BVerfG, Beschluss vom 24.08.2001 - 1 BvQ 35/01
Fundstelle
openJur 2011, 118698
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft die Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung. Anlass der Gegendarstellung bildet die in dem Artikel "Ist Gregor Gysi ein Prophet oder der Wolf im Schafspelz" ("DIE WELT" vom 23. Juni 2001, Seite 3) verwendete Formulierung "Gregor Gysi, ein registrierter Stasi-Spitzel".

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG vorliegen, sind die Erfolgsaussichten der von der Antragstellerin angekündigten Verfassungsbeschwerde insoweit relevant, als dem Eilrechtsschutzbegehren nach § 32 Abs. 1 BVerfGG nicht entsprochen werden kann, wenn die angekündigte Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist. Maßgebend für die Beurteilung ist der Verfahrensstand im Zeitpunkt der Entscheidung.

Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Denn die angekündigte Verfassungsbeschwerde ist bei derzeitigem Verfahrensstand nach Aktenlage offensichtlich unbegründet.

Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragstellerin durch die in der Antragsschrift bezeichneten Entscheidungen des Landgerichts Hamburg oder durch das noch ausstehende Berufungsurteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts im einstweiligen Verfügungsverfahren - 7 U 75/01 - in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt worden ist beziehungsweise verletzt werden könnte.

Die Grundlage dieser Einschätzung bildet der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 15. August 2001 - 7 U 75/01 -, mit dem der Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen worden ist, die Zwangsvollstreckung aus den bezeichneten Entscheidungen des Landgerichts einstweilen einzustellen. Seinen Beschluss begründet das Oberlandesgericht damit, dass die Berufung der Antragstellerin keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Damit können die in den Gründen dieses Beschlusses weiter enthaltenen Ausführungen des Oberlandesgerichts jedenfalls im Verfahren nach § 32 Abs. 1 BVerfGG als Grundlage für die Einschätzung der Erfolgsaussichten der von der Antragstellerin angekündigten Verfassungsbeschwerde gegen die im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangenen und noch zu ergehenden Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts herangezogen werden.

Der Antragstellerin ist zuzustimmen, dass die zivilgerichtlichen Entscheidungen den Schutzbereich ihres Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG betreffen. Das Grundrecht auf Pressefreiheit wird aber nach derzeitigem Sachstand nicht verletzt.

Die gesetzliche Grundlage, auf die sich die angegriffenen Entscheidungen stützen (§ 11 des Hamburgischen Pressegesetzes - HbgPrG -), steht mit dem Grundgesetz in Einklang (vgl. BVerfGE 97, 125 <145 ff.>). § 11 HbgPrG ist ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG. Die mit ihm getroffenen Regelungen beschränken die Pressefreiheit nicht unverhältnismäßig (vgl. BVerfGE 97, 125 <146>).

Es ist nicht davon auszugehen, dass die Zivilgerichte im Ausgangsverfahren bei der Auslegung und Anwendung von § 11 HbgPrG die Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit nicht hinreichend beachtet haben beziehungsweise ihr nicht hinreichend Rechnung tragen werden.

So begegnet die Deutung der in dem Artikel verwendeten Formulierung "Gregor Gysi, ein registrierter Stasi-Spitzel" als Tatsachenbehauptung und nicht als wertende Meinungsäußerung in verfassungsrechtlicher Hinsicht keinen durchgreifenden Bedenken. Auch besteht kein Anlass zu der Annahme, dass mögliche andere Deutungen der Formulierung, die zu einem für die Antragstellerin günstigeren Ergebnis des einstweiligen Verfügungsverfahrens führen könnten, nicht in Betracht gezogen beziehungsweise nicht mit einer nachvollziehbaren Begründung ausgeschlossen worden sind.

Das presserechtliche Gegendarstellungsrecht setzt weder den Nachweis der Unwahrheit der Erstmitteilung noch den der Wahrheit der Gegendarstellung voraus. Die Wahrheitsunabhängigkeit der Gegendarstellung ist Folge des aus der staatlichen Schutzpflicht für das Persönlichkeitsrecht folgenden Gebots der Sicherstellung gleicher publizistischer Wirkung. Das Gegendarstellungsrecht lässt Raum für eine Auslegung, nach der in Fällen offensichtlicher Unwahrheit der Gegendarstellung ein berechtigtes Interesse an ihrem Abdruck verneint wird (vgl. BVerfGE 97, 125 <147 f.>). Unter Zugrundelegung des durch das Bundesverfassungsgericht anzuwendenden Prüfungsmaßstabs (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 101, 361 <388>; stRspr) ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, dass die Zivilgerichte die von Dr. Gysi beanspruchte Gegendarstellung im Ausgangsverfahren nicht als offensichtlich unwahr beziehungsweise irreführend gewürdigt haben.

Auch im Übrigen gibt die Antragsschrift keinen Anlass, von einer Verletzung der Pressefreiheit der Antragstellerin auszugehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.