VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.11.1997 - 10 S 2113/97
Fundstelle
openJur 2013, 10618
  • Rkr:

1. Zum besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung einer Fahrtenbuchauflage (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung des Senats).

2. Es besteht kein doppeltes "Recht", nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben (im Anschluß an BVerwG, Beschluß vom 22.06.1995 - 11 B 7/95 -, Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr 22).

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Fahrtenbuchauflage das entgegenstehende Interesse des Antragstellers, ein Fahrtenbuch nicht vor rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens führen zu müssen.

Das Landratsamt hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung den Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO entsprechend eingehend schriftlich begründet.

Die Anordnung des Fahrtenbuchs ist - wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat - bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage auch zu Recht erfolgt. Dem dürfte der Antragsteller nicht entgegenhalten können, daß er lediglich von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht habe. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht ein Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrecht des Fahrzeughalters in einem Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren der Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuches nicht entgegen (Beschlüsse vom 22.06.1995 - 11 B 7.95 -,  Buchholz 442.16 § 31 a StVZO Nr. 22 und vom 20.07.1983 - 7 B 96.82 -, Buchholz, aaO, Nr. 13; vgl. auch BVerfG, Beschluß vom 07.12.1981, NJW 1982, 568). Insbesondere besteht kein doppeltes Recht, nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben (BVerwG, Beschluß vom 22.06.1995, aaO). Auch dürfte die Feststellung des verantwortlichen Fahrers nicht möglich gewesen sein, weil die Bußgeldbehörde alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats erübrigen sich in aller Regel und so auch hier weitere Ermittlungen, wenn der Fahrzeughalter im Hinblick auf sein Aussageverweigerungsrecht als Beschuldigter oder auf sein Zeugnisverweigerungsrecht als Zeuge zu erkennen gibt, daß er eine Erklärung darüber ablehnt, wer das Fahrzeug zum maßgeblichen Zeitpunkt geführt hat (BVerwG, Urteil vom 17.12.1982, Buchholz, aaO, Nr. 12; Urteil des Senats vom 18.06.1991 - 10 S 938/91 -, NJW 1992, 132 = VBlBW 1992, 64).

Der Senat folgt dem Verwaltungsgericht aber nicht darin, daß trotz der voraussichtlichen Rechtmäßigkeit der Fahrtenbuchauflage dem Verschonungsinteresse des Antragstellers der Vorrang jedenfalls deshalb einzuräumen sei, weil es an einem besonderen öffentlichen Vollzugsinteresse im Sinne des       § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO fehle. Es kann offenbleiben, ob - wie das Verwaltungsgericht meint - es für das gerichtliche Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO trotz summarisch festgestellter voraussichtlicher Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts noch eines weitergehenden Vollzugsinteresses bedarf (vgl. zum Meinungsstand in dieser Frage Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 RdNr. 254). Denn ein besonders öffentliches Vollzugsinteresse ist vorliegend gegeben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, an der festzuhalten ist, kann nämlich im Interesse der Sicherheit des Straßenverkehrs in aller Regel und - wie der Antragsgegner zutreffend im einzelnen dargelegt hat - so auch hier auf das sofortige Führen eines Fahrtenbuchs nicht verzichtet werden (vgl. etwa die Beschlüsse des Senats vom 11.09.1986 - 10 S 2238/86 - und vom 13.10.1976 - X 1066/76 -).

Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, daß ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse jedenfalls wegen fehlender Wiederholungsgefahr zu verneinen sei, da es keine Anhaltspunkte dafür gebe, daß mit dem Fahrzeug des Antragstellers wiederholt gegen Verkehrsbestimmungen verstoßen worden sei, und deshalb auch in Zukunft nicht mit einem Verkehrsverstoß gerechnet werden müsse, der dann wiederum nicht geahndet werden könne. Das Verwaltungsgericht verkennt, daß es auf eine konkrete Wiederholungsgefahr schon in § 31 a StVZO nicht ankommt. Denn § 31 a StVZO begnügt sich mit einer abstrakten Wiederholungsgefahr, die ersichtlich daran anknüpft, daß der verantwortliche Fahrer bei Begehung des Verkehrsverstoßes anonym geblieben ist (vgl. auch den Beschluß des Senats vom 13.10.1976, aaO). Diese abstrakte Wiederholungsgefahr besteht auch im Zeitraum bis zum rechtskräftigen Abschluß eines Rechtsmittelverfahrens und erfordert deshalb regelmäßig, daß auch schon in diesem Zeitraum das Fahrtenbuch geführt wird.

Daneben ist auch die spezialpräventive Funktion einer Fahrtenbuchauflage zu berücksichtigen. Der Senat hat bereits in seinem Beschluß vom 13.10.1976 (aaO) darauf abgehoben, daß das Führen eines Fahrtenbuchs nicht nur die Ermittlung begangener Verkehrsverstöße fördert, sondern vielmehr auch dazu beiträgt, daß etwaige Verstöße künftig unterbleiben, weil es sich positiv auf die Verkehrsdisziplin eines Fahrzeugführers auswirkt, wenn er damit rechnen muß, daß er wegen der durch das Fahrtenbuch feststellbaren Fahreridentität für jeden Verkehrsverstoß zur Verantwortung gezogen wird (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluß vom 14.03.1995, NJW 1995, 2242). Gerade auch dieser im Hinblick auf die Verkehrssicherheit besonders wichtige Aspekt verlangt es, daß das Fahrtenbuch in aller Regel in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem wegen fehlender Ermittlung des Fahrers nicht geahndeten Verkehrsverstoß zu führen ist.

§ 31 a StVZO gehört mithin zu den Vorschriften, bei denen zur Abwehr von Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter, nämlich die Ordnung und Sicherheit im Straßenverkehr und damit letztlich auch die Bewegungsfreiheit und körperliche Unversehrtheit aller Bürger einschließlich des Antragstellers (vgl. BVerfG, Beschluß vom 07.12.1981, aaO), das besondere öffentliche Vollzugsinteresse nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO im Regelfall mit dem Interesse am Erlaß des Verwaltungsakts zusammenfällt (vgl. Schoch, aaO, § 80 RdNr. 148 f.). Dadurch wird zwar - wie der Antragsgegner zutreffend erkannt hat - im Einzelfall eine Abwägung zwischen den Beteiligteninteressen nicht entbehrlich (vgl. BVerfG, Beschluß vom 19.02.1991, NVwZ-RR 1991, 365); diese beschränkt sich aber im wesentlichen auf die Prüfung, ob nicht ausnahmsweise in Ansehung der besonderen Umstände des Falles die sofortige Vollziehung weniger dringlich als im Normalfall ist (vgl. Kopp, VwGO, 10. Aufl., § 80 RdNr. 52 unter Hinweis auf BVerfG, DVBl. 1985, 670 und m.w.N.). Für einen derartigen Ausnahmefall ist nichts ersichtlich, zumal der Antragsteller weder im Ordnungswidrigkeitenverfahren noch im Verwaltungsverfahren Angaben gemacht hat, die eine Würdigung etwaiger besonderer Umstände des Falles erst ermöglicht hätten. Da das Führen eines Fahrtenbuchs für den Antragsteller auch keine allzu schwerwiegende Belastung mit sich bringt (vgl. zu diesem Kriterium, BVerfG, Beschluß vom 12.09.1995, DVBl. 1995, 1297), diese vielmehr über eine gewisse mit geringem Zeitaufwand verbundene Belästigung nicht hinausgeht (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluß vom 14.03.1995, aaO), überwiegt nach alledem das öffentliche Vollziehungsinteresse sein privates Verschonungsinteresse.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Änderung und Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 25 Abs. 2 S. 1 und 3, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 S. 1 GKG. Der Senat orientiert sich am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Januar 1996 (NVwZ 1996, 563 = DVBl. 1996, 605), nach dem sich der Streitwert bezüglich einer Fahrtenbuchauflage auf 500,-- DM je Monat beläuft. Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht zutreffend einen Streitwert von   4.000,-- DM errechnet. Es hat aber nicht berücksichtigt, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Senats der Streitwert im Eilverfahren zu halbieren ist. Die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ist dementsprechend zu ändern.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 S. 2 GKG).