BVerfG, Beschluss vom 22.02.2002 - 1 BvR 300/02
Fundstelle
openJur 2011, 118736
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangene verwaltungsgerichtliche Entscheidungen zu einer Wohnungsverweisung und einem Rückkehrverbot. Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot sind durch die Kreispolizeibehörde zum Schutz einer Frau vor häuslicher Gewalt durch den mit ihr in eheähnlicher Lebensgemeinschaft lebenden Beschwerdeführer verfügt worden.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde ferner gegen eine zivilgerichtliche Eilrechtsschutzentscheidung. Darüber hinaus begehrt er einstweiligen verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz unmittelbar gegen § 34 a des Polizeigesetzes von Nordrhein-Westfalen (PolG NW) und gegen die Weigerung des Landgerichts Kleve, in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. Ferner wendet er sich gegen eine einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Rheinberg, mit der ihm untersagt worden ist, die bislang von seiner Lebensgefährtin und ihm gemeinsam genutzte Wohnung zu betreten und sich seiner Lebensgefährtin auf weniger als 50 Meter zu nähern oder mit ihr telefonischen Kontakt aufzunehmen.

1. Die Verfassungsbeschwerde war nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist die Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

a) Die vom Beschwerdeführer gerügte Verletzung seines Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG durch die angegriffenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts ist nicht festzustellen.

Der Beschwerdeführer macht hierzu geltend, dass sich das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht bei ihren Entscheidungen über seinen Eilrechtsschutzantrag zu Unrecht darauf beschränkt hätten, den Sachvortrag der Verfahrensbeteiligten und die behördlicherseits getroffenen Tatsachenfeststellungen einer summarischen Prüfung zu unterziehen, anstatt in eigene Ermittlungen einzutreten und insbesondere etwaige behördliche Ermittlungsdefizite bereits im Eilrechtsschutzverfahren aufzufangen.

Dieses Vorgehen der Gerichte ist in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Es entspricht allgemeiner Ansicht und unterliegt keinen verfassungsrechtlich begründeten Bedenken (vgl. BVerfGE 69, 315 <363>), dass sich die verwaltungsgerichtliche Kontrolle des Sofortvollzugs einer behördlichen Maßnahme auf die Durchführung einer Interessenabwägung beschränkt, wenn sich die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme bei summarischer Überprüfung nicht hinreichend übersehen lässt. Solche Interessenabwägungen sind im Ausgangsverfahren durch die angerufenen Verwaltungsgerichte angestellt worden.

Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung der angerufenen Gerichte aus Art. 19 Abs. 4 GG, über die im Eilrechtsschutzverfahren übliche summarische Prüfung hinauszugehen, bestand nicht. Eine solche Verpflichtung ergab sich auch nicht aus dem Umstand, dass der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz gegen polizeiliche Maßnahmen nach § 34 a Abs. 1 PolG NW seinen Schwerpunkt im Regelfall im Bereich des Eilrechtsschutzes haben wird. Auf Grund der gesetzlichen Befristung der Maßnahmen nach § 34 a Abs. 1 PolG NW auf längstens zehn Tage (§ 34 a Abs. 5 PolG NW) wird es regelmäßig nicht möglich sein, die Aufhebung der Verfügungen innerhalb dieser Frist durch Einlegung von Widerspruch und gegebenenfalls Erhebung einer Anfechtungsklage zu erreichen. Vielmehr wird der Betroffene zumeist darauf beschränkt bleiben, die Rechtmäßigkeit der infolge Zeitablaufs erledigten Maßnahme durch Erhebung einer Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog) überprüfen zu lassen. Diese faktische Beschränkung der Möglichkeiten, fachgerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen, wiegt zwar schwer, zumal durch eine Wohnungsverweisung unter gleichzeitiger Anordnung eines Rückkehrverbots stets intensiv in Freiheitsrechte des Betroffenen eingegriffen wird. Durch eine Maßnahme nach § 34 a Abs. 1 PolG NW wird aber in der Regel nur insofern Unabänderliches bewirkt, als der Betroffene während der maximal zehntägigen Dauer einer Anordnung von seiner Wohnung und gegebenenfalls bestimmten weiteren Orten fern gehalten wird. Diese Frist ist so bemessen, dass kaum von einer erheblichen Gefahr ausgegangen werden muss, der Betroffene werde nachhaltig und dauerhaft aus seinem sozialen Umfeld gerissen. Dies gilt umso mehr, als ihm nach § 34 a Abs. 2 PolG NW durch die Polizei Gelegenheit zu geben ist, dringend benötigte Gegenstände des persönlichen Bedarfs mitzunehmen. Besteht die konkrete Gefahr, dass der in der Wohnung Verbliebene an Besitz des Weggewiesenen verbotene Eigenmacht übt, kann dem - wie auch im vorliegenden Fall erfolgreich geschehen - durch Inanspruchnahme zivilgerichtlichen Eilrechtsschutzes begegnet werden. Eine endgültige Entscheidung über die Zuweisung einer Wohnung wird durch Maßnahmen nach § 34 a Abs. 1 PolG NW nicht getroffen. § 34 a PolG NW ermöglicht der Behörde vielmehr eine erste kurzfristige Krisenintervention mit dem Ziel, akute Auseinandersetzungen mit Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit einer Person zu entschärfen, den Beteiligten Wege aus der Krise zu eröffnen und ihnen die Möglichkeit zu verschaffen, in größerer Ruhe und ohne das Risiko von Gewalttätigkeiten Entscheidungen über ihre künftige Lebensführung sowie gegebenenfalls die Inanspruchnahme gerichtlichen Schutzes nach Maßgabe des Gesetzes zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz - GewSchG) zu treffen.

Diese Konzeption, mit der es der nordrhein-westfälische Gesetzgeber unternommen hat, in Fällen häuslicher Gewalt seinen Schutzauftrag aus Art. 2 und Art. 6 GG zu erfüllen, ginge fehl, wenn die Verwaltungsgerichte verpflichtet wären, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen nach § 34 a PolG NW - regelmäßig unter Einbeziehung der am Konflikt unmittelbar Beteiligten - umfangreiche eigene Ermittlungen anzustellen, Besichtigungstermine durchzuführen sowie Mitbewohner und Nachbarn zu vernehmen. Die aus einer Maßnahme nach § 34 a Abs. 1 PolG NW hervorgehenden, fraglos schwer wiegenden, jedoch ihrer Natur nach überwiegend vorübergehenden Belastungen gebieten auch mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht eine solche Anhebung der verwaltungsgerichtlichen Prüfungsintensität im Eilrechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO.

Gewisse Möglichkeiten des Missbrauchs des Schutzinstrumentariums des § 34 a PolG NW durch den (vermeintlich) Gefährdeten bleiben danach zwar bestehen. Dem aus der Wohnung Verwiesenen bleibt jedoch die Möglichkeit des nachträglichen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Stellt sich in einem solchen Verfahren heraus, dass der in der Wohnung Verbliebene missbräuchlich polizeiliche Hilfe in Anspruch genommen hat, so wird dieser Umstand bei künftigen Entscheidungen über den Erlass von Anordnungen nach § 34 a PolG NW zu berücksichtigen sein. Darüber hinaus kann eine solche Feststellung dem zu Unrecht aus der Wohnung Verwiesenen dazu verhelfen, Schadensersatzansprüche gegen den in der Wohnung Verbliebenen durchzusetzen. Hierdurch wird dem berechtigten, grundrechtlich geschützten Interesse des Betroffenen an der Vermeidung unbegründeter Verfügungen ausreichend Rechnung getragen.

b) Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, durch die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts in seinen Grundrechten aus Art. 13 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 1 GG verletzt zu sein, steht dem Erfolg der Verfassungsbeschwerde der Grundsatz der Subsidiarität verfassungsgerichtlicher Rechtsbehelfe entgegen. Der Beschwerdeführer ist insofern gehalten, sein Rechtsschutzanliegen zunächst im behördlichen Widerspruchsverfahren und gegebenenfalls sodann im Verwaltungsrechtsweg durch Erhebung einer Fortsetzungsfeststellungsklage zu verfolgen.

Die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes kann zwar selbständig Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein. Insoweit war hier nach der abschlägigen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts über die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss vom 14. Februar 2002 der Rechtsweg erschöpft. Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt jedoch über die Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus, dass ein Beschwerdeführer die ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung ohne Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts zu erwirken. Für Entscheidungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes folgt hieraus, dass auch die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache geboten ist, wenn sich dort nach der Art des gerügten Grundrechtsverstoßes die Chance bietet, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn mit der Verfassungsbeschwerde Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen. Allerdings müssen Beschreitung und Erschöpfung des Hauptsacherechtswegs für den Beschwerdeführer zumutbar sein (vgl. BVerfGE 77, 381 <401 f.>; 79, 275 <278 f.>; BVerfG, Erster Senat, Beschluss vom 9. Oktober 2001 - 1 BvR 622/01 -). Im vorliegenden Fall sind die vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen der Verletzung von Art. 13 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 1 GG einer fachgerichtlichen Klärung in einem verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren zugänglich.

Die Beschreitung des Hauptsacherechtswegs ist für den Beschwerdeführer auch zumutbar. Sie ist für ihn nicht von vornherein aussichtslos. Das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht haben ihre Eilrechtsschutzentscheidungen auf das Ergebnis der von ihnen durchgeführten summarischen Prüfungen gestützt und die Erfolgsaussichten des vom Beschwerdeführer eingelegten Widerspruchs ausdrücklich als offen bezeichnet. Eine das Hauptsacheverfahren vorwegnehmende abschließende Sach- und Rechtsprüfung ist nicht durchgeführt worden. Ein Erfolg des Beschwerdeführers im Hauptsacheverfahren bleibt damit möglich. Hinzu kommt, dass die Klärung der hier aufgeworfenen Fragen einer weiteren Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts und gegebenenfalls auch der näheren fachgerichtlichen Auseinandersetzung mit der Auslegung und Anwendung einer jüngst erlassenen und neuartigen gesetzlichen Regelung bedarf.

Eine verfassungsgerichtliche Prüfung der angegriffenen Eilrechtsschutzentscheidungen kann somit allenfalls dahin gehen, ob sich die um vorläufigen Rechtsschutz angerufenen Gerichte bei der in Eilrechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ersichtlich von Erwägungen haben leiten lassen, die der Bedeutung und der Reichweite von Grundrechten nicht ausreichend Rechnung tragen und für die Versagung des fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes ausschlaggebend gewesen sein können (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 20. Dezember 2000 - 1 BvR 2045/00, 2166/00 -). Im vorliegenden Fall lassen sich Anhaltspunkte dafür jedoch nicht feststellen.

c) Soweit der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde den Beschluss des Amtsgerichts vom 13. Februar 2002 angreift, ist der Rechtsweg nicht erschöpft (§ 90 Abs. 2 BVerfGG). Die Entscheidung des Landgerichts über die vom Beschwerdeführer bereits eingelegte Beschwerde steht - soweit ersichtlich - bislang noch aus. Anlass, gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung abzusehen, besteht nicht. Im Übrigen stünde einer Sachentscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch hier der Grundsatz der Subsidiarität verfassungsgerichtlicher Rechtsbehelfe entgegen.

2. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG hat ebenfalls keinen Erfolg.

Soweit der Beschwerdeführer begehrt, die Anwendung von § 34 a PolG NW im Wege der einstweiligen Anordnung auszusetzen, genügt sein Eilrechtsschutzantrag nicht den Begründungserfordernissen des § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG. Im Übrigen wären - bei Anlegung des hier gebotenen besonders strengen Maßstabs der im Rahmen von § 32 BVerfGG durchzuführenden Folgenabwägung (vgl. Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2001 - 1 BvQ 23/01, 26/01 -, S. 9 m.w.N.) - die vom Beschwerdeführer aufgeführten Nachteile einer weiteren Anwendung von § 34 a PolG NW auch nicht geeignet, den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zu rechtfertigen.

Auch dem Antrag, dem Landgericht im Verfahren 6 T 62/02 durch einstweilige Anordnung aufzugeben, nach Aktenlage zu entscheiden, war nicht stattzugeben. Die vom Beschwerdeführer gerügte Verletzung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes im zivilgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) ist nicht festzustellen; eine auf die Feststellung einer solchen Grundrechtsverletzung gerichtete Verfassungsbeschwerde wäre offensichtlich unbegründet. Eine Verpflichtung des Landgerichts, im Eilrechtsschutzverfahren betreffend die Regelung der Nutzung einer Wohnung grundsätzlich auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu verzichten, lässt sich dem Gebot effektiven Rechtsschutzes im zivilgerichtlichen Verfahren nicht entnehmen. Besondere Umstände, die speziell im vorliegenden Fall eine solche Verpflichtung begründen könnten, sind nicht dargelegt worden. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass eine an die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers gerichtete einstweilige Verfügung, mit der ihr durch ein Zivilgericht aufgegeben wird, dem Beschwerdeführer Einlass in die Wohnung zu gewähren und seinen Aufenthalt zu dulden, die - an den Beschwerdeführer gerichtete und in ihrem Bestand vom Willen seiner Lebensgefährtin grundsätzlich unabhängige - polizeiliche Anordnung vom 12. Februar 2002 unberührt ließe. Die begehrte einstweilige Verfügung könnte dem Beschwerdeführer bei unterstelltem Fortbestand der polizeilichen Anordnung daher frühestens am 23. Februar 2002 von praktischem Nutzen sein. Die mündliche Verhandlung vor dem Landgericht soll nach Angaben des Beschwerdeführers aber bereits am 21. Februar 2002 durchgeführt werden.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Vollstreckung aus dem Beschluss des Amtsgerichts Rheinberg vom 14. Februar 2002 - 10 C 73/02 - vorläufig eingestellt wird, hat ebenfalls keinen Erfolg, da er den Begründungserfordernissen des § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG nicht genügt. Darüber hinaus ist der Grundsatz der Subsidiarität verfassungsgerichtlicher Rechtsbehelfe nicht beachtet worden.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.