OLG Nürnberg, Beschluss vom 27.11.2008 - 6 W 2061/08
Fundstelle
openJur 2012, 96538
  • Rkr:
Tenor

I. Der Streitwert für den ersten Rechtszug wird – abweichend von den Beschlüssen des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19. August und 13. Oktober 2008 – auf 346333,71 Euro festgesetzt.

II. Die weitergehende Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19. August 2008 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Das Landgericht setzte den Streitwert mit Beschluss vom 19. August 2008 zunächst auf 184677,52 Euro fest. Hiergegen legte der Beklagtenvertreter Beschwerde ein, weil er einen höheren Streitwert für richtig hielt. Auch die Klägerin erhob Beschwerde; sie strebt einen niedrigeren Streitwert an. Das Landgericht half der Beschwerde des Beklagtenvertreters mit Beschluss vom 13. Oktober 2008 in vollem Umfang ab und setzte den Streitwert (unter Änderung seines Beschlusses vom 19. August 2008) auf 469043,76 Euro fest. Der Streitwertbeschwerde der Klägerin half das Landgericht nicht ab.

II.

Das Gericht macht von der Befugnis, den Streitwert von Amts wegen zu ändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 GKG), Gebrauch. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor, weil das Verfahren zurzeit in der Berufungsinstanz schwebt.

Der Streitwert beläuft sich auf346333,71 Euro.

Grundsätzlich gilt, dass der Klageantrag und die Klagebegründung den Wert des Streitgegenstands festlegen. Die Werte mehrerer Streitgegenstände sind zusammenzurechnen (§ 39 Abs. 1 GKG). In der Klageschrift stellte die Klägerin fünf Anträge:

1. Mit ihremAntrag 1begehrte die Klägerin, dass die Beklagte die Löschung der auf ihrem Grundstück lastenden Grundschulden bewillige; sie lauten auf Nennbeträge von 200000 DM und 100000 DM. Nach der Zweckerklärung vom 16. April 1999 dienten beide Grundschulden (nur) zur Sicherheit für Forderungen der Beklagten aus den Darlehen Nr. 6147805, 6112783 und 6100861. Diese Forderungen sind durch eine Zahlung der Klägerin vom 20. November 2007 beglichen.

Die Frage, wie der Streitwert für die Bewilligung der Löschung einer nicht mehr valutierten Grundschuld zu bemessen ist, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung (und im Schrifttum) unterschiedlich beantwortet. Nach bisher überwiegender Meinung richtet sich der Streitwert in derartigen Fällen grundsätzlich nach dem Nennbetrag der Grundschuld, auch wenn das Grundpfandrecht unstreitig nicht mehr valutiert (OLG Düsseldorf MDR 1999, 506; KG KGR 2000, 378; OLG Saarbrücken MDR 2001, 897; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Auflage, § 6 Rn 12; Musielak-Heinrich, ZPO, 6. Auflage, § 3 Rn 31). Nach der im Vordringen begriffenen Gegenmeinung ist der Streitwert in diesen Fällen nur auf 20 % des Nominalwerts festzusetzen, sofern der Kläger nicht konkrete weitere Nachteile vorträgt (OLG Hamburg MDR 1975, 846; OLG Köln MDR 1980, 1025; OLG Celle NJW-RR 2001, 712; MDR 2005, 1196; OLG Frankfurt OLGR 2008, 321; MünchKommZPO/Wöstmann, 3. Auflage, § 6 Rn 18; Schneider-Herget, Streitwertkommentar, 12. Auflage, Rn 3321 ff; Thomas/Putzo-Hüßtege, ZPO, 29. Auflage, § 3 Rn 99; Zöller-Herget, ZPO, 27. Auflage, § 3 Rn 16 "Löschung").

Der Senat folgt der zuletzt genannten Auffassung.

Soweit sich die Gegenmeinung zur Begründung auf das Argument beruft, die Belastung des Grundstücks mit einem Grundpfandrecht wirke sich ungeachtet der Valutierung der zu sichernden Forderung in der vollen Höhe des Nennwerts der Grundschuld aus, weil bei einem Verkauf des Grundstücks der Kaufpreis entsprechend herabgesetzt werde, liegt hierin eine zu weit gehende Verallgemeinerung. Wer beim Kauf eines Grundstücks bestehende Belastungen übernimmt, informiert sich im Regelfall genau darüber, welche Forderungen durch das Grundpfandrecht gesichert werden. Nur in Höhe dieser Forderungen wird es zu einer Ermäßigung des zu zahlenden Kaufpreises kommen. Weist der Verkäufer nach, dass die Grundschuld nicht mehr valutiert, dann beeinflusst ein noch eingetragenes Grundpfandrecht den Verkehrswert des Grundstücks in der Regel nur noch unwesentlich. Letztlich geht es dem die Löschung Begehrenden dann nur um die Beseitigung einer formell noch bestehenden grundbuchmäßigen Position.

Entsprechendes gilt für das zweite Argument der Gegenmeinung, bei einer weiteren Beleihung des Grundstücks wirke sich die dingliche Belastung in voller Höhe des Nennwerts aus. Auch damit wird zu sehr verallgemeinert. Wenn dem Grundstückseigentümer im konkreten Einzelfall tatsächlich ein Kredit mit der Begründung verweigert werden sollte, sein Grundstück lasse keine weitere Belastung mit einer Sicherungsgrundschuld mehr zu, dann gäbe ein derartiger substantiierter Sachvortrag sicher Anlass, den Streitwert einer Löschungsklage in diesem Einzelfall ausnahmsweise an der Höhe des Nennwerts des noch eingetragenen Grundpfandrechts zu orientieren. Solange der die Löschung Begehrende Derartiges aber nicht vorträgt, liegt der wirtschaftliche Wert des Löschungsantrags – der dann nur einen formalen Hintergrund hat – deutlich niedriger als der Nennwert der eingetragenen Belastung.

Hinzu kommt, dass der Beleihungswert des Grundstücks keinesfallsauf Dauer(in welcher Höhe auch immer) geschmälert ist. Das Beleihungsinteresse des Eigentümers ist vielmehr nur für eine vorübergehende Zeit beeinträchtigt, eben so lange, bis die Löschungsklage Erfolg hat. Die wirtschaftliche Bedeutung dieses zeitlich begrenzten Nachteils ist nicht mit dem Nennwert gleichzusetzen, sondern deutlich niedriger zu veranschlagen. Der Senat schließt sich insoweit dem von den vorgenannten Oberlandesgerichten angenommenen Wert von 20 Prozent an.

Hierfür spricht auch, dass der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf. Das folgt aus dem Justizgewährungsanspruch, der aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitet wird (BVerfG NJW-RR 2000, 946 m. w. N.). Der Streitwert, dessen Höhe bestimmt, wie teuer das Verfahren für die Klägerin wird, hat sich deshalb am wirtschaftlichen Wert des Verfahrens für die Klägerin zu orientieren. Hier läge das Prozesskostenrisiko der Klägerin bei ca. 26800 Euro, wenn man den vollen Nennbetrag der Grundschulden als Streitwert ansetzte; es wäre um ca. 15500 Euro höher als bei einem Streitwert von nur 20 % des Nennbetrags. Das Gericht bezweifelt, dass diese kostenmäßige Auswirkung noch in einem vertretbaren Verhältnis zu dem Interesse der Klägerin an der Löschung steht.

Im vorliegenden Fall, in dem die Klägerin nicht geltend gemacht hat, dass ihr konkrete Nachteile im Zusammenhang mit einem geplanten Verkauf oder einer weiteren Belastung des Grundstücks entstünden, ist daher der Streitwert des Antrags 1 auf 20 Prozent des Nennbetrags von 300000 DM =30677,51 Eurobeschränkt.

2. Mit ihremAntrag 2begehrt die Klägerin die Löschung des Vermerks im Grundbuch, wonach der Erbanteil des K S als Sicherheit an die Beklagte verpfändet ist. Der Streitwert dieses Antrags richtet sich nach der Höhe der gesicherten Forderung (§ 6 Satz 1 ZPO, § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG). Sie beläuft sich auf284366,24 Euro.

Dieser Betrag ist zu dem Wert des Antrags 1hinzuzuzählen(§ 39 Abs. 1 ZPO), weil beide Anträge unterschiedliche Streitgegenstände betreffen: Die Grundschulden sicherten Forderungen gegen die Erbengemeinschaft, die Verpfändung sichert eine andere Forderung der Beklagten gegen den Bruder der Klägerin. Auch der Gesamtwert des beliehenen Grundstücks erfordert keine Ermäßigung der sich nach Addition ergebenden Summe; er ist noch nicht ausgeschöpft.

3. Der Wert desAntrags 3entspricht der Höhe der geltend gemachten Forderung (11289,96 Euro).

4. Mit ihremAntrag 4will die Klägerin festgestellt haben, dass die Beklagte verpflichtet sei, den Schaden zu ersetzen, der durch das Zwangsverwaltungsverfahren entstand und noch entstehen wird. Den Wert dieses Antrags bezifferte die Klägerin in der Klage mit10000 Euro.

5. Mit demAntrag 5begehrt die Klägerin im Weg der Stufenklage Auskunft über Zahlungen der Mieter und Auszahlung des sich ergebenden Betrags. Sie bewertete diesen Antrag in der Klage ebenfalls mit10000 Euro. Dieser Betrag bleibt ungeachtet der Erledigterklärung der ersten Stufe des Antrags für den Streitwert maßgebend, weil die Klägerin an ihrem Zahlungsantrag unverändert festgehalten hat.

6. Danach ergibt sich folgender Gesamtstreitwert:

– Antrag 1:30677,51 Euro– Antrag 2:284366,24 Euro– Antrag 3:11289,96 Euro– Antrag 4:10000 Euro– Antrag 5:+ 10000 Euro        346333,71 EuroIII.

Soweit die Klägerin mit ihrer nach § 68 Abs. 1 GKG zulässigen Beschwerde eine noch weitergehende Herabsetzung des Streitwerts anstrebt, bleibt dies aus den oben dargelegten Gründen ohne Erfolg.

IV.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 68 Abs. 3 GKG).

Eine weitere Beschwerde findet nicht statt (§ 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).