf dem deutschen Gesamtmarkt (Gerätehersteller und Handel) führe der Zusammenschluß nur zu einem Zuwachs von 59,1 auf 59,5%. Zwar könne im Einzelfall bereits ein geringer Marktanteilszuwachs ausreichen, um eine Verstärkungswirkung zu begründen; auch sei nicht in jedem Fall eine Spürbarkeit der Verstärkungswirkung zu fordern. Der zusammenschlußbedingte Wegfall der Airflo Europe als ehemaliger kleiner Melitta-Konkurrent bleibe aber bezogen auf den inländischen Markt wettbewerbsneutral. Airflo Europe könne zwar als potentieller Wettbewerber der Melitta-Gruppe angesehen werden; der sehr kleine Marktanteil im Inland liege aber bereits einige Jahre zurück und habe bis zum Jahre 1999 weiter abgenommen.

Der deutsche Marktanteil des zur Schultink-Gruppe gehörenden Unternehmens Limburg könne den Zusammenschlußbeteiligten nicht zugerechnet werden. Dieses Unternehmen nehme an dem angemeldeten Zusammenschluß nicht mehr teil und bilde mit dem Gemeinschaftsunternehmen auch keine wettbewerbliche Einheit. Zwar bestehe nach der Grundvereinbarung vom 30. Juli 1999 für die Dauer von fünf Jahren eine personelle Identität der beiden Geschäftsführer des Gemeinschaftsunternehmens mit dem Präsidenten und dem Geschäftsführer von Limburg. Hierdurch würden für das Gemeinschaftsunternehmen Limburgs Strategie, wirtschaftliche Lage und Knowhow transparent. Limburg sei jedoch im Hinblick auf die dauerhafte Lieferbeziehung zu dem Gerätehersteller Vorwerk kein aktuell oder potentiell beachtlicher Wettbewerber der Melitta-Gruppe.

Die Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung der Melitta-Gruppe auf dem westeuropäischen Markt rechtfertige die Untersagung des Gemeinschaftsunternehmens nicht, weil rechtlich von einem auf das Inland beschränkten räumlich relevanten Markt auszugehen sei. Entgegen der Auffassung des Bundeskartellamts reiche es nicht aus, daß die Marktstellung der Melitta-Gruppe auf dem westeuropäischen Markt (ohne Deutschland) durch die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens deutlich verstärkt werde. Der Zusammenschluß könne nach deutschem Kartellrecht nur untersagt werden, wenn er im Inland zur Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung führe. Einflüsse aus dem Ausland seien nur zu berücksichtigen, wenn sie den inländischen Markt nachweislich verstärkend beeinflußten. Die Annahme des Bundeskartellamts, der beabsichtigte Zusammenschluß habe im westeuropäischen Markt außerhalb Deutschlands so gravierende Auswirkungen, daß Rückwirkungen auf den deutschen Markt zu erwarten seien, reiche über eine bloße Vermutung nicht hinaus. Insofern sei ein konkreter Nachweis der Verstärkungswirkung erforderlich, den das Bundeskartellamt nicht erbracht habe.

III.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1.

Das Vorliegen eines Zusammenschlußtatbestandes steht hier außer Streit. Zutreffend hat das Bundeskartellamt angenommen, daß bereits mit dem Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an Airflo Europe durch die Bentz Beteiligungsgesellschaft der Zusammenschlußtatbestand des § 37 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 lit. a GWB erfüllt ist.

2.

Mit Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Annahme des Beschwerdegerichts, durch den angemeldeten Zusammenschluß werde die marktbeherrschende Stellung der Melitta-Gruppe nicht verstärkt (§ 36 Abs. 1 GWB).

a) Das Beschwerdegericht hat sich keine abschließende Meinung darüber gebildet, wie der sachliche Markt abzugrenzen ist, in dem die Melitta-Gruppe als Herstellerin von Staubsaugerbeuteln tätig ist. Das Bundeskartellamt hat angenommen, daß die Hersteller von Staubsaugerbeuteln ihr Produkt auf einem einheitlichen Markt absetzen, zu dem als Marktgegenseite sowohl die Gerätehersteller als auch der Sortimentsund der Einzelhandel einschließlich des Fachhandels zählen. Ohne sich abschließend festzulegen, hat das Beschwerdegericht demgegenüber zu einer Aufteilung in zwei Märkte je nach Abnehmergruppen tendiert: einen Markt, auf dem als Abnehmer die Gerätehersteller auftreten, und einen Markt, auf dem der Handel den Staubsaugerbeutelherstellern als Abnehmer gegenübersteht. Die Zusammenschlußbeteiligten haben ebenfalls eine solche Aufteilung in einen Geräteherstellerund einen Händlermarkt für geboten erachtet, haben aber dem Händlermarkt auch noch das Angebot der Gerätehersteller hinzugerechnet.

Wie der sachliche Markt abzugrenzen ist, läßt sich mangels tatrichterlicher Feststellungen im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht bestimmen. Die zuletzt genannte Marktaufteilung kommt bereits aus Rechtsgründen nicht in Betracht. Sie würde dazu führen, daß auf der Angebotsseite des Händlermarktes Wettbewerb vorgetäuscht würde, der in Wirklichkeit nicht besteht. Setzen beispielsweise die Beutelhersteller die Hälfte ihrer Produktion über die Gerätehersteller ab, lägen bei dieser Marktaufteilung die addierten Marktanteile aller Beutelhersteller auf dem Händlermarkt bei 50%, obwohl alle angebotenen Staubsaugerbeutel aus ihrer Produktion stammten. Was die anderen beiden Marktaufteilungen angeht, fehlt es für eine abschließende Entscheidung an tatrichterlichen Feststellungen.

Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Bestimmung des sachlichen Marktes das sogenannte Bedarfsmarktkonzept maßgebend. Danach sind einem (Angebots-)Markt alle Produkte zuzurechnen, die aus der Sicht der Nachfrager nach Eigenschaft, Verwendungszweck und Preislage zur Deckung eines bestimmten Bedarfs austauschbar sind (BGH, Urt. v. 19.3.1996 - KZR 1/95, WuW/E 3058, 3062 - Pay-TV-Durchleitung, m.w.N.). Hierbei ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Im Streitfall ist für die Frage der Austauschbarkeit nicht darauf abzustellen, ob ein Staubsaugerbeutelmodell durch ein anderes ersetzt werden kann; dies ist im Hinblick darauf, daß ein Beutel nach Schnitt, Volumen und Verschlußmechanismus stets nur auf einen Staubsaugertyp zugeschnitten ist, praktisch nie der Fall. Zu fragen ist vielmehr, ob ein Beutelhersteller, der bislang ein Marktsegment bedient (beispielsweise einen Gerätehersteller mit den für seine Gerätemodelle erforderlichen Beuteln beliefert), zur Erzielung eines besseren Preises bereit und in der Lage ist, seine Produktion kurzfristig umzustellen, um das andere Segment zu bedienen (beispielsweise ein Beutelsortiment anzubieten, das für den Einzelhandel von Interesse ist). Damit kommt es vorliegend für die Marktabgrenzung entscheidend auf die Produktionsund Angebotsumstellungsflexibilität der Beutelhersteller an (vgl. Bechtold, GWB, 3. Aufl., § 19 Rdn. 6). Diesen Gesichtspunkt der Flexibilität hat das Beschwerdegericht bei seiner Abgrenzung der verschiedenen Absatzwege nicht in den Blick genommen. Dies ist nachzuholen. Dabei ist zu beachten, daß den Beutelherstellern auch innerhalb eines Absatzweges eine erhebliche Flexibilität abverlangt wird, wenn sie ihre Produktion beispielsweise von der Belieferung eines Geräteherstellers auf die Belieferung eines anderen Geräteherstellers oder auch nur auf einen neuen Gerätetyp umstellen möchten. Andererseits wäre es denkbar, daß der Einzelhandel sich von vornherein nur mit kompletten Sortimenten eindeckt, die für jeden gängigen Staubsaugertyp den passenden Beutel enthalten, und daß kleinere Hersteller mit der Produktion einer solchen Vielzahl von Beuteln überfordert wären.

b) Hinsichtlich des räumlich relevanten Marktes ist das Beschwerdegericht in Übereinstimmung mit dem Bundeskartellamt von einem ökonomisch bestimmten Markt ausgegangen, der Westeuropa (EWR) umfaßt. Diese Beurteilung läßt auch bei Berücksichtigung der von der Rechtsbeschwerdeerwiderung erhobenen Gegenrügen keinen Rechtsfehler erkennen.

Mit Recht hat das Beschwerdegericht darauf abgestellt, daß keine Umstände ersichtlich sind, die einen in einem Mitgliedstaat ansässigen Staubsaugerbeutelhersteller daran hindern, sein Produkt in einem anderen Mitgliedstaat abzusetzen. Der Marktgegenseite - sei es der Handel oder seien es die Gerätehersteller - ist es nicht verwehrt, den Bedarf nach Staubsaugerbeuteln bei einem Hersteller nachzufragen, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist. Dies wird nicht zuletzt dadurch belegt, daß das Marktvolumen in Westeuropa zu etwa drei Vierteln auf deutsche Hersteller entfällt, von denen die meisten einen Großteil ihres Umsatzes im westeuropäischen Ausland erwirtschaften.

Allerdings weist die Rechtsbeschwerdeerwiderung mit Recht darauf hin, daß die Marktverhältnisse im Europäischen Wirtschaftsraum sowohl hinsichtlich der Volumina als auch hinsichtlich der Marktanteile nicht als homogen bezeichnet werden können. Die von der Rechtsbeschwerdeerwiderung angeführten Unterschiede deuten indessen nicht auf Märkte hin, die räumlich jeweils auf einen Mitgliedstaat beschränkt wären. Denn für die angeführten Unterschiede lassen sich andere Erklärungen als die anführen, die räumlichen Märkte seien jeweils auf einen Mitgliedstaat beschränkt. So lassen sich die unterschiedlichen Volumina dadurch erklären, daß es Geräte gibt, die ohne Staubbeutel auskommen oder die mit einem wiederverwendbaren Stoffbeutel ausgerüstet sind, und daß solche Gerätetypen möglicherweise in manchen Gegenden Europas verbreiteter sind als in anderen. Soweit die Beutelhersteller die Gerätehersteller beliefern, hängt ihr Marktanteil in den Mitgliedstaaten davon ab, wie stark die Staubsauger des entsprechenden Herstellers in jenem Mitgliedstaat verbreitet sind. Schließlich läßt sich dem unstreitigen Sachverhalt entnehmen, daß die Belieferung des Einzelhandels ein umfassendes Sortiment voraussetzt und daß dieser Vertriebsweg - vor allem der Vertrieb über den Lebensmitteleinzelhandel - entscheidend durch eine eingeführte Marke gefördert wird, über die nur die Melitta-Gruppe mit der Marke "Swirl" verfügt, die bislang vor allem in Deutschland, nicht aber flächendeckend in Europa Bekanntheit erlangt hat.

c) Mit Recht rügt die Rechtsbeschwerde, daß die angefochtene Entscheidung schon die Grundsätze der Backofenmarkt-Entscheidung des Senats (BGHZ 131, 107) nicht hinreichend beachtet und die durch den Zusammenschluß bewirkte Verstärkung der Marktstellung der Melitta-Gruppe auf dem ökonomisch bestimmten Markt nicht ausreichend berücksichtigt hat.

Der Senat ist in der erwähnten Entscheidung aus dem Jahre 1995 zwar davon ausgegangen, daß der räumlich relevante Markt nicht größer sein könne als der Geltungsbereich des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Er hat dies daraus geschlossen, daß es für die Beurteilung eines Zusammenschlusses nach deutschem Recht allein darauf ankomme, ob zu erwarten sei, daß im Inland eine marktbeherrschende Stellung entstehe oder verstärkt werde. Dies folge aus dem - in § 130 Abs. 2 GWB zum Ausdruck gebrachten - Zweck des Gesetzes, den Wettbewerb auf dem inländischen Markt zu schützen. Dieser allgemeine Gesetzeszweck bestimme auch den Schutzzweck des § 36 GWB und beschränke diesen - und damit auch den Anwendungsbereich der Norm - auf den Schutz der inländischen Marktstruktur. Damit werde zugleich der räumliche Markt, auf dem die Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung durch einen Zusammenschluß verhindert werden solle, normativ auf das Inland als den größtmöglichen räumlich relevanten Markt beschränkt (BGHZ 131, 107, 113 - Backofenmarkt, m.w.N.). Der Senat hat dabei jedoch die Augen nicht vor dem Umstand verschlossen, daß der ökonomisch bestimmte räumlich relevante Markt über das Inland hinausreichen kann und daß in einem einheitlichen ökonomischen Markt die starke Präsenz eines Wettbewerbers in einem räumlichen Marktsegment stets die Chance bietet, diese Stellung auf andere Marktsegmente zu erstrecken. In der Backofenmarkt-Entscheidung wird diesem Gesichtspunkt dadurch Rechnung getragen, daß die Wirkung aktuellen oder potentiellen Wettbewerbs aus dem Ausland, dem sich ein Unternehmen auf dem inländischen Markt ausgesetzt sieht, den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechend in vollem Umfang berücksichtigt werden könne und müsse (BGHZ 131, 107, 115).

Nach den vom Bundeskartellamt getroffenen Feststellungen, die der rechtlichen Prüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren zugrunde zu legen sind, verfügt Airflo Europe - unabhängig von Limburg - in Westeuropa über einen Marktanteil von 9,1%, der freilich fast ausschließlich auf Umsätzen außerhalb Deutschlands beruht. Diese Marktstellung gründet sich im wesentlichen auf eine starke Stellung von Airflo Europe im Bereich des Sortimentshandels (35%), während der Anteil an der Belieferung des Einzelhandels und der Gerätehersteller zwischen 5 und 6% liegt. Für die Melitta-Gruppe stellen diese Aktivitäten eine ständige Bedrohung auch für die inländische Marktposition dar. Zwar handelt es sich - ausgehend von einem fiktiven auf das Inland beschränkten räumlichen Markt - hierbei lediglich um Substitutionswettbewerb, dem aber im Hinblick auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse, auf die die Backofenmarkt-Entscheidung in diesem Zusammenhang abstellt (BGHZ 131, 107, 115 - Backofenmarkt), naturgemäß eine besondere Rolle zukommt. Für den Regelfall muß daher davon ausgegangen werden, daß beispielsweise die inländische Nachfrage des Sortimentshandels jederzeit auf das im europäischen Ausland ohnehin schon starke Angebot von Airflo Europe ausweichen kann. Indem diese Bedrohung durch den Zusammenschluß unterbunden wird, verstärkt sich die Stellung der Melitta-Gruppe auch auf dem (fiktiven) inländischen Markt.

d) Unabhängig davon hat die Rüge der Rechtsbeschwerde aber auch deswegen Erfolg, weil an dem in der Backofenmarkt-Entscheidung aufgestellten Grundsatz, der räumlich relevante Markt könne nicht größer als das Bundesgebiet sein, aus heutiger Sicht nicht festgehalten werden kann.

aa) Die Vorstellung eines normativ beschränkten räumlichen Marktes entsprach zwar im Jahre 1995 noch einer weit verbreiteten Ansicht, doch lag stets ein gewisser Widerspruch darin, daß der relevante Markt bei dem Geltungsbereich des Gesetzes an eine normative Grenze stößt. Denn die räumlichen Grenzen eines Marktes lassen sich allein nach ökonomischen und nicht nach rechtlichen Kategorien bemessen. Im europäischen Binnenmarkt, in dem die nationalen Grenzen keine Marktzutrittsschranken mehr bilden und sich deswegen die räumlich relevanten Märkte unabhängig von den Staatsgrenzen zwischen den Mitgliedstaaten entwickeln, ist eine solche mit der ökonomischen Wirklichkeit nicht in Einklang stehende künstliche Grenze besonders unbefriedigend (vgl. die Kritik an der Backofenmarkt-Entscheidung bei Lange, BB 1996, 1997, 2000 f.; Dreher, JZ 1996, 1025, 1028; Schütz, WuW 1996, 286 ff.; Mäger, BB 2001, 1105, 1106 f.; Brinker, WiB 1996, 134; Paschke, ZHR 160 (1996), 673, 676 f.).

bb) Für eine normative Begrenzung des räumlich relevanten Marktes bestehen keine zwingenden Gründe.

(1) Ausgehend von der zutreffenden Annahme, daß nach deutschem Kartellrecht ein Zusammenschluß nur untersagt werden kann, wenn er im Geltungsbereich des Gesetzes eine marktbeherrschende Stellung entstehen läßt oder verstärkt (§ 130 Abs. 2, § 36 Abs. 1 GWB), diente die normative Begrenzung des räumlich relevanten Marktes dazu, den räumlich relevanten Markt mit dem Gebiet in Deckung zu bringen, in dem das Entstehen oder die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung festgestellt werden muß. Eine Notwendigkeit hierzu besteht aber nicht. Denn wenn ein Unternehmen durch einen Zusammenschluß auf einem Markt, der über die Grenzen eines Landes hinausgeht, eine marktbeherrschende Stellung erlangt, dann liegt auch in jedem räumlichen Teilbereich dieses Marktes eine beherrschende Stellung vor. Umgekehrt fehlt es an einer marktbeherrschenden Stellung im Geltungsbereich des Gesetzes, wenn ein Unternehmen lediglich in dem inländischen Marktsegment über einen Anteil verfügt, der - wenn es sich nicht um ein Marktsegment, sondern um einen eigenständigen Markt handelte - die Annahme einer Marktbeherrschung rechtfertigen könnte.

Die Rechtsbeschwerdeerwiderung hat sich in diesem Zusammenhang darauf gestützt, daß "die zum Schutz außerdeutscher europäischer Teilmärkte berufenen Institutionen ... den Zusammenschluß nicht aufgegriffen (haben), obwohl nach Ansicht des Bundeskartellamts der Zusammenschluß zu der Verstärkung Melittas in ganz Westeuropa führt". Auch hieraus läßt sich indessen kein Argument gegen die Berücksichtigung der ökonomischen Gegebenheiten ableiten. Der angemeldete Zusammenschluß fällt eindeutig in den Anwendungsbereich der deutschen Fusionskontrolle. Die Schwellenwerte des § 35 Abs. 1 GWB sind überschritten, während die für die Anwendung der europäischen Fusionskontrolle maßgeblichen Schwellenwerte des Art. 1 Abs. 2 und 3 FKVO a.F. nicht erreicht werden (§ 35 Abs. 3 GWB). Für einen Antrag nach § 22 Abs. 2 FKVO a.F. bestand schon deswegen kein Anlaß, weil das deutsche Recht eine Handhabe zur Untersagung des Zusammenschlusses gibt und hiervon auch Gebrauch gemacht worden ist.

(2) Ein wichtiges Argument für die normative Begrenzung des räumlich relevanten Marktes lag und liegt auch heute noch in den beschränkten Ermittlungsmöglichkeiten, die die Kartellbehörden im Ausland haben (vgl. BGHZ 131, 107, 114 - Backofenmarkt). Abgesehen davon, daß diese Schwierigkeiten in der europäischen Union nicht zuletzt durch das Netzwerk, das die Kartellbehörden der Mitgliedstaaten miteinander verbindet, geringer werden, bestehen derartige Schwierigkeiten in ähnlicher Weise, wenn der Markt normativ beschränkt wäre. Denn in diesem Fall muß - freilich nicht im Rahmen der Marktabgrenzung, sondern bei der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung - der aktuelle oder potentielle Wettbewerb aus dem Ausland berücksichtigt werden (vgl. BGHZ 131, 107, 115). Ihn zu ermitteln ist die Kartellbehörde ohnehin von Amts wegen gehalten. Soweit dabei Schwierigkeiten auftreten, die in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht überwunden werden können, kann die Kartellbehörde Feststellungen zu den ausländischen Teilmärkten notfalls auf einer schwächeren Tatsachengrundlage treffen und - wenn nicht anders möglich - mit Schätzungen arbeiten. In diesem Fall muß den Beteiligten jedoch vor Erlaß der Untersagungsverfügung - spätestens mit der sogenannten Abmahnung - Gelegenheit gegeben werden, die dort getroffenen Annahmen zu widerlegen (vgl. Bornkamm in Schwarze [Hrsg.], Europäisches Wettbewerbsrecht im Zeichen der Globalisierung, S. 117, 123; ferner Schütz, WuW 1996, 286, 290).

cc) Hinzu kommt, daß im Rahmen der 6. GWB-Novelle deutlich geworden ist, daß der Gesetzgeber allein von einem ökonomischen Marktbegriff ausgeht. Zwar kann die Ergänzung des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB um das Kriterium "des tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerbs durch innerhalb oder außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes ansässige Unternehmen" insofern als eine Bestätigung der Backofenmarkt-Entscheidung verstanden werden, als auch dort die Berücksichtigung des Wettbewerbs aus dem Ausland als notwendig angesehen wird (BGHZ 131, 107, 115 - Backofenmarkt). Die Begründung des Regierungsentwurfs bringt aber zum Ausdruck, daß die in der Backofenmarkt-Entscheidung getroffene Aussage mißverständlich sei. Durch die Gesetzesänderung solle demgegenüber "klargestellt werden, daß bei der Prüfung der Marktbeherrschung im Rahmen der Fusionskontrolle die Wettbewerbsverhältnisse auf dem ökonomisch relevanten Markt berücksichtigt werden müssen" (BT-Drucks. 13/9720, S. 36; vgl. hierzu ferner den Bericht des Wirtschaftsausschusses, BT-Drucks. 13/10633, S. 71).

IV.

Danach kann die angefochtene Entscheidung des Beschwerdegerichts keinen Bestand haben. Sie ist aufzuheben. Dem Senat ist eine abschließende Entscheidung in der Sache verwehrt. Das Beschwerdegericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, in welchem Umfang sich die Marktstellung der Melitta-Gruppe auf dem relevanten Markt verstärkt. Zwar hat das Bundeskartellamt einen Marktanteilszuwachs von 47,7 auf 56,8% für den umfassenden sachlichen Markt und einen Zuwachs von 40,2 auf 43,3% im reinen Handelssegment festgestellt. Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen der Beteiligten vor dem Oberlandesgericht können jedoch diese Feststellungen einer Senatsentscheidung nicht als unstreitiger Vortrag zugrunde gelegt werden.

In dem wiedereröffneten Beschwerdeverfahren hat das Oberlandesgericht Gelegenheit, eine abschließende Entscheidung über den relevanten sachlichen Markt zu treffen. Gegebenenfalls kann diese Vorfrage erneut offenbleiben, wenn sie das Ergebnis nach den Feststellungen, die das Beschwerdegericht zur Frage der Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung der Melitta-Gruppe zu treffen hat, nicht beeinflußt.

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