BVerfG, Beschluss vom 02.10.2003 - 2 BvR 149/03
Fundstelle
openJur 2011, 25160
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob es einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Strafverfahren darstellt, wenn die Anklageschrift während ihrer Verlesung nicht übersetzt wird, sondern eine schriftliche Übersetzung zur Verfügung steht. Ferner wird eine unvollständige Beweisaufnahme gerügt.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind entschieden (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG); denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>).

1. Die Rüge, dem ausländischen Beschwerdeführer sei die Anklageschrift, die ihm in schriftlicher Übersetzung überlassen worden war, während ihrer Verlesung in der Hauptverhandlung nicht mündlich von dem anwesenden Dolmetscher übersetzt worden, ist unbegründet, weil ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) nicht vorliegt.

Das Recht auf ein faires Verfahren verbietet es, den der deutschen Sprache nicht oder nicht hinreichend mächtigen Angeklagten zu einem Objekt des Verfahrens herabzuwürdigen; er muss in die Lage versetzt werden, die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvorgänge verstehen und sich im Verfahren verständlich machen zu können (vgl. BVerfGE 64, 135 <145>). Welche verfahrensrechtlichen Befugnisse und Hilfestellungen ihm im Einzelnen einzuräumen und wie diese auszugestalten sind, ist der Konkretisierung durch den Gesetzgeber und sodann, in den vom Gesetz gezogenen Grenzen, den Gerichten bei der ihnen obliegenden Rechtsanwendung aufgegeben. Den insoweit an die Ausgestaltung des Strafverfahrens gestellten Anforderungen haben Rechtsordnung und Rechtspraxis in Konkretisierung des Verfassungsgebots in weitem Umfang Rechnung getragen. So gebietet § 185 GVG die Hinzuziehung eines Dolmetschers in der mündlichen Verhandlung.

Die Entscheidung des Landgerichts, die in deutscher Sprache verlesene Anklageschrift nicht vom anwesenden Dolmetscher übersetzen zu lassen, verstieß nicht gegen den verfassungsrechtlich geschützten Grundsatz fairen Verfahrens, weil durch die ersatzweise Überlassung einer schriftlichen Anklageschrift in der Muttersprache des Beschwerdeführers dieser sachgerecht über den Inhalt der gegen ihn stattfindenden Hauptverhandlung informiert war. Dem Grundsatz des fairen Verfahrens, der in § 243 Abs. 3 StPO eine einfach-rechtliche Ausprägung findet, ist genügt, wenn dem des Lesens kundigen ausländischen Angeklagten eine schriftliche Übersetzung des in deutscher Sprache verlesenen Anklagesatzes überlassen wird. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 23. Oktober 1978 (NJW 1979, S. 1091). Danach ist zu gewährleisten, dass der sprachunkundige Ausländer sämtliche Schriftstücke und mündlichen Erklärungen verstehen kann. Dass ihm dieses Verständnis durch eine mündliche Übersetzung vermittelt werden muss und die Überlassung einer schriftlichen Übersetzung nicht ausreicht, ist nicht gefordert.

2. Soweit das Landgericht die Vernehmung namentlich nicht bekannter Angestellter einer Diskothek abgelehnt hat, ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) nicht verletzt.

Ein zentrales Anliegen eines rechtsstaatlich geordneten Strafverfahrens ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts als der notwendigen Grundlage eines gerechten Urteils. Ausgestaltungen des Strafverfahrens, welche die Ermittlung der Wahrheit zu Lasten des Beschuldigten behindern, können daher seinen Anspruch auf ein faires Verfahren verletzen (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>). Die Ablehnung der Beweiserhebung durch das Landgericht unter Hinweis auf die Voraussetzungen des § 244 Abs. 2 und Abs. 3 StPO ist mit dem Recht des Beschwerdeführers auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren vereinbar. § 244 StPO genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein rechtsstaatliches Strafverfahren. Durch die Regelung ist insbesondere der zentralen Pflicht zur Ermittlung der Wahrheit im Strafverfahren hinreichend Rechnung getragen (vgl. BVerfGE 63, 45 <68>). Die Annahme des Landgerichts, die namentlich nicht genannte Bedienung der Diskothek sei ein völlig ungeeignetes Beweismittel im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2, 4. Variante StPO, ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Völlig ungeeignet ist ein Beweismittel, wenn ohne Rücksicht auf das Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme die Lebenserfahrung die sichere Prognose zulässt, dass die Beweiserhebung mit dem beantragten Beweismittel das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nicht erbringen kann (vgl. BGHSt 14, 339 <342>). Angesichts dessen, dass die Zeugen für einen im Zeitpunkt ihrer Benennung bereits mehr als neun Monate zurückliegenden Vorgang benannt wurden, der für sie völlig unbedeutend war, ist die Annahme des Landgerichts, die Zeugen seien ungeeignet, nicht willkürlich. Weder aus dem fachgerichtlichen noch aus dem Beschwerdevortrag lassen sich Anhaltspunkte entnehmen, die es zumindest nicht ausgeschlossen erscheinen ließ, dass sich die Zeugen außergewöhnlicher Weise an die Anwesenheit bestimmter Personen an einem bestimmten Abend zu erinnern vermögen (vgl. BGH, NStZ 2000, S. 156; BGH, Urteil vom 19. November 1997 - 2 StR 418/97 -, vollständig veröffentlicht in Juris; Herdegen, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 244 Rn. 77).

3. Die Rüge, die Verurteilung wegen Mordes sei auf drei Mordmerkmale gestützt, obgleich die Anklage nur ein Mordmerkmal angeführt habe und ein richterlicher Hinweis nach § 265 StPO nicht erfolgt sei, begründet nicht die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG. Sie ist unzulässig. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), der hier dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Gebot fairer Verfahrensgestaltung im Verhältnis der Spezialität vorgeht (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 103, Rn. 9), gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage vor Erlass der Entscheidung zu äußern (stRspr; vgl. BVerfGE 1, 418 <429>; 82, 236 <256 f.>). Eine hierauf gestützte Verfassungsbeschwerde kann jedoch nur Erfolg haben, wenn die angefochtene gerichtliche Entscheidung auf einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG beruht, d.h. wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung des Beschwerdeführers nach Abgabe des Hinweises das Gericht zu einer anderen Würdigung veranlasst oder im ganzen zu einer anderen, ihm günstigeren Entscheidung geführt hätte (vgl. BVerfGE 7, 239 <241>; 35, 296 <299>). Im Hinblick hierauf ist die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nur dann hinreichend substantiiert, wenn der Verfassungsbeschwerde entnommen werden kann, was der Beschwerdeführer bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte (vgl. BVerfGE 28, 17 ff.; 82, 236 <257>). Dies hat der Beschwerdeführer unterlassen.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.