BVerfG, Beschluss vom 03.01.2007 - 1 BvR 737/04
Fundstelle
openJur 2011, 119035
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Kostenfestsetzung in einem zivilprozessrechtlichen Mahnverfahren.

I.

Auf Antrag der Beschwerdeführerin wurde ein Mahnbescheid gegen eine Schuldnerin der Beschwerdeführerin über einen Betrag von 10 Mio. € erlassen. Das Amtsgericht erteilte der Beschwerdeführerin hierüber eine Kostenrechnung in Höhe von 15.728 €. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin mit der Begründung Beschwerde, ihr Interesse belaufe sich nicht auf 10 Mio. €, weil der Mahnbescheid nur zur Unterbrechung der Verjährung beantragt worden sei. Deshalb seien die Gerichtskosten auf pauschal 500 € festzusetzen, hilfsweise der Streitwert entsprechend herabzusetzen. Das Landgericht wies die Beschwerde zurück, da das Amtsgericht die Gebühren gemäß § 11 Abs. 2 GKG a.F. in Verbindung mit KV 1100 aus einem Streitwert von 10 Mio. € zutreffend ermittelt und die Beschwerdeführerin zu Recht zur Zahlung der streitigen Summe aufgefordert habe. Eine Herabsetzung der Gerichtsgebühr komme nicht in Betracht, da sich die Gebühr nach dem Streitwert richte und ein Ermessensspielraum für die Streitwertfestsetzung hier nicht gegeben sei.

Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip sowie aus Art. 19 Abs. 4 GG. Das gerichtliche Mahnverfahren solle einerseits durch die Verjährungsunterbrechung den Gläubiger schützen, andererseits durch die Einschaltung des Gerichts den Schuldner klar und nachweisbar auf das Bestehen einer Forderung hinweisen. Ziel des Mahnverfahrens sei gerade nicht das Entstehen eines Vollstreckungstitels. Eine ausschließlich am Streitwert orientierte Kostenfestsetzung sei verfassungsrechtlich zu beanstanden, da bei vergleichsweise hohen Forderungen die Durchsetzung des wirtschaftlichen Werts einer Verjährungsunterbrechung übermäßig erschwert werde.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil Annahmegründe im Sinne des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung, da die aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt sind (vgl. BVerfGE 74, 228 <234>; 85, 337 <345 f.>). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

Die angegriffene Kostenfestsetzung und die dahinter stehende Streitwertfestsetzung verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip oder aus Art. 19 Abs. 4 GG.

1. Aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich auch für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 85, 337 <345>). Der Zugang zu den Gerichten darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 74, 228 <234>). Der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Justizgewährungsanspruch schließt es allerdings nicht aus, dass der Gesetzgeber für die Inanspruchnahme der Gerichte Gebühren erhebt. Die entsprechenden Vorschriften müssen aber der Bedeutung des Justizgewährungsanspruchs im Rechtsstaat Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 85, 337 <345 f.>).

a) Gebühren sind öffentlichrechtliche Geldleistungen, die aus Anlass individuell zurechenbarer öffentlicher Leistungen dem Gebührenschuldner durch eine öffentlichrechtliche Norm oder sonstige hoheitliche Maßnahme auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistungen deren Kosten ganz oder teilweise zu decken. Sie dürfen nicht völlig unabhängig von den (tatsächlichen) Kosten der gebührenpflichtigen Staatsleistung festgesetzt werden; die Verbindung zwischen den Kosten und der Gebührenhöhe muss sachgerecht sein (vgl. BVerfGE 50, 217 <226 f.>; 97, 332 <345>). Der Gesetzgeber ist allerdings nicht gehindert, neben der Kostendeckung weitere Ziele zu verfolgen und bei den Gebührenmaßstäben auch den Wert der staatlichen Leistung zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 20, 257 <270>; 50, 217 <226, 230 f.>; 97, 332 <345>). Die dem Einzelnen auferlegte Gebühr darf jedoch nicht außer Verhältnis zu den mit der Gebührenregelung verfolgten Zwecken stehen (vgl. BVerfGE 50, 217 <227>; 80, 103 <107>).

b) Nach diesen Maßstäben ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber die Höhe der Gerichtsgebühr in bürgerlichrechtlichen Streitigkeiten überwiegend an den Streit- oder Geschäftswert knüpft; denn dieser kann - im Rahmen zulässiger Pauschalierung - als Anhaltspunkt für den Wert der staatlichen Leistung angesehen werden. Ebenso ist es grundsätzlich gerechtfertigt, den Streit- oder Geschäftswert nach dem Wert des geltend gemachten prozessualen Anspruchs und nicht nur nach dem Wert des von dem einzelnen Prozessbeteiligten verfolgten wirtschaftlichen Ziels zu bemessen (vgl. BVerfGE 11, 139 <143>). Mit der Justizgewährungspflicht wäre es indes nicht vereinbar, wenn Gebühren erhoben würden, die außer Verhältnis zu dem wirtschaftlichen Wert stehen, den das gerichtliche Verfahren für den einzelnen Beteiligten hat; die Beschreitung des Rechtswegs kann sich als praktisch unmöglich darstellen, wenn das Kostenrisiko zu dem durch das Verfahren angestrebten wirtschaftlichen Erfolg derart außer Verhältnis steht, dass die Anrufung der Gerichte nicht mehr sinnvoll erscheint (vgl. BVerfGE 85, 337 <347>). Eine unzumutbare Erschwerung des Rechtswegs wird regelmäßig dann zu bejahen sein, wenn es nicht nur um geringfügige Beträge geht und wenn schon das Gebührenrisiko für eine Instanz das wirtschaftliche Interesse eines Beteiligten an dem Verfahren erreicht oder sogar übersteigt; denn unter solchen Umständen wird ein vernünftig abwägender Rechtsuchender von einer Anrufung der Gerichte in aller Regel Abstand nehmen (vgl. BVerfGE 85, 337 <348>).

2. Danach begegnet die Streitwertbemessung bei einem Mahnbescheid nach der geltend gemachten Forderung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

a) Mit einem Mahnbescheid kann ein Gläubiger verschiedene Ziele verfolgen und gegebenenfalls erreichen. Der sich daraus ergebende objektive Wert eines Mahnbescheids geht über den möglicherweise von dem Gläubiger allein verfolgten Wert einer Verjährungsunterbrechung hinaus.

Das Mahnverfahren eröffnet dem Gläubiger einer Geldforderung schnell und einfach ohne mündliche Verhandlung den Weg zur Erlangung eines Vollstreckungstitels. Es ist insbesondere sinnvoll, wenn der Schuldner die Forderung nicht ernstlich bestreitet, sie aber nicht erfüllen will oder kann (vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, vor § 688 Rn. 2). Bei Widerspruch durch den Antragsgegner kann das Verfahren in ein streitiges Zivilprozessverfahren übergeleitet werden, § 696 ZPO. Erhebt der Antragsgegner keinen Widerspruch, kann der Antragsteller nach § 699 ZPO den Erlass eines Vollstreckungsbescheids beantragen. Häufig wird der Antragsgegner bei Zustellung des Mahnbescheids von sich aus die Forderung erfüllen, um höhere Kosten zu vermeiden. Schließlich stellt die Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB einen weiteren Effekt der Zustellung des Mahnbescheids dar.

b) Einer übermäßigen Gebührenhöhe hat der Gesetzgeber auf zweierlei Weise entgegengewirkt. Zum einen ist generell in § 11 Abs. 2 GKG a.F. (jetzt § 34 Abs. 1 GKG n.F.) festgelegt, dass die Gebühren mit steigendem Streitwert nicht proportional höher ausfallen. Zum anderen hat der Gesetzgeber dem Umstand, dass es sich bei dem Erlass eines Mahnbescheids um eine Maßnahme handelt, die zwar unter anderem der Vorbereitung der Erlangung eines Vollstreckungstitels dient, selbst aber noch keine derartigen Rechtswirkungen hat, hinsichtlich der Kosten dadurch Rechnung getragen, dass für den Erlass des Mahnbescheids nur eine halbe Gebühr anfällt, die gemäß KV 1210 noch dazu auf die Verfahrensgebühren bei Durchführung des streitigen Verfahrens angerechnet wird.

c) Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet auch der Umstand, dass der tatsächliche Kostenaufwand des Gerichts bei Erlass des Mahnbescheids geringer sein kann als die Höhe der Kostenforderung. In anderen Verfahren kann das Verhältnis umgekehrt sein.

Das System der Gerichtskosten arbeitet mit Pauschalierungen, also dem Verzicht der Ermittlung des tatsächlichen Kostenaufwands des Gerichts für jeden Einzelfall. Durch die Orientierung der Gebühren am Streitwert wird entsprechender Aufwand vermieden und zugleich in typisierender Weise davon ausgegangen, dass ein höherer Streitwert regelmäßig auch einen größeren gerichtlichen Aufwand bedingt. Zudem wird durch die strikte Orientierung am Streitwert erreicht, dass die Kosten nicht je nach dem konkreten gerichtlichen Aufwand variieren und dass grundsätzlich allen Rechtsuchenden Rechtsschutz gewährt wird, dessen Kosten in einem angemessen Verhältnis zum Wert der jeweiligen Forderung stehen.

3. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin steht der Kostenbetrag (15.728 &euro;) hier nicht außer Verhältnis zu der von ihr geltend gemachten Forderung von 10 Mio. &euro;.

Sieht die Antragsgegnerin sich durch den Mahnbescheid zur freiwilligen Zahlung veranlasst, hat die Beschwerdeführerin ihr Prozessziel erreicht. Im Übrigen bleibt ihr unbenommen, bei Ausbleiben eines Widerspruchs der Antragsgegnerin einen Vollstreckungsbescheid zu beantragen. Gegebenenfalls kann die Beschwerdeführerin ohne finanzielle Nachteile das streitige Verfahren durchführen. Diese Vorteile und Möglichkeiten erhöhen objektiv den Wert des Mahnbescheids über die bloße Verjährungshemmung hinaus beträchtlich, auch wenn die Beschwerdeführerin von ihnen nach ihren Angaben keinen Gebrauch machen will.

Dass der Beschwerdeführerin durch die Höhe der Kosten der Zugang zu den Gerichten verstellt oder die Möglichkeit, einen Mahnbescheid zu beantragen, ausgeschlossen würde, ist nicht ersichtlich und von ihr auch nicht vorgetragen.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.