BVerfG, Beschluss vom 12.05.1999 - 1 BvR 1988/95
Fundstelle
openJur 2011, 118599
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung

angenommen.

Dem Beschwerdeführer wird Prozeßkostenhilfe ohne

Festsetzung von Ratenzahlungen bewilligt und Rechtsanwalt Robert

Seidler beigeordnet.

Gründe

I.

1. Die - im wesentlichen auf die Rüge der

Verletzung von Art. 6 Abs. 5 GG gestützte -

Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von

Prozeßkostenhilfe für die Erhebung einer Klage eines

nichtehelich geborenen Kindes gegen seinen Vater auf Ersatz der

Kosten der Säuglingserstausstattung. Das Amts- und das

Landgericht gingen in den angegriffenen Entscheidungen davon aus,

daß grundsätzlich auch das nichteheliche Kind die

Erstausstattungskosten als Sonderbedarf zusätzlich zu dem

laufenden Unterhalt verlangen könne. Der Anspruch bestehe aber

nicht, wenn das nichteheliche Kind die Kosten ergänzend zu dem

Regelunterhalt nach der Regelunterhalt-Verordnung begehre, weil

dieser nach dem Willen des Verordnungsgebers (vgl. BRDrucks 271/70

S. 18) die Erstausstattungskosten umfasse; zur Vereinfachung sei

dem größeren Bedarf im ersten Lebensjahr durch eine

Erhöhung der Regelbedarfssätze für die nächsten

fünf Lebensjahre Rechnung getragen worden.

2. Das sich für die Bundesregierung

äußernde Bundesministerium der Justiz hält die

Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Art. 6 Abs. 5 GG

für begründet. Die im Jahre 1970 vorgenommene Einordnung

des Erstausstattungsbedarfs in den Regelbedarf nach der

Regelunterhalt-Verordnung sei durch die inzwischen wesentlich

veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse überholt.

Die Bundesregierung habe klargestellt, daß sowohl die Regelbedarfssätze der Regelunterhalt-Verordnung als auch die

Regelbeträge der Regelbetrag-Verordnung die Höhe des

steuerrechtlich anerkannten Existenzminimums der Kinder deutlich

unterschritten (BTDrucks 13/7338 S. 59). Weil nicht

barunterhaltspflichtige Personen die im Zusammenhang mit der Geburt

anfallenden Erstausstattungskosten vorfinanzieren

müßten, sei ein Verweis auf später fällige

Beträge der Unterhaltsrente auch nicht sachgerecht.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung

anzunehmen. Ihr kommt weder grundsätzliche

verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur

Durchsetzung von Verfassungsrechten angezeigt (§ 93 a Abs. 2

BVerfGG). Dem Beschwerdeführer entsteht durch die Versagung

der Entscheidung zur Sache kein besonders schwerer Nachteil.

1. Der Beschwerdeführer rügt allerdings

zu Recht eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 5 GG. In

der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt,

daß der in erster Linie an den Gesetzgeber gerichtete Auftrag

aus Art. 6 Abs. 5 GG auch von der Rechtsprechung bei der Anwendung

des geltenden Rechts zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfGE 96,

56 <65>). Die Verfassungsnorm verpflichtet, nichtehelichen

Kindern die gleichen Bedingungen für ihre Entwicklung zu

schaffen wie ehelichen Kindern. Eine ungleiche Behandlung

nichtehelicher Kinder, die sich als Benachteiligung gegenüber

ehelichen Kindern auswirkt, bedarf stets einer überzeugenden

Begründung. Abweichungen gegenüber dem Recht der

ehelichen Kinder sind deshalb grundsätzlich nur in

eingeschränktem Umfang zulässig, etwa wenn eine

förmliche Gleichstellung der besonderen sozialen Situation des

nichtehelichen Kindes nicht gerecht würde (vgl. BVerfGE 84,

168 <185>; 85, 80 <88> m.w.N.).

Bei Anwendung dieser Grundsätze läßt

sich die von den Ausgangsgerichten vertretene Rechtsauffassung

verfassungsrechtlich nicht halten. Die Gerichte haben schon

übersehen, daß sich die Höhe des Regelbedarfssatzes

der ersten Altersstufe der Regelunterhalt-Verordnung nicht

unterscheidet von dem entsprechenden Mindestunterhaltsbetrag

(Gruppe 1) der Düsseldorfer Tabelle, nach der weithin der

Unterhalt ehelicher Kinder bemessen wird. Sind aber die für

die Bemessung des Unterhalts ehelicher und nichtehelicher Kinder

maßgebenden Ausgangsbeträge gleich, überzeugt es

schon im Ansatz nicht, nur den nichtehelich geborenen Säugling

darauf zu verweisen, die Kosten der Erstausstattung aus dem in den

nächsten fünf Lebensjahren gezahlten Unterhalt zu

bestreiten. Diese Benachteiligung des nichtehelichen Kindes wird

dadurch verschärft, daß der Regelunterhalt

definitionsgemäß nur einem Mindestunterhalt gleichkommt

(vgl. § 1615 f Abs. 1 Satz 2 BGB in der bis zum 30. Juni 1998

geltenden Fassung), dessen Höhe inzwischen noch nicht einmal

das Kindesexistenzminimum erreicht, worauf die Bundesregierung

unter Bezugnahme auf ihren Bericht vom Februar 1995 über die

Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien (BTDrucks

13/381) bereits bei der Anpassung der Regelunterhaltssätze der

Regelunterhalt-Verordnung für die Zeit ab Januar 1996

hingewiesen hat (BRDrucks 504/95 S. 7 ff.). Wird aber bei einem

verhältnismäßig niedrigen laufenden Unterhalt die

Geltendmachung eines einmaligen Bedarfs verwehrt, kann schon die -

für eheliche und nichteheliche Kinder gleichermaßen

geltende - Intention des Gesetzgebers nicht verwirklicht werden,

mit dem Unterhalt den gesamten Lebensbedarf zu decken (vgl. § 1610 Abs. 2 BGB). Eine solche Rechtsprechung läßt auch

außer Betracht, daß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG in

Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG allgemein

gebieten, Unterhaltsregelungen zu vermeiden, die sich für die

Entwicklung von Kindern nachteilig auswirken (vgl. BVerfGE 57, 361

<382 f.>). Von einer nicht bar-unterhaltspflichtigen

Kindesmutter eine Vorfinanzierung zu verlangen, kann zudem in

besonderer sozialer Situation der sozialen Schutzpflicht aus Art. 6

Abs. 4 GG widersprechen (vgl. BVerfGE 88, 203 <258 ff.>).

Eine diesen grundgesetzlichen Vorgaben entsprechende

verfassungskonforme Auslegung der Regelunterhalt-Verordnung war

dem Landgericht nicht verwehrt (vgl. BVerfGE 90, 145 <169 f.>).

2. Es ist gleichwohl nicht angezeigt, die

Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen, da dem

Grundrechtsverstoß bei der gegebenen prozessualen Lage kein

besonderes Gewicht zukommt. Denn es bleibt dem

Beschwerdeführer unbenommen, auf der Grundlage dieses

Nichtannahmebeschlusses seinen Antrag auf Gewährung von

Prozeßkostenhilfe - gem. § 621 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in der

seit 1. Juli 1998 geltenden Fassung nunmehr vor einem

Familiengericht - zu wiederholen; da der Beklagte des

Ausgangsverfahrens in Verzug gekommen ist, scheitert die

Wiederholung des Prozeßkostenhilfe-Antrages nicht an der

Jahresfrist des § 1613 Abs. 2 BGB. Dabei kann der

Beschwerdeführer zur Erfolgsaussicht auch Gesichtspunkte

geltend machen, die sich daraus ergeben, daß der Gesetzgeber

mit dem Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts

minderjähriger Kinder vom 6. April 1998 (BGBl I S. 666) die Gleichstellung ehelicher und

nichtehelicher Kinder ausdrücklich verfolgt. Im übrigen

ist der Beklagte des Ausgangsverfahrens seit längerem

unbekannten Aufenthalts, so daß der Beschwerdeführer

seinen Anspruch im Falle einer Zurückverweisung an ein

Ausgangsgericht nicht wesentlich schneller durchsetzen kann als im

Falle einer erneuten Antragstellung.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.