1. Das am 30. Januar 1995 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 1 O 377/94 - wird teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt: Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin 3.276,57 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. August 1994 zu zahlen. Die weitergehende Klage gegen die Beklagte zu 1) wird abgewiesen. Die Klage gegen den Beklagten zu 2) ist zurückgenommen. 2. Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt: I. Instanz:Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2). Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) trägt die Klägerin 6,5 %, die Beklagte zu 1) 93,5 % selbst. Von den bis zur Rücknahme der Klage gegen den Beklagten zu 2) am 9. Januar 1995 (vor Eintritt in die mündliche Verhandlung) entstandenen Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt diese 53 %, die Beklagte zu 1) 47 %. Von den danach entstandenen Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt diese 6,5 %, die Beklagte zu 1) 93,5 %. II. Instanz:Die Klägerin trägt 6,5 %, die Beklagte zu 1) 93,5 % der Kosten. Hiervon ausgenommen ist die Urteilsgebühr, die der Beklagten zu 1) zur Last fällt, die jedoch insoweit Kostenfreiheit genießt. 3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1.
Die Berufung ist entgegen der Ansicht
der Beklagten nur gegen die Beklagte zu 1) eingelegt. Zwar ist in
der Berufungsschrift auch der Beklagte zu 2) als
Berufungsbeklagter genannt. Dabei handelte es sich aber um ein
offensichtliches Versehen, wie die Beklagten unschwer erkennen
konnten. Die Klägerin hatte schon in I. Instanz ihre Klage gegen
den Beklagten zu 2) zurückgenommen. Das angefochtene Urteil
enthält dementsprechend insoweit nur die deklaratorische
Feststellung, daß die Klage gegen den Beklagten zu 2)
zurückgenommen ist. Daß die Klägerin diese Feststellung nicht mit
der Berufung anfechten wollte, verstand sich von selbst.
2.
Die mithin nur gegen die Beklagte zu 1)
geführte Berufung ist zulässig und, nachdem die Klägerin im Termin
vom 21.9.1995 ihren Klageanspruch ermäßigt hat, in vollem Umfang
begründet. Die Beklagte zu 1) hat den der Klägerin durch den Unfall
vom 3.5.1994 entstandene Schaden auch dann in vollem Umfang zu
ersetzen, wenn zu ihren Gunsten davon ausgegangen wird, daß für den
Beklagten zu 2) als Fahrer des in den Unfall verwickelten
Rettungswagens die sachlichen Voraussetzungen für die
Inanspruchnahme von Sonderrechten nach § 35 Abs. 1 bzw. Abs. 5 a
StVO vorlagen.
a)
Unstreitig fuhr der Rettungswagen nur
mit Blaulicht; das Einsatzhorn war nicht in Betrieb.
Das Landgericht ist Seite 6 des
angefochtenen Urteils zu Unrecht davon ausgegangen, gemäß § 38 Abs.
1 StVO ordne das Blaulicht auch ohne gleichzeitige Betätigung des
Einsatzhorns an, "daß alle übrigen Verkehrsteilnehmer sofort freie
Bahn zu schaffen haben, also ohne Rücksicht auf die übliche
Verkehrsregelung dem Einsatzfahrzeug Vorfahrt gewähren müssen". §
38 Abs. 1 StVO - auch dessen hier in Rede stehender Satz 2 -
betrifft die Verwendung von blauem Blinklicht zusammen mit dem
Einsatzhorn. Die Verwendung von blauem Blinklicht allein ist in §
38 Abs. 2 StVO geregelt. Diese Vorschrift sieht gerade nicht vor,
daß alle übrigen Verkehrsteilnehmer dem (nur) mit Blaulicht im
Einsatz befindlichen Fahrzeug sofort freie Bahn zu schaffen haben.
Dementsprechend ist - soweit ersichtlich - allgemein anerkannt,
daß das Vorrecht (nicht im eigentlichen Sinne: Vorfahrtsrecht, vgl.
BGH NJW 1975, 648, 649) des § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO nur dem mit
Blaulicht und Einsatzhorn in Betrieb befindlichen Einsatzfahrzeug
zusteht (KG VM 1981, 95; VersR 1987, 822 und 1989, 268; LG
Düsseldorf VersR 1980, 148; Jagusch-Hentschel,
Straßenverkehrsrecht 33. Aufl. § 38 StVO Rdnr. 9, 12;
Drees-Kukkuck-Werry, Straßenverkehrsrecht 7. Aufl. § 38 StVO Rdnr.
1, 2; Kullik NZV 1994, 58, 60 ff.).
b)
Stand dem Beklagten zu 2) mithin nicht
das sogenannte Wegerecht des § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO zu, so war er,
sofern die hier unterstellten Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 bzw.
Abs. 5 a StVO vorlagen, dennoch von der Einhaltung der Vorschriften
der StVO befreit, durfte dieses Sonderrecht allerdings nur unter
gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung ausüben (§ 35 Abs. 8 StVO). Die Inanspruchnahme von
Sonderrechten nach § 35 StVO hängt nämlich nach der eindeutigen
gesetzlichen Regelung nicht von der Betätigung des Einsatzhorns,
übrigens auch nicht des Blaulichts, ab.
Die Einhaltung der durch § 35 Abs. 8
StVO gezogenen Grenze bei der Inanspruchnahme von Sonderrechten ist
eine Amtspflicht, die der Fahrer eines Einsatzwagens gegenüber den
anderen Verkehrsteilnehmern zu erfüllen hat. Sie hat, was zum
Beispiel die hier in Rede stehende Vorfahrtregel betrifft, die
Wirkung, daß der Einsatzfahrer durch sie nicht ein unbedingtes
Vorfahrtsrecht verliehen erhält, sondern lediglich die Befugnis,
grundsätzlich weiterbestehende Vorrechte eines nach den allgemeinen
Regeln Vorfahrtberechtigten unter bestimmten Voraussetzungen zu
"mißachten" (BGH NJW 1971, 616). § 35 StVO gewährt nur Befreiungen
von Pflichten, die den Verkehrsteilnehmern auferlegt sind. Der nach
der allgemeinen Regelung Vorfahrtberechtigte behält deshalb
grundsätzlich sein Vorfahrtsrecht. Es wird nur zugunsten der
Sonderrechtsfahrer beschränkt, so daß diese nur unter Anwendung
größtmöglicher Sorgfalt - soweit möglich auch nur nach
Einschaltung von Blaulicht und Einsatzhorn (Verwaltungsvorschrift
zu § 35 Abs. 1, 5 StVO, abgedruckt z.B. bei Jagusch-Hentschel
a.a.O. § 35 StVO Rdnr. 2 b) - dieses Recht "mißachten" dürfen (BGH
NJW 1975, 648, vgl. ferner Jagusch-Hentschel a.a.O. Rdnr. 4;
Drees-Kuckuck-Werry a.a.O. § 35 StVO Rdnr. 4, 4 a, 5 c, 6 a; Haag
in Geigel, Haftpflichtprozeß 21. Aufl. 27. Kapitel Rdnr. 705).
Der Beklagte zu 2) hat seiner aus § 35
Abs. 8 StVO folgenden Sorgfaltspflicht nicht genügt. Durch die
Betätigung allein des Blaulichts schuf er gerade nicht die
Verpflichtung anderer Verkehrsteilnehmer, ihm gemäß § 38 Abs. 1
Satz 2 StVO sofort freie Bahn zu schaffen (siehe oben unter 2. a)).
Die Betätigung auch des Einsatzhorns vor Óberfahren der für ihn rot
zeigenden Ampel wäre zulässig und möglich gewesen. Offenbar ist sie
nur deshalb unterblieben, weil es sich um eine Einsatzfahrt in der
Nacht handelte. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob es im
Einzelfall - in Abweichung von der zu § 35 Abs. 1, 5 StVO
erlassenen Verwaltungsvorschrift - vertretbar ist, bei nächtlichen
Einsatzfahrten von der Betätigung des Einsatzhorns abzusehen, wenn
der Einsatzfahrer von seinem Sonderrecht Gebrauch machen will,
insbesondere wenn er eine Ampel bei rot überqueren will - ein
üblicherweise besonders gefährlicher Verkehrsvorgang. Wenn man
diese Frage zugunsten der Beklagten bejaht, so ist doch jedenfalls
unabdingbar, daß sich der Einsatzfahrer vorher besonders
sorgfältig darüber vergewissert, daß vorfahrtberechtigte
Verkehrsteilnehmer entweder nicht vorhanden sind oder ihm den
Vortritt gewähren wollen. (Zum Umfang der Sorgfaltspflicht eines
Einsatzfahrers, auch wenn ihm - anders als hier - das sogenannte
Wegerecht des § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO zusteht, vgl. z.B. BGH NJW
1971, 616; KG VM 1982, 37 und VersR 1989, 268; Jagusch-Hentschel
a.a.O. § 35 StVO Rdnr. 8 und § 38 StVO Rdnr. 10;
Drees-Kuckuck-Werry a.a.O. § 35 StVO Rdnr. 4 a und 6 a). Dieser
Pflicht hat der Beklagte zu 2) ersichtlich nicht genügt. Obwohl
nach den Feststellungen des Landgerichts, die die Beklagte zu 1)
nicht in Zweifel zieht, in der Annäherungsphase der beiden
Fahrzeuge beste Sichtmöglichkeit bestand, hat der Beklagte zu 2)
den Pkw der Klägerin, wie er als Zeuge bekundet hat, "praktisch
erst unmittelbar vor dem Zusammenstoß wahrgenommen" (Seite 2 in
Verbindung mit Seite 6 des Sitzungsprotokolls vom 9.1.1995, Bl.
73, 77 GA).
c)
Ein Mitverschulden der Klägerin ist
nicht bewiesen. Da der Beklagte zu 2) nicht das Einsatzhorn
eingeschaltet hatte, oblag ihr nicht die Pflicht, dem
Einsatzfahrzeug sofort freie Bahn zu schaffen. Allerdings muß ein
Verkehrsteilnehmer, der ein Fahrzeug mit blauem Blinklicht
wahrnimmt, dieses in der Regel sorgfältig beobachten, um notfalls
sofort bremsen und anhalten zu können (Drees-Kuckuck-Werry a.a.O. §
38 StVO Rdnr. 1; Jagusch-Hentschel a.a.O. § 38 StVO Rdnr. 9, 12:
Mahnung zu erhöhter Vorsicht). Erhebliche Zweifel bestehen aber
daran, ob die Klägerin, hätte sie das Einsatzfahrzeug rechtzeitig
bemerkt, damit hätte rechnen müssen, daß dieses bei rot in die
Kreuzung einfahren würde (verneinend für eine Fallgestaltung, wie
sie hier in Rede steht, Jagusch-Hentschel a.a.O. Rdnr. 12); denn
das Óberfahren einer roten Ampel trotz bevorrechtigten Verkehrs,
der dem Einsatzfahrzeug nicht erkennbar freie Bahn schafft, ist ein
derart gefährlicher Verkehrsvorgang, daß er grundsätzlich ohne
Betätigung des Einsatzhorns nicht vorgenommen werden darf und
üblicherweise auch nicht vorgenommen wird.
Die Frage kann letztlich unentschieden
bleiben, weil nicht bewiesen ist, daß die Klägerin das mit
Blaulicht herankommende Einsatzfahrzeug vor der Kollision bemerkt
hat. Gegenteiliges ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten
zu 1) weder aus der Klageschrift - die dortigen Ausführungen Seite
3 betreffen jedenfalls nicht ausdrücklich die Frage, wann die
Klägerin das Einsatzfahrzeug wahrgenommen hat, sondern konnten
durchaus auch in dem Sinn verstanden werden, daß es auf die
Verwendung von Blaulicht rechtlich nicht ankomme (so die
Interpretation ihres erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten in
der Verhandlung vom 9.1.1995, Seite 2 des Protokolls, Bl. 73 GA) -
noch aus den Angaben der Klä-gerin im genannten Termin (Seite 1-3
des Sitzungsprotokolls): Vor der Kollision habe sie das
Einsatzfahrzeug nicht gesehen; sie könne nicht sagen, ob das
Blaulicht erst kurz vor oder nach dem Zusammenstoß eingeschaltet
worden sei.
Der Klägerin kann ferner kein Vorwurf
daraus gemacht werden, daß sie das Einsatzfahrzeug zu spät bemerkt
hat. Daß sie es, hätte sie nach rechts geschaut, rechtzeitig
bemerkt hätte, ist belanglos. Während der Beklagte zu 2)
verpflichtet war, sorgfältig nach vorfahrtberechtigten
Verkehrsteilnehmern Ausschau zu halten, bevor er sich anschickte,
bei rot in die Kreuzung einzufahren, durfte die Klägerin im
Grundsatz darauf vertrauen, daß sie, als die Ampel für sie grün
zeigte, freie Fahrt hatte, und sie durfte sich auf ihr
beabsichtigtes Fahrverhalten - Abbiegen nach links -
konzentrieren. Sogenannte Nachzügler befanden sich nicht im
Kreuzungsbereich. Blickte die Klägerin geradeaus, so konnte sie das
von rechts herannahende Einsatzfahrzeug nicht bzw. erst zu spät
sehen. Es wäre eine Óberspannung der an einen Fahrzeugführer zu
stellenden Anforderungen, wollte man verlangen, er müsse bei für
ihn grüner Ampel und ersichtlich freiem Kreuzungsbereich
vorsorglich die Fahrtrichtung beobachten, aus der sich nur
Fahrzeuge nähern können, für die die Ampel rot zeigt. Nach dem
Vertrauensgrundsatz kann sich ein Verkehrsteilnehmer in der Regel
darauf verlassen, daß er bei Grünlicht gegen seitlichen Verkehr
abgeschirmt ist (BGH NJW 1971, 1407, 1408; 1977, 1394, 1395). Es
liegen keine Umstände vor, die ein Abweichen von dieser Regel
rechtfertigen, da nicht bewiesen ist, daß die Klägerin das
Blaulicht des Einsatzfahrzeugs rechtzeitig vor der Kollision
bemerkt hat.
d)
Daß möglicherweise die vom Fahrzeug der
Klägerin ausgehende Betriebsgefahr nicht ausgeräumt ist, fällt
angesichts des erheblichen Verschuldens des Beklagten zu 2) und der
hohen Betriebsgefahr, die von einem die Kreuzung bei Rotlicht
passierenden Fahrzeug ausgeht, nicht ins Gewicht.
3.
Die Höhe des der Klägerin entstandenen
Schadens ist außer Streit, nachdem die Klägerin im Termin vom
21.9.1995 ihre Forderung bezüglich Mietwagenkosten auf den von der
Beklagten zu 1) angesetzten Betrag von 1.362,75 DM ermäßigt und die
Position Zinsschaden (6,56 DM) fallengelassen hat.
Der Ersatzbetrag ist mit 4 % ab
1.8.1994 zu verzinsen; auf diesen Zinsbeginn haben sich die
Parteien im Termin vom 21.9.1995 geeinigt (Seite 2 des Protokolls,
Bl. 145 GA).
4.
Die Entscheidung über die Kosten beruht
auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2, 515 Abs. 3 Satz 1 ZPO, die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr.
10, 713 ZPO.
Es besteht kein Anlaß, die Revision
zuzulassen.
Streitwert II. Instanz: 3.001,-- DM bis
4.000,-- DM. Die Beschwer der Beklagten zu 1) beträgt 3.276,57
DM.