OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 30.10.2007 - 11 U 9/07
Fundstelle
openJur 2012, 29023
  • Rkr:

Es entspricht der ganz herrschenden Rechtsprechung, dass über die aktuelle Berichterstattung hinaus eine zeitlich unbeschränkte Berichterstattung über die Person eines Straftäters in identifizierender Weise rechtswidrig ist, sofern nicht hierzu ein besonderer, aktueller Anlass besteht.

Tenor

Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main – 3. Zivilkammer – vom 22.02.2007 abgeändert.

Die Beschlussverfügung vom 05.12.2006 wird – soweit sie durch das angefochtene Urteil bestätigt worden ist – aufgehoben. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung wird auch insoweit zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Eilverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Verfügungskläger (nachfolgend: Kläger) verbüßt wegen Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Die Verfügungsbeklagte (nachfolgend: Beklagte) ist Presse-Großhändlerin. Sie beliefert in ihrem Vertriebsgebiet mit 580 Mitarbeitern täglich rund 5.200 Händler und handelt mit einem Sortiment von rund 5.700 Titeln. In der Deutschland-Ausgabe des Magazins A vom Dezember 2006 erschien unter dem Titel „…“ ein Artikel über den Kläger mit voller Namensnennung und Bild. Wegen der Einzelheiten wird auf die Seiten 40-46 der Anlage AS 1 Bezug genommen. Auf die Abmahnung des Klägers haben der Verlag und die Redaktion des A sowie der Autor des angegriffenen Artikels strafbewehrte Unterlassungserklärungen mit Anwaltsschreiben vom 28.11.2006 abgegeben (Anlage AS 3). Mit Schreiben vom 29.11.2006 hat der Klägervertreter die Beklagte ebenfalls abgemahnt und sie zur Abgabe einer Verpflichtungserklärung aufgefordert. Nachdem die Beklagte dem nicht nachgekommen ist, hat der Kläger den Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung beantragt.

Mit Beschluss vom 05.12.2006 hat das Landgericht dem Unterlassungsantrag stattgegeben.

Auf den Widerspruch der Beklagten hat es die einstweilige Verfügung bestätigt, soweit sich der Verbotstenor auf das Magazin A (Deutschland-Ausgabe) vom Dezember 2006 bezieht. Im Übrigen hat es die einstweilige Verfügung aufgehoben und den Antrag auf deren Erlass zurückgewiesen. Wegen der Begründung wird auf das angefochtene Urteil vom 22.02.2007 Bezug genommen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf Aufhebung der Beschlussverfügung insgesamt weiterverfolgt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 22.07.2007 abzuändern, die einstweilige Verfügung vom 05.12.2006 aufzuheben und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Darüber hinaus behauptet er, auch Nachbestellungen würden über den Presse-Großhandel abgewickelt (Glaubhaftmachung: anwaltliche Versicherung vom 27.09.2007). Es könne auch nicht zweifelhaft sein, dass die Veröffentlichung von Bildern von Straftätern, soweit die Taten mehr als zwanzig Jahre zurückliegen, einen schweren Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht des Täters begründe, wenn es keinen aktuellen Anlass zur Berichterstattung gebe, und in einem Massenmedium in stigmatisierender, entmenschlichender und geradezu aufhetzender Weise mit Bildnissen aus den verschiedenen Lebensabschnitten des Betroffenen berichtet werde. Ergänzend wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die Berufung ist zulässig und begründet.

1.) Zutreffend ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass die angegriffene Veröffentlichung den Kläger in seinen Rechten gemäß §§ 823, 1004 (analog) BGB i. V. m. § 22 KUG, Art. 1 u. 2, Abs. 1 GG rechtswidrig verletzt. Es entspricht der ganz herrschenden Rechtsprechung, dass über die aktuelle Berichterstattung hinaus eine zeitlich unbeschränkte Berichterstattung über die Person eines Straftäters in identifizierender Weise rechtswidrig ist, sofern nicht hierzu ein besonderer, aktueller Anlass besteht. Nach diesem Maßstab war der mit der Nennung des vollständigen Namens des Klägers und dessen Abbildung in der Presseberichterstattung über seine früheren Straftaten verbundene Eingriff in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht nicht gerechtfertigt. Auf die entsprechenden Ausführungen des Landgerichts Seite 6, 7 des angefochtenen Urteils kann ergänzend zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden. Sie entsprechen der Rechtsprechung des Senats (OLG-Report 2001, 309) und lassen Rechtsfehler nicht erkennen. Die von der Beklagten hiergegen in der Berufungsbegründung erhobenen Einwände veranlassen keine andere Entscheidung. Die „Öffnung der Gerichtsakten“ bietet keinen aktuellen Anlass für eine erneute Berichterstattung in den Täter identifizierender Form. Dass im Hinblick auf die lebenslange Freiheitsstrafe, die der Kläger verbüßt, und die Schwere seiner begangenen Taten eine Haftentlassung nicht zu erwarten und damit eine Gefährdung des Resozialisierungsgedankens nicht zu befürchten sei, erscheint eher spekulativ und ist nicht geeignet, eine vorzeitige Haftentlassung oder sonstige Beeinträchtigungen schon während der Haft auszuschließen. Unter diesen Umständen ist dem Persönlichkeitsrechtsschutz zugunsten des Klägers Vorrang vor einem etwaigen Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit einzuräumen, das ebenso gut durch eine nicht identifizierende Berichterstattung befriedigt werden könnte.

2.) Zu Recht hat das Landgericht weiter angenommen, dass eine Haftung der Beklagten (ausschließlich) nach den Grundsätzen der Störerhaftung in Frage kommt, die – nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – die Verletzung von Prüfungspflichten voraussetzt.

a) Eine Gehilfenhaftung der Beklagten scheidet den Umständen nach aus, da nichts dafür spricht, dass sie im Zeitpunkt der Auslieferung Kenntnis von dem rechtsverletzenden Bericht hatte. Gehilfe ist nur, wer vorsätzlich eine fremde mindestens objektiv rechtswidrige Tat unterstützt ( Köhler in: B/H/K/B, UWG, 23. Aufl. § 8 2.6).

b) Soweit im Schrifttum vereinzelt die Auffassung vertreten wird, technische Verbreiter wie Druckereien oder Grossisten seien auch im Rahmen der verschuldensunabhängigen Störerhaftung nicht in Anspruch zu nehmen (Soehring, Presserecht, 3. Aufl., 28.7), folgt dem der Senat mit der ganz vorherrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum nicht. Wer durch die Verbreitung einer Zeitschrift an der Beeinträchtigung eines Persönlichkeitsrechts mitwirkt, kann jedenfalls als Störer auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, da der Betroffene die Möglichkeit haben muss, auch die Verbreitung solcher Exemplare zu unterbinden, die der Einflussnahme des Verlegers bereits entzogen sind (Burkhardt in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. Kap. 10 Rn. 221; OLG München, OLGR 01, 171).Als Störer kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jeder in Anspruch genommen werden, der willentlich und adäquat-kausal an der Herbeiführung oder Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Beeinträchtigung mitgewirkt hat. Weil die Störerhaftung aber nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen haben, setzt die Haftung des Störers weiter die Verletzung von Prüfungspflichten voraus, deren Umfang sich danach bestimmt, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist (BGH GRUR 01, 1038 – Ambiente.de m. w. N; GRUR 99, 418 - Möbelklassiker).Wie weit die Prüfungspflichten eines möglichen Störers reichen, hat der Bundesgerichtshof unter Berücksichtigung der Funktion und Aufgabenstellung des als Störer in Anspruch Genommenen, sowie mit Blick auf die eigene Verantwortung des unmittelbar handelnden Dritten beurteilt. Dabei ist darauf zu achten, dass die Arbeit des als Störer in Anspruch Genommenen nicht über Gebühr erschwert werden und die Verantwortlichen nicht überfordert werden dürfen. Zu Recht hat das Landgericht vor diesem Hintergrund angenommen, dass von einem Grossisten nicht verlangt werden kann, sämtliche von ihm vertriebenen Presseerzeugnisse einschließlich der Tagespresse auf rechtswidrige Beiträge hin zu überprüfen.

3.) Im Ergebnis hat es jedoch die Prüfungspflichten der Beklagten überspannt und ist zu Unrecht von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen. Die vor der Abmahnung vom 29.11.2007 durchgeführte Auslieferung der Dezember–Ausgabe des A hat eine Störerhaftung der Beklagten mangels Prüfungspflicht nicht begründet (ebenso BGH a.a.O. unter (3)). Deshalb könnte eine Störerhaftung der Beklagten frühestens ab dem Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung bestehen. Ob die Abmahnung allein der Beklagten schon Anlass zu einer eigenständigen rechtlichen Prüfung der behaupteten Persönlichkeitsrechtsverletzung bot, kann dahinstehen, weil es nach der Abmahnung zu keiner Auslieferung mehr gekommen ist. Hat die Beklagte aber weder durch die Auslieferung der Dezember–Ausgabe im November 2006 noch durch Auslieferung nach Zugang der Abmahnung ihre Prüfungspflichten verletzt, so kommt ein Unterlassungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr nicht in Betracht, sondern stellt sich allein die Frage einer Erstbegehungsgefahr. Die tatsächlichen Umstände, die eine ernstlich drohende und unmittelbar bevorstehende Gefahr erstmaliger Begehung begründen, müssen im Einzelnen vom Verletzten dargelegt werden. Die bloß theoretische Möglichkeit der Begehung genügt nicht. Insbesondere genügt im vorliegenden Fall nicht, dass sich die Beklagte der Rechtmäßigkeit ihres Handelns berühmt. Sie hat – in der Berufungsinstanz ausdrücklich – klargestellt, dass ihr entsprechender Prozessvortrag lediglich der Rechtsverteidigung dient, nicht aber in der Praxis umgesetzt werden soll ( vgl. auch Senat OLGR 02, 165). Sonstige Anzeichen für eine bevorstehende (erstmalige) Verletzungshandlung liegen ebenfalls nicht vor. Insbesondere liegen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass ein rechtswidriges Verhalten der Beklagten in naher Zukunft bevorsteht. Dagegen spricht, dass der Verkaufszeitraum der im Streit befindlichen A-Ausgabe 12/2006 am 07.12.2006 endete und nicht ersichtlich ist, weshalb diese Ausgabe nochmals vertrieben werden sollte. Nach der eidesstattlichen Versicherung des Mitarbeiters der Beklagten B vom 29.01.2007 besitzt die Beklagte von Heft 12/2006 des deutschen A auch nur noch ein einziges Exemplar, das im Hinblick auf den Rechtsstreit aufbewahrt worden sein soll. Zwar hat der Klägervertreter mit eidesstattlicher Versicherung vom 27.09.2007 erklärt, er habe im Februar 2007 bei einem Kiosk in O1 die November 2006-Ausgabe des deutschen A bestellt und erhalten. Nach Aussage der Kiosk-Inhaberin habe sie das Exemplar über ihren Großhändler bestellt. Die eidesstattliche Versicherung steht jedoch der eidesstattlichen Versicherung des Mitarbeiters der Beklagten schon deshalb nicht entgegen, weil sie sich auf die November-Ausgabe des A bezieht, während es im Rechtsstreit um die Dezember-Ausgabe geht, in der eidesstattlichen Versicherung nicht erklärt wird, über welchen Großhändler die Kiosk-Inhaberin das Exemplar bestellt haben will und schließlich nur mittelbar die Aussage der Kiosk-Inhaberin wiedergegeben wird. Da der Kläger für die eine Erstbegehungsgefahr begründenden Umstände darlegungspflichtig ist, wäre er im Hinblick auf die eidesstattliche Versicherung des Mitarbeiters der Beklagten B insoweit als beweisfällig anzusehen. Darüber hinaus spricht auch nichts dafür, dass sich die Beklagte über die Unterlassungserklärung des Verlags hinwegsetzen würde, was zudem weiter voraussetzte, dass der Verlag seinerseits der abgegebenen Unterlassungsverpflichtungserklärung zuwider handelt und die Beklagte belieferte, was erst recht nicht unterstellt werden kann.

Nach allem ist das erstinstanzliche Urteil abzuändern und der Beschluss – einstweilige Verfügung – vom 05.12.2006 unter Zurückweisung des auf seinen Erlass gerichteten Antrags aufzuheben.

III. Die Kosten des Eilverfahrens hat der Kläger als unterlegene Partei gemäß § 91 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 6, 711, 713 ZPO.

Die Revision findet nicht statt.