OLG Karlsruhe, Beschluss vom 03.07.2006 - 9 Sch 1/06
Fundstelle
openJur 2012, 66361
  • Rkr:
Tenor

1. Der am 05.09.2005 in Genf von den Schiedsrichtern Dr. Pierre A. K..., Dr. Paolo Michele P... und Hilmar R...-K... erlassene Schiedsspruch der ICC, Paris, wird mit folgendem deutschen Wortlaut für vollstreckbar erklärt: Die Schuldnerin hat an die Gläubigerin 2.614.860,-EUR zuzüglich einfacher jährlicher Zinsen vom 01.05.2004 bis zum Zeitpunkt der Zahlung zu zahlen, wobei der Zinssatz 8 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank liegt.

2. Die Schuldnerin trägt die Kosten des Vollstreckbarerklärungsverfahrens.

3. Der Beschluss ist vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert des Vollstreckbarerklärungsverfahrens wird auf 2.614.860,-EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Gläubigerin begehrt die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruches der Internationalen Handelskammer in Paris vom 05.09.2005, der die Schuldnerin zur Zahlung von 2.614.860,-EUR nebst Zinsen verurteilt.

Die Rechtsvorgängerin der Gläubigerin erstritt den Schiedsspruch der IICC vom 05.09.2005, der in G./Schweiz als Ort des Schiedsgerichts ergangen war. Die Schuldnerin erstrebte die Berichtigung des Schiedsspruchs mit der Begründung, das Schiedsgericht habe im Tenor die Zug-um-Zug zu erfüllende Gegenleistung der Gläubigerin vergessen. Mit Beschluss vom 24.12.2005 wies das Schiedsgericht den Berichtigungsantrag zurück.

Die Gläubigerin trägt u.a. vor,

die Schuldnerin sei mit ihren Einwendungen gegen die Vollstreckbarerklärung präkludiert, weil sie in der Schweiz als dem Schiedsort ein Anfechtungs- bzw. Aufhebungsverfahren fristgemäß nicht betrieben habe. Soweit sie mit u.U. nach Erlass des Schiedsspruchs entstandenen Ersatzansprüchen aus Verletzung von Geheimhaltungspflichten aufrechnen wolle, sei dies unzulässig, weil die Schiedsklausel auch solche Ansprüche decke, die zudem sachlicher Grundlage entbehrten. Im Übrigen seien Anerkennungsversagungsgründe nicht gegeben; denn weder habe das Schiedsgericht ohne bestimmten Antrag über Zug-um-Zug zu erfüllende Gegenansprüche entscheiden müssen, noch sei das Gehör der Schuldnerin durch Präklusion erheblichen schuldnerischen Vortrags oder schuldnerischer Beweisantritte verletzt worden.

Die Gläubigerin beantragt (S. 104 d.A.),

den Schiedsspruch der internationalen Handelskammer in Paris (ICC) vom 5. September 2005, erlassen in G., Schweiz, durch Schiedsrichter Pierre A. K..., Paolo Michele P... und Hilmar R...-K..., welche die Schuldnerin verurteilt haben, an die Gläubigerin 2.614.860,-EUR zzgl. Zinsen seit dem 01.05.2004 bis zum Tag der Zahlung in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank zu bezahlen, für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik für vollstreckbar zu erklären, mit der Maßgabe, dass nunmehr aus dem Schiedsspruch M. berechtigt ist, und

der Schuldnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Schuldnerin beantragt (S. 111 d.A.),

den Antrag der Gläubigerin kostenpflichtig zurückzuweisen,

hilfsweise, den Tenor des Schiedsspruchs dahin zu berichtigen, dass die Zahlung geschuldet sei Zug um Zug gegen Rückgewähr all dessen, was die Gläubigerin von der Schuldnerin im Rahmen der Entwicklungsarbeiten an den Motoren erhalten hat,

höchst hilfsweise, Berichtigung des Tenors auf Zug um Zug-Leistung von listenmäßig zusammengestellten Gegenständen (S. 111-115 d.A.).

Die Schuldnerin trägt u.a. vor,

Präklusion komme für ihre Aufhebungsgründe, die auf einem Verstoß gegen den deutschen ordre public gründeten, nicht in Frage. Sie könne mit Ansprüchen aus vertragsverletzender Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen an Dritte aufrechnen. Das Gericht des Vollstreckbarerklärungsverfahrens könne und müsse offensichtliche Lücken des Tenors von Schiedssprüchen durch Berichtigung oder Ergänzung schließen. Das Schiedsgericht habe das Gehör der Schuldnerin verletzt, weil es relevanten Vortrag der Schuldnerin versiegelt und nicht zur Kenntnis genommen und angebotene Zeugen nicht gehört habe.

Wegen des ausführlichen Vortrags der Parteien wird auf ihre Schriftsätze verwiesen.II.

Der zulässige Antrag der Gläubigerin ist begründet (§ 1061 Abs. 1 ZPO iVm Art. III und IV UNÜ). Denn die Schuldnerin kann sich weder auf Anerkennungsverweigerungsgründe (Art. V Abs. 1b, Abs. 2a UNÜ), noch auf anstehende Ergänzung oder Berichtigung, noch auf Aufrechnung berufen.

1. Nach der Rechtsprechung des Senats (zuletzt Beschluss vom 27.03.2006 - 9 Sch 2/05) ist die Schuldnerin mit ihrer Berufung auf Anerkennungsverweigerungsgründe präkludiert, weil sie ihre fristgemäße Geltendmachung im schweizerischen Aufhebungsverfahren versäumt hat. Nach überkommener Rechtsprechung können Anerkennungsverweigerungsgründe im Vollstreckbarerklärungsverfahren nur berücksichtigt werden, wenn eine zulässige und inhaltlich einschlägige Aufhebungsklage im Herkunftsstaat des Schiedsspruches nicht verfristet ist (wohl zuletzt BGH NJW-RR 2001, 1059 f.). Zwar ist unter Geltung des neuen § 1061 ZPO die Fortgeltung dieser Rechtsprechung bestritten ( Zöller/Geimer , ZPO, 25. Aufl. 2005, § 1061 Rn. 29; BayObLG NJW-RR 2001, 431; Schleswig RIW 2000, 706), weil Art. V UNÜ keine Regelung eines Rügeverlustes enthalte. Eine restriktive Handhabung von Anerkennungsversagungsgründen verwehrt den deutschen Gerichten aber weder die völkervertragliche Geltung des UNÜ noch seine Geltung als einfaches Recht aufgrund des Verweises in § 1061 ZPO. Das UNÜ verhindert keine anerkennungsfreundlichere Praxis nationalen Rechts (dazu Art. VII Abs. 1 UNÜ). Die teleologische Reduktion nationalen Rechts steht den Gerichten aber nach wie vor frei, sodass alle Gründe auch unter der neuen Regelung fortbestehen, die eine Präklusion unter altem Recht gerechtfertigt haben (so insbesondere MünchKomm/ Münch , ZPO, 2. Aufl. 2001, § 1061 Rn. 7; Thomas/Putzo/Reichold , 27. Aufl. 2005, § 1061 Rn. 6; Musielak/Voit , ZPO, 4. Aufl. 2005, § 1061 Rn. 20; OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.10.2003 - 1 Sch 16/02 und 6/03; OLG Hamm SchiedsVZ 2006, 107, 108). Bei deutschen Schiedssprüchen geht die Neuregelung eindeutig von einer Präklusion bei versäumtem Aufhebungsverfahren aus (§ 1059 Abs. 3 S. 3 ZPO), ausländischen Präklusionsregelungen sollte deshalb in gleicher Weise Geltung verschafft werden, um dem Gedanken der Rechtssicherheit durch Schiedssprüche möglichst Rechnung zu tragen.

Im Streitfalle war entsprechend Art. 12 ICC-Schiedsgerichtsordnung Genf als Ort des Schiedsverfahrens bestimmt worden, sodass nach Art. 176 Abs. 1 Schweizer IPRG der Schiedsspruch beim schweizerischen Bundesgericht binnen 30 Tagen nach Eröffnung (Art. 89 OG - Bundesgesetz über die Organisation des Bundesrechtspflege) angefochten werden konnte (Art. 191 Abs. 1 Schweizer IPRG). Die Anfechtungsgründe umfassen u.a. den Fall, dass ein Rechtsbegehren vom Schiedsgericht nicht entschieden ist (Art. 190 Abs. 1c IPRG), und Gehörsverletzungen (Art. 190 Abs. 1d IPRG). Die Schuldnerin hätte damit im Anfechtungsverfahren fristgemäß vortragen können, dass über ihren - stillschweigenden - Zug-um-Zug-Antrag nicht entschieden sei und dass ihr Gehör durch Versiegelung von Schriftsätzen und Ablehnung von Beweisangeboten verletzt sei. Wenn sie dies - was unstreitig ist - versäumt hat, ist sie nunmehr präkludiert. Im Übrigen ist es auch sehr zweifelhaft, ob Anfechtungsgründe tatsächlich gegeben wären, mag der Schiedsspruch auch von einer schiedsrichterlichen Zurückhaltung beim Hinweis auf sachgerechte Antragstellung und einer strengen Präklusion geprägt sein. Im Zweifel müssen dies die Parteien in Kauf nehmen, wenn sie die Schiedsgerichtsbarkeit eigens wählen.

2. Eine Anerkennung unter Berichtigung oder Ergänzung kommt nicht in Betracht. Einmal muss insoweit dieselbe Präklusionsregel gelten, wie sie für die Nichtanerkennungsgründe bereits geschildert ist. Zum anderen mag staatlichen Gerichten im Rahmen des Vollstreckbarerklärungsverfahrens zwar u.U. eine Implementierung unbestimmter Titel oder die Richtigstellung offenkundiger formaler Irrtümer erlaubt sein (dazu Zöller/Geimer , aaO, § 722 Rn. 58 ff. und § 1060 Rn. 12). Diese Befugnis kann aber keinesfalls so weit gehen, dass - wie hier - entgegen dem ausdrücklichen Beschluss des Schiedsgerichts selbst Ergänzungen vorgenommen werden könnten (dazu Schwab/Walter , Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 28 Rn. 7).

3. Die Aufrechnung mit Schadensersatzforderungen aus vertragsverletzender Weitergabe von Geheimnissen ist ebenfalls ausgeschlossen. Solche Ansprüche fallen unter die Schiedsklausel nach Art. 26(1) des Agreements der Parteien vom 08.01.2001 (Anlage TW3), die alle "disputes arising & in connection with this Agreement" umfasst. Sie können staatlichen Gerichten nicht zur Entscheidung unterbreitet werden (BGHZ 38, 254, 257 ff.; Schwab/Walter, aaO, Kap. 3 Rn. 13 mNw), was auch im Rahmen des Vollstreckbarerklärungsverfahrens gilt (zutreffend Musie-lak/Voit , ZPO, 4. Aufl. 2005, § 1060 Rn. 12.).

4. Nachdem die Schuldnerin mit ihren Aufhebungsgründen präkludiert und die Aufrechnung im Verfahren vor staatlichen Gerichten unzulässig war, war eine mündliche Verhandlung nicht unabdingbar (dazu BGHZ 142, 204, 207).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 1064 Abs. 2 und 3 ZPO.