LG Potsdam, Beschluss vom 25.01.2006 - 24 KLs 58/05
Fundstelle
openJur 2012, 4818
  • Rkr:
Tenor

In der Strafsache ... wird die Ablehnung des VorsitzendenRichters am Landgericht T. und des Richters am Landgericht W. alsunbegründet zurückgewiesen.

Gründe

Der zulässige Antrag auf Ablehnung der genannten Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit ist unbegründet.

Gründe, die geeignet sind, das Misstrauen des Angeklagten gegen die Unparteilichkeit der Richter zu rechtfertigen, liegen nicht vor. Das Misstrauen in die Unparteilichkeit der Richter ist gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass die abgelehnten Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnehmen, die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Dabei kommt es zwar auf den Standpunkt des Ablehnenden an, nicht aber auf seinen (möglicherweise einseitigen) subjektiven Eindruck und auf seine möglicherweise unzutreffenden Vorstellungen vom Sachverhalt. Maßgebend sind vielmehr der Standpunkt eines vernünftigen Angeklagten und die Vorstellungen, die sich ein geistig gesunder, bei voller Vernunft befindlicher Prozessbeteiligter bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann. Der Ablehnende muss daher Gründe für sein Ablehnungsbegehren vorbringen, die jedem unbeteiligten Dritten einleuchten (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Auflage, § 24 Rdnr. 8 m.w.N.).

Derartige Gründe sind indes vorliegend nicht vorgebracht. Im Einzelnen:

1. Die Entbindung der Hilfsschöffen A. E. und Dr. Dr. M. V. war entgegen der Auffassung des Angeklagten nicht objektiv willkürlich. Die Entbindung der Schöffen von ihrer Dienstleistung gemäß § 54 Abs. 1 GVG erfolgte aufgrund der Feststellung des Vorsitzenden, dass diese an ihrer Dienstleistung gehindert sind, da ihnen jeweils aus beruflichen Gründen die Dienstleistung nicht zugemutet werden konnte (§ 54 Abs. 1 S. 2 GVG). Dem lag hinsichtlich der Schöffin A. E. ausweislich des Beschlusses der Kammer vom 18. Januar 2006 (Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll) deren mündlicher Antrag bei der Geschäftstelle und die Glaubhaftmachung ihrer Verhinderung durch Vorlage einer Erklärung ihres Arbeitgebers, dass die Schöffin an einer Schulungsmaßnahme am 18. Januar 2006, dem 1. anberaumten Hauptverhandlungstermin, teilnehmen müsse, zugrunde. Der Vorsitzende hat diesen Hinderungsgrund als glaubhaft angesehen. In diesem Falle ist eine weitere Nachprüfung nicht erforderlich. Der Schöffe Dr. Dr. M. V. hat vorgetragen, an der Sitzung vom 18. Januar 2006 nicht teilnehmen zu können, da er seine Tätigkeit als Dozent an einer Fachhochschule wahrnehmen müsse. Er hat erläuternd vorgetragen, dass er erst kürzlich an diese Fachhochschule abgeordnet worden sei und befürchte, im Falle eines Fehlens diese Stelle zu verlieren und arbeitslos zu werden. Er hat ausgeführt, dass er aufgrund vorangegangenen zweimaligen beruflichen Neuanfangs befürchte seine berufliche Existenz zu verlieren. Der Vorsitzende hat daraufhin den Schöffen von der Dienstleistung entbunden.

Beide Entbindungen erfolgten nicht willkürlich. Willkürlich ist eine Maßnahme dann, wenn sie auf unsachlichen, sich von den gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruht und unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar erscheint (vgl. Meyer-Goßner, GVG, 48. Aufl., § 16 Rdnr. 6). So liegt der Fall hier gerade nicht. § 54 Abs. 1 S. 2 GVG sieht eine Entbindung von Schöffen ausdrücklich auch für den Fall vor, dass ihm die Dienstleistung nicht zugemutet werden kann. Auch berufliche Umstände können zu dieser Unzumutbarkeit führen (vgl. Meyer-Goßner, GVG, 48. Aufl. § 54 Rdnr. 6). So war die Entbindung der Schöffin A. E. hier vertretbar, da sie sich bei der Teilnahme an der beruflichen Schulungsmaßnahme naturgemäß nicht vertreten lassen konnte und hinsichtlich des Schöffen Dr. Dr. M. V. deshalb nicht willkürlich, weil dieser seine Existenzgefährdung durch Teilnahme an der Hauptverhandlung vorgetragen hat.

Der Beschluss der Kammer in der Hauptverhandlung vom 18. Januar 2006, mit der die ordnungsgemäße Besetzung der Kammer festgestellt wird, bestätigt die Rechtmäßigkeit der Entbindung der Schöffen und ist daher nicht zu beanstanden. Er ist daher nicht geeignet, bei einem vernünftigen Angeklagten Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Kammer durch Entziehung des gesetzlichen Richters aufkommen zu lassen.

2. Auch die Ablehnung des Aussetzungsantrages und die Ablehnung der Aufhebung des Haftbefehls gegen den Angeklagten begründen nicht die Besorgnis der Befangenheit.

Der Aussetzungsantrag wurde damit begründet, dass der Angeklagte nicht ordnungsgemäß geladen sei, weil der nicht in Freiheit befindliche Angeklagte entgegen der Vorschrift des § 216 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht befragt worden sei, ob und welche Anträge er zu seiner Verteidigung für die Hauptverhandlung zu stellen habe. Die Ladung sei fehlerhaft und die Ladungsfrist des § 217 Abs. 1 StPO sei nicht eingehalten.

Die im Rahmen der Entscheidung über die Ablehnungsanträge erfolgte Prüfung dieses Antrags hat ergeben, dass zwar die Verfügung des Vorsitzenden ausgeführt worden ist und der Angeklagte mit dem regelmäßig insoweit verwendeten Formular, in dem eine entsprechende Befragung des Angeklagte zu protokollieren ist, zugestellt wurde. Ausweislich dieses Formulars ist der Angeklagte jedoch gerade nicht entsprechend befragt worden. Damit ist die Zustellung der Ladung an den Angeklagten gemäß § 35 StPO nicht wirksam, so dass die Ladungsfrist des § 217 Abs. 1 StPO nicht eingehalten war.

Die Ablehnung des Aussetzungsantrags war damit objektiv rechtswidrig.

Jedoch ergibt sich aus den Gründen des Beschlusses der Kammer in der Hauptverhandlung vom 18. Januar 2006, dass die Kammer die Begründung des Aussetzungsantrages offenbar missverstanden und gemeint hat, dass die Aussetzung wegen mangelhafter Zustellung aufgrund fehlender Anordnung der Befragung des Angeklagten gemäß § 216 Abs. 2 StPO beantragt wurde. Die Kammer hat augenscheinlich den Antrag nicht dahingehend verstanden, dass trotz entsprechender Verfügung die Befragung durch die JVA-Bediensteten nicht erfolgte. Dieses Missverständnis, das offenbar auch noch bis zur dienstlichen Äußerung der abgelehnten Richter bestand, ist eindeutig aus den Gründen des insoweit in der Hauptverhandlung am 18. Januar 2006 verkündeten Beschluss der Kammer ersichtlich. Denn darin befasst sie sich ausschließlich mit der vom Vorsitzenden veranlassten Ladung des Angeklagten und stellt – insoweit zutreffend - fest, dass der Angeklagte mit einem Formular geladen wurde, auf dem dies verfügt ist. Darauf, ob diese Befragung dann auch entsprechend der Anordnung ausgeführt worden ist, geht sie mit keinem Wort ein. Die Kammer hat damit nicht etwa zu erkennen gegeben, dass es die tatsächliche Befragung entgegen dem Wortlaut des § 216 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht für erforderlich hält, sondern hat erkennbar vorausgesetzt, dass diese Befragung nach der – überprüften - entsprechenden Verfügung auch durchgeführt wurde. Dass sich die Kammer damit bewusst über den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes hinwegsetzen wollte, konnte der verständige Angeklagte nicht annehmen. Vielmehr befasst sich der Beschluss irrtümlich mit dem eigentlichen Inhalt des Aussetzungsantrages überhaupt nicht. Darauf hätte der Angeklagte jedoch nach Verkündung des Beschlusses beispielsweise im Wege einer Gegenvorstellung, die er auch gegen einem späteren Beschluss der Kammer erhoben hat, hinweisen können, damit die Kammer ihren Irrtum hätte erkennen und die Entscheidung hätte überprüfen können. Diese Möglichkeit der Überprüfung dieser Entscheidung besteht auch noch immer.

Allein die objektive Rechtswidrigkeit einer Entscheidung der Kammer während der Hauptverhandlung begründet nicht immer die Besorgnis der Befangenheit, insbesondere dann nicht, wenn - wie hier - offenkundig ein Irrtum über den Sachverhalt, der Gegenstand der Entscheidung war, vorlag.

3. Die Weigerung des Vorsitzenden Richters, die Zeugen dahingehend zu belehren, dass die Möglichkeit ihrer Beeidigung besteht, kann bei einem vernünftig denkenden Angeklagten nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen. Denn bei § 57 StPO handelt es sich um eine nur im Interesse der Zeugen erlassene Ordnungsvorschrift (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Auflage, § 57 Rdnr. 7). Die Kammer, die diese Art der Belehrung gemäß § 238 Abs. 2 StPO bestätigt hat, hat sich daher entgegen der Auffassung des Angeklagten nicht über eine seinem Schutz dienende Vorschrift hinweggesetzt.

Soweit der Angeklagte darüber hinaus in seinem Befangenheitsantrag weitere Vorkommnisse um die Beeidigung und die Begründung von Amts wegen zu treffender Entscheidungen schildert, hat er daraus ersichtlich keine Gründe herleiten wollen, die seine Besorgnis der Befangenheit begründen. Aus den dargestellten und offenkundig rechtmäßigen Entscheidungen des Gerichts sind derartige Gründe auch nicht herzuleiten.

Insgesamt war danach der Befangenheitsantrag als unbegründet zurückzuweisen.