OLG München, Beschluss vom 19.06.2008 - 13 W 1556/08
Fundstelle
openJur 2012, 92871
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Traunstein vom 1.4.2008 in der Fassung des Abhilfebeschlusses des Landgerichts Traunstein vom 29.5.2008 dahin abgeändert, dass der Klägerin Prozesskostenhilfe für die gemäß Schriftsatz vom 3.3.2008 angekündigte Klageerweiterung auf 20.168,37 Euro bewilligt wird.

II. Im Übrigen – hinsichtlich des angekündigten Feststellungsantrages – wird die Beschwerde zurückgewiesen.

III. Die Entscheidung ist gerichtsgebührenfrei.

Gründe

1. Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage Schadensersatz aus Bauvertrag wegen verschiedener Mängel in Höhe von 17.382,14 Euro nebst Zinsen. Der Betrag setzt sich zusammen aus Mängelbeseitigungskosten in Höhe von 12.000,– Euro netto = 13.920,– Euro brutto sowie den Kosten für Privatgutachten in Höhe von 1450,– Euro und 2012,14 Euro. Hierfür wurde ihr mit Beschluss vom 15.12.2006 Prozesskostenhilfe gewährt. Das Landgericht erhob Beweis durch Vernehmung dreier Zeugen sowie durch Erholung eines Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige schätzte die Kosten für die Mängelbeseitigung auf 12.648,– Euro netto. Mit Schriftsatz vom 3.3.2008 kündigte die Klägerin eine Klageerweiterung auf 20.168,37 Euro nebst Zinsen an. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus den vom Sachverständigen festgestellten voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten von netto 12.648,– Euro, der hierauf entfallenden Mehrwertsteuer von 2403,12 Euro, den Kosten für die Überwachung (10 % aus den Bruttokosten =) 1505,11 Euro, dem neuen Mangel "braune Soße" von 150,– Euro und den Aufwendungen für die beiden Privatgutachten von 3462,14 Euro. Dies bedeutet eine Klageerhöhung um 2786,23 Euro. Außerdem will die Klägerin beantragen festzustellen, dass der Beklagte allen weiteren Schaden zu erstatten hat, der durch die Unbewohnbarkeit des Obergeschosses entstanden ist. Das Landgericht hat die Gewährung von Prozesskostenhilfe für diese Klageerweiterung zunächst ganz abgelehnt und auf die sofortige Beschwerde der Klägerin lediglich weitere Prozesskostenhilfe für den Mangel "braune Soße" gewährt. Auf die Beschwerdebegründung der Klägerin im Schriftsatz vom 10.4.2008 und im Schriftsatz vom 3.6.2008 wird Bezug genommen.

2. Die zulässige Beschwerde ist zum überwiegenden Teil begründet.

a) Der Senat vertritt wie das Landgericht die Auffassung, dass die Mehrwertsteuer erst bei ihrem Anfall zu erstatten ist, bewilligt aber auch insoweit Prozesskostenhilfe, weil das Rechtsproblem umstritten ist. Stößt das Beschwerdegericht nämlich auf grundsätzlich bedeutsame Probleme, die die Zulassung der Rechtsbeschwerde angezeigt erscheinen ließen, muss es die Erfolgsaussichten bejahen, wenn die Partei bedürftig ist, vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 26. Auflage, Rdnr. 41. Gleichwohl kann der Senat die Frage, ob § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB anzuwenden ist, nicht auf sich beruhen lassen, weil darzulegen ist, dass die grundsätzliche Bedeutung der Sache und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine höchstrichterliche Entscheidung erforderlich machen würden, § 574 Abs. 2 ZPO.

b) Die Mehrwertsteuer entfällt gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB. Denn der Schaden wurde noch nicht beseitigt, sodass die Klägerin noch keine Mehrwertsteuer zahlen musste. § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB wurde mit Wirkung vom 1.8.2002 eingefügt. Die Vorschrift setzt die "Beschädigung einer Sache" voraus. Es würde dem allgemeinen Sprachgebrauch Gewalt angetan anzunehmen, dass durch die behaupteten handwerklichen Mängel das Haus der Klägerin "beschädigt" worden sei. Vom Wortlaut her scheidet daher eine unmittelbare Anwendung der Vorschrift aus, vgl. Weyer, Jahrbuch Baurecht 2005, 1 (6). Allerdings kommt eineerweiternde Auslegung nach dem Normzweckin Betracht (ebenso noch Weyer in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 1. Auflage, § 13 VOB/B Rdnr. 362 (a. A. in der 2. Auflage); Kniffka ibronline-Kommentar Bauvertragsrecht, Stand 8.4.2004, § 636 BGB Rdnr. 37 [zitiert nach Weyer Jahrbuch BauRecht 2005, S. 1/5 Fußnote 10]). Dieser Ansicht schließt sich der Senat an. Die gegenteilige Auffassung (OLG Stuttgart, IBR 2008, 265; OLG Brandenburg IBR 2005, 136; Weyer, Jahrbuch Baurecht 2005, 1 (4 ff.); Wirth in Ingenstau/Korbion, VOB Teile A und B, 16. Auflage, § 13 Nr. 7 VOB/B Rdnr. 67) überzeugt nicht. Sie beruft sich auf den Willen des Gesetzgebers (1), den Vorrang des Wertinteresses vor dem Integritätsinteresse (2) und die Besonderheit des werkvertraglichen Schadensersatzanspruch, der nie auf Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB), sondern von vornherein auf Geldersatz gerichtet sei (3).

(1) Der Wille des Gesetzgebers war nicht lediglich auf die Abwicklung von Kfz-Schäden gerichtet, wenn auch in erster Linie. Der Gesetzgeber hatte vor allem Sachbeschädigungen von Kraftfahrzeugen im Auge, die Gesetzesänderung jedoch nicht ausdrücklich hierauf beschränkt. Eine Beschränkung hierauf kommt weder im Wortlaut des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB noch in der Stellung dieser Vorschrift im allgemeinen Schadensrecht zum Ausdruck. Eine erweiternde Auslegung ist in ihr schon angelegt. So gilt sie über ihren Wortlaut hinaus auch für den Fall der Zerstörung oder der Entziehung einer Sache, vgl. statt vieler Palandt/Heinrichs, 67. Auflage, § 249 Rdnr. 15. Es liegt nahe, dass der Gesetzgeber den Fall des § 635 BGB a. F., 634 Nr. 4 BGB n. F. weder bedachte noch ausschloss. Aus diesen Gründen lässt sich im Wege der historischen Auslegung nichts herleiten.

(2) Eine Unterscheidung nach Integritätsinteresse (§ 249 BGB) und Wertinteresse (§ 251 BGB) ist sachlich nicht gerechtfertigt und zu formal. Der Besteller einer Werkleistung ist, wenn er einen Mangel nicht beheben lässt, genauso gestellt wie der Geschädigte eines Verkehrsunfalls, der auf die Reparatur seines Kfz verzichtet. In beiden Fällen nehmen es die Geschädigten in Kauf, mit den Beeinträchtigungen zu leben, um die Entschädigung anderweit zu verwenden. Auch in den Fällen, in denen die Geschädigten die Mangelbehebung/Reparatur mangels Liquidität noch nicht durchführen können, ist die wirtschaftliche Interessenlage beider Geschädigter weitgehend identisch. Daher gilt auch für den werkvertraglichen Schadensersatzanspruch der Grundsatz desBereicherungsverbots(ausführlich hierzu Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb. 2005, Rdnr. 2 vor §§ 249 BGB), der dem Schadensersatzrecht im Allgemeinen und dem § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB im Besonderen zugrunde liegt.

(3) Es mag sein, dass der Schadensersatzanspruch im Werkvertragsrecht von vornherein auf Wertersatz gerichtet ist, weil erstattder Mängelbeseitigung/der Nacherfüllung geltend gemacht wird. Aber § 249 Abs. 2 BGB gilt auch für vertragliche Schadensersatzansprüche (Oetker in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage, § 249 Rdnr. 3 und 423) wie die früher so genannte positive Forderungsverletzung, die ebenfalls von vornherein auf Geldleistungen beschränkt sein kann. Insgesamt ist es nicht gerechtfertigt, wegen der Ausrichtung des werkvertraglichen Schadensersatzanspruches auf Geldzahlungen § 249 Abs. 2 BGB nur eingeschränkt anzuwenden.

(4) Der geschädigte Besteller, der entgegen seiner früheren Absicht die Mängelbeseitigung durchführt oder der – wie im konkreten Fall – erst das Geld zur Mängelbeseitigung braucht, wird rechtlich nicht schlechter gestellt als nach der früheren Rechtslage. Er kann die später tatsächlich verauslagte Mehrwertsteuer vom Schädiger verlangen. Einer drohenden Verjährung kann er durch Feststellungsklage begegnen. Das einzige zusätzliche Risiko des Bestellers liegt darin, dass der Unternehmer – wie im Bauwesen häufig – später insolvent wird und die verauslagte Mehrwertsteuer nicht mehr erstattet. Dieses Risiko geht aber mitunter auch der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ein, etwa wenn der Schädiger keinen Versicherungsschutz hat.

(5) Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde lägen im Hinblick auf die abweichende Meinung des OLG Stuttgart und des OLG Brandenburg vor. Darüber hinaus betrifft die Rechtsfrage eine unbestimmte Vielzahl künftiger Fälle; sie ist von hoher praktischer Bedeutung.

c) Die Kosten für die Überwachung der Mängelbeseitigung kann die Klägerin entgegen der Auffassung des Landgerichts verlangen. Sie wurden hier mit 10 % der Mängelbeseitigungskosten angesetzt. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung dieses Senats und der anderen Bausenate, zwischen 10 und 15 % zuzuerkennen, es sei denn, es handelt sich um eine völlig unkomplizierte Mangelbehebung. Davon kann hier angesichts der Vielzahl der Mängel keine Rede sein.

d) Für die Kosten der Privatgutachten wurde bereits früher Prozesskostenhilfe gewährt.

e) Der Feststellungsantrag hat derzeit keine Aussicht auf Erfolg. Die Klägerin trägt trotz des Einwandes des Beklagten nicht vor, dass Ausbesserungsarbeiten auch im Inneren ihres Hauses notwendig sind und warum sie – unter Beachtung der Schadensminderungspflicht – nicht schon jetzt die Räume im Obergeschoss bewohnbar machen kann.