BVerfG, Beschluss vom 27.04.2000 - 2 BvR 1990/96
Fundstelle
openJur 2011, 24852
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage der Verwertbarkeit von Angaben eines Beschuldigten in einem Strafverfahren, die dieser aus Anlass eines von der Polizei initiierten Telefonats gegenüber einem Dritten gemacht hat (so genannter Zweithörer-Fall, vgl. auch das Verfassungsbeschwerde-Verfahren 2 BvR 75/94).

I.

Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Es stützte seine Überzeugung von der Täterschaft des Beschwerdeführers im Wesentlichen auf den Inhalt eines mitgehörten Telefongesprächs zwischen einem Zeugen und dem Beschwerdeführer, das von der Polizei veranlasst worden war und über dessen Inhalt ein mithörender Dolmetscher vernommen wurde.

Die von dem zur Entscheidung über die Revision des Beschwerdeführers berufenen 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs gemäß § 132 Abs. 4 GVG zur Verwertbarkeit dieser Erkenntnisse vorgelegte Frage beantwortete der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs dahin, dass, wenn eine Privatperson auf Veranlassung der Ermittlungsbehörden mit dem Tatverdächtigen ohne Aufdeckung der Ermittlungsabsicht ein auf die Erlangung von Angaben zum Untersuchungsgegenstand gerichtetes Gespräch geführt habe, der Inhalt des Gesprächs im Zeugenbeweis jedenfalls dann verwertet werden dürfe, wenn es um die Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung gehe und die Erforschung des Sachverhalts unter Einsatz anderer Ermittlungsmethoden erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert gewesen wäre (vgl. BGHSt 42, 139).

II.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 3 sowie von Art. 10 Abs. 1 GG mit der Begründung, die Strafgerichte hätten den Gewährleistungsgehalt des Fernmeldegeheimnisses im Sinne von Art. 10 Abs. 1 GG verkannt. Es sei mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. März 1992 (BVerfGE 85, 386 ff.) nicht vereinbar, wenn der Bundesgerichtshof die Auffassung vertreten habe, der Grundrechtsschutz ende insoweit am Endgerät des Fernsprechteilnehmers. Die einseitige Einwilligung des einen Gesprächsteilnehmers sei nicht geeignet, den Eingriff in das Grundrecht des anderen Gesprächsteilnehmers zu rechtfertigen. Die Verurteilung stelle im Übrigen eine mit dem Grundgesetz nicht vereinbare Umgehung des nemo-tenetur-Grundsatzes und des § 136 StPO dar, die nicht in der Heimlichkeit von Ermittlungen liege, sondern in der staatlich arrangierten irrtumsbedingten Selbstbelastung.

III.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil sie in Ermangelung einer den Anforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG genügenden Begründung unzulässig ist. Es fehlt ihr an einer Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs zu der Vorlagefrage sowie der Revisionsentscheidung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs und deren jeweiliger konkreter Begründung (vgl. BVerfG, NVwZ 1998, S. 949); die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten ist ihr nicht zu entnehmen.

1. Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs ist in seinem Beschluss über die Vorlage, der Grundlage für die Revisionsentscheidung war, davon ausgegangen, dass das Grundrecht auf Wahrung des Fernmeldegeheimnisses jener Gefahr für die Vertraulichkeit der Mitteilung begegnen soll, die sich gerade aus der Einschaltung eines Übermittlers ergibt, es mithin die den Netzbetreibern zur Übermittlung anvertrauten Kommunikationsvorgänge und -inhalte gegen jede staatliche Einschaltung nur so weit und solange schützt, wie die technischen Einrichtungen des Netzbetreibers für den Kommunikationsvorgang in Anspruch genommen werden (vgl. BVerfGE 85, 386 <397 ff.>; 100, 313 <359>). Das Vorbringen des Beschwerdeführers lässt eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob das Mithören eine "Einschaltung" in den Kommunikationsvorgang darstellen kann, obwohl es keiner Mitwirkung des Netzbetreibers bedarf und insoweit eine andere Eingriffstypik aufweist, vermissen. Darüber hinaus versäumt es der Beschwerdeführer, sich mit der Frage auseinander zu setzen, ob und unter welchen Voraussetzungen das einseitig oder beidseitig erklärte Einverständnis der Fernsprechteilnehmer mit der Weitergabe der Informationen einen möglichen Eingriff in das Grundrecht des Art. 10 GG rechtfertigt.

2. Auch soweit der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen den aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hergeleiteten Grundsatz des Verbots der Selbstbelastung behauptet, setzt er den Argumenten des Bundesgerichtshofs nichts entgegen. Seine Begründung der Verfassungsbeschwerde beschränkt sich insoweit ausschließlich auf den Einwand, der nemo-tenetur-Grundsatz sei umgangen worden, weil er auch vor staatlich veranlasster irrtumsbedingter Selbstbelastung schütze. Zu den Ausführungen des Bundesgerichtshofs zu dem Unterschied zwischen Irrtum und Zwang sowie zum Inhalt und Schutzbereich der Aussagefreiheit und ihren in den Motiven des Beschuldigten zu seiner Äußerung liegenden Grenzen nimmt der Beschwerdeführer keine Stellung. Aus welchen Gründen es verfassungsrechtlich geboten sein soll, den Schutz vor Selbstbezichtigung auch auf die Fälle auszudehnen, in denen der Beschuldigte in vernehmungsähnlichen Situationen oder durch verdeckte Ermittlungsmaßnahmen gezielt zu selbstbelastenden Äußerungen veranlasst wird, trägt der Beschwerdeführer nicht vor.

3. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer es versäumt, sich mit der Frage auseinander zu setzen, ob und welche Konsequenzen sich aus einem möglichen Grundrechtseingriff ergeben und welche Folgerungen aus der von ihm angenommenen Unzulässigkeit des Mithörens im Ermittlungsverfahren für die Verwertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse in der Hauptverhandlung gezogen werden sollen. Aus der bloßen Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung folgt nicht ohne weiteres ein Beweisverwertungsverbot. Um dem Substantiierungserfordernis der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG Rechnung zu tragen, hätte der Beschwerdeführer auf diese Frage eingehen müssen sowie darauf, inwiefern die Ablehnung eines Verwertungsverbots verfassungsrechtlich verbürgte Rechte des Beschwerdeführers verletze (vgl. Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 2000 - 2 BvR 1087/91 - und vom 1. März 2000 - 2 BvR 2017/94 u.a. -). Eine Befassung mit diesen Problemstellungen wäre umso mehr erforderlich gewesen, als der Bundesgerichtshof in einem abgestuften Abwägungsvorgang die Grenzen der Zulässigkeit des verdeckten Einsatzes von Privatpersonen auf der Grundlage des Verhältnismäßigkeitsprinzips gezogen hat.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.