OLG Bamberg, Beschluss vom 22.10.2008 - 1 Ws 576/08
Fundstelle
openJur 2012, 95774
  • Rkr:
Tenor

1. Die weitere Beschwerde des Rechtsanwalts W. gegen den Beschluss des Landgerichts Aschaffenburg vom 05.08.2008 wird verworfen.

2. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wurde mit Beschluss des Amtsgerichts – Schöffengericht – Aschaffenburg vom 16.04.2007 der Angeklagten S., die wegen gewerbsmäßiger Untreue in 26 tatmehrheitlichen Fällen angeklagt war, als Pflichtverteidiger beigeordnet. Für den Geschädigten G. beantragte dessen anwaltschaftliche Vertreterin, die Angeklagte im Adhäsionsverfahren zur Zahlung von 9.103,02 Euro nebst 5 % Zinsen über den Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verurteilen.

Im Urteil des Amtsgerichts – Schöffengericht – Aschaffenburg vom 20.06.2007 wurde unter anderem dem Antrag im Adhäsionsverfahren stattgegeben.

Mit Schriftsatz vom 25.06.2007 beantragte der Beschwerdeführer, seine Gebühren und Auslagen nebst Umsatzsteuer auf 1.792,74 Euro festzusetzen. In diesem Betrag war eine Verfahrensgebühr gemäß §§ 2, 13 RVG, Nr. 4143 VV RVG in Höhe von 972,00 Euro zuzüglich Umsatzsteuer für die Vertretung der Angeklagten im Adhäsionsverfahren enthalten.

Die zuständige Rechtspflegerin beim Amtsgericht Aschaffenburg setzte mit Beschluss vom 27.08.2007 die Kosten des Pflichtverteidigers auf 636,06 Euro inklusive Umsatzsteuer fest. Die geltend gemachte Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4143 VV RVG für das Adhäsionsverfahren wurde nicht bewilligt, weil sich die Bestellung zum Pflichtverteidiger gemäß § 140 StPO nicht ohne weiteres auf das Adhäsionsverfahren erstrecke und eine ausdrückliche Erstreckung der Beiordnung auf das Adhäsionsverfahren unterblieben sei. Prozesskostenhilfe für das Adhäsionsverfahren mit Beiordnung eines Rechtsanwalts sei weder beantragt noch bewilligt worden.

Der Erinnerung von Rechtsanwalt W. gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27.08.2007 half die Rechtspflegerin beim Amtsgericht Aschaffenburg nicht ab.

Mit Beschluss vom 11.09.2007 wies das Amtsgericht – Schöffengericht - Aschaffenburg die Erinnerung des Pflichtverteidigers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23.08.2007 als unbegründet zurück, weil die Beiordnung zum Pflichtverteidiger den Gebührenerstattungsanspruch gemäß Nr. 4143 VV RVG nicht auslöse.

Mit Beschluss vom 05.08.2008 verwarf das Landgericht Aschaffenburg die Beschwerde von Rechtsanwalt W. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 11.09.2007 als unbegründet und sprach aus, dass die weitere Beschwerde gegen diesen Beschluss zulässig sei. Das Landgericht Aschaffenburg stellte ausführlich die in Literatur und Rechtssprechung vertretenen unterschiedlichen Auffassungen dar, unter welchen Umständen die Gebühr gemäß Nr. 4143 VV RVG ausgelöst wird. Es folgte nicht der Auffassung, wonach die Bestellung zum Pflichtverteidiger gemäß § 140 StPO auch die Befugnis zur Vertretung bei der Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche des Verletzten im Adhäsionsverfahren mit der Folge umfasse, dass dem Pflichtverteidiger die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4143 VV RVG zustehe, ohne dass es einer besonderen Beiordnung gemäß § 404 Abs. 5 StPO bedürfe. Vielmehr ist das Landgericht Aschaffenburg zu der Auffassung gelangt, dass der gegenteiligen Meinung, wonach ohne ausdrückliche Beiordnung gemäß § 404 Abs. 5 StPO die Vertretung des Angeklagten im Adhäsionsverfahren von der Bestellung seines Verteidigers als Pflichtverteidiger gemäß § 140 StPO nicht erfasst sei, zu folgen sei.

Gegen den ihm am 19.09.2008 zugestellten Beschluss richtet sich die weitere Beschwerde von Rechtsanwalt W. im Schriftsatz vom 23.09.2008, eingegangen beim Landgericht Aschaffenburg am 24.09.2008. Der Beschwerdeführer ist weiterhin der Auffassung, dass die Bestellung als Pflichtverteidiger das gesamte Strafverfahren und deshalb auch die im Adhäsionsverfahren erforderlichen Tätigkeiten umfasse. Einer gesonderten Beiordnung nach § 404 Abs. 5 StPO bedürfe es nicht.

Mit Beschluss vom 25.09.2008 half das Landgericht Aschaffenburg der weiteren Beschwerde von Rechtsanwalt W. nicht ab.

Die Bezirksrevisorin bei dem Oberlandesgericht Bamberg gab am 14.10.2008 eine Stellungnahme ab, in der sie die Auffassung des Landgerichts Aschaffenburg im angefochtenen Beschluss vertrat.

Rechtsanwalt W. äußerte sich nochmals zur Stellungnahme der Bezirksrevisorin bei dem Oberlandesgericht Bamberg mit Schriftsatz vom 17.10.2008, in dem er seine bis dahin gemachten Ausführungen aufrechterhielt.

II.

Die weitere Beschwerde von Rechtsanwalt W. ist gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Da das Landgericht Aschaffenburg die weitere Beschwerde zugelassen hat, ist das Oberlandesgericht Bamberg an die Zulassung gebunden (§ 33 Abs. 6 Satz 3 und Abs. 4 Satz 4 RVG).

In der Sache bleibt das Rechtsmittel jedoch ohne Erfolg.

14Mit dem Landgericht Aschaffenburg ist auch der Senat der Ansicht, dass ohne eine ausdrückliche Beiordnung gemäß § 404 Abs. 5 StPO die Vertretung im Adhäsionsverfahren von der Bestellung als Pflichtverteidiger nicht erfasst wird.

15Ausgangspunkt ist, dass die Beiordnung im Adhäsionsverfahren gemäß § 404 Abs. 5 StPO nur unter den Voraussetzungen des § 114 ff. ZPO erfolgen soll. Das bedeutet, dass Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Verteidigers nur bei Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung und vorhandener Bedürftigkeit bewilligt werden darf. § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO verweist auf § 121 Abs. 2 ZPO mit der Maßgabe, dass dem Angeschuldigten, der einen Verteidiger hat, dieser beigeordnet werden soll. Dem Antragsteller, der sich im Hauptverfahren des Beistandes eines Rechtsanwalts bedient, soll dieser beigeordnet werden. Es kann § 404 Abs. 5 StPO nicht entnommen werden, dass die dort aufgestellten Grundsätze nicht für einen Angeklagten gelten sollen, dem bereits ein Pflichtverteidiger beigeordnet ist. Außerdem würde das Absehen von der Prüfung der Erfolgsaussicht und der Bedürftigkeit bei einem bereits durch einen Pflichtverteidiger vertretenen Angeklagten die durch §§ 404 ff. StPO geschaffene „Waffengleichheit“ zwischen Täter und Opfer zugunsten des Angeklagten verschieben (vgl. OLG Jena Rpfleger 2008, 529 ff. und OLG Zweibrücken JurBüro 2006, 643 f.).

In den §§ 140 ff. StPO wird dagegen keine Regelung zum Umfang der Beiordnung getroffen. Soweit sich die Vertreter der gegenteiligen Meinung (vgl. z.B. OLG Köln StraFo 2005, 394 f.) auf den Wortlaut der Nr. 4143 VV RVG stützen, ist dem entgegen zu halten, dass diese Vorschrift lediglich zwischen Wahlverteidiger und beigeordnetem Verteidiger differenziert. Daraus lässt sich jedoch nur entnehmen, dass diese Gebühr auch der beigeordnete Verteidiger verdienen kann. Nr. 4143 VV RVG nimmt aber weder auf § 404 Abs. 5 StPO noch auf § 140 StPO Bezug. Es ist nicht geregelt, dass, abweichend von § 404 Abs. 5 StPO, eine zusätzliche Beiordnung nicht erforderlich ist. Nr. 4143 VV RVG knüpft lediglich an die Begriffe Beiordnung oder Bestellung an.

Der Gegenmeinung ist auch nicht zu folgen, soweit sie sich auf die Begründung des Entwurfs zum RVG stützt (vgl. z.B. KG, Beschluss vom 04.09.2006 - 4 Ws 31/06). Dort wird zwar ausgeführt, dass „der Pflichtverteidiger die Gebühr nach Nr. 4143 VV RVG ebenfalls erhalten“ solle. Das entspreche dem geltenden Recht. Die Gesetzgebungsmaterialien geben aber nichts dazu her, ob die zusätzliche Beiordnung im Adhäsionsverfahren erforderlich ist oder nicht.

Mit dem OLG Jena (aaO.) ist auch der Senat der Auffassung, dass die §§ 45 Abs. 1, 48 RVG für die hier vertretene Ansicht sprechen. Diese Vorschriften knüpfen für den Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse immer an die ausdrückliche Beiordnung an und machen die Beiordnung zur Anspruchsvoraussetzung für den Anspruch gegen die Staatskasse. Dabei stellt § 48 Abs. 4 RVG klar, dass in Angelegenheiten, die mit dem Hauptverfahren „nur“ zusammenhängen, eine gesonderte Beiordnung erforderlich ist. Zwar erwähnt § 48 Abs. 4 RVG das Adhäsionsverfahren nicht ausdrücklich. Der Begriff „insbesondere“ zeigt jedoch, dass die dort vorgenommene Aufzählung nicht abschließend ist.

Auch systematische Erwägungen sprechen dafür, dass die gesonderte Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Adhäsionsverfahren erforderlich ist. Das OLG Zweibrücken (aaO.) hat dazu richtigerweise angeführt:

„Es ist zwar zutreffend, dass in der Regel die (unbeschränkte) Bestellung zum Pflichtverteidiger das gesamte Strafverfahren umfasst. Da der Pflichtverteidiger dem Angeklagten beigeordnet wird, um sich gegen den staatlichen Strafanspruch auch unter den besonderen Bedingungen des § 140 Abs. 1 und 2 StPO wirksam verteidigen zu können, endet die Reichweite der Beiordnung jedoch dort, wo diese Voraussetzungen nicht (mehr) gelten (vgl. auch § 140 Abs. 3 StPO). Der Bundesgerichtshof hat eine solche Beschränkung der vom Tatrichter angeordneten Pflichtverteidigung deshalb für die Verhandlung vor dem Revisionsgericht vorgesehen, da dort für die Notwendigkeit des rechtlichen Beistands andere Gesichtspunkte entscheidend sind: Es sei sachgemäß, „die Beiordnung so auszulegen, dass sie sich soweit erstrecken soll, als der beiordnende Vorsitzende in der Lage ist, die Frage der Notwendigkeit zu beurteilen“ (vgl. BGH St 19, 258; 259). Da sich diese Beurteilung am staatlichen Strafausspruch ausrichtet und dieser sich in der Regel über die Verfahrensabschnitte und Instanzen nicht ändert, ist es ansonsten folgerichtig, die Beiordnung für das gesamte Strafverfahren gelten zu lassen. Die Notwenigkeit der Verteidigung auch im Adhäsionsverfahren wird der beiordnende Richter dagegen allenfalls in seine Erwägungen zu § 140 Abs. 2 StPO einbeziehen, wenn zum Zeitpunkt seiner Entscheidung der Antrag nach § 404 StPO schon gestellt ist. Ist dies nicht der Fall, richtet sich die Notwendigkeitsprüfung ausschließlich am staatlichen Strafausspruch und den damit verbundenen Anforderungen aus, nicht jedoch am vermögensrechtlichen Interesse des Verletzten. Auch der Katalog des § 140 Abs. 1 StPO rechtfertigt die notwendige Beiordnung mit dem gesteigerten Aufwand für die Verteidigung gegen den Strafvorwurf.“

Das OLG Zweibrücken (aaO.) hat des weiteren zu Recht darauf hingewiesen, dass das systematische Argument der generellen Erstreckung der Beiordnung auch auf das Adhäsionsverfahren als Teil des gesamten Strafverfahrens deshalb fehlgeht, weil das Adhäsionsverfahren nicht zu den Prozessabschnitten zählt, die sukzessive den staatlichen Strafanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss (und im Wiederaufnahmeverfahren darüber hinaus) realisieren, sondern ein Annex ist, der das zivilrechtliche Anspruchsinteresse des Verletzten aus rechtsökonomischen Erwägungen und dem Gedanken des Sachzusammenhangs in das Strafverfahren integriert.

Im Übrigen sind die Vorschriften der §§ 140 ff. StPO über die Beiordnung des Pflichtverteidigers im Gegensatz zur Prozesskostenhilfe für minderbemittelte Verfahrensbeteiligte nicht als Sozialleistung angelegt. Ohne Rücksicht auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse erfolgt die Beiordnung nicht im Kosteninteresse des Betroffenen oder seines Verteidigers, sondern sie dient allein dem im öffentlichen Interesse liegenden Zweck, in schwerwiegenden Fällen eine ordnungsgemäße Verteidigung des Betroffenen in einem anhängigen Verfahren und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten (vgl. OLG Düsseldorf StraFO 2003, 94).

Die Argumentation des Beschwerdeführers, eine Trennung der Tätigkeit des Pflichtverteidigers und derjenigen des anwaltlichen Vertreters im Adhäsionsverfahren sei nicht möglich und habe bei der hier vertretenen Auffassung zur Folge, dass keine Gebühren für die Vertretung im Adhäsionsverfahren anfallen, führt zu keiner anderen Beurteilung. Entweder hat der Gesetzgeber diese Folge erkannt und hingenommen. In diesem Fall kann die gesetzgeberische Wertung nicht durch eine andere ersetzt werden. Sollte der Gesetzgeber diese Folge nicht bedacht haben, dann besteht für die Rechtssprechung aufgrund des klaren Wortlauts des § 404 Abs. 5 StPO kein Anlass, korrigierend einzugreifen. Sollte der Gesetzgeber diese gebührenrechtliche Folge als nicht hinnehmbar empfinden, kann er sie problemlos selbst beseitigen (vgl. OLG Jena aaO.).

Nach alledem hat die Rechtspflegerin beim Amtsgericht Aschaffenburg zu Recht die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG versagt. Die weitere Beschwerde von Rechtsanwalt W. ist deshalb zu verwerfen.

Die Entscheidung über die weitere Beschwerde ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).