Hessischer VGH, Beschluss vom 06.04.2004 - 9 TG 864/04
Fundstelle
openJur 2012, 25084
  • Rkr:
Gründe

Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte Beschwerde des Antragstellers gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden bleibt ohne Erfolg.

Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Umfang der Prüfung des Senats bestimmen, lassen die Feststellung, das Verwaltungsgericht habe den gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 12. September 2003 gerichteten Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Fall VwGO zu Unrecht abgelehnt, nicht zu.

Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat im angegriffenen Beschluss einen Anspruch des Antragstellers auf Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung sowohl unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines eigenständigen Aufenthaltsrecht des Ehegatten (§§ 23 Abs. 3, 19 AuslG) als auch auf der Grundlage des am 1. März 2000 in Kraft getretenen Europa-Mittelmeer-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits vom 26. Februar 1996 (ABl. EG L 70/2000 S. 2ff. = BGBl. II 1998, S. 1811) - im Folgenden: Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko - verneint.

Art. 64 Satz 1 des Europa-Mittelmeer-Abkommens/Marokko begründe keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung, was sich auch aus Absatz 2 der Gemeinsamen Erklärung der Vertragsparteien zu Art. 64 des Europa-Mittelmeer-Abkommens/ Marokko ergebe. Im Fall des Antragstellers sei Art. 64 Abs. 1 Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko zudem nicht anwendbar, da die Vorschrift nach Art. 66 Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko nicht für die Staatsangehörigen einer der Vertragsparteien gelte, die im Hoheitsgebiet des Gastlandes illegal wohnten oder arbeiteten. Da der Antragsteller keine nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AuslG erforderliche Aufenthaltsgenehmigung besitze, wohne er illegal in der Bundesrepublik Deutschland. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Gründe des angegriffenen Beschlusses Bezug genommen.

Der Antragsteller macht mit der Beschwerde geltend, aus dem Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko ergebe sich für ihn ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Es liege auch kein illegales Wohnen im Sinne des Art. 66 Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko vor, da er nach Ablauf seiner ursprünglichen Aufenthaltserlaubnis zunächst ein Aufenthaltsrecht in Gestalt einer Erlaubnisfiktion nach § 69 Abs. 3 AuslG gehabt habe und ihm später Duldungen erteilt worden seien. Für den Fall einer ihm nachteiligen Auslegung des Absatzes 2 der Gemeinsamen Erklärung der Vertragsparteien zu Art. 64 des Europa-Mittelmeer-Abkommens/Marokko hält der Antragsteller eine Vorlage der Auslegungsfrage an den Europäischen Gerichtshof für geboten. Wegen der Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf den Schriftsatz des Antragstellers vom 24. März 2004 verwiesen.

Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers rechtfertigt eine Abänderung oder Aufhebung des angegriffenen Beschlusses nicht. Nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens ergibt sich für den Antragsteller kein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis aus Art. 64 Abs. 1 und 2 des Europa-Mittelmeer-Abkommens/Marokko.

Art. 64 Abs. 1 und 2 des Europa-Mittelmeer-Abkommens/Marokko lautet wie folgt:

1. Jeder Mitgliedsstaat gewährt den Arbeitnehmern marokkanischer Staatsangehörigkeit, die in seinem Hoheitsgebiet beschäftigt sind, eine Behandlung, die hinsichtlich der Arbeits-, Entlohnungs- und Kündigungsbedingungen keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen bewirkt.

2. Abs. 1 gilt hinsichtlich der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen für alle marokkanischen Arbeitnehmer, die dazu berechtigt sind, im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats eine befristete, nicht selbständige Erwerbstätigkeit auszuüben.

Absatz 2 der Gemeinsamen Erklärung der Vertragsparteien zu Art. 64 Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko hat folgenden Wortlaut:

"Was die nichtdiskriminierende Behandlung bei der Kündigung anbetrifft, so kann Art. 64 Abs. 1 nicht in Anspruch genommen werden, um die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung zu erwirken. Für die Erteilung, die Verlängerung oder die Verweigerung einer Aufenthaltsgenehmigung sind ausschließlich die Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedsstaaten sowie die geltenden bilateralen Übereinkünfte zwischen Marokko und den betreffenden Mitgliedsstaaten maßgeblich"

Direkter Regelungsgegenstand des Art. 64 Abs. 1 und 2 Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko ist nicht der Aufenthaltsstatus der in der Bestimmung bezeichneten marokkanischen Arbeitnehmer, sondern ein Verbot einer diese im Vergleich mit den eigenen Staatsangehörigen benachteiligenden Behandlung hinsichtlich der Arbeits-, Entlohnungs- und Kündigungsbedingungen. Demgemäß ergeben sich aus Art. 64 Abs. 1 und 2 Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko grundsätzlich keine aufenthaltsrechtlichen Ansprüche für marokkanische Arbeitnehmer. Dies belegt auch Absatz 2 der Gemeinsamen Erklärung der Vertragsparteien zu Art. 64 Europa-Mittelmeer-Abkommen/ Marokko (vgl. zu Vorstehendem: BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2003 - BVerwG 1 C 18.02 -, InfAuslR 2004, 50ff.).

Aufenthaltsrechtliche Folgen können sich aus der - in den Mitgliedsstaaten unmittelbare Wirkung entfaltenden - Bestimmung des Art. 64 Abs. 1 und 2 Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko allenfalls in dem Ausnahmefall ergeben, in dem eine durch das Diskriminierungsverbot untersagte Ungleichbehandlung durch aufenthaltsrechtliche Maßnahmen des Mitgliedsstaats faktisch herbeigeführt wird (vgl. BVerwG, Urt. vom 1. Juli 2003, a.a.O., 52). So hat der Europäische Gerichtshof aus dem Auslegungsgesichtspunkt der praktischen Wirksamkeit (effet utile) zu Art. 40 Abs. 1 des Kooperationsabkommens EWG/Marokko vom 27. April 1976 - der Vorgängerbestimmung des Art. 64 Abs. 1 Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko - angenommen, dass ein marokkanischer Staatsangehöriger, dem ordnungsgemäß die Erlaubnis erteilt worden sei, im Gebiet eines Mitgliedstaates für eine bestimmte Zeit eine Beschäftigung auszuüben, während dieser gesamten Zeit seine Rechte aus dieser Arbeitserlaubnis auch müsse ausüben können. Der Mitgliedsstaat könne, wenn er dem marokkanischen Arbeitnehmer in Bezug auf die Beschäftigung weitergehende Rechte als in Bezug auf den Aufenthalt verliehen habe, eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht ablehnen, ohne dies mit Gründen des Schutzes eines berechtigten Interesses des Staates, namentlich der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit rechtfertigen zu können (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 1999 - Rs. C 416/96 ..-.............. -, Slg. I 1999, 1209 = NVwZ 1999, 1095).

Eine Ausnahmekonstellation, in der das Effizienzgebot (effet utile) zur Wahrung des Diskriminierungsverbots des Art. 64 Abs. 1 und 2 Europa-Mittelmeer-Abkommen/ Marokko die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gebieten mag, ist im Fall des Antragstellers jedenfalls nicht gegeben. Die dem Antragsteller am 8. Januar 2003 erteilte unbefristete Arbeitsberechtigung hat ihm keine von der Aufenthaltserlaubnis unabhängigen, weitergehenden Rechte verliehen, die durch die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in einer Weise beeinträchtigt würden, die einer Diskriminierung nach Art. 64 Abs. 1 und 2 Europa-Mittelmeer-Abkommen Marokko in der Wirkung gleichkäme. Dies folgt daraus, dass eine unbefristet erteilte Arbeitsgenehmigung nach deutschem Recht keine von der Aufenthaltsgenehmigung unabhängigen, weitergehenden Rechte vermittelt. Nach deutschem Recht ist vielmehr die Arbeitsgenehmigung prinzipiell vom Bestehen einer Aufenthaltsgenehmigung abhängig. Diese Akzessiorität zum Aufenthaltsrecht folgt aus § 284 Abs. 5 SGB III, wonach eine Arbeitsgenehmigung nur erteilt werden darf, wenn der Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 5 AuslG besitzt, soweit durch Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist, und wenn die Ausübung einer Beschäftigung nicht durch eine ausländerrechtliche Auflage ausgeschlossen ist (vgl. Urt. des Senats vom 29. Oktober 2003 - 9 UE 295/02 -; BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2003, a. a. O., S. 53; Dienelt, InfAuslR 2004, 45 [48]).

Die - im Fall des Antragstellers in Betracht zu ziehende - Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 5 Nr. 3 der Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für ausländische Arbeitnehmer (Arbeitsgenehmigungsverordnung - ArGV -), wonach die Arbeitserlaubnis eines Ausländers noch so lange fortbesteht, wie er sich aufgrund der verfahrensrechtlichen Aufenthaltserlaubnisfiktion des § 69 Abs. 3 AuslG noch weiter in Deutschland aufhalten darf, lässt nicht den Umkehrschluss zu, dass dieser ausnahmsweise vorgesehene Fortbestand der Arbeitserlaubnis trotz Ablaufs der Gültigkeit einer früheren Aufenthaltsgenehmigung nun einen eigenständigen Anspruch auf Verlängerung eben dieser Aufenthaltsgenehmigung nach sich zieht. § 8 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Nr. 3 ArGV ist lediglich das arbeitsgenehmigungsrechtliche Pendant zur ausländerrechtlichen Erlaubnisfiktion des § 69 Abs. 3 AuslG. Zweck beider Normen ist allein, keine - dem Ausländer nachteiligen - genehmigungsfreien Zeiten eintreten zu lassen, wenn eine rechtzeitig beantragte Verlängerung erst nach Ablauf der bisherigen Aufenthaltsgenehmigung erteilt wird. Mit Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung durch die Ausländerbehörde entfallen demgemäß die ausländerrechtliche Erlaubnisfiktion und die - akzessorische - Arbeitserlaubnis. Die nur für den Zeitraum bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde bestehende vorläufige, verfahrensrechtliche Rechtsposition stellt keinen verfestigten Aufenthaltsstatus dar, der dem Schutzbereich des Art. 64 Abs. 1 und 2 Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko unterfallen könnte (vgl. Dienelt, InfAuslR 2004, 45 [48]).

Für die vom Antragsteller angeregte Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes nach Art. 234 EG besteht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kein Anlass, zumal die Auslegung des Art. 64 Abs. 1 und 2 Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko durch den Senat der Interpretation der nahezu gleichlautenden Vorgängerregelung des Art. 40 Abs. 1 des Kooperationsabkommens EWG/ Marokko durch den Europäischen Gerichtshof in dessen Urteil vom 2. März 1999 a. a. O. folgt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).