OLG Köln, Beschluss vom 07.06.1996 - 16 Wx 88/96
Fundstelle
openJur 2012, 75395
  • Rkr:
Tenor

Die Antragsgegner werden unter Aufhebung der Beschlüsse des Landgerichts Köln vom 29. Februar 1996 - 29 T 175/95 - und des Amtsgerichts Kerpen vom 10. Juli 1995 - 15 II 50/93 - verurteilt, die Schwarzkiefer (pinus nigra), die auf der den Antragsgegnern zur Sondernutzung zugewiesenen Gartenfläche auf dem Grundstück L. 26 in F. - Gemarkung K, Flur ., Flurstück ... - steht, bis auf eine Höhe von höchstens 3 Metern ab dem Erdboden zu stutzen. Die Gerichtskosten werden den Antragsgegnern als Gesamtschuldnern auferlegt. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beteiligten jeweils selbst. Der Geschäftswert wird auf 15.000,-- DM festgesetzt.

Gründe

 

Die Wohnung der Antragsgegner liegt im

Erdgeschoß der betroffenen Wohnanlage. Zur Anlage gehören auch

Gartenflächen zur Sondernutzung. Das Sondernutzungsrecht der

Antragsgegner umfaßt den an ihre Terrasse angrenzenden

Gartenteil.

Dort steht seit etwa fünfzehn Jahren

2,50 Meter vor der Außenwand des Gebäudes die streitige

Schwarzkiefer. Der Baum hat derzeit eine Höhe von ungefähr 8

Metern, sein Kronendurchmesser beträgt rund 4 Meter.

Die Wohnung des Antragstellers befindet

sich im ersten Obergeschoß direkt über der Wohnung der

Antragsgegner. Der Lichteinfall in die Wohnräume des Antragstellers

ist durch die Krone der Kiefer beeinträchtigt, die Sicht aus der

Wohnung ist eingeschränkt.

Unter Berufung auf die nach seinem

Vorbringen unzumutbaren Beeinträchtigungen begehrt der

Antragsteller die Stutzung der Kiefer bis auf eine Höhe von

höchstens 2 Metern.

Das Amtsgericht hat den Antrag durch

Beschluß vom 10. Juli 1995 zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete

sofortige Beschwerde hat das Landgericht durch Beschluß vom 29.

Februar 1996 zurückgewiesen.

Die vom Antragsteller dagegen form- und

fristgerecht eingelegte und auch im übrigen zulässige sofortige

weitere Beschwerde (§§ 45 Abs. 1 WEG, 27, 29 FGG) hat in der Sache

Erfolg. Denn der angefochtene Beschluß des Landgerichts, der in

seiner Begründung auf die des Amtsgerichts Bezug nimmt und dieser

folgt, beruht auf einer Verletzung des Gesetzes, §§ 27 Abs. 1 FGG,

550 ZPO.

Das Amtsgericht hat im wesentlichen

ausgeführt:

Das Sondernutzungsrecht an der

Gartenfläche erlaube den Antragsgegnern die Anpflanzung von

Sträuchern und Bäumen. Da die Grenzen dieses Rechts in der

Teilungserklärung nicht näher erläutert sind, erscheine es

naheliegend, diese aus den Vorschriften des Nachbarrechtsgesetzes

für Nordrhein-Westfalen (NachbG NW) vom 15. April 1969 (GV NW 1969,

S. 190; geändert durch Gesetz vom 18. Februar 1975, GV NW 1975, S.

190) abzuleiten. Die darin vorgeschriebenen Grenzabstände sollten

sicherstellen, daß nicht unzumutbar Licht und Luft von

Nachbargrundstücken ferngehalten werden. Nach § 47 NachbG NW könne

ein Unterschreiten der Grenzabstände aber sechs Jahre nach der

Anpflanzung nicht mehr geltend gemacht werden, so daß ein Anspruch

des Antragstellers ausgeschlossen sei.

Das Landgericht hat ergänzt:

Der Anwendung nachbarrechtlicher

Vorschriften stehe nicht entgegen, daß es nicht um den Abstand

eines Baumes von einer Grundstücksgrenze, sondern von einem Gebäude

gehe. Denn die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte seien in beiden

Fällen dieselben.

Diese Ausführungen halten der

rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand.

Richtig ist allerdings, daß die

Antragsgegner auf dem ihnen zugewiesenen Grundstücksteil

grundsätzlich Sträucher und Bäume anpflanzen und auch wachsen

lassen dürfen. Das ergibt sich aus dem ihnen insoweit zustehenden

Sondernutzungsrecht.

Nach § 15 Abs. 3 WEG kann jeder

Wohnungseigentümer einen Gebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums

verlangen, der dem Gesetz, den Vereinbarungen und Beschlüssen, und

soweit sich die Regelung hieraus nicht ergibt, dem Interesse der

Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen

entspricht. Im vorliegenden Fall ist durch Ziffer I. der

Teilungserklärung vom 30. Oktober 1980 nebst Aufteilungsplan,

welche die Wirkung einer Vereinbarung hat (§§ 8 Abs. 2, 5 Abs. 4,

10 Abs. 2 WEG), die Nutzung der zur Wohnanlage gehörenden

"unbebauten Gartenflächen" bindend für die Eigentümer geregelt

worden (§ 15 Abs. 1 WEG). Bei der Auslegung des Inhalts des

hiernach auch zugunsten der Antragsgegner im Grundbuch

eingetragenen Sondernutzungsrechts ist auf den Wortlaut und Sinn

abzustellen, wie sich dieser für einen unbefangenen Betrachter als

nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen ergibt (BGHZ 88, 302,

306).

Unter Berücksichtigung dessen muß das

Sondernutzungsrecht an einem Teil der "unbebauten Gartenfläche"

dahin verstanden werden, daß es nicht nur die Befugnis umfaßt, die

betreffende Fläche als Garten zu benutzen, sondern auch die, sie

gärtnerisch zu bepflanzen (Bay-ObLG WE 1991, 163; WE 1988, 23). Das

Anpflanzen von Bäumen und Sträuchern in Gartenteilen, an denen

Sondernutzungsrechte bestehen, ist folglich in der Regel ohne

Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer gestattet (§§ 14 Nr. 1,

15 Abs. 1, 22 Abs. 1 S. 2 WEG). Auch das Setzen einer Schwarzkiefer

liegt im Rahmen der üblichen gärtnerischen Bepflanzung von

Hausgärten.

Bedeutet hiernach das

Sondernutzungsrecht für die Antragsgegner, daß sie die betroffene

Fläche unter Ausschluß der übrigen Eigentümer allein nutzen dürfen,

so beinhaltet das jedoch keine vollständige Gleichstellung mit dem

Sondereigentümer und dessen Recht, mit seinem Eigentum nach

Belieben zu verfahren (§ 13 Abs. 1 WEG). Schon deshalb, weil die

dem Sondernutzungsrecht unterliegende Fläche gemeinschaftliches

Eigentum bleibt, dürfen die Antragsgegner auf dem ihnen zustehenden

Gartenteil nicht uneingeschränkt schalten und walten. Jedenfalls

dürfen die Antragsgegner ihr Sondernutzungsrecht nur im Rahmen des

§ 14 Nr. 1 WEG ausüben. Danach darf auch von der

Sondernutzungsfläche nur in solcher Weise Gebrauch gemacht werden,

daß dadurch keinem anderen Wohnungseigentümer über das bei einem

geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil

erwächst. Im Einzelfall kann also die gärtnerische Gestaltung durch

Sondernutzungsberechtigte Beschränkungen unterworfen sein (BayObLG

WE 1994, 17; KG NJW-RR 1996, 464 f.; Weitnauer, 8. Aufl., § 15 Rdn.

27; Palandt/Bassenge, 54. Aufl., § 15 WEG Rdn. 7). Eine solche

Beschränkung des Gestaltungsrechts ist vorliegend geboten.

Denn den Antragsgegnern ist durch die

Schwarzkiefer, über deren Schattenwurf sich im Rahmen des

vorliegenden Verfahrens auch ein anderer Wohnungseigentümer beklagt

hat, ein nicht zumutbarer Nachteil erwachsen (§§ 14 Nr. 1, 15 Abs.

3 WEG). Der vom Amtsgericht beauftragte Sachverständige R. hat in

seinem Gutachten vom 10. März 1995 unwidersprochen festgestellt,

daß die dichte Krone des Baumes eine starke Sicht- und

Lichtbehinderung für die Wohnräume des Antragstellers im ersten

Obergeschoß darstellt; mit zunehmendem Höhenwachstum werden sich

die Beeinträchtigungen in die höher gelegenen Geschosse so lange

verlagern, bis die Krone in zehn bis zwanzig Jahren über das

Dachgeschoß reicht. Mit einem möglichen Auslichten der Krone würde

der Lichteinfall zwar verbessert, doch wäre der Antragsteller

weiterhin beeinträchtigt, auch dadurch, daß sein Balkon nach wie

vor nur mit schattenverträglichen Gewächsen bepflanzt werden

könnte.

Diese spürbaren Nachteile, die bei

einer Pflanzung auf einem anderen Standort nicht entstanden wären,

sind vermeidbar und brauchen deshalb vom Antragsteller nicht

hingenommen werden. Ohne Belang ist insoweit, daß im Verhältnis

zwischen Grundstücksnachbarn die Entziehung von Licht und Luft

durch Bäume auf dem Nachbargrundstück als sogenannte negative

Einwirkungen grundsätzlich nicht nach § 1004, 906 BGB abwehrbar

sind (BGH NJW 1992, 2569; Palandt/Bassenge, § 903 Rdn. 9), wenn

nicht im Einzelfall aufgrund des nachbarrechtlichen

Gemeinschaftsverhältnisses ein entsprechender Anspruch wegen

schwerer Beeinträchtigungen besteht (vgl. BGH NJW 1989, 2541). Denn

anders als im Verhältnis zwischen benachbarten

Grundstückseigentümern kommt es für die Bejahung eines Abwehr- oder

Beseitigungsanspruchs zwischen Wohnungseigentümern nur darauf an,

daß eine nicht ganz geringfügige, konkret spürbare und objektiv

feststellbare Beeinträchtigung vorliegt (BGH NJW 1992, 978; OLG

Düsseldorf, NJW-RR 1994, 277). Diese Wertung trägt der in der Regel

größeren räumlichen Nähe zwischen Wohnungseigentümern Rechnung und

entspricht der wechselseitigen Rücksichtnahme-, Schutz- und

Treuepflicht innerhalb einer Eigentümergemeinschaft. Da eine

spürbare und objektiv vom Sachverständigen auch festgestellte

Beeinträchtigung des Antragstellers vorliegt, besteht ein

Beseitigungsanspruch nach §§ 1004 BGB, 14 Nr. 1, 15 Abs. 3

WEG.

Wegen des nach alledem strengeren

Maßstabes, der an die von Wohnungseigentümern - im Vergleich zu

Grundstücksnachbarn - hinzunehmenden Störungen anzulegen ist,

können nachbarrechtliche Vorschriften nur in geeigneten

Ausnahmefällen entsprechende Anwendung finden. Angenommen worden

ist dies, soweit ersichtlich, nur bei Streitigkeiten zwischen

Wohnungseigentümern über die Bepflanzung unmittelbar benachbarter

Gartenteile, an denen jeweils einem der Eigentümer ein

Sondernutzungsrecht zustand (BayObLG DWE 1995, 28; WE 1988, 23;

Bay-ObLGZ 1982, 69, 76; KG NJW-RR 1996, 464 f.; a.A. KG WE 1987,

197). Danach sind in diesen Fällen die im jeweiligen Bundesland

geltenden nachbarrechtlichen Bestimmungen über die Grenzabstände

von Bäumen (BayObLG WE 1988, 23) und Sträuchern nebst deren

Rückschnitt (Bay-ObLG DWE 1995, 28; KG NJW-RR 1996, 464 f.)

entsprechend anzuwenden, auch die nachbarrechtlichen

Ausschlußfristen für die Geltendmachung von Beseitigungsansprüchen

sollen insoweit herangezogen werden können (BayObLGZ 1982, 77).

Denn aufgrund der Aufteilung des Gartens durch Einräumung von

Sondernutzungsrechten bestehe in bezug auf die Gartenbepflanzung

zwischen den einzelnen Nutzungsberechtigten eine ähnliche

Interessenlage wie zwischen Grundstücksnachbarn.

Auch wenn in den genannten Fällen die

Anwendung nachbarrechtlicher Bestimmungen geboten war (zustimmend

LG Freiburg ZMR 1987, 68), kann dies entgegen der Auffassung von

Amts- und Landgericht nicht für den vorliegenden Fall gelten. Ein

Anspruch auf Beseitigung der weniger als 4 Meter (§ 41 Abs. 1 Nr. 1

a NachbG NW) von der Außenwand des Gebäudes entfernt stehenden,

stark wachsenden Schwarzkiefer (Schäfer, Nachbarrechtsgesetz für

NRW, 10. Aufl., § 41 Anm. 3) ist also nicht deshalb ausgeschlossen,

weil der Baum schon mehr als sechs Jahre an der betreffenden Stelle

steht (§ 47 Abs. 1 NachbG NW). Zwar mögen Gartenstücke, an denen

Sondernutzungsrechte bestehen, im Verhältnis zueinander als

eigenständige Grundstücke mit entsprechenden "Grenzen" angesehen

werden können. Das kann aber nicht gelten für das Verhältnis eines

solchen Gartenteiles zum Wohngebäude der Eigentümergemeinschaft.

Insoweit sind nicht einander gleichgeordnete

Sondernutzungsberechtigte "benachbart", vielmehr gibt es wegen des

Verbleibs eines solchen Gartenstückes im gemeinschaftlichen

Eigentum weder rechtlich noch faktisch eine Grenze im Sinne des

Nachbarrechts. Deshalb stehen dem Sondernutzungsberechtigten selbst

auch keine über die Rechte gemäß §§ 14, 15 WEG hinausgehenden

nachbarlichen Rechte gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft oder

einzelne Wohnungseigentümer zu. Umgekehrt muß dies ebenso gelten,

weil ansonsten die Schutzwirkung der §§ 14 Nr. 1, 15 Abs. 3 WEG

leerliefe.

Eine Vorlage der weiteren Beschwerde

gemäß § 28 Abs. 2 FGG an den Bundesgerichtshof erübrigt sich. Denn

wegen der fehlenden Vergleichbarkeit der zugrundeliegenden

Sachverhalte ist keine Abweichung von den genannten Entscheidung

des BayObLG und des KG festzustellen.

Das berechtigte Begehren des

Antragstellers ist nicht verwirkt. Ein Anspruch ist nur dann

verwirkt, wenn seit der Möglichkeit seiner Geltendmachung längere

Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, aufgrund

derer die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt

(Palandt-Heinrichs, a.a.0., Rdn. 87). Vorliegend dürfte es schon am

Zeitmoment fehlen, weil die schnellwachsende Kiefer erst vor

wenigen Jahren ihre derzeitige Störungsintensität erreicht hat.

Jedenfalls ist schon der Rechtsvorgänger der Antragsgegner mehrfach

aufgefordert worden, einen Rückschnitt des Baumes vorzunehmen. Weil

sich die Antragsgegner die Kenntnis ihres Rechtsvorgängers

zurechnen lassen müssen, ist die Geltendmachung des

Beseitigungsanspruchs zumindest nicht treuwidrig.

Im Ergebnis haben sonach Amts- und

Landgericht den Antrag des Antragstellers zu Unrecht abgewiesen.

Der Senat kann über den Antrag zugunsten des Antragstellers selbst

entscheiden, weil der Sachverhalt dafür hinreichend geklärt ist.

Das Stutzen der Schwarzkiefer auf eine Höhe von höchstens 3 Metern

beseitigt die Beeinträchtigungen des Antragstellers. Insoweit

verkennt der Senat nicht, daß der Baum dadurch möglicherweise nicht

mehr lebensfähig bleibt. Andererseits darf die getroffene

Entscheidung nicht über den gestellten Antrag hinausgehen. Den

Antragsgegnern bleibt indes unbenommen, die Kiefer an eine nicht

störende Stelle zu versetzen, sie bis auf einen verbleibenden

Stumpf abzuschneiden oder vollständig zu entfernen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 47

WEG. Es entspricht billigem Ermessen, den Antragsgegnern als

Unterlegenen die Gerichtskosten aufzuerlegen. Demgegenüber besteht

schon im Hinblick auf die anderslautenden Entscheidungen der

Vorinstanzen keine Veranlassung, von dem im

Wohnungseigentumsverfahren geltenden Grundsatz abzuweichen, daß

jeder Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt.

Die Festsetzung des Geschäftswerts

beruht auf § 48 WEG. Der festgesetzte Wert entspricht dem vom

Sachverständigen ermittelten Wert des Baumes.