OLG Stuttgart, Urteil vom 25.04.2006 - 10 U 238/05
Fundstelle
openJur 2012, 66430
  • Rkr:
Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Teil-Urteil des Landgerichts Tübingen vom 14.10.2005 wird

zurückgewiesen.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Teil-Urteil des Landgerichts Tübingen vom 14.10.2005 in Ziff. 1

abgeändert

und insoweit neu gefasst:

Der auf Feststellung, dass das Krankenversicherungsvertragsverhältnis zwischen den Parteien, Versicherungsschein Nr. ... durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 30. März 2005 nicht beendet ist, gerichtete Klagantrag Ziff. 1 wird

abgewiesen.

3. Von den vor Beginn der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2006 entstandenen Kosten des Berufungsrechtszugs tragen der Kläger 5/6 und die Beklagte 1/6, die übrigen Kosten des Rechtszugs trägt der Kläger.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Kostenentscheidung abwenden gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert im Berufungsrechtszug:

Vor Beginn der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2006:

bis zu 36.000,- Euro

Ab Beginn der mündlichen Verhandlung:

bis zu 30.000,- Euro.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Versicherungsvertragsverhältnis (Ansprüche aus einer Krankentagegeldversicherung und Feststellung, ob ein Versicherungsverhältnis noch besteht).

Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Änderungen des Sachverhalts haben sich im Berufungsrechtszug nicht ergeben.

Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt

1. festzustellen, dass das Krankenversicherungsvertragsverhältnis zwischen den Parteien, Versicherungsschein Nr. ... durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 30.03.2005 nicht beendet ist, und

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 15.963,20 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gem. § 247 BGB hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat Widerklage erhoben mit dem Antrag,

den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte den Betrag von Euro 5.905,37 zurückzuzahlen.

Der Kläger hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Durch Teil-Urteil vom 14.10.2005 hat das Landgericht Tübingen dem Klagantrag Ziff. 2 teilweise stattgegeben dahin, dass festgestellt wird, dass das oben benannte Krankenversicherungsvertragsverhältnis zwischen den Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 30.03.2005 hinsichtlich der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung nicht beendet ist. Im Übrigen hat es den Klagantrag Ziff. 1 abgewiesen. Den Klagantrag Ziff. 2 hat es in Höhe von 2.939,86 Euro zuzüglich hierauf geltend gemachter Zinsen abgewiesen; im Übrigen hält es den Klagantrag Ziff. 2 für nicht entscheidungsreif. Die Widerklage hat es abgewiesen.

Gegen dieses Teilurteil haben beide Parteien selbständige Berufungen eingelegt. Mit ihren Berufungen verfolgen sie die erstinstanzlichen Anträge weiter. Rügen zur Zulässigkeit des Teilurteils erheben sie nicht.

Vor Antragstellung in der mündlichen Verhandlung des Senats vom 28.03.2006 hat die Beklagte ihre Berufung bezüglich der Widerklage zurückgenommen (Bl. 205 d. A.).

Der Kläger beantragt (Bl. 176/177 d. A.)

1. festzustellen, dass das Krankenversicherungsverhältnis zwischen den Parteien, Versicherungsschein Nr. ... auch im Hinblick auf die Krankentagegeldversicherung nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 30.03.2005 beendet wurde, und

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger außer einem Betrag von 13.023,34 Euro weitere 2.939,86 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gem. § 247 BGB auf beide Beträge seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Mit ihrer Berufung beantragt sie (Bl. 166, 205) nach Rücknahme des Berufungsantrags bezüglich der Widerklage,

den Klagantrag Ziff. 1 (Feststellungsantrag) abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen (Bl. 188/189 d. A.).

Die Parteien wiederholen und vertiefen ihre erstinstanzlichen Argumente. Auf die beiderseitigen Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat waren, wird Bezug genommen.

Der (zum Termin geladene aber nicht erschienene) Zeuge ... war nicht zu vernehmen, da er ausschließlich zu einem die Widerklage betreffenden Beweisthema benannt und geladen worden war und die Beklagte ihre Berufung bezüglich der Widerklage zurückgenommen hat (Sitzungsprotokoll vom 28.03.2006, Bl. 205 d. A.).II.

Die Berufungen des Klägers und der Beklagten sind form- und fristgerecht eingelegt und mit einer Begründung versehen worden. Die Berufung des Klägers ist unbegründet; die Berufung der Beklagten ist dagegen begründet.1.

Das angefochtene Urteil des Landgerichts Tübingen ist als Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 ZPO zulässig. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Teilurteils sind im angefochtenen Urteil unter A der Entscheidungsgründe mit zutreffenden Erwägungen bejaht worden.2.

Die Kündigungserklärung der Beklagten vom 30.03.2005, bezüglich deren Wortlaut auf die Anlage K 7, Bl. 27 d. A., Bezug genommen wird, ist wirksam (a). Die Wirksamkeit erstreckt sich nicht nur auf den Vertrag zwischen den Parteien bezüglich der Krankentagegeldversicherung, sondern auf den gesamten Versicherungsvertrag gemäß Versicherungsschein-Nr. ....a)

Die fristlose Kündigung des Vertrags über die Krankentagegeldversicherung ist wirksam, weil die Beklagte von einem ihr zustehenden Kündigungsrecht wegen des vorangegangenen Verhaltens des Klägers Gebrauch machen durfte.

Das angefochtene Urteil in Abschnitt B 2 a, S. 9 f., stellt die rechtlichen Voraussetzungen der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung durch den Versicherer zutreffend dar. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an und nimmt hierauf zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug. Das Landgericht hat mit Recht das Verhalten des Klägers gegenüber dem Zeugen ... als eine Tätigkeit im Rahmen der Berufsausübung interpretiert. Ein Anspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer auf Zahlungen aus der Krankentagegeldversicherung besteht nur, wenn Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Dies ist gegeben, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht. Mit dieser Einschränkung auf eine 100 %ige bzw. völlige Arbeitsunfähigkeit ist der Begriff der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der MB/KT somit enger als der Begriff der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung. Der maßgebliche Unterschied liegt darin, dass im Bereich der Krankentagegeldversicherung auch eine nur teilweise Ausübung der beruflichen Tätigkeit ausgeschlossen sein muss (BGH VersR 1993, 297), weshalb bereits der Wiedereintritt teilweiser Arbeitsfähigkeit die Leistungspflicht des Krankentagegeldversicherers vollständig entfallen lässt.

Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Krankentagegeldversicherung als einer Verdienstausfallversicherung muss die Arbeitsunfähigkeit während des gesamten Leistungszeitraums vollständig und uneingeschränkt gegeben sein. Ist ein Versicherter gesundheitlich noch zu eingeschränkter Tätigkeit in seinem bisherigen Beruf im Stande, ist er folglich nicht arbeitsunfähig im Sinne des § 1 Abs. 3 MB/KT 94. Das gilt nach den zur Frage der Arbeitsunfähigkeit von beruflich Selbständigen ergangenen Entscheidungen auch, wenn der Versicherte mehr oder weniger regelmäßig Arbeiten erledigt, die nach der Verkehrsauffassung als zumindest teilweise Ausübung derjenigen Tätigkeit anzusehen sind, durch die er sein Einkommen erzielt. Die Grenzziehung zwischen einer Ausübung beruflicher Tätigkeit, die auf den Anspruch ohne Einfluss verbleibt, gegenüber einem den Anspruch ausschließenden Umfang der Tätigkeit ist nach der oben zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs danach zu ziehen, ob diese Tätigkeit derart geringfügig oder unbedeutend ist, dass es einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde, wenn sich der Versicherer hierauf beruft (neuestens: OLG Saarbrücken, RuS 2006, 117, 118).

An diesen Maßstäben gemessen, stellte sich die vom Zeugen ... bekundete Tätigkeit des Klägers als eine nicht völlig geringfügige oder unbedeutende Tätigkeit dar, die der Berufsausübung des Klägers zuzurechnen ist. Eine völlig untergeordnete Bedeutung der vom Zeugen ... bekundeten Tätigkeiten des Klägers während der Zeit, für die er die Beklagte auf Zahlung von Krankentagegeld in Anspruch genommen hat, könnte angenommen werden, wenn die Tätigkeit nicht auf die Fortführung der Erwerbstätigkeit gerichtet gewesen wäre.

Das Landgericht hat insoweit jedoch eine Tätigkeit festgestellt, die eindeutig der beruflichen Tätigkeit des Klägers als freier Architekt zuzurechnen ist und sich nicht auf eine Tätigkeit von völlig untergeordneter Bedeutung beschränkt hat.

Der Zeuge ... hatte (Urteil des Landgerichts S. 4) den Kläger wegen eines angeblich geplanten Hausbaus aufgesucht, nachdem er am 04.03.2005 gegen 13.00 Uhr telefonisch Kontakt zum Kläger aufgenommen und mit diesem ein Treffen auf den 07.03.2005 vereinbart hatte. Außer dem Treffen vom 07.03.2005 kam es zwischen dem Zeugen und dem Kläger nach jeweils vorangegangenen Verabredungen auch am 10.03. und am 18.03.2005 zu weiteren Treffen. Bei diesen Gesprächen ging es unstreitig um einen angeblich beabsichtigten Hausbau des Zeugen. Der Kläger erklärte dem Zeugen u. a. exemplarisch, welche Pläne grundsätzlich für den Bau eines Hauses benötigt werden. Das Landgericht hat die Aussage des Zeugen ... für glaubhaft befunden (Urteil S. 10), dass er mit dem Kläger über den beabsichtigten Bau seines Hauses gesprochen und die hierfür erforderliche Vorgehensweise erörtert habe. Bei dem ersten Gespräch sei es zwar nur um eine allgemeine Vorgehensweise beim Hausbau gegangen. Dennoch habe der Kläger den Zeugen gebeten, im folgenden Gespräch genaue Lagepläne mitzubringen, um die Maße des Hauses zu bestimmen. Der Kläger habe ihm ausdrücklich seine Architektenleistung angeboten und dann mit ihm den Bebauungsplan besprochen und das Bauvorhaben des Zeugen anhand von Fotos, die der Zeuge mitgebracht hatte, erörtert.

Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen, insbesondere der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen ... (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), bestehen nicht. Das Landgericht hat in seiner Beweiswürdigung Seite 11 des Urteils anhand einer ausreichenden Anzahl von Kriterien die Glaubhaftigkeit der Aussage geprüft und bejaht.

Die Aussage des Zeugen ... ist auch verwertbar. Das Landgericht hat insoweit (Urteil S. 11) festgestellt, dass die Beklagte durch den Einsatz des Zeugen ... keine Weigerung bzw. Ablehnung des Klägers, seine Tätigkeit als Architekt aufzunehmen, überwinden musste. Die Zeugenvernehmung hat nach den Feststellungen des Landgerichts, die sich mit dem Vernehmungsprotokoll decken, nicht ergeben, dass der Zeuge den Kläger zum Vertragsbruch verleitet hätte. Der Zeuge musste keinen Widerstand des Klägers überwinden. Vielmehr hätte der Kläger ohne weiteres unter Hinweis auf seine Erkrankung den Zeugen, als dieser telefonisch mit dem Kläger Kontakt aufnahm wegen eines angeblichen Interesses an einem Hausbau, auf seine Erkrankung hinweisen, ihn um eine Telefonnummer oder Adresse bitten und einen Rückruf bzw. ein Anschreiben nach Wiederherstellung seiner Gesundheit ankündigen können. Im Rahmen des ersten persönlichen Gesprächs nach telefonischer Vereinbarung hätte er unter Bezugnahme auf seine akute Erkrankung nach einleitenden Worten den Zeugen auf später vertrösten können und war nicht gedrängt oder gar genötigt, einen kurzfristigen weiteren Termin während der Dauer seiner Erkrankung für genauere Besprechungen des Bauvorhabens des Zeugen zu vereinbaren; ggf. hätte er einen vereinbarten Termin auch von sich aus absagen können. Ein unlauteres Verhalten des Zeugen gegenüber dem Kläger, das gem. § 242 BGB zu einem Ausschluss des Kündigungsrechts der Beklagten führen könnte, hat die Beweisaufnahme nicht ergeben; besondere Verführungskünste hat der Zeuge nicht anwenden müssen. Aufgrund notwendigen Vertrauens des Versicherers in die Richtigkeit der Angaben des Versicherungsnehmers bezüglich einer behaupteten 100 %igen Arbeitsunfähigkeit sind im Grundsatz Überprüfungen zulässig, nachdem der Versicherer keine weiteren Möglichkeiten der Feststellung hat, ob der Versicherungsnehmer trotz Anzeige seiner Berufsunfähigkeit weiter arbeitet und Versicherungsleistungen erschleicht (BGH NJW-RR 1989, 426).

Der Zeuge ... hat weder den Kläger besonders gedrängt noch hat er dem Kläger gegenüber verwerfliche Mittel eingesetzt, um den Kläger zu einem Vertragsbruch zu verleiten. Vielmehr hat der Kläger eine für das Berufsbild des selbständigen Architekten typische, weil sein Einkommen fördernde, Tätigkeit entwickelt. Er hat eine Akquisitionstätigkeit in nicht ganz unbeträchtlichem Umfang dem Zeugen gegenüber ausgeübt und in schon recht konkreter Weise sich mit den Kundenwünschen und der baurechtlichen Machbarkeit befasst und diese Gesichtspunkte anhand von Unterlagen mit dem Zeugen erörtert. Dies stellte keinen "Arbeitsversuch im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung" dar, wie der Kläger in seiner Berufungsbegründung meint, ebenso wenig eine kurzzeitige Erledigung untergeordneter Hilfstätigkeiten. Vielmehr ist in einer Akquisitionstätigkeit mit Grobkalkulation von Kosten nach Einsichtnahme in Planunterlagen und Fotos eine die Leitungsfunktion betreffende unternehmerische Tätigkeit zu sehen.

Da sonach die Beklagte den Krankentagegeldversicherungsvertrag wirksam gem. § 14 Abs. 2 MB/KT 94 i.V.m. § 314 BGB außerordentlich gekündigt hat, erweist sich die Berufung des Klägers als unbegründet. Mit Recht hat das Landgericht (Tenor Ziff. 1 Satz 2) den Feststellungsantrag bezüglich der Nichtbeendigung dieses Versicherungsvertrages abgewiesen.

Hieraus ergibt sich auch die Unbegründetheit der Berufung des Klägers gegen die teilweise Abweisung des Zahlungsantrags (Klagantrag Ziff. 2) in Höhe von 2.939,86 Euro nebst hierauf geltend gemachter Zinsen (Urteilstenor Ziff. 2).

Die Teilabweisung erfolgte (Abschnitt C der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, Seite 12 - 13) hinsichtlich der dort aufgeführten Zeiträume. An den Tagen, an denen der Kläger die oben näher dargelegten Gespräche mit dem Zeugen ... geführt hat, war er beruflich tätig und hatte deshalb keinen Anspruch auf Krankentagegeld, ebenso nicht ab dem 01.04.2004. Auf die Ausführungen Abschnitt C Seite 12 - 13 des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.b)

Die Berufung der Beklagten bezüglich des Klagantrags Ziff. 1 (Tenor Ziff. 1 Satz 1 des angefochtenen Urteils) mit dem Ziel der vollständigen Abweisung des Klagantrags Ziff. 1 ist begründet.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat das Kündigungsschreiben der Beklagten vom 30.03.2005 (Anlage K 7, Bl. 27 d. A.) das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien nicht nur bezüglich der Krankentagegeldversicherung, sondern auch hinsichtlich der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung beendet.

Der Wortlaut des Schreibens beschränkt sich nicht auf das Vertragsverhältnis bezüglich der Krankentagegeldversicherung. Zwar wird nach der Anrede speziell die Krankentagegeldversicherung erwähnt. Dies geschah jedoch lediglich zur Darstellung, dass bei der Prüfung der Leistungspflicht die Beklagte festgestellt habe, dass der Kläger während seiner Arbeitsunfähigkeit seine berufliche Tätigkeit ausgeübt und dennoch Leistungen aus seiner Krankentagegeldversicherung beansprucht habe. Es wurde also nur die Vertragsverletzung beschrieben. Die Schlussfolgerung der Beklagten ergibt sich aus dem nächsten Absatz des Schreibens: Aufgrund dieses Verhaltens könne der Beklagten die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden; die Beklagte kündige den Versicherungsvertrag mit sofortiger Wirkung. Es wurde also bezüglich des Umfangs der Kündigung nicht mehr speziell die Krankentagegeldversicherung erwähnt, sondern der Versicherungsvertrag bzw. das Vertragsverhältnis. Für den Kläger als Empfänger des Kündigungsschreibens wurde damit deutlich, dass die Beklagte das gesamte Vertragsverhältnis und nicht nur dasjenige der Krankentagegeldversicherung kündigen wollte.

Diese Auslegung wird gestützt durch die Betreff-Zeile "Ihr Versicherungsvertrag" sowie die Angabe der Versicherungsschein-Nummer. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Krankenversicherung, die Pflegeversicherung und die Krankentagegeldversicherung unter einer einzigen Versicherungsschein-Nummer geführt wurde. Der vom Kläger mit der Klage (K 1, Bl. 9 d. A.) vorgelegte Nachtrag zum Versicherungsschein weist die verschiedenen Versicherungsarten mit ihren Tarifen in einem Versicherungsschein aus. Der Versicherungsschein selbst (Bl. 10) betrifft alle oben erwähnten Versicherungsarten nach den dokumentierten Tarifen.

Entgegen der Auffassung im angefochtenen Urteil handelte es sich bei dem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien rechtlich nicht um mehrere selbständige Verträge, sondern um ein einziges Vertragsverhältnis mit mehreren angewandten Tarifen. In der Regel spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine Mehrzahl von Versicherungsscheinen auch auf eine Mehrzahl von Versicherungsverträgen schließen lässt (Römer/Langheid, VVG, § 30 Rdnr. 3), so dass umgekehrt bei nur 1 Versicherungsschein ein einheitlicher Versicherungsvertrag vorliegt. Nach Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl., § 1 MB/KK 94 Rdnr. 3 bilden die Versicherungen, auch wenn die Krankenhaustagegeldversicherung als Zusatzversicherung bezeichnet wird, kein einheitliches Rechtsverhältnis, wenn zwei Versicherungsscheine ausgestellt sind. Nach Bach in Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 3. Aufl., Einleitung 48, bestehen mehrere rechtlich selbständige Verträge nur im Ausnahmefall, wenn ein entsprechender Parteiwille eindeutig zu ermitteln ist. Denkbar seien sie vor allem bei zusätzlicher Vereinbarung eines speziellen Gefahrendeckungsbereichs, z. B. zusätzliche Krankentagegeldversicherung. Es spreche auch eher für zwei selbständige Verträge, wenn der Versicherungsnehmer, z. B. wegen partieller Kündigungsmöglichkeit, gleichzeitig zwei Krankentagegeldversicherungen mit unterschiedlichen Tagessätzen abschließe. Getrennte Anträge und getrennte Versicherungsscheine könnten, müssten aber nicht für getrennte Verträge sprechen.

Wenn, wie hier, ein einziger Versicherungsschein ausgestellt ist und dort lediglich die verschiedenen Tarife erwähnt werden, spricht dies auch nach Ansicht des Senats deutlich für ein einheitliches Vertragsverhältnis, dessen Bestand und Bestehenbleiben nur einheitlich bewertet werden kann. Dies stellt auch nach § 139 BGB die Regel dar. Nach Ansicht des Senats besteht kein Anlass, von dem Grundsatz abzuweichen, wonach ein einheitlicher Vertrag anzunehmen ist bei nur einem ausgestellten Versicherungsschein. So hat der BGH (VersR 1987, 177) eine Lebensversicherung mit Unfallzusatzversicherung auf die verbundenen Leben von Ehepartnern, eine Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitsversicherung (BGH VersR 1989, 689) als einheitliche Versicherung behandelt.

Der Wortlaut des § 30 VVG spricht nicht gegen diese Auslegung. Denn diese Vorschrift ist gem. § 178 a Abs. 2 Satz 2 VVG auf die Krankenversicherung nicht anzuwenden.

Auch der Umstand, dass der Kläger bei der Beklagten eine Vollkostenversicherung bezüglich seines Krankenversicherungsschutzes genommen hat, spricht gegen einen Parteiwillen, das Versicherungsverhältnis in mehrere selbständige Vertragsverhältnisse aufzuteilen. Hier hatte der Kläger diejenigen Risikobereiche, die mit einer Erkrankung verbunden sind, in einer einzigen Vertragsurkunde abgedeckt.

Die Kündigungserklärung bewirkte sonach die Beendigung des Vertragsverhältnisses auch bezüglich der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung.

Nichts anderes würde gelten, wenn man mehrere Versicherungsverhältnisse bejahen würde. Der Beklagten wäre ein Festhalten an dem Vertragsverhältnis mit dem Kläger aufgrund des dargestellten Verhaltens des Klägers insgesamt nicht zuzumuten. Der Versicherer ist bei Krankenversicherungen in besonderem Maße auf die Angaben des Versicherungsnehmers angewiesen. Es muss ein Vertrauensverhältnis bezüglich der Richtigkeit der Angaben bestehen. Das Missbrauchsrisiko ist, insbesondere, wenn auch eine Krankentagegeldversicherung genommen worden ist, besonders hoch. Vertrauen ist aber unteilbar. Wird das Vertrauen, wie hier, enttäuscht in einem Ausmaß, das die außerordentliche Kündigung rechtfertigt, so muss der Versicherer berechtigt sein, sich insgesamt vom Vertragsverhältnis mit diesem Versicherungsnehmer zu lösen.III.

Ausführungen zur Widerklage sind entbehrlich, da die Berufung insoweit zurückgenommen worden ist.IV.

Da die Berufung des Klägers sonach unbegründet war und die Berufung der Beklagten bezüglich des nicht zurückgenommenen Teils begründet, beruht die Kostenentscheidung für den Zeitraum nach teilweiser Berufungsrücknahme auf §§ 91, 97 ZPO, im Übrigen auf § 92 ZPO. Die Kostenentscheidung konnte nur das Berufungsverfahren betreffen, weil das erstinstanzliche Verfahren in weiteren Teilen des Klagantrags noch nicht erledigt ist.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht. Es handelt sich im Wesentlichen um tatrichterliche Bewertungen des Verhaltens des Klägers, die keine in der Revision zu überprüfenden grundsätzlichen Rechtsfragen enthalten. Die Frage, ob ein einheitliches Vertragsverhältnis vorliegt, ist nach obigen Ausführungen nicht entscheidungserheblich gewesen, außerdem grundsätzlich rechtlich geklärt und damit nur noch eine Frage der Anwendung im jeweiligen Einzelfall.