OLG Stuttgart, Beschluss vom 20.04.2004 - 18 UF 30/03
Fundstelle
openJur 2011, 120432
  • Rkr:

1. Die Ersetzung der Sorgeerklärung eines Elternteils gem. Art. 224 § 2 Abs. 3 EGBGB in Fällen, in denen sich die nicht miteinander verheirateten Eltern vor dem 1. 7. 1998 getrennt haben, setzt voraus, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Wohl des Kindes dient. Dabei ist auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Ersetzungsantrag abzustellen.

2. Die gemeinsame Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern dient nur dann dem Wohl des Kindes, wenn bei beiden Elternteilen Kooperationsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit in den Angelegenheiten des Kindes vorhanden sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob in absehbarer Zeit Entscheidungen in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind zu treffen sind (§ 1687 Abs. 1 S. 1 BGB).

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tübingen - Familiengericht - vom 19.05.1999 (6 F 60/99) wird zurückgewiesen.

2. Die Anträge des Antragstellers, die Sorgeerklärung der Kindesmutter zu ersetzen,

hilfsweise die Sorgeerklärung der Kindesmutter insoweit zu ersetzen, als das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Wahl der Schullaufbahn sowie der beruflichen Ausbildung und grundlegende Entscheidungen im Bereich der medizinischen Versorgung betroffen sind, werden zurückgewiesen.

3. Der Antragsteller trägt die Gerichtskosten des Verfahrens 18 UF 30/03 und die dort entstandenen außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin.

Ansonsten wird von der Erhebung von Gerichtskosten und der Anordnung einer Erstattung außergerichtlicher Kosten abgesehen.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

5. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 8.000,00 DM

Gründe

I. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin, sind die nicht verheirateten Eltern des am ... geborenen Kindes M.. Im Zeitpunkt der Geburt und die folgenden Jahre haben die Eltern in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammengewohnt. Die Antragsgegnerin hat ihre Ausbildung begonnen; bis zu dessen Beendigung hat sich der Antragsteller neben seiner Erwerbstätigkeit vornehmlich um die Pflege und Erziehung von M. gekümmert.

Im Februar 1996 ist die Antragsgegnerin mit dem Kind aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Am 01.03.1996 haben die Eltern eine Vereinbarung zum Aufenthalt von M. geschlossen und darin festgelegt, dass sich M. von Montag bis Mittwoch abends beim Antragsteller und von Mittwoch abends bis einschließlich Freitag bei der Antragsgegnerin aufhält und die Wochenenden in wöchentlichem Wechsel bei Vater und Mutter verbringt.

Bereits vor und auch nach Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes zum 01.07.1998 hat der Antragsteller, der am 12.02.1999 vor dem Landratsamt - Kreisjugendamt - erklärt hat, die elterliche Sorge für M. gemeinsam mit der Antragsgegnerin ausüben zu wollen, diese gebeten, gleichfalls eine Sorgeerklärung abzugeben. Die Antragsgegnerin hat dies bis heute abgelehnt.

Die ablehnende Haltung der Antragsgegnerin war Anlass für den Antragsteller, am 15. 2. 1999 beim Familiengericht den Antrag zu stellen, den Eltern die elterliche Sorge, hilfsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Wahl der Schullaufbahn und der beruflichen Ausbildung sowie grundlegende Entscheidungen im Bereich der medizinischen Vorsorge gemeinsam zu übertragen. Das Familiengericht hat Haupt- und Hilfsantrag des Antragstellers durch Beschluss vom 19.05.1999 zurückgewiesen.

Gegen diesen seinem Rechtsvertreter am 02.06.1999 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller die am 08.06.1999 beim Oberlandesgericht eingegangene Beschwerde eingelegt, mit der er seinen Antrag aus dem ersten Rechtszug weiterverfolgte.

Der Senat hat mit Beschluss vom 02.12.1999 (18 UF 259/99) die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Tübingen vom 19.05.1999 als unbegründet zurückgewiesen. Diese Entscheidung stützte der Senat darauf, dass unabhängig von der Frage einer Verfassungswidrigkeit des § 1626a BGB die gemeinsame Sorge im hier vorliegenden Fall auch dann nicht anzuordnen wäre, wenn das Gesetz eine entsprechende Möglichkeit bereithalten würde. Nach den damaligen Feststellungen des Senats konnte weder davon ausgegangen werden, dass die Eltern im erforderlichen Umfang kooperationsbereit sind noch dass ihre fehlende Kooperationsbereitschaft ohne negative Auswirkungen auf M. bleiben würde.

Mit der vom Senat zugelassenen, weiteren Beschwerde verfolgte der Antragsteller vor dem Bundesgerichtshof sein bereits in erster und zweiter Instanz verfolgtes Begehren, die gemeinsame elterliche Sorge für M. herzustellen, weiter. Der BGH hat mit Beschluss vom 04.04.2001 (XII ZB 3/00, FamRZ 2001, 907) die weitere Beschwerde zurückgewiesen. § 1626a BGB sei entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht verfassungswidrig und entspräche auch den völkerrechtlichen Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Weil die Vorschrift zwingend die Zustimmung der Mutter zur Begründung der gemeinsamen Sorge voraussetzt und weil Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung im Sinne von § 1666 BGB im vorliegenden Fall nicht ersichtlich seien, sei der Antrag des Vaters auf eine Rechtsfolge gerichtet, die im Gesetz nicht vorgesehen ist.

Der Antragsteller hat gegen diese Entscheidungen und mittelbar auch gegen § 1626a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 BGB Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 29.01.2003 (1 BvR 933/01, FamRZ 2003, 285) in Bezug auf die angegriffene Gesetzesnorm und die erwähnten Beschlüsse des AG Tübingen, OLG Stuttgart und BGH wie folgt entschieden:

§ 1626a des Bürgerlichen Gesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Kindschaftsrechts (Kindschaftsrechtsreformgesetzes) vom 16.12.1997 (Bundesgesetzblatt I Seite 2942) ist mit Art. 6 Abs. 2 und 5 des Grundgesetzes insoweit nicht vereinbar, als eine Übergangsregelung für Eltern fehlt, die sich noch vor In-Kraft-Treten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 01.07.1998 getrennt haben.

Dem Gesetzgeber wird aufgegeben, bis zum 31.12.2003 eine verfassungsgemäße Übergangsregelung zu treffen. Bis zur gesetzlichen Neuregelung sind gerichtliche Verfahren auszusetzen, soweit die Entscheidung nach Maßgabe der Gründe von der Verfassungsmäßigkeit des § 1626a des Bürgerlichen Gesetzbuches abhängt.

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 04.04.2001 - XII ZB 3/00 -, der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 02.12.1999 - 18 UF 259/99 - und der Beschluss des Amtsgerichts Tübingen vom 19.05.1999 - 6 F 60/99 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs und des Oberlandesgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Stuttgart zurückverwiesen.

Mit Beschluss vom 13.03.2003 hat der Senat das Verfahren entsprechend § 148 ZPO bis zur Schaffung der vom BVerfG verlangten gesetzlichen Neuregelung ausgesetzt. Nach Inkrafttreten von Art. 224 § 2 EGBGB am 31.12.2003 hat der Senat das Verfahren wieder aufgenommen und mit Beschluss vom 12.01.2004 für M. gem. § 50 FGG einen Verfahrenspfleger bestellt. Den vor Wiederaufnahme des Verfahrens gestellten Antrag des Antragstellers auf einstweilige Anordnung mit dem Ziel einer Beteiligung an der elterlichen Sorge, hilfsweise eines Mitentscheidungsrechts über einzelne Fragen der elterlichen Sorge hat der Senat zurückgewiesen.

Der Senat hat am 30.03.2004 über die Beschwerde des Antragstellers erneut mündlich verhandelt. In dieser Verhandlung stellte der Antragsteller folgende Anträge:

Unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Tübingen vom 19.05.1999 - 6 F 60/99 - wird die Sorgeerklärung der Kindsmutter ersetzt,

hilfsweise, die Sorgeerklärung der Kindsmutter wird insoweit ersetzt, als das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Wahl der Schullaufbahn sowie der beruflichen Ausbildung und grundlegende Entscheidungen im Bereich der medizinischen Versorgung betroffen sind.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

die Beschwerde des Antragstellers und dessen nunmehr gestellte Anträge zurückzuweisen.

Der Verfahrenspfleger hat sich in seiner Stellungnahme vom 08.03.2004, sowie während der mündlichen Verhandlung vor dem Senat für die Beibehaltung der Alleinsorge der Antragsgegnerin ausgesprochen.

Das am Verfahren beteiligte Jugendamt hatte Gelegenheit, sich zu äußern (§ 49a FGG).

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung zunächst M. im Beisein des Verfahrenspflegers und in Abwesenheit der übrigen Verfahrensbeteiligten persönlich angehört (§ 50b FGG).

Die Anhörung von M. hat im Wesentlichen folgendes ergeben:

(...)

Anschließend wurden die Eltern, denen das Ergebnis der Kindesanhörung bekannt gegeben worden war, in Abwesenheit von M. persönlich angehört (§ 50 a FGG).

Diese Anhörung hat im Wesentlichen ergeben, dass die Eltern weiterhin an dem zwischen ihnen in der Vereinbarung vom 01.03.1996 festgelegten Wechselmodell in Bezug auf den Aufenthalt von M. festhalten. (...).

Die vom Senat während der anschließenden Erörterung geäußerten Zweifel an der Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft der Eltern in den Angelegenheiten von M. werden vom Antragsteller bestritten, von der Antragsgegnerin jedoch im Wesentlichen bestätigt.

II. Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Tübingen - Familiengericht vom 19.05.1999 ist auch nach neuer Rechtslage nicht begründet. Auch seine nunmehr gestellten Anträge auf gerichtliche Ersetzung der Sorgeerklärung der Antragsgegnerin sind weder im Hauptantrag noch im Hilfsantrag begründet.

1. Die Voraussetzungen, unter denen der Antragsteller die von ihm angestrebte Beteiligung an der elterlichen Sorge für M. erlangen kann, richten sich nach dem zum 31.12.2003 in Kraft getretenen Art. 224 § 2 Abs. 3 und 4 EGBGB. Bei dieser vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 29.01.2003 (FamRZ 2003, 285) verlangten Übergangsvorschrift handelt es sich um die gerichtliche Ersetzung einer Erklärung des mit dem Antragsteller nicht verheirateten Elternteils gem. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB. Der Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, ein reines Antragsverfahren zur Übertragung der elterlichen Sorge in Fällen der hier gegebenen Art einzuführen (Bundestagsdrucksache 15/1552, S. 8). Soweit das Amtsgericht - Familiengericht Tübingen im erstinstanzlichen Beschluss den auf Übertragung der gemeinsamen Sorge gerichteten Antrag des Antragstellers abgewiesen hat, erweist sich diese Entscheidung auch nach der seit 31.12.2003 geltenden Rechtslage als zutreffend. Wenngleich der Antragsteller seinen ursprünglichen Antrag nun nicht mehr weiterverfolgt, ist zur Klarstellung auszusprechen, dass die - nicht ausdrücklich zurückgenommene oder für erledigt erklärte - Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Familiengerichts zurückgewiesen wird.

2. Der Antrag auf Ersetzung der Sorgeerklärung der Antragsgegnerin setzt zu seiner Begründetheit gemäß Art. 224 § 2 Abs. 3 und 4 EGBGB voraus, dass der Antragsteller bereits eine wirksame Sorgeerklärung abgegeben hat, die nicht verheirateten Eltern längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft die elterliche Verantwortung für ihr Kind gemeinsam getragen und sich vor dem 01.07.1998 getrennt haben. Diese Voraussetzungen liegen nach den getroffenen Feststellungen des Senats vor. Hierüber herrscht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.

Allerdings hat das Gericht die Ersetzung der Sorgeerklärung des anderen Elternteils nur dann vorzunehmen, wenn die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl dient. Die Feststellungslast für das Vorliegen auch dieser Voraussetzung liegt beim antragstellenden Elternteil (siehe Bundestagsdrucksache 15/1552, S. 10). Der Senat vermochte sich aufgrund der persönlichen Anhörung beider Eltern und des Kindes, der Stellungnahme des Verfahrenspflegers und schließlich aufgrund der zur Akte gelangten Schreiben der Eltern und Schriftsätze deren Verfahrensbevollmächtigter nicht davon zu überzeugen, dass die gemeinsame Sorge dem Wohl von M. dient.

a) Wie das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 29.01.2003 unter C. I. 2. a) (FamRZ 2003, 285, 288 f.) ausgeführt hat, beruht die mit dem Kindschaftsrechtsreformgesetz durch § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB den Eltern eines nichtehelichen Kindes eröffnete Möglichkeit, rechtlich gemeinsam Sorge für ihr Kind zu tragen, auf einem Regelungskonzept, das unter Kindeswohlgesichtspunkten den Konsens der Eltern über die gemeinsame Sorgetragung zu deren Voraussetzung macht. Die gemeinsame Sorge setzt danach im Kindeswohlinteresse bei beiden Elternteilen die Bereitschaft voraus, aus der Elternstellung nicht nur Rechte herleiten zu wollen, sondern auch Pflichten gegenüber dem Kind zu übernehmen, also Verantwortung für das Kind zu tragen. Die Ausübung dieser gemeinsamen Verantwortung erfordert nach dem Dafürhalten des Bundesverfassungsgerichts den Aufbau einer persönlichen Beziehung zum Kind durch jeden Elternteil und bedarf eines Mindestmaßes an Übereinstimmung zwischen den Eltern. Fehlt es hieran und sind die Eltern zur Kooperation weder bereit noch in der Lage, kann die gemeinsame Sorge für das Kind dem Kindeswohl zuwiderlaufen. Der Gesetzgeber durfte nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts davon ausgehen, dass eine gegen den Willen eines Elternteils erzwungene gemeinsame Sorge regelmäßig mit mehr Nachteilen als Vorteilen für das Kind verbunden ist.

Für Fälle wie dem vorliegenden, in denen die Trennung der Eltern vor dem 01.07.1998 erfolgt ist und diesen daher in der Zeit ihres Zusammenlebens die Begründung der gemeinsamen Sorge durch übereinstimmende Sorgeerklärungen verbaut war, führt das Bundesverfassungsgericht weiterhin aus, dass aus der Tatsache der Trennung der Eltern nicht typisierend geschlossen werden könne, dass es den Eltern an der notwendigen Kooperationsbereitschaft fehlt. Auch die nach der Trennung erklärte Weigerung der Mutter, eine Sorgeerklärung abzugeben, sei dafür kein ausreichendes Indiz. Allerdings könne in solchen Fällen auch nicht vermutet werden, dass die gemeinsame Sorge der Eltern in der Regel dem Kindeswohl dient. Deshalb habe der Gesetzgeber für derartige Fälle dem Vater, welcher die gemeinsame Sorge mit der Mutter erhalten will, die aber keine Sorgeerklärung abgibt, eine gerichtliche Einzelfallprüfung zu eröffnen, ob das Kindeswohl einer gemeinsamen Sorgetragung entgegensteht.

b) Der Gesetzgeber hat sich mit der schließlich verabschiedeten Fassung von Art. 224 § 2 Abs. 3 EGBGB bewusst für einen strengeren Prüfungsmaßstab in Bezug auf das Kindeswohl entschieden, indem er die positive Feststellung der Kindeswohldienlichkeit zur Voraussetzung für den Übergang zur gemeinsamen Sorge gemacht hat (Bundestagsdrucksache 15/1552, S. 10). Die vom Antragsteller hiergegen geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken vermag der Senat nicht zu teilen. Die Wortwahl des Gesetzgebers steht in Übereinstimmung mit derjenigen in anderen Vorschriften, welche die Beteiligung des mit der Mutter nicht verheirateten Vaters an der elterlichen Sorge betreffen. Erwähnt seien § 1680 Abs. 2 S. 2 BGB, an dessen Verfassungsmäßigkeit Zweifel in der Rechtsprechung - soweit ersichtlich - bisher nicht geäußert wurden, sowie § 1672 Abs. 1 S. 2 BGB, dessen Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 23.04.2003 (FamRZ 2003, 1447) bestätigt hat. Der Senat sieht daher keine Veranlassung, das Verfahren erneut auszusetzen und die Sache gem. § 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.

c) Bei der Prüfung, ob die gemeinsame Sorge dem Wohl des Kindes dient im Sinne von Art. 224 § 2 Abs. 3 EGBGB sind die aus anderen Verfahren betreffend die elterliche Sorge bekannten Kriterien wie etwa die gewachsenen Bindungen des Kindes oder die Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern unter Berücksichtigung des Kindeswillens heranzuziehen (Bundestagsdrucksache 15/1552, S. 10). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung des Kindeswohls ist derjenige der gerichtlichen Entscheidung, nicht etwa derjenige der Trennung der Eltern oder des Inkrafttretens des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 01.07.1998. Die seitdem stattgefundenen Ereignisse und Entwicklungen sind somit in die Abwägung mit einzubeziehen. Selbst wenn während des Zusammenlebens der Eltern oder bei Abgabe der Sorgeerklärung durch den Antragsteller am 12.02.1999 die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl gedient hätte, ist der Antrag auf Ersetzung der Sorgeerklärung der Antragsgegnerin zurückzuweisen, weil gegenwärtig die gemeinsame Sorge nicht (mehr) dem Wohl von M. dient.

d) Bei beiden Elternteilen fehlt die zur Übernahme der gemeinsamen Sorge erforderliche Kooperationsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit. Diese muss sich - anders als vom Antragsteller angenommen - nicht nur auf Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist (§§ 1628, 1687 Abs. 1 BGB) beziehen. Deshalb kann nicht ausschlaggebend sein, ob wichtige, unter § 1687 Abs. 1 S. 1 BGB fallende Entscheidungen in absehbarer Zeit anstehen (Senat FamRZ 1999, 1596 für die Anwendung von § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB; bestätigt durch BGH FamRZ 1999, 1646, 1647). Die von M. bei seiner persönlichen Anhörung mitgeteilte, von der Antragsgegnerin bestätigte Tatsache, dass oftmals bereits Alltagsfragen unter den Eltern zu heftigen, gütlich nicht beizulegenden Streitereien führen, legt außerdem den Schluss nahe, dass die Eltern auch in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung keinen Konsens finden würden, wenn solche von ihnen gemeinsam zu entscheiden wären. Auch M. hat diese Befürchtung und äußerte gegenüber dem Verfahrenspfleger, im Falle der Erweiterung der Rechte des Vaters bestünde die Gefahr, dass die Eltern dann nicht nur über belanglose Dinge streiten, sondern auch noch über wichtige.

M. ist nach dem bei seiner Anhörung durch den Senat gewonnenen Eindruck durchaus in der Lage, das Verhältnis der Eltern zueinander einzuschätzen und die Konsequenzen von deren Streitigkeiten für ihn persönlich zu begreifen. Entgegen der Ansicht des Antragstellers kann die Meinungsäußerung und der Wille des nunmehr 11 Jahre alten Jungen bei der vom Senat zu treffenden Entscheidung nicht außer Betracht gelassen werden. Zwar mag zutreffen, dass sich dieser gegenwärtig in der Auseinandersetzung der Eltern eher auf die Seite der Antragsgegnerin schlägt. Nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrag der Eltern bestehen jedoch auch starke Bindungen an den Antragsteller, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, M. äußere sich deswegen im genannten Sinne, um diesem im vorliegenden Verfahren zu schaden. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Bewertung der Angaben von M. und deren Beachtlichkeit für die zu treffende Entscheidung ist nicht angezeigt, weil sämtliche Senatsmitglieder über langjährige Erfahrungen bei der Anhörung von Kindern und somit über eigene Sachkunde verfügen.

Im Übrigen verhält es sich nicht so, dass Antragsteller und Antragsgegnerin in den für M. wesentlichen Fragen konsensfähig wären. Dies zeigt die Kontroverse um die Wahl einer weiterführenden Schule im Jahr 2003, die der Antragsteller zum Anlass nahm, am 06.03.2003 beim Senat eine einstweilige Anordnung zur Übertragung der gemeinsamen Sorge zu stellen, obgleich die rechtlichen Voraussetzungen zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht gegeben waren. Der Konflikt wurde schließlich in der Weise gelöst, dass die Antragsgegnerin M. in der nahe gelegenen B-Schule anmeldete, wo er sich inzwischen recht wohl fühlt. Auch der Antragsteller äußerte sich bei seiner Anhörung zufrieden mit dieser - gegen seinen damaligen Willen zustande gekommenen - Schulwahl. Dies macht deutlich, dass die Alleinsorge im vorliegenden Fall eher als die gemeinsame Sorge dazu beiträgt, dem Wohl des Kindes dienende Entscheidungen in wesentlichen Angelegenheiten herbeizuführen.

e) Der Senat hat nicht die Erwartung, dass sich das Verhältnis der Eltern zueinander bei antragsgemäßer Entscheidung in absehbarer Zeit verbessern und deshalb die gemeinsame Sorge - was derzeit nicht der Fall ist - dem Wohl des Kindes dienen wird. Die Kommunikation und Beziehung von Antragsteller und Antragsgegnerin zueinander erscheint tiefgreifend gestört, wobei sie immer weniger in der Lage sind, ihre Konflikte untereinander von der Elternebene zu trennen. Die Antragsgegnerin fühlt sich in ihren Persönlichkeitsrechten und ihrer elterlichen Autorität beeinträchtigt, weil im Haushalt des Antragstellers - auch im Beisein von M. - abwertende Äußerungen, die auch den geschlechtlichen Bereich betreffen, fallen und ihre Erziehungsfähigkeit in Frage gestellt wird. Letzteres hat M. bei seiner persönlichen Anhörung durch den Senat bestätigt. Eine weitere Verschlechterung der Kommunikationsmöglichkeiten ergibt sich daraus, dass die neue Lebensgefährtin des Antragstellers seit über einem Jahr der Antragsgegnerin den Zutritt zur Wohnung verweigert, wogegen der Antragsteller nach seinen Bekundungen nichts ausrichten kann oder will. Weil die Antragsgegnerin als Reaktion hierauf dem Antragsteller den Zutritt zu ihrer Wohnung ebenfalls versagt, ist die Kommunikation der Eltern in den das Kind betreffenden Angelegenheiten weiter eingeschränkt und konzentriert sich im Wesentlichen auf die äußerst konflikthaft verlaufenden Telefonate.

Dass es dem Antragsteller vorwiegend um die Verfolgung seiner eigenen Interessen geht, zeigt auch das Zeitungsinterview vom ..., welches in Kopie zur Akte gelangt ist. Darin äußert sich der Antragsteller bedauernd, dass er sich bei Trennung von der Antragsgegnerin auf eine "merkwürdige Umgangsregelung" eingelassen habe, wodurch diese die halbe Woche einen Gratis-Babysitter hatte, damit sie arbeiten und ihre neue Beziehung pflegen konnte. Er selbst hätte liebend gern auf die gewählte Rollenteilung verzichtet, um dem Jungen bei sich Ruhe und Kontinuität zu geben. Die Antragsgegnerin fühlt sich durch diese und andere veröffentlichte Äußerungen des Antragstellers in ihrer Befürchtung bestätigt, dass es diesem in Wirklichkeit um die alleine elterliche Sorge für M. geht und die Erlangung der gemeinsamen Sorge für diesen nur einen Zwischenschritt auf dem Weg dorthin darstellt. Dies hat der Antragsteller bei seiner persönlichen Anhörung durch den Senat zwar bestritten, konnte Zweifel an seinen weiteren Absichten jedoch nicht zerstreuen. In einem am 07.04.2004 dem Senat zugeleiteten Schreiben kündigt der Antragsteller an, das bisherige Modell der Mitbetreuung von M. beenden zu wollen, falls ihm die Beteiligung an der elterlichen Sorge weiterhin versagt bleibe.

f) Eine weitere Konfliktursache wird nach der Befürchtung des Senats daraus resultieren, dass sich auch M. bei seiner persönlichen Anhörung unzufrieden äußerte mit der Praktizierung des Wechselmodells gemäß der Elternvereinbarung vom 01.03.1996. Dies mag auch in Zusammenhang stehen mit seinen Konflikten mit der Lebensgefährtin des Antragstellers, welche von letzterem bei seiner Anhörung bestätigt wurden. Der Antragsteller äußerte in dem bereits erwähnten Schreiben, M. sei auch ihm selbst gegenüber seit Jahren sehr aggressiv.

Sollte die weitere Entwicklung zeigen, dass die Fortführung des gegenwärtigen Betreuungsmodells mit dem Wohl von M. nicht mehr im Einklang steht, so sind die Eltern gehalten, einen anderen Modus bei der Kinderbetreuung und bei der Aufrechterhaltung eines engen Kontaktes zu beiden Eltern zu finden. Dabei haben sie - neben anderen Gesichtspunkten des Kindeswohls - auch die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen (§ 1626 Abs. 2 BGB). Angesichts des derzeit schlechten Verhältnisses der Eltern zueinander und der im Zusammenhang mit der Entscheidung über den künftigen Schulbesuch mit M. gemachten Erfahrungen steht zu befürchten, dass bei Bestehen der gemeinsamen Sorge die Eltern ein neues Betreuungsmodell nicht zu finden in der Lage sein werden. Dann wird die Entscheidung durch einen Elternteil allein geboten sein. Bei Vorliegen einer solchen eher ungünstigen Prognose für die Kooperationsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit der Eltern dient die Herstellung der gemeinsamen Sorge durch Ersetzung der Sorgeerklärung der Antragsgegnerin bereits heute nicht dem Kindeswohl.

3. Dem durch den Antragsteller hilfsweise gestellten Antrag, die Sorgeerklärung der Antragsgegnerin teilweise zu ersetzen, ist nicht zu entsprechen. Eine Teil-Sorgeerklärung sieht das Gesetz in § 1626 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht vor. Die gerichtliche Ersetzung der Sorgeerklärung eines Elternteils darf nicht mit einem anderen Inhalt ergehen als sie für die Abgabe der Sorgeerklärung durch den Elternteil selbst zulässig wäre, ansonsten wäre sie unwirksam (§ 1626e BGB). Im Übrigen ist die beantragte Teilersetzung der Sorgeerklärung inhaltlich sehr weitgehend, sie umfasst nahezu das gesamte Personensorgerecht. Auch insoweit könnte nur antragsgemäß entschieden werden, wenn das gemeinsame Personensorgerecht dem Wohl von M. dient, was nach den obigen Ausführungen nicht der Fall ist.

4. Weil das Rechtsmittel des Antragstellers und seine nunmehr gestellten, neuen Anträge ohne Erfolg blieben, sind ihm gem. §§ 94 Abs. 3 S. 2, 131 Abs. 1 Nr. 1 KostO die Gerichtskosten des Verfahrens 18 UF 30/03 aufzuerlegen. Für das Verfahren im ersten und dritten Rechtszug erscheint es angezeigt, von der Auferlegung von Gerichtskosten abzusehen, da die dort getroffenen Entscheidungen auf einer vom Bundesverfassungsgericht als mit dem Grundgesetz nicht vereinbar angesehenen Rechtslage beruhten und daher aufgehoben wurden.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 13a Abs. 1 S. 1 und 2 FGG.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf §§ 621e Abs. 2 Nr. 1, 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO.