OLG Bamberg, Beschluss vom 06.05.2008 - 1 W 14/08
Fundstelle
openJur 2012, 92186
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Landgerichts Aschaffenburg vom 14.03.2008 - Az. 1 O 260/07 - abgeändert.

II. Der Gebührenstreitwert wird auf 51.462,18 Euro festgesetzt.

III. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Gründe

I.

Der Antragsteller hatte bei der Antragsgegnerin einen Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag, beginnend ab 01.02.2002, abgeschlossen.

Nachdem der Antragsteller wegen behaupteter vollständiger Berufsunfähigkeit die vertraglich vereinbarten Leistungen beantragt hatte, erklärte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 28.12.2006 den Rücktritt vom Versicherungsvertrag, den sie mit Falschbeantwortung von Antragsfragen durch den Antragsteller begründete.

Der Antragsteller hat die Auffassung vertreten, dass ein Rücktrittsgrund tatsächlich nicht bestanden habe und hat darüber hinaus eine 100 %-ige Berufsunfähigkeit seit 05.07.2006 behauptet.

Erstinstanzlich hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage beantragt, mit der er zum einen die Feststellung des Fortbestandes des Versicherungsvertrages, zum anderen die Verurteilung zur Zahlung künftiger Berufsunfähigkeitsrente sowie die Gewährung von Beitragsfreiheit, außerdem die Zahlung rückständiger Berufsunfähigkeitsrente sowie Erstattung geleisteter Beiträge begehrt.

Mit Beschluss vom 15.11.2007, berichtigt mit Beschluss vom 18.12.2007, hat das Landgericht Aschaffenburg den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen. Mit weiterem Beschluss vom 14.03.2008 hat es den Gebührenstreitwert auf 36.925,56 Euro festgesetzt und hierbei lediglich die beabsichtigten Leistungsanträge als streitwertbestimmend herangezogen.

Gegen diesen, am 19.03.2008 zugestellten Streitwertbeschluss, hat der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 20.03.2008, bei Gericht eingegangen am selben Tag, Beschwerde eingelegt. Er vertritt die Auffassung, dass der beabsichtigte Feststellungsantrag mit 50 % des Wertes einer Leistungsklage zu berücksichtigen, der Streitwert mithin auf 51.462,18 Euro festzusetzen sei.

Demgegenüber ist der Antragsteller der Meinung, dass allein der höhere Wert der Leistungsklage Berücksichtigung finden dürfe.

Mit weiterem Beschluss vom 03.04.2008 hat das Erstgericht der Streitwertbeschwerde nicht abgeholfen und sie dem Oberlandesgericht Bamberg zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschlüsse des Erstgerichts vom 14.03.2008 (Bl. 89 d.A.) und 03.04.2008 (Bl. 94 d.A) sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze beider Parteivertreter Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin gegen die landgerichtliche Streitwertfestsetzung ist gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 RVG zulässig und erweist sich auch in der Sache als begründet.

1. In Prozesskostenhilfeverfahren bedarf es zwar keiner Wertfestsetzung für Gerichtsgebühren nach § 63 GKG, da das Verfahren gerichtgebührenfrei ist, zudem enthält Nr. 3335 VV besondere Wertvorschriften für Rechtsanwaltsgebühren in Prozesskostenhilfeverfahren, jedoch kann ein Prozessbevollmächtigter für die Berechnung seiner Anwaltsgebühren eine gerichtliche Wertfestsetzung beantragen und hiergegen – aus eigenem Recht – Beschwerde einlegen. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin hat klargestellt, dass die Beschwerde vom 20.03.2008 als eigenes Rechtsmittel auszulegen ist. Die Beschwerde ist fristgerecht eingegangen, der Wert des Beschwerdewert ist erreicht, § 33 Abs. 3 RVG.

2. Das Erstgericht hat den Streitwert der Leistungsanträge zunächst zutreffend mit 36.925,56 Euro festgesetzt. Dieser setzt sich zusammen

a) aus dem Wert des Klageantrags Ziffer II. in Höhe von 29.073,24 Euro, da dieser sich mit dem 3,5-fachen Jahreswert der begehrten monatlichen Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 616,50 Euro sowie der monatlichen Beitragsfreiheit in Höhe von 75,72 Euro bemisst, § 48 Abs. 1 S. 1 GKG, § 9 ZPO, sowie

b) aus dem Wert der mit den Leistungsanträgen Ziffer III. und Ziffer IV. geltend gemachten rückständigen Beträge bzw. Rückforderungen in Höhe von 7.398,-- Euro und 454,32 Euro, § 39 Abs. 1 GKG, § 5 ZPO.

c) Die mit Ziffer V. darüber hinaus geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten hat das Landgericht dagegen in ebenfalls zutreffender Weise als bloße Nebenforderung bei der Wertberechnung unberücksichtigt gelassen, § 4 Abs. 1 ZPO.

3. Abweichend von der erstgerichtlichen Auffassung war das in Ziffer I. der beabsichtigten Klage geltend gemachte Feststellungsbegehren des Antragstellers allerdings ebenfalls streitwerterhöhend zu berücksichtigen.

17a) Dabei verkennt das Landgericht durchaus nicht, dass einer Klage auf Feststellung des (Fort-) Bestehens eines Vertrages über eine Berufsunfähigkeitsversicherung grundsätzlich ein eigener Streitwert zukommt. Dieser ist in der Regel mit dem 3,5-fachen Jahresbeitrage einer entsprechenden Leistungsklage in Bezug auf die monatliche Rentenleistung sowie die monatliche Prämie zu bemessen. Von dem so errechneten Wert ist wiederum – wegen des bloßen Feststellungsbegehrens – ein Abschlag in unterschiedlicher Höhe vorzunehmen, der sich danach bestimmt, ob die bedingungsgemäß vereinbarte Berufsunfähigkeit geklärt (in einem solchen Fall beträgt der Abschlag regelmäßig 20 %) oder ungeklärt (in diesem Fall beträgt der Abschlag regelmäßig  50 %) ist oder sich etwa der Versicherungsnehmer (noch) keiner Ansprüche aus einem Versicherungsfall (dann ebenfalls ein Abschlag von lediglich 20 %) berühmt (vgl. hierzu u. a. BGH VersR 2001, 601; VersR 2005, 959).

18b) Von der nach den genannten Maßstäben vorzunehmenden Bewertung einer isolierten Feststellungsklage ist jedoch zu unterscheiden die Frage der Streitwertbestimmung für ein kumulativ neben einer Leistungsklage geltend gemachtes Feststellungsbegehren.

Der IV. Zivilsenat des BGH hatte bereits in seinem Beschluss vom 25.06.1969 (abgedruckt in MDR 1970, 127) die Auffassung vertreten, dass die Werte von Feststellungs- und Leistungsantrag nicht zusammenzurechnen sind, wenn ein Teil des vom ursprünglich alleinigen Feststellungsbegehrens umfassten Anspruchs im selben Verfahren mit der Leistungsklage geltend gemacht wird, da dies zu einer mehrfachen Bewertung desselben Streitgegenstandes führen würde. Diese Rechtsauffassung hat auch der XII. Zivilsenat in seinem Beschluss vom 17.03.2004 (abgedruckt in NZM 2004, 423) geteilt.

Im gegenständlichen Verfahren hatte der Antragsteller mit den von ihm beabsichtigten Leistungsanträgen allerdings nicht nur einen Teil, sondern die vollständige vertragsgemäße Leistung der Antragsgegnerin für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geltend machen wollen.

c) Bei einer derartigen Häufung von Leistungs- und Feststellungsklagen sind die Streitwerte nicht stets gemäß § 5 ZPO zusammen zu rechnen, vielmehr bedarf es der Prüfung im Einzelfall, inwieweit der Feststellungsausspruch neben der Verurteilung zur Leistung selbständige Bedeutung hat (vgl. BGH NJW-RR 1992, 698; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 66. Auflage, Anh. § 3, Rdnr. 55).

Vorliegend umfasst der Streitgegenstand des Feststellungsantrags ein präjudizielles Rechtsverhältnis auch des Leistungsantrags, sodass eine Teilidentität der Ansprüche gegeben ist, welche einen Ausschluss der Addition beider Ansprüche gemäß § 5 ZPO als denkbar erscheinen ließe. Die vom Gericht im Rahmen der Feststellungsklage zu beantwortende Frage, ob der Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag fortbesteht oder durch den von der Antragsgegnerin erklärten Rücktritt wirksam beendet worden ist, zielt nämlich auf ein streitiges Rechtsverhältnis, welches auch für die Beantwortung der Begründetheit des bereits in der Streitwertbemessung berücksichtigten Leistungsantrags vorgreiflich ist.

d) Gleichwohl erweist sich das Feststellungsbegehren des Antragstellers  nicht als bloßer Zwischenfeststellungsantrag im Sinne von § 256 Abs. 2 ZPO, welchem grundsätzlich kein eigener Gegenstandswert zukommt (vgl. hierzu OLG Dresden, Beschluss vom 16.09.2004, Az.: 11 W 858/04).

e) Entscheidend ist hierbei nicht, dass eine Abweisung der Leistungsanträge bereits bei fehlendem Nachweis der vom Antragsteller behaupteten, von der Antragsgegnerin jedoch bestrittenen Berufsunfähigkeit denkbar wäre, ohne dass es auf die Frage des Fortbestandes des Versicherungsvertrages ankäme, zumal es für die Zulässigkeit eines Zwischenfeststellungsantrags grundsätzlich nicht erforderlich ist, dass das Gericht seine Entscheidung notwendig auch auf diese Gründe stützen muss. Vielmehr genügt es, dass das Nichtbestehen des Kausalverhältnisses einen Einwand oder eine Einrede gegenüber dem Hauptanspruch begründet (BGH NJW 1994, 1353).

f) Eine rechtliche Qualifizierung des Feststellungsbegehrens als bloßer Zwischenfeststellungsantrag scheitert aber letztlich an den sich aus dem Versicherungsrecht ergebenden Besonderheiten.

So ist zunächst von grundsätzlicher Bedeutung, dass es zwar dem Zweck und der Natur einer Zwischenfeststellungsklage entspricht, dass sie, da die Rechtskraft einer Entscheidung nur den Klageanspruch und nicht das präjudizielle Verhältnis ergreift, eine Ausdehnung der Rechtskraftwirkung auf den Grund der Klage ermöglichen soll, sie aber gleichwohl nicht  das Bestehen des Kausalverhältnisses schlechthin, sondern nur in seiner Vorgreiflichkeit für die Hauptsache zum Gegenstand hat (vgl. BGH a.a.O.).

27Im gegenständlichen Einzelfall ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass der von der Antragsgegnerin erklärte Rücktritt vom Versicherungsvertrag nach (behauptetem) Eintritt des Versicherungsfalles erfolgte. Für diesen Fall regelt § 21 VVG einen Fortbestand der grundsätzlich entfallenden Leistungspflicht des Versicherers, wenn die Verletzung der Anzeigepflicht keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalles hatte. Folglich besteht in einem solchen Fall die Leistungsfreiheit des Versicherers allein für künftige Fälle. Für den Versicherungsnehmer bedeutet die Regelung des § 21 VVG, dass er mit einer bloßen Leistungsklage die abgelehnte Leistung zwar möglicherweise erfolgreich geltend machen kann, für eventuelle künftige Versicherungsfälle aber keinen Versicherungsschutz mehr besitzt.

28Will er sich aber den Versicherungsschutz auch für eventuelle künftige Versicherungsfälle erhalten, so kann er dies nur mittels einer zu der auf den gegenständlichen Versicherungsfall bezogenen Leistungsklage zusätzlich erhobenen Feststellungsklage, mit der er die (behauptete) Unwirksamkeit der Kündigung auch für die Zukunft geltend machen muss.

29g) Der gegenständlichen Feststellungsklage kommt mithin eine auch wirtschaftlich gänzlich eigenständige Bedeutung zu, die in der Streitwertbestimmung ihren Niederschlag finden muss. Die Tatsache, dass gleichzeitig bereits eine Leistungsklage erhoben wird, mit der nicht nur unbefristete, sondern auch die nach dem Vertrag bestehenden Maximalansprüche eingefordert werden, steht dem nicht entgegen (vgl. BGH VersR 2005, 959).

304. Der Streitwert des Feststellungsantrags bestimmt sich, wie bereits unter Ziff. 2 a) dieser Gründe ausgeführt, mit dem 3,5 fachen Jahresbetrag der Monatsrente (616,50 Euro) sowie der Prämienfreistellung (75,72 Euro), insgesamt also mit 29.073,24 Euro. Hiervon ist angesichts der Anspruchsberühmung des Antragstellers sowie der streitigen Berufsunfähigkeit ein Abschlag von 50 % vorzunehmen, sodass der erstgerichtlich festgesetzte Gebührenstreitwert um 14.536,62 Euro auf insgesamt 51.462,18 Euro anzuheben war.

5. Eine Kostenentscheidung ist gemäß § 33 Abs. 9 RVG nicht veranlasst.

6. Der Beschwerdewert errechnet sich aus der vom Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin angestrebten Erhöhung des Streitwertes.