KG, Beschluss vom 15.08.2005 - 9 W 39/05
Fundstelle
openJur 2012, 2340
  • Rkr:

<dt/><dd><p>Zur Geldentschädigung bei gemeinsamer Unterbringung von Häftlingen in einem kleinen Haftraum ohne bauliche und optische Abtrennung der Toilette.</p></dd>

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 28.1.2005 - 13 O 354/04 - unter Zurückweisung der weiter gehenden sofortigen Beschwerde teilweise geändert:

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage in einer Größenordnung von 1.460 EUR gewährt und Rechtsanwalt H... R... als Prozessbevollmächtigter beigeordnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO zulässig und hat zum Teil Erfolg. Die beabsichtigte Klage hat, soweit eine (in das Ermessen des Gerichtes gestellte) Geldentschädigung in einer Größenordnung von 1.460 EUR erstrebt wird, gemäß § 839 BGB, Art. 34 GG und gemäß Art. 5 Abs. 5 MRK hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO.

Der Antragsteller ist in seiner Menschenwürde verletzt worden, indem er insgesamt 73 Tage jeweils zusammen mit einem Mithäftling in einem kleinen Haftraum ohne bauliche Abtrennung der Sanitäranlagen untergebracht wurde (vgl. BVerfG NJW 2002, 2699 zu IV.2 und BGH NJW 2005, 58 zu 1.b), nämlich vom 14.7.2003 bis 12.8.2003, vom 14.8.2003 bis 28.8.2003 und vom 1.9.2003 bis 4.9.2003 in der JVA P... auf 6,61 qm sowie vom 8.9.2003 bis 1.10.2003 in der JVA M... auf ca. 10 qm, und zwar - bis auf den 8.9.2003 - auch ohne Sichtschutz vor der Toilette. Dieser schwere, lang anhaltende Eingriff in Wohlbefinden und Intimsphäre des Antragstellers kann nur durch eine Geldentschädigung befriedigend ausgeglichen werden, obgleich er die Zelle in der JVA P... insgesamt 7 3/4 Stunden täglich - in der JVA M... allerdings nur eine Stunde am Tag - verlassen konnte und auch wenn der Antragsteller zwar Ekelgefühle, aber keine Körperverletzung oder Dauerschäden aufgrund dieser Unterbringung dargetan und sich erst am 28.8.2003 schriftlich über die Haftbedingungen beschwert hat. Seine formularmäßige Zustimmung vom 11.9.2003 zu einer Unterbringung in einem Gemeinschaftshaftraum beinhaltet kein Einverständnis mit den geschilderten sanitären Verhältnissen.

Im vorliegenden Prozesskostenhilfeverfahren kann nicht festgestellt werden, dass § 839 Abs. 3 BGB der Klage ganz oder teilweise entgegensteht, auch wenn der Antragsteller seine Beschwerde über die Haftbedingungen erst nach anderthalb Monaten eingereicht und am 5.9.2003 zunächst für erledigt erklärt hat. Angesichts der Behauptung des Klägers, auf die Eingabe vom 28.8.2003 habe ihm der zuständige Bereichsleiter Repressalien angedroht, dürfte es Sache des Antragsgegners sein zu beweisen, dass ein früheres Rechtsmittel Abhilfe gebracht hätte (vgl. BGH NJW 2004, 1241).

Die Schmerzensgeldforderung des Antragstellers ist aber der Höhe nach nur zum kleineren Teil aussichtsreich. Zum einen ist er durch die mit seiner Zustimmung erfolgte Unterbringung mit 1 bis 2 Mitgefangenen in Hafträumen von 20,16 qm bzw. 17,53 qm Größe zuzüglich baulich abgetrenntem Sanitärbereich ab dem 1.10.2003 vom Antragsgegner nicht, jedenfalls aber nicht erheblich in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt worden, auch wenn das Verhalten der Mitgefangenen und der Zustand der Toilettenbecken zu wünschen übrig ließen. Zum anderen erscheint der verlangte Tagessatz von 100 EUR im vorliegenden Fall bei weitem überhöht, obwohl das OLG Celle (NJW 2003, 2463) einen solchen Betrag als Obergrenze bezeichnet hat. Der Antragsteller konnte die Zelle in der JVA P... tagsüber immer wieder verlassen und hat durch die Doppelbelegung weder eine Körperverletzung noch einen Dauerschaden erlitten. Außerdem kommt angesichts der angespannten Belegungssituation in den Berliner Justizvollzugsanstalten und der Haushaltsnotlage des Antragsgegners nur ein leichtes Organisationsverschulden in Betracht (vgl. BGH a.a.O.  zu 1.c). Ferner kann nicht außer Acht gelassen werden, dass unschuldig erlittene Haft gemäß § 7 Abs. 3 StrEG nur mit 11 EUR täglich entschädigt wird. Zwar geht es vorliegend um Ausgleich und Genugtuung für eine schuldhafte Beeinträchtigung durch unzulässige Haftbedingungen, dieser Eingriff wiegt aber nicht ohne weiteres schwerer als der Verlust der Freiheit. Auch erhält der Antragsteller eine gewisse Genugtuung - unabhängig von der Höhe einer Geldentschädigung - schon dann, wenn ein Urteil seinem Anliegen Rechnung trägt (vgl. BGH a.a.O. zu 2.b.cc). Nach Auffassung des erkennenden Senats kann der Antragsteller daher mit einiger Aussicht auf Erfolg höchstens 20 EUR für jeden Tag menschenunwürdiger Unterbringung einklagen, für 73 Tage mithin 1.460 EUR.

Der Kostenausspruch folgt aus § 127 Abs. 4 ZPO.