VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 08.06.1993 - 6 S 1068/92
Fundstelle
openJur 2013, 8672
  • Rkr:

1. Ein privatrechtliches Rechtsgeschäft, das nach seinem aus Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter in erster Linie darauf angelegt ist, Vermögensverhältnisse zum Schaden des Sozialhilfeträgers und damit auf Kosten der Allgemeinheit zu regeln, verstößt iS des § 138 Abs 1 BGB gegen die guten Sitten und ist nichtig.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 30. März 1992 - 4 K 849/91 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens .

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Hilfe zur Pflege.

I.

Die am 06.05.1913 geborene Klägerin erlitt Ende März 1987 einen Schlaganfall, der zu einer halbseitigen Lähmung und damit zu ihrer Pflegebedürftigkeit führte. Nach stationären Krankenhausaufenthalten bis zum 06.11.1987 erhielt sie ab Dezember 1987 einen Heimplatz in einem Alten- und Pflegeheim in Königheim/Kreis Tauberbischofsheim. Am 10.11.1987 beantragten ihre Angehörigen beim Landratsamt Main-Tauber-Kreis - Kreissozialamt - für sie die Übernahme der Heimkosten als Hilfe zur Pflege. Am 24.12.1987 bevollmächtigten ihr am 18.04.1914 geborener Ehemann und sie ihren Sohn, den jetzigen Prozeßbevollmächtigten, mit der Führung ihrer Sozialhilfeangelegenheit.

Zu dieser Zeit war ihr Ehemann Alleineigentümer des von ihm bisher mit der Klägerin gemeinsam bewohnten unbelasteten Hausgrundstücks mit Garten in Tauberbischofsheim. Mit Schriftsatz vom 29.12.1987 bat der Sohn der Klägerin das Kreissozialamt "um Begründung, weshalb Sie im vorliegenden Fall ein Nichtgetrenntleben meiner Eltern im Sinne von § 28 BSHG bejahen". Mit Schreiben vom 11.01.1988 erwiderte das Kreissozialamt, der Aufenthalt eines Ehegatten in einer Anstalt oder einem Heim begründe noch kein Getrenntleben im Sinne dieser Vorschrift; ebenfalls mit Schreiben vom 11.01.1988 erbat es vom Gutachterausschuß des Bürgermeisteramts Tauberbischofsheim ein Verkehrswertgutachten über das Wohnhaus. In der Folgezeit baten sowohl der Ehemann als auch der Sohn der Klägerin mehrmals darum, von der Anforderung eines Verkehrswertgutachtens abzusehen und die Bearbeitung des Sozialhilfeantrags einstweilen zurückzustellen. Eine Rücknahme des Antrags lehnte der Sohn der Klägerin mit Schreiben vom 17.11.1988 jedoch ab und bat um Erteilung eines rechtsmittelfähigen Bescheids, "in dem Sie sich verbindlich festlegen, ob Sie von einem Nichtgetrenntleben oder einer lediglich räumlichen Trennung ausgehen". Nachdem das Kreissozialamt dies wiederum abgelehnt und auf sein Schreiben vom 11.01.1988 verwiesen hatte, erklärte der Sohn der Klägerin, mit Rücksicht auf den Wert des Wohnhauses in Höhe von 250 000,-- bis 350 000,-- DM werde als Hilfe zur Pflege nur noch die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 50 000,-- DM beantragt. Einer Verkehrswertschätzung wurde weiterhin entgegengetreten. Mit Bescheid vom 22.03.1989 übernahm daraufhin der Main-Tauber-Kreis für die Zeit ab 01.02.1989 die für die Pflege der Klägerin anfallenden Heimkosten gemäß § 89 BSHG; den Eheleuten wurde ein monatlicher Kostenbeitrag auferlegt. Die Klägerin nahm das Darlehen aber erst ab dem 01.06.1989 in Anspruch. Zu seiner Sicherung wurde auf dem Grundstück ihres Ehemannes eine Hypothek zugunsten des Landkreises in Höhe von 50 000,-- DM eingetragen. Im Darlehensvertrag war unter anderem bestimmt, das Darlehen werde im Falle der Veräußerung des Wohnhauses ohne Kündigung zur Rückzahlung fällig.

Mit Schreiben vom 08.08.1990 teilte der Sohn der Klägerin dem Kreissozialamt mit, daß seit dem 28.10.1989 auch sein Vater in dem Altenheim untergebracht sei. Bei einem Besuch des Außendienstes des Sozialamts am 02.09.1990 wurde hierzu festgestellt und berichtet, der Ehemann der Klägerin mache einen "allgemein recht gebrechlichen Eindruck", wirke "im großen und ganzen noch zeitlich und örtlich orientiert", glaube aber nicht, daß er in voraussehbarer Zeit in das Wohnhaus in Tauberbischofsheim zurückkehren könne. Wenige Tage zuvor, am 29.08.1990, hatte der Ehemann der Klägerin vor dem Notariat Tauberbischofsheim ein neues Testament errichtet, in welchem er das bisher mit der Klägerin privatschriftlich errichtete gemeinschaftliche Testament widerrief und seine drei Kinder zu gleichen Teilen zu seinen Erben einsetzte. Am 02.11.1990 verstarb der Ehemann der Klägerin.

Mit Schreiben vom 08.11.1990 teilte der Sohn der Klägerin unter Vorlage einer Vollmacht der Klägerin und seiner Schwestern dem Kreissozialamt den Erbfall mit und regte an, über die Gewährung der Sozialhilfe eine neue Entscheidung zu treffen. In einem am 30.11.1990 geführten Ferngespräch mit dem Sohn der Klägerin wurde diesem vom Sozialamt erklärt, daß die Sozialhilfe zum 30.11.1990 eingestellt werde und daß der bisher als Sozialhilfedarlehen gewährte Betrag zur Erstattung fällig sei. Zugleich wurde darauf hingewiesen, daß die Klägerin sowohl einen Anspruch auf Pflichtteil wie auch einen Anspruch auf Zugewinnausgleich habe, der, weil das Wohnhaus zum Nachlaß gehöre, zur Bestreitung der Heimpflegekosten auf längere Zeit ausreichen werde. In einem weiteren Ferngespräch am 04.12.1990 wurde der Sohn der Klägerin nochmals auf deren Pflichtteilsanspruch und die damit zwangsläufig notwendige Veräußerung des Wohnhauses hingewiesen. Mit Schreiben vom 06.12.1990 machte er demgegenüber geltend, der derzeitige Gesundheitszustand der Klägerin lasse einen Verkauf des Hauses nicht zu; dieser stelle im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG daher eine Härte dar. Mit Bescheid vom 06.12.1990 stellte das Kreissozialamt mit Wirkung vom 30.11.1990 die Zahlung der als Darlehen gewährten Sozialhilfe in Form von Übernahme der nicht gedeckten Kosten des Heimaufenthalts ein und forderte die Rückzahlung der bisher insgesamt als Darlehen geleisteten Summe von 22 111,60 DM. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin sei nicht mehr sozialhilfebedürftig, da ihr ein Pflichtteilsanspruch und ein Anspruch auf Ausgleich des Zugewinns im Todesfälle zustehe. Gegen diesen Bescheid erhob der Sohn der Klägerin für diese zunächst mit Schreiben vom 17.12.1990 Widerspruch und teilte mit, die Klägerin würde im Januar 1991 das Heim verlassen, zu ihrer Tochter nach Waldburg ziehen und von dieser gepflegt werden. Mit weiterem Schreiben vom 22.12.1990 bestätigte er diese Mitteilung und nahm für die Zeit ab dem 01.12.1990 den Sozialhilfeantrag beim Main-Tauber-Kreis zurück. Mit Schreiben vom 24.12.1990 zeigte er seine Vertretungsbefugnis beim nunmehr zuständigen Beklagten an und beantragte bei diesem ab dem 01.01.1991 Hilfe zur Pflege für die Klägerin als auch, zunächst, für seine Schwester als Pflegeperson.

Am 29.12.1990 schloß die Klägerin mit ihren drei Kindern die nachstehend im Wortlaut wiedergegebene "Vereinbarung":

VORBEMERKUNG

Durch Testament unseres verstorbenen Vaters vom 29.08.1990, welches allen vorliegt und als bekannt vorausgesetzt werden kann, wurden die Kinder als Erben eingesetzt. Frau ... hat demnach gegen ihre Kinder Zugewinn- und Pflichtteilsansprüche gem. §§ 1371, 1931 BGB, welche schätzungsweise mit ca. 150.000,-- DM anzusetzen sind. Bei der Schätzung wurde von einem Wert des Nachlassen mit 300.000,-- DM abzüglich von Nachlaßverbindlichkeiten von ca. 50.000,-- DM ausgegangen.

§ 1

Da sich meine Kinder in den vergangenen Jahre, trotz großer räumlicher Entfernung ihrer Wohnsitze, in aufopfernder Weise um mein und das Wohl meines verstorbenen Ehemannes gekümmert haben und es mir bisher nicht möglich war, diese Opfer auch finanziell auszugleichen, bestätige ich, daß ich meinen Kindern einen finanziellen Ausgleich von 75.000,-- DM schulde (deklaratorische Schuldanerkenntnis). Die Vertragsparteien rechnen insoweit ihre gegenseitigen Ansprüche gegeneinander auf und stellen fest, daß demnach noch ein Restanspruch der Mutter von ca. 75.000,-- DM besteht.

§ 2

In Erwartung und von der Hoffnung getragen, daß unserer pflege- und hilfsbedürftigen Mutter noch ein langes Leben geschenkt wird, verpflichten sich die Kinder, zumindest im bisherigen Umfang, ihrer Mutter persönliche Hilfe zu geben.

Frau ... sieht es daher auch als ihre sittliche und auf den Anstand Rücksicht zunehmende Pflicht an, schon heute die versprochenen Leistungen ihrer Kinder anzuerkennen, weshalb sie die bestehende Restforderungen auf Zugewinn- und Pflichtteilsanspruch ihren Kindern gegenüber erläßt. Die Kinder nehmen - falls hierin teils oder ganz eine Schenkung zu sehen wäre - diese hiermit an.

§ 3

Zudem wird ergänzend und vorsorglich vereinbart, daß Frau ... ihren Kindern die Zugewinn- und Pflichtteilsansprüche als Ausstattung gewährt und diese ihr die Hälfte des Erlöses aus den Mieteinnahmen zuwenden.

§ 4

Sollte aus irgendwelchen Gründen die o.g. Vereinbarungen bzw. Erklärungen ganz oder teilweise nichtig sein, so verpflichten sich die Vertragspartner erneut zu verhandeln und eine neue Vereinbarung abzuschließen.

II.

Mit Bescheid vom 28.03.1991 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin ab, weil es ihr zugemutet werden könne, die Kosten für die Pflege aus ihrem Vermögen aufzubringen. Denn ihr stehe, nachdem sie zwischenzeitlich bedürftig geworden sei, gegenüber ihren Kindern ein Rückforderungsanspruch gemäß § 528 BGB in Höhe von 150 000,-- DM zu. Bei der Vereinbarung vom 29.12.1990 handele es sich um eine belohnende Schenkung und nicht um eine Ausstattung im Sinne des § 1624 BGB, da die beschriebenen Zuwendungen das gesamte Vermögen der Klägerin beträfen und sich ein Wille der Klägerin, die Wirtschaft ihrer Kinder erhalten oder verbessern zu wollen, aus der Vereinbarung nicht erkennen lasse. Am 17.04.1991 erhob die Klägerin hiergegen Widerspruch mit der Begründung, die Vereinbarung vom 29.12.1990 könne rechtlich nicht als belohnende Schenkung angesehen werden. Dies ergebe sich schon aus deren § 3, wonach die Kinder sich verpflichtet hätten, die Hälfte der Mieteinnahmen aus dem Nachlaßgrundstück in Höhe von derzeit 500,-- DM monatlich an sie zu bezahlen. Die Vereinbarung sei wirtschaftlich sachgerecht, da ihr bei einem Pflichtteilsanspruch in Höhe von etwa 125 000,-- DM und einer 5%igen jährlichen Verzinsung eine monatliche Rendite von etwa 625,-- DM zugekommen wäre, aber auch die regelmäßig anfallenden Reparatur auf Wendungen auf dem Nachlaßgrundstück berücksichtigt werden müßten. Daneben hätten sich ihre Kinder über den Rahmen des § 1618 a BGB hinaus zur persönlichen Hilfe verpflichtet. Auch sei zu berücksichtigen, daß sie bis zu ihrem Aufenthalt im Pflegeheim von ihren Kindern trotz erheblicher räumlicher Entfernung regelmäßig an Wochenenden und in der Ferienzeit versorgt worden sei. Da sie mit der Vereinbarung habe sicherstellen wollen, daß ihr persönliche Hilfe gewährt werde und ihr daneben die Hälfte des Mietzinses zustehe, handele es sich um eine "Einkommensregelung" nach § 28 i.V.m. § 79 BSHG, nicht aber um verwertbares Vermögen im Sinne des § 88 Abs. 1 BSHG in der Form eines Schenkungsrückforderungsanspruches. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.06.1991 wies der Beklagte den Widerspruch nach Anhörung sozial erfahrener Personen zurück. Zur Begründung führte er aus, bei der Vereinbarung vom 29.12.1990 handle es sich zumindest um eine gemischte Schenkung, so daß der Klägerin ein Rückforderungsanspruch nach § 528 BGB zustehe. Daneben sei die Vereinbarung nach § 311 BGB i.V.m. § 125 BGB nichtig, woraus sich auch ein Rückforderungsanspruch nach § 812 BGB ergebe. Unter Berücksichtigung dieser Ansprüche liege ihr Vermögen weit über der Vermögensfreigrenze des § 88 BSHG.

Am 27.06.1991 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 28.03.1991 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 11.06.1991 aufzuheben und ihn zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über die Gewährung von Hilfe zur häuslichen Pflege ab 01.01.1991 erneut zu entscheiden. Zur Begründung hat sie ergänzend zu ihrer Widerspruchsbegründung noch vorgetragen: Bis zu ihrer Unterbringung in einem Pflegeheim sei sie von ihren Kindern in der Weise versorgt worden, daß diese zur Urlaubszeit und an Wochenenden von ihren weit entfernten Wohnorten nach Tauberbischofsheim gefahren seien, um den Haushalt und die Pflege zu erledigen. Nachdem ab dem 01.01.1991 aber eine ihrer Töchter unter Verzicht auf eine Halbtagstätigkeit ihre Pflege übernommen habe, sei es nunmehr um eine gerechte Regelung der künftigen Pflegeleistungen der Kinder gegangen. Dabei habe einerseits davon ausgegangen werden müssen, daß ihre zu erwartenden Rentenbezüge für eine Entschädigung der pflegenden Tochter nicht ausreichen würden, zum andern habe das Haus, an welchem sie sehr hänge und das als Familienbesitz erhalten werden solle, nicht verkauft werden sollen. Die Versagung der Hilfe zur häuslichen Pflege sei rechtswidrig, weil sie, die Klägerin, aufgrund der Vereinbarung vom 29.12.1990 über kein verwertbares Vermögen mehr verfüge. Selbst wenn man ein solches aber bejahe, sei die Härtefallregelung in § 88 Abs. 3 BSHG nicht geprüft und § 7 BSHG als Auslegungs- und Grundsatznorm vom Beklagten verkannt worden. Da es in der Vereinbarung vom 29.12.1990 um Ansprüche aus Zugewinn- und Pflichtteilsrecht gehe, kämen schenkungsrechtliche Normen gemäß § 517 BGB nicht zur Anwendung. Bei der Vereinbarung handele es sich um eine "Schuldumschaffung"; daneben scheide ein Anspruch aus § 528 BGB schon deshalb aus, weil ihm § 534 BGB sowie § 1624 BGB entgegenstünden. Auch sei die Vereinbarung nicht formnichtig im Sinne der §§ 311, 125 BGB, da nach dem Wortlaut des Vertragstextes nicht das Vermögen ganz oder anteilig übertragen worden sei, sondern vielmehr in der Vorbemerkung zum Vertrag genau bezeichnete Ansprüche und Forderungen getroffen gewesen seien. Die Vereinbarung sei als "Einkommensregelung im Sinne von §§ 76 ff. BSHG" zu bewerten. Ihre Ansprüche hätten sonst nur durch Verkauf des Hauses durch die Kinder befriedigt werden können, was ihr gemäß § 88 Abs. 3 i.V.m. § 7 BSHG nicht hätte zugemutet werden können. Überdies stünden einer Übertragung, Verpfändung oder Beleihung ihrer familien- und erbrechtlichen Ansprüche die Vorschriften der §§ .852 ZPO, 399 BGB entgegen.

Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt und auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen. Er hat ergänzend dargelegt, daß § 1 der Vereinbarung lediglich einen fingierten Schuldgrund enthalte, weil die "aufopfernde Beistandsleistung", die mit 75 000,-- DM ausgeglichen werde, nicht konkretisiert worden sei. Die Klägerin habe sich schließlich von November 1987 bis Dezember 1990 im Pflegeheim aufgehalten. Bei den Besuchen der Kinder habe es sich um Leistungen im Sinne des § 1618 a BGB gehandelt. §§ 2 und 3 der Vereinbarung könnten nicht als Ausstattung im Sinne von § 1624 BGB angesehen werden, weil die Zuwendung die Vermögensverhältnisse der Klägerin bei weitem überstiegen habe und ein Wille der Klägerin, damit die Lebensstellung oder Wirtschaft der Kinder zu erhalten, nicht zu erkennen sei. Dagegen sei es bei Abschluß des Vertrages klar erkennbar gewesen, daß die Pflege der Klägerin nicht allein aus den Renteneinkünften und Mieteinnahmen zu bestreiten sein würde. Der Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch diene daher vor allem dem Zweck, diesen Anspruch dem etwaigen Zugriff der Sozialhilfeträger zu entziehen bzw. zu verhindern, daß die Klägerin auf die Verwertung eigenen Vermögens verwiesen werde. Die Vereinbarung, die wenige Tage nach der formlosen Beantragung des Pflegegeldes getroffen worden sei, sei daher als sittenwidriger Vertrag zu Lasten des Sozialhilfeträgers auch nach § 138 BGB nichtig. Der Einsatz des Vermögens sei schließlich auch keine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG, da es sich nicht um einen atypischen Fall handele.

Mit Gerichtsbescheid vom 30.03.1992 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Es könne dahinstehen, ob die Vereinbarung nach §§ 311 i.V.m. § 125 BGB nichtig sei oder ob die Klägerin auf einen etwa nach § 528 BGB bestehenden Rückforderungsanspruch gegenüber ihren Kindern zu verweisen sein könnte. Denn jedenfalls sei die Vereinbarung vom 29.12.1990 als sittenwidriger Vertrag zu Lasten des Sozialhilfeträgers nach § 138 BGB nichtig. Deshalb stünden der Klägerin Rückübertragungsansprüche aus § 812 BGB gegenüber ihren Kindern zu, so daß sie über ein einzusetzendes Vermögen im Sinne von § 28 i.V.m. § 88 BSHG verfüge. Die Nichtigkeit des Vertrages ergebe sich insbesondere aus der Tatsache, daß die fragliche Vereinbarung fünf Tage nach der schriftlichen Antragsteilung auf Gewährung von Sozialhilfe getroffen worden sei, obwohl zu diesem Zeitpunkt erkennbar geworden sei, daß die künftig anfallenden Kosten nicht aus den Renten- bzw. Mieteinkünften der Klägerin zu bestreiten sein würden. Außerdem falle auf, daß die Kinder der Klägerin erst nach dem Tode des Vaters und des damit verbundenen Erbgangs eine Entschädigung für die in der Vergangenheit angeblich erbrachten Opfer beansprucht hätten. Obwohl sie seinerzeit ihre Pflegeleistungen unentgeltlich erbracht hätten, hätten sie nunmehr den Verzicht der Klägerin auf Pflichtteil und Zugewinnausgleich im Gegenzug für künftig zugesagte Hilfeleistungen angenommen. Rechtliche Hindernisse, die einer Realisierung der Rechte aus § 812 BGB entgegenstünden, seien nicht ersichtlich. Ebensowenig zähle der Anspruch der Klägerin zu den in § 88 Abs. 2 BSHG aufgeführten Vermögensgegenständen; im übrigen stünde es ihren Kindern frei, wie sie ihn erfüllten. Die Erhaltung der Vermögenswerte der Kinder sei nicht Zweck des § 88 Abs. 3 BSHG, sondern die Erhaltung derjenigen des Hilfebedürftigen.

Gegen den am 04.04.1992 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 25.04,1992 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie auf ihre Klagebegründung Bezug genommen. Ergänzend trägt sie vor, eine sittenwidrige Vereinbarung liege nur dann vor, wenn die Vereinbarung den alleinigen Grund habe, Sozialhilfe zu erhalten. Der zeitliche Zusammenhang zwischen der Vereinbarung und der Antragstellung ändere nichts an der Tatsache, daß der Sozialhilfeantrag mit der Vereinbarung nichts zu tun habe. Der Sozialhilfeantrag sei primär deshalb gestellt worden, um für die sie pflegende Tochter Sozialleistungen zu erhalten, die auf ihre Berufstätigkeit wegen der Pflege verzichtet habe. Es sei nicht beabsichtigt gewesen, Sozialhilfe zu erschleichen. Zum einen sei es in der Vereinbarung ausschließlich darum gegangen, die vergangenen und künftigen Pflegeleistungen zu erfassen, zum anderen sei ihrem Sohn klar gewesen, daß die Pflegeleistungen und Mietzahlungen als Einkommen angerechnet würden, womit keine oder allenfalls eine geringe Hilfe zu erwarten gewesen sei. Privatrechtliche Vereinbarungen, welche in Leistungs- und Steuergesetze eingriffen, seien alltäglich, seien jedoch nicht sittenwidrig, wenn sie zugleich durch vernünftige, in der Sache begründete Umstände veranlaßt seien. Der Fall sei über die "Einkommensanrechnung" zu entscheiden; ihrer Tochter stehe "Pflegegeld ohne Einkommen und Vermögenseinsatz" zu.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 30.03.1992 zu ändern, den Bescheid des Beklagten vom 28.03.1991 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 11.06.1991 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über die Gewährung von Hilfe zur Pflege ab 01.01.1991 erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Dem Senat liegen außer den Akten des Verwaltungsgerichts die Sozialhilfeakten der Klägerin bei dem Beklagten und bei dem Kreissozialamt des Main-Tauber-Kreises vor.

Gründe

Im Einverständnis der Beteiligten kann der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen, weil der Klägerin gemäß § 28 BSHG solange ein Anspruch auf Hilfe in besonderen Lebenslagen, hier: Hilfe zur Pflege gemäß §§ 68 ff. BSHG, nicht zusteht, als sie hierfür ihr eigenes Vermögen, nämlich ihren Pflichtteils- und erbrechtlichen Zugewinnausgleichsanspruch gegenüber ihren Erben verwerten kann. Denn ihr Verzicht auf diesen Anspruch ist, wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und daher nichtig.

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats verstößt ein privatrechtliches Rechtsgeschäft, das nach seinem aus Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter in erster Linie darauf angelegt ist, Vermögensverhältnisse zum Schaden des Sozialhilfeträgers und damit auf Kosten der Allgemeinheit zu regeln, das also nach seiner ganzen Zielrichtung einem Vertrag zu Lasten Dritter nahekommt, im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB gegen die guten Sitten und ist nichtig (vgl. Senatsbeschluß vom 08.12.1989 - 6 S 2339/89 -; vgl. auch BGHZ 86, 82, 88; sowie BGH, Urt. v. 17.09.1986, NJW 1987, 1546, 1548; Urt. v. 28.11.1990, NJW 1991, 913, 915; Urt. v. 09.07.1992, NJW 1992, 3164; OVG Münster, Urt. V. 21.06.1988, ZfSH/SGB 1989, 201, 202; Köbl, ZfSH/SGB 1990, 449, 457 f.). Das kann auch bei letztwilligen Verfügungen der Fall sein, wenn sie bewußt durch Enterbung die Sozialhilfebedürftigkeit eines gesetzlichen Erben herbeiführen wollen (Senatsbeschluß vom 08.12.1989, a.a.O.; vgl. aber einschränkend BGHZ 111, 36 ff.); zumindest aber tritt die Nichtigkeitsfolge jedenfalls dann ein, wenn der enterbte Angehörige, dessen Sozialhilfebedürftigkeit herbeigeführt werden soll, zu diesem Zweck auch noch auf seinen Pflichtteil oder seinen Anspruch auf erbrechtlichen Zugewinnausgleich zu Lasten des Sozialhilfeträgers verzichtet. Da das Pflichtteilsrecht partiell die Funktion von Unterhaltsansprüchen über den Tod hinaus übernehmen kann, sind Verzichtsvereinbarungen über den Pflichtteil und den erbrechtlichen Zugewinnausgleich hinsichtlich ihrer Sittenwidrigkeit prinzipiell nicht anders zu beurteilen wie Unterhaltsverzichte zu Lasten der Sozialhilfe (vgl. Köbl, a.a.O., S. 455, 459).

Die zwischen der Klägerin und ihren drei Kindern am 29.12.1990 getroffene Vereinbarung stellt sich als Endpunkt eines bereits im Jahre 1988 einsetzenden Bemühens der Klägerin und ihrer Familienangehörigen dar, unter allen Umständen die unmittelbare oder mittelbare Heranziehung des Familiengrundstücks in Tauberbischofsheim, also des hauptsächlichen verwertbaren Vermögens der Klägerin im Sinne des § 88 Abs. 1 BSHG, für die Aufbringung der Pflegekosten zu verhindern. So versuchte der Sohn der Klägerin im Jahre 1988 mehrmals dem Sozialhilfeträger die Rechtsauffassung nahezulegen, seine Eltern lebten seit der Heimaufnahme der Klägerin im Sinne des § 28 BSHG getrennt, mit der Folge, daß das Wohnhaus, welches damals dem Ehemann der Klägerin gehörte, nicht mehr für die Aufbringung der Heimpflegemittel hätte zur Verfügung gestellt werden müssen. Auch die Enterbung der Klägerin, die ursprünglich die Begünstigte eines gemeinschaftlichen Testaments gewesen war, zugunsten ihrer Kinder hatten offensichtlich keinen anderen Zweck, als das Grundvermögen des Erblassers im Erbgang an der Klägerin vorbeizuleiten, damit dem Zugriff des Sozialhilfeträgers zu entziehen und auf diese Weise "der Familie zu erhalten" . Ob nicht schon diese klare Zweckrichtung die Nichtigkeit auch des Testaments nach § 138 Abs. 1 BGB zur Folge hatte, läßt der Senat aber offen. Jedenfalls der Verzicht der Klägerin auf ihren Pflichtteils- und Zugewinnausgleichsanspruch brachte dieses Bestreben folgerichtig zum Abschluß. Denn er stellte ganz offensichtlich die Reaktion auf die vorausgegangene Einstellung der Sozialhilfe und die damit verbundenen schriftlichen und mündlichen Erörterungen mit dem Sozialhilfeträger über die Verwertbarkeit dieser Ansprüche als Vermögen im Sinne des § 88 Abs. 1 BSHG dar. Es sollte offenbar beim Beklagten als dem nunmehr sachlich zuständigen Sozialhilfeträger von vornherein einer Verweisung auf die vorrangige Verwertung des eigenen Vermögens vorgebeugt werden. Diese Absicht wird auch in der Begründung der Klage mehr oder minder deutlich eingeräumt. Sie ergibt sich mit Deutlichkeit auch aus der zeitlichen Abfolge: Schriftwechsel mit dem Main-Tauber-Kreis im November/Dezember 1990 - Schreiben an den Beklagten vom 24.12.1990 - Vereinbarung vom 29.12.1990 - Beginn des Antragszeitraums am 01.01.1991.

Daß sich die Vereinbarung vom 29.12.1990 den Anschein einer gemischten Schenkung oder einer Ausstattung nach § 1624 BGB zu geben versucht, wertet der Senat als Verschleierung ihres wirklichen Zwecks. Das "Gegenseitigkeitsverhältnis" des "deklaratorischen Schuldanerkenntnisses 11der Klägerin und der für sie erbrachten "Opfer" ihrer Kinder, welche mit 75 000,— DM "ausgeglichen" werden sollen, ist nach Auffassung des Senats nur vorgegeben. Denn die Klägerin befand sich nach ihrem Schlaganfall am 26.03.1987 bis zum 27.05.1987 zur stationären Behandlung im Kreiskrankenhaus Tauberbischofsheim, anschließend, nach allenfalls kurzzeitiger Unterbrechung, bis zum 06.11.1987 zur stationären Behandlung in der Rehabilitationsklinik in Heidelberg und von Dezember 1987 bis Dezember 1990 im Alten- und Pflegeheim. Von "aufopfernden", über die Beistandsleistungen im Sinne des § 1618 a BGB wesentlich hinausgehenden Pflegeleistungen ihrer Kinder, die mit 75 000,-- DM wertmäßig anzusetzen und abzugelten wären, kann daher keine Rede sein. Eine Ausstattung im Sinne des § 1624 Abs. 1 BGB, nämlich eine Zuwendung an ein Kind mit Rücksicht auf seine Verheiratung oder auf die Erlangung einer selbständigen Lebensstellung zur Begründung oder zur Erhaltung der Wirtschaft oder der Lebensstellung, kam ebenfalls rechtlich gesehen am 29.12.1990 nicht mehr ernsthaft in Betracht. Das mochte im Jahre 1979, als der Vater des Prozeßbevollmächtigten diesem aus Anlaß seiner Verehelichung ein Grundstück übertrug, noch der Fall gewesen sein; Ende 1990 erweckt diese "vorsorgliche Vereinbarung" in § 3 des Vertrages hingegen nur den Eindruck einer künstlichen juristischen Konstruktion. Was die in Zukunft zu erbringenden Pflegeleistungen betrifft, so hätte es nahegelegen, daß die Klägerin gegenüber der sie ab dem 01.01.1991 tatsächlich pflegenden Tochter auf ihren Pflichtteil verzichtet bzw. deren Pflegeleistungen auf ihren Pflichtteilsanspruch anrechnete und ihr aus den restlichen, von den anderen Kindern auf den Pflichtteil erbrachten Zahlungen für die Übernahme der häuslichen Pflege eine Vergütung gewährte. Das ist jedoch gerade nicht der Fall, denn offensichtlich soll anstelle einer solchen Vergütung die Sozialhilfe durch Gewährung eines Pflegegeldes aufkommen. Die in § 2 Abs. 1 der Vereinbarung von "den Kindern" übernommene Verpflichtung, "zumindest im bisherigen Umfang ihrer Mutter persönliche Hilfe zu geben", verweist wiederum auf ein Verhalten, zu welchem ihre Kinder der Klägerin gegenüber gemäß § 1618 a BGB ohnehin verpflichtet sind. Jedenfalls steht diese Verpflichtung gegenüber dem Verzicht auf weitere 75 000,-- DM offenkundig nicht in einem wirtschaftlich beachtlichen Verhältnis von Leistung und Gegenleistung. Es wird vielmehr auch hieraus ersichtlich, daß das gesamte Vertragswerk nur darauf angelegt ist, den Pflichtteil der Klägerin zu Lasten des Sozialhilfeträgers seiner Verwertung nach § 88 Abs. 1 BSHG zu entziehen. Auch die Zuwendung eines Teils der Mieteinnahmen an die Klägerin ändert hieran nichts.

Ist die Vereinbarung vom 29.12.1990 gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig, so gilt Entsprechendes wie bei einem nichtigen Unterhaltsverzicht: Der Pflichtteilsanspruch der Klägerin steht der Klägerin nach wie vor zu (vgl. BGH, Urt. v. 17.09.1986, a.a.O., S. 1548; Urt. v. 28.11.1990, a.a.O., S. 915); einer Rückübertragung nach §§ 812 ff. BGB bedarf es nicht; der Pflichtteilsanspruch ist verwertbares Vermögen im Sinne des § 88 Abs. 1 BSHG. Gründe, die seine Verwertung - etwa im Wege der gänzlichen oder teilweisen Zuwendung der auf den Pflichtteil erbrachten Leistungen an die pflegende Tochter - als Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG erscheinen ließen, sind nicht ersichtlich. Vielmehr wäre seine Verwertung in der obengenannten Weise eine durchaus sinnvolle und familiengerechte Lösung, die - angesichts der geringen hypothekarischen Belastung des Nachlaßgrundstücks - auch nicht zwingend zu einer Veräußerung des Familienwohnhauses in Tauberbischofsheim führen müßte.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.

Die Revision ist zuzulassen, weil die Frage der Sittenwidrigkeit privatrechtlicher Vermögensregelungen zu Lasten der Sozialhilfe grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).