VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.07.1992 - 8 S 588/92
Fundstelle
openJur 2013, 8277
  • Rkr:

1. Eine vom Grundstückseigentümer nach Eintragung einer Auflassungsvormerkung übernommene Baulast ist dem Grundstückskäufer gegenüber insoweit unwirksam, als sie dessen Anspruch vereiteln oder beinträchtigen würde (§ 883 Abs 2 S 1 BGB - Fortführung der Rechtsprechung des 5. Senats, Urteil vom 27.2.1988 - 5 S 3256/88 - NJW 1990, 268).

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer zugunsten der Beigeladenen eingetragenen Baulast auf den den Klägern gehörenden Grundstücken Flst. Nrn. 817/2 und 817/7 in S

Die Kläger kauften von der Beigeladenen mit Vertrag vom 30.12.1982 die genannten Grundstücke, die aus den ehemaligen Grundstücken Flst. Nrn. 817 bis 820 und 822 sowie 813/1 herausgemessen und neu gebildet wurden.

Zur Sicherung des Eigentumsübertragungsanspruchs wurde am 23.3.1983 eine Auflassungsvormerkung zugunsten der Kläger in das Grundbuch eingetragen. Danach - nämlich mit Erklärung vom 7.4.1983 - übernahm die Beigeladene eine Vereinigungsbaulast bezüglich des Grundstücks Flst. nr. 813/2 und des Grundstücks Flst. Nr. 817. Anschließend wurde die von den Klägern erworbene Teilfläche aus dem Grundstück Flst. Nr. 817 herausgemessen.

Anläßlich eines Baugenehmigungsverfahrens wurden die Kläger darauf aufmerksam, daß ihre Grundstücke mit der genannten Baulast belastet sind. Da ihrer an die Beklagte gerichteten Bitte um Verzicht nicht entsprochen wurde, haben sie am 2.7.1990 beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben mit dem Antrag, die Unwirksamkeit der Baulasten ihnen gegenüber festzustellen. Es sei anerkannt, daß der dinglich nicht Berechtigte keine Baulast bewilligen könne.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und geltend gemacht, es bestünden erhebliche Zweifel, ob die zugunsten der Kläger eingetragene Vormerkung Bestand habe. Sie betreffe eine nicht näher umschriebene Teilfläche und verstoße daher gegen den Bestimmtheitsgrundsatz im Grundbuch. Weiterhin sei ungeklärt, ob die Eintragung einer Auflassungsvormerkung die Befugnis des Grundstückseigentümers beschränke, eine Baulast zu Lasten seines Grundstücks zu bestellen. Schließlich sei eine tatsächliche Beeinträchtigung der Kläger durch die Vereinigungsbaulast nicht zu befürchten.

Das Verwaltungsgericht hat die Verkäuferin der Grundstücke mit Beschluß vom 15.3.1991 zum Rechtsstreit beigeladen. Diese hat beantragt, die Klage insoweit abzuweisen, als sich der Antrag auf das im Miteigentum des Klägers stehende Grundstück Flst. Nr. 817/7 bezieht. Sie hält eine analoge Anwendung des § 883 Abs. 2 S. 1 BGB für möglich, meint aber, die Belastung des Grundstücks mit der Baulast sei nur insoweit vormerkungswidrig, als sie sich auf das im Alleineigentum der Kläger stehende Grundstück Flst. Nr. 817/2 beziehe. Dagegen sei das im Miteigentum der Kläger stehende Grundstück Flst. Nr. 817/7 zu Recht mit einer Baulast belastet worden, weil der Kaufvertrag zwischen den Klägern und ihr in § 3 Ziff. 13 Abs. 2 S. 3 und 2 sie ausdrücklich zur Bestellung einer Baulast ermächtigt habe.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 28.1.1992 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt: Die von der Beigeladenen übernommene Baulast sei gegenüber den Klägern nicht unwirksam. Die Baulast entstehe durch Erklärung des Grundstückseigentümers, so daß die Beigeladene die Baulast rechtswirksam begründet habe. Der Zustimmung der Kläger als Vormerkungsberechtigte hätte es nicht bedurft. Eine entsprechende Anwendung des § 883 Abs. 2 BGB auf öffentlich-rechtliche Verpflichtungserklärungen komme nicht in Betracht. Schon nach dem Wortlaut des § 70 Abs. 1 LBO sei allein auf die formelle Eigentümerstellung abzustellen. Die Kammer folge nicht der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 27.2.1989 - 5 S 3256/88 -, NJW 1990, 268, der eine Baulastbestellung durch einen Vorerben gegenüber dem Nacherben für unwirksam gehalten habe. Die entsprechende Anwendung zivilrechtlicher Verfügungsbeschränkungen auf eine Baulastübernahmeerklärung sei nicht sachgerecht, weil zivilrechtliche Verfügungen nicht mit öffentlich-rechtlichen Verpflichtungserklärungen vergleichbar seien. Die Übertragung zivilrechtlicher Verfügungsbeschränkungen auf öffentlich-rechtliche Verpflichtungserklärungen würden zu einer dem Baurecht fremden Vermischung mit dem Privatrecht führen. Dem Rechtsgedanken des § 59 Abs. 3 LBO, wonach die Baugenehmigung unbeschadet privater Rechte Dritter erteilt werde, könne der Grundsatz entnommen werden, daß das öffentlich-rechtliche Verhältnis zwischen dem Eigentümer und der Baurechtsbehörde von zivilrechtlichen Bindungen und Verpflichtungen freizuhalten sei. Ebensowenig wie im Baugenehmigungsverfahren könne der Baurechtsbehörde in Baulastverfahren zugemutet werden, über zivilrechtliche Rechte Dritter zu entscheiden. Diese müßten daher für die Bestellung von Baulasten ohne Bedeutung bleiben. Ansonsten würde die Baulast für die Baurechtsbehörde an Praktikabilität verlieren, wenn sie u.U. komplizierte Fragen bezüglich zivilrechtlicher Berechtigungen zu prüfen hätte. Der Vormerkungsberechtigte sei daher auf seine zivilrechtlichen Ansprüche aus dem Kaufvertrag beschränkt, die er vor dem Zivilgericht geltend machen müsse.

Die Kläger haben gegen das ihnen am 25.2.1992 zugestellte Urteil am 27.2.1992 Berufung eingelegt. Sie beantragen,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 28. Januar 1992 - 13 K 1864/90 - zu ändern und festzustellen, daß die Baulast laut Erklärung der Beigeladenen vom 7. April 1983 den Klägern gegenüber unwirksam ist.

Zur Begründung tragen sie vor: Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts seien unzutreffend, da die Baulast nicht mit einer Baugenehmigung vergleichbar sei. Im übrigen habe die Beklagte jedenfalls im vorliegenden Fall über ihre Berechtigung in Ansehung der genannten Grundstücke genau Bescheid gewußt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene beantragt gleichfalls, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält § 883 Abs. 2 S. 1 BGB für entsprechend anwendbar, meint jedoch, daß die Kläger aufgrund einer im Kaufvertrag übernommenen Verpflichtung die Baulast bezüglich des Gemeinschaftsgrundstücks Flst.Nr. 817/7 dulden müßten.

Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Beklagten und die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart vor. Auf diese sowie auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze wird verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte den zulässigen Feststellungsklagen (vgl. VGH Bad.-Württ., NJW 1990, 268) stattgeben müssen.

Zwar hat die Beigeladene als damalige Eigentümerin des belasteten Grundstücks mit ihrer Erklärung vom 7.4.1983 gegenüber der Beklagten die Baulast gemäß § 70 Abs. 1 LBO wirksam begründet. Einer Zustimmung der Kläger bedurfte es nicht.

Die Baulast ist jedoch entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts in entsprechender Anwendung des § 883 Abs. 2 S. 1 BGB den Klägern gegenüber unwirksam.

Wie der 5. Senat des erkennenden Gerichtshofs in seinem Urteil vom 27.2.1989 - 5 S 3256/88 - NJW 1990, 268 entschieden hat, sind Entstehung und Fortbestand der Baulast nicht unabhängig von der Verfügungsbefugnis über das Grundeigentum zu sehen. Schon nach dem Wortlaut des § 70 Abs. 1 LBO kann nur der Eigentümer wirksam eine Baulast durch seine Erklärung übernehmen. Ausreichend ist die formelle Eigentümerstellung jedoch nicht in allen Fällen. So ist anerkannt, daß bei Bestehen eines Erbbaurechts sowohl eine Erklärung des Grundstückseigentümers als auch des Erbbauberechtigten, dem die Bodennutzung zusteht, zur Begründung der Baulast erforderlich ist (vgl. Sauter, LBO, 2. Aufl., Stand Mai 1988, § 70 RdNrn. 36; OVG Lüneburg, NJW 1990, 1499). Auch die Bestellung einer Baulast durch einen Miteigentümer bedarf der Zustimmung durch die anderen Miteigentümer (Senatsurteil v. 1.6.1990 - 8 S 637/90 - VBlBW 1991,59). Ist aber bereits bei Entstehung der Baulast auf die Verfügungsbefugnis abzuheben, so sind vom Gesetz vorgesehene relative oder absolute Beschränkungen derselben auch dann zu beachten, wenn Sinn und Zweck der maßgeblichen Vorschriften eine entsprechende Anwendung fordern (VGH Bad.-Württ., a.a.O.).

Zu diesen Bestimmungen zählt nicht nur die vom 5. Senat in dem genannten Urteil für entsprechend anwendbar erachtete Vorschrift des § 2113 BGB sondern auch § 883 Abs. 2 S. 1 BGB. Denn es ist in gleicher Weise Sinn und Zweck dieser Regelung, die durch die grundsätzliche Verfügungsfreiheit des Eigentümers begründete Gefährdung der Rechtsposition des durch Vormerkung gesicherten Käufers gegen Beeinträchtigungen zu schützen, indem sie bestimmte Verfügungen des Eigentümers insoweit für unwirksam erklärt, als sie den Anspruch vereiteln oder beeinträchtigen würden.

Der erkennende Senat ist in Übereinstimmung mit dem 5. Senat der Überzeugung, daß den von dieser Vorschrift gemeinten zivilrechtlichen Verfügungen die Baulastübernahme gleichzustellen ist. So wie eine Verfügung darauf gerichtet sein kann, ein bestehendes Recht unmittelbar zu beschränken, schränkt auch die öffentlich-rechtliche Baulast unmittelbar mit absoluter dinglicher Wirkung die Befugnisse des jeweiligen Grundstückseigentümers ein. Schon diese Wirkung reicht aus, um eine Vergleichbarkeit zu bejahen. Nicht erforderlich ist, daß die Baulast im Einzelfall die Wirkung einer privatrechtlichen Grunddienstbarkeit hat; entscheidend ist daß der Eigentümer in der Ausübung der aus dem Grundeigentum fließenden Rechte beschränkt ist (VGH Bad.-Württ., a.a.O.). Ein Vergleich mit schuldrechtlichen Verträgen - wie ihn die Beigeladene für geboten erachtet - scheidet dagegen bereits nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung aus. Im übrigen ist offenkundig, daß es einen Unterschied macht, ob der Erwerber einen Mietvertrag mit den daraus auch für ihn sich ergebenden Berechtigungen (Mieteinnahmen) gegen sich gelten lassen muß, oder ob ihm einseitig ausschließlich belastende Verfügungen aufgebürdet werden.

Der Senat kann sich die von der Entscheidung des 5. Senats ausdrücklich abweichende gegenteilige Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Urteil nicht zu eigen machen. Dessen Argumentation, die an § 59 Abs. 3 LBO anknüpft und die vor allem damit begründet wird, daß der Baurechtsbehörde eine Beachtung zivilrechtlicher Verfügungsbeschränkungen nicht zugemutet werden könne, ist schon deshalb nicht überzeugend, weil die aus § 883 Abs. 2 S. 1 bzw. § 2113 BGB abzuleitenden Verfügungsbeschränkungen keinen Einfluß auf die Wirksamkeit der Baulastbestellung haben, die - wie oben ausgeführt - in der Tat allein von der Verfügungsbefugnis des Bewilligenden abhängt. Es kann sich also lediglich im Einzelfall - wie vorliegend - die Frage ergeben, wem gegenüber die Baulast gilt. Die daran anknüpfende Annahme des Verwaltungsgerichts, der Behörde werde auch insoweit eine ihr nicht zuzumutende Befassung mit schwierigen zivilrechtlichen Rechtsfragen angesonnen, was nicht Aufgabe der Baurechtsbehörde sein könne, ist schon im Ansatz verfehlt. Im Gegensatz zum Baugenehmigungsverfahren, das die Behörde gemäß § 59 Abs. 1 und 3 LBO grundsätzlich von der Beachtung der zivilrechtlichen Eigentumslage freistellt, hängt nämlich die Rechtswirksamkeit der Baulastbestellung, wie eingangs ausgeführt wurde und was auch vom Verwaltungsgericht nicht in Frage gestellt wird, von der zivilrechtlichen Verfügungsbefugnis, nämlich dem Eigentum - zumindest der uneingeschränkten Verfügungsbefugnis - des Bewilligenden ab. Die Kontrolle der Verfügungsbefugnis setzt also den Einblick in das Grundbuch voraus. Warum dann aber diese, sich an der Eintragung im Grundbuch orientierende Prüfung der Eigentümerstellung durch die zusätzliche Beachtung einer im selben Grundbuch eingetragenen Vormerkung unzumutbar erschwert sein soll, ist nicht einzusehen. Vielmehr spricht alles dafür, die bei der Baulastbestellung im Bauordnungsrecht ausdrücklich vorgenommene Verknüpfung mit dem Zivilrecht durch entsprechende Anwendung der §§ 883 Abs. 2 S. 1 und 2113 BGB konsequent zu Ende zu führen.

Die Berufung des Verwaltungsgerichts auf § 59 Abs. 3 LBO vermag auch deshalb nicht zu überzeugen, weil sich der darin zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke nicht auf den vorliegenden Fall übertragen läßt. § 59 Abs. 3 LBO ist eine zwangsläufige Folge der Regelung in § 59 Abs. 1 LBO, wonach die Baugenehmigung zu erteilen ist, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Es besteht also ein Rechtsanspruch, der es verbietet auf privatrechtliche Vorschriften und auf private Rechte Dritter Rücksicht zu nehmen. Dies wird in § 59 Abs. 3 LBO lediglich nochmals verdeutlicht. Eine vergleichbare Situation kann bei der Baulastbewilligung nicht anerkannt werden; die Baulast ist eine freiwillig übernommene öffentlich-rechtliche Verpflichtung, deren Wirksamkeit nicht losgelöst von der privatrechtlichen Verfügungsbefugnis beurteilt werden kann. Sollten sich bei deren Ermittlung Schwierigkeiten ergeben, so sind diese der Behörde eher zuzumuten als dem Eigentümer die mit der Wirksamkeit einer zu Unrecht bestellten Baulast verbundenen Nachteile.

Die entsprechende Anwendung des § 883 Abs. 2 S. 1 BGB führt im vorliegenden Fall entgegen der Ansicht der Beigeladenen zur Unwirksamkeit auch des Teils der Baulast, der sich auf das Grundstück Flst.Nr. 817/7 bezieht. In dem der Auflassung zugrundeliegenden Kaufvertrag ist keine Verpflichtung der Käufer zur Bestellung einer Baulast, wie sie vorliegend im Streit ist, enthalten. Vielmehr sollte nach dem von der Beigeladenen angeführten Passus des Kaufvertrags lediglich die "Zuordnung der Wohn- u. Nutzfläche" auf dem der Beigeladenen verbleibenden Grundstück durch Baulast geregelt werden. Daß damit keine Verpflichtung der Käufer zur Duldung einer Vereinigungsbaulast begründet wurde, ist offenkundig. Hinzu kommt vorliegend außerdem, daß eine etwaige Verpflichtung zur Bestellung einer Baulast in § 3 des Kaufvertrags so unbestimmt gefaßt ist, daß sie auf keinen Fall ohne Mitwirkung des Verpflichteten als konkrete Ausgestaltung der vertraglichen Pflichten unmittelbare Wirkung in Ansehung der Vormerkung haben kann, wie die Beigeladene meint.

Es bedarf keiner Begründung, daß die Kläger durch die Baulast in ihren Rechten beeinträchtigt werden, da sie diese gemäß § 70 Abs. 1 S. 2 LBO gegen sich gelten lassen müssen. Die Voraussetzungen für die von der Beigeladenen behauptete Verwirkung sind erkennbar nicht gegeben.