OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.03.1998 - 15 A 3421/94
Fundstelle
openJur 2012, 77670
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Der Beschluß ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.602,50 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks A 11

in

B (Gemarkung B , Flur 26, Flurstück 128).

Seit 1972/73 bestand die Möglichkeit, geklärte Abwässer in die

öffentliche Abwasseranlage einzuleiten. Erst seit 1991 besteht

die Möglichkeit, auch ungeklärte Abwässer einzuleiten. Der

Beklagte zog den Voreigentümer des Klägers, Herrn C,

mit Bescheid vom 1. August 1974 zu einem

Kanalanschlußbeitrag heran. Wegen des Inhalts des Bescheides

wird auf Bl. 6 und 7 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 12. Februar 1992 zog der Beklagte den

Kläger zur "zweiten Hälfte des Anschlußbeitrags" heran, wobei

er die in dieser Zeit gültige Beitrags- und Gebührensatzung

anwendete und auf dieser Grundlage bei

1.301,25 Verteileranteilen des 1.041 m2 großen Grundstücks und

einem Beitragssatz von 2,00 DM für eine

Teilanschlußmöglichkeit zu einem Teilanschlußbeitrag von

2.602,50 DM kam. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger unter

Hinweis auf die vorhergehende Veranlagung vom 1. August 1974

Widerspruch, den der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom

21. April 1992 zurückwies.

Mit der rechtzeitig erhobenen Klage hat der Kläger die

Aufhebung des Bescheides vom 12. Februar 1992 beantragt. Er

hat vorgetragen: Durch den Bescheid vom 1. August 1974 sei

ohne Vorbehalt einer Nachveranlagung eine abschließende

Regelung über den Kanalanschlußbeitrag getroffen worden, auf

deren Bestand er vertrauen könne. Lediglich die Erhebung des

damals festgesetzten Unterschiedsbetrages sei vorbehalten

worden. Diese Bindung trete auch für ihn, den Kläger, als

Rechtsnachfolger des seinerzeitigen Bescheidadressaten ein, da

sich der Bescheid auf sein Grundstück bezogen habe. Ansonsten

würde er auch gegenüber denjenigen Grundstückseigentümern

benachteiligt, bei denen kein Eigentumswechsel zwischen den

beiden Veranlagungen stattgefunden habe.

Der Kläger hat beantragt,

den Veranlagungsbescheid des

Beklagten vom 12. Februar 1992 in der

Fassung des Widerspruchsbescheides vom

21. April 1992 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen: Erst 1991 seien die Voraussetzungen für

eine Einleitung ungeklärter Abwässer geschaffen worden. Damit

sei die Teilanschlußbeitragspflicht erst in diesem Zeitpunkt

entstanden. Diese bestehe in Höhe von 50 % des vollen Beitrags

im Zeitpunkt der Vollanschlußmöglichkeit. Dem stehe der

Bescheid vom 1. August 1974 nicht entgegen, da er keine

Aussage über den Gesamtbetrag des Kanalanschlußbeitrages,

sondern lediglich über die Hälfte des seinerzeit berechneten

Gesamtbetrages enthalte. Im übrigen entfalte der Bescheid, der

gegenüber Herrn C , nicht gegenüber dem Kläger erlassen

sei, diesem gegenüber keine Wirkungen. Es könne lediglich

geltend gemacht werden, daß der seinerzeitigen Festsetzung der

ersten Hälfte des Beitrages Rechnung zu tragen sei. Dies sei

mit der nunmehrigen Veranlagung berücksichtigt worden. Gründe

für einen Beitragserlaß lägen nicht vor.

Mit der angefochtenen Entscheidung hat das

Verwaltungsgericht der Klage wegen Satzungsmängeln

stattgegeben.

Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte Berufung

des Beklagten, mit der er vorträgt: Inzwischen seien die

Bescheide auf eine neue Satzungsgrundlage gestellt worden, die

die Bedenken des Verwaltungsgerichts ausräumten. Aus dem

Bescheid vom 1. August 1974 könnten keine Folgerungen für den

hier streitigen Beitragsbescheid abgeleitet werden, da es

seinerzeit nur um die Veranlagung bezüglich der Hälfte des

damals geltenden vollen Beitragssatzes gegangen sei, nicht

jedoch um die Festsetzung des vollen Beitrags. Im übrigen sei

eine Nachveranlagung ausdrücklich vorbehalten worden. Die

Festsetzung eines Vollanschlußbeitrages wäre mangels einer

Anschlußmöglichkeit offensichtlich rechtswidrig gewesen. Im

übrigen sei der Bescheid auch nichtig, da die seinerzeit

zugrundegelegte Satzung unwirksam gewesen sei. Hilfsweise

müsse man jedenfalls den Bescheid in einen

Teilanschlußbeitragsbescheid umdeuten. Da ein Beitragsbescheid

die Beitragspflicht nicht konstitutiv begründe, könne auch das

Urteil des Senates vom 28. November 1995 zur Einmaligkeit der

Beitragserhebung keine Bedeutung für den vorliegenden Fall

haben. Dieser Entscheidung habe eine fehlende

satzungsrechtliche Grundlage für die Entstehung der

Beitragspflicht zugrundegelegen, hier gehe es jedoch um das

Fehlen einer Anschlußmöglichkeit als Grund für die

Unmöglichkeit der Entstehung einer Beitragspflicht. Der Kläger

könne aus dem Bescheid gegen Herrn C nichts herleiten,

da er ihm gegenüber nicht ergangen sei. Die der anzuwendenden

Beitragssatzung zugrundeliegende Kalkulation sei

ordnungsgemäß.

Einer Entscheidung nach § 130 a VwGO werde widersprochen.

Wegen der Durchführung eines Erörterungstermins im

vorbereitenden Verfahren sei eine Entscheidung nach § 130 a

VwGO ausgeschlossen. Im übrigen sei der Erörterungstermin

nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, so daß es einer

mündlichen Verhandlung oder aber eines erneuten

Erörterungstermins bedürfe.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des

Verwaltungsgerichts Köln vom 4. Mai

1994 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor: Der Kanalanschlußbeitrag sei endgültig durch

den Bescheid vom 1. August 1974 auf 1.041,00 DM festgesetzt

worden. Dieser Bescheid sei wirksam, da Zweifel an der

Wirksamkeit der zugrundeliegenden Satzung nicht bestünden und

ein Nichtigkeitsgrund nicht vorliege. Die Voraussetzungen für

eine Umdeutung lägen nicht vor. Auch der Gesichtspunkt des

allgemeinen Vertrauensschutzes führe dazu, daß sich der

Beklagte an der Festsetzung des Beitrages für einen

Vollanschluß durch den Bescheid vom 1. August 1974 festhalten

lassen müsse. Die dem angefochtenen Bescheid zugrundegelegte

Beitragssatzung sei unwirksam, da sie nicht durch eine

entsprechende Kalkulation gedeckt sei. Sie wahre nämlich nicht

den ausreichenden Zusammenhang zwischen der Kalkulation und

der aktuellen Satzung, da schon 1994 Kosten für 1995

miteingerechnet worden seien. Auch sei nicht ersichtlich,

warum die ausgewählten Straßenzüge repräsentativ für die

Gemeinde seien.

Am 26. Juni 1997 hat ein Erörterungstermin stattgefunden.

Wegen des Ergebnisses wird auf den Inhalt der Niederschrift

(Blatt 86/87 der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 25. August 1997 hat der Beklagte Herrn C

gegenüber den Bescheid vom 1. August 1974 insoweit mit

Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, als ein Beitrag

von 520,50 DM für die Möglichkeit der Einleitung ungeklärter

Abwässer festgesetzt worden sein sollte. Herr C hat

gegenüber dieser Teilrücknahme auf einen Rechtsbehelf

verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des

Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der

Gerichtsakte und der dazu beigezogenen Unterlagen Bezug

genommen.

II.

Der Senat entscheidet trotz des Widerspruchs des Beklagten

gemäß § 130 a VwGO, dessen Voraussetzungen vorliegen.

Entgegen der Auffassung des Beklagten steht der auf der

Grundlage der §§ 125 Abs. 1, 87 Abs. 1 Nr. 1 VwGO

durchgeführte Erörterungstermin einer Entscheidung ohne

mündliche Verhandlung nicht entgegen.

Vgl. für den weitergehenden Fall

einer Beweisaufnahme BVerwG, Beschluß

vom 31. Januar 1996 - 9 B 417/95 -,

NVwZ 1996, 1102.

Eine Entscheidung nach § 130 a VwGO ist auch nicht deshalb

ausgeschlossen, weil, wie der Beklagte meint, zuvor zumindest

ein erneuter Erörterungstermin durchzuführen sei, da der

Termin vom 26. Juni 1997 nicht ordnungsgemäß durchgeführt

worden sei. Dem steht bereits entgegen, daß die Durchführung

eines Erörterungstermins keine Voraussetzung für eine

Entscheidung nach § 130 a VwGO ist, so daß die vermeintliche

Fehlerhaftigkeit allenfalls einer Verwertbarkeit des

Ergebnisses des Erörterungstermins, wenn es ein solches gäbe,

entgegenstünde.

Davon abgesehen liegt der vom Beklagten gerügte Mangel

nicht vor: Eines Hinweises nach § 102 Abs. 2 VwGO in der

Ladung zum Erörterungstermin, daß bei Ausbleiben eines

Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden

könne, bedurfte es nicht, da die Vorschrift für mündliche

Verhandlungen, in denen allein verhandelt und entschieden

wird, nicht aber für Erörterungstermine gilt. Im übrigen war

für den Beklagten im Termin u. a. der Gemeindedirektor in

Person erschienen, so daß nicht in Abwesenheit des Beklagten

erörtert wurde. Die Prozeßbevollmächtigten des Beklagten sind

keine Beteiligten im Sinne des § 102 Abs. 2 VwGO (vgl. § 63

VwGO). Warum die Durchführung des Erörterungstermins, der im

übrigen ohne Widerspruch seitens der Vertreter des Beklagten

erfolgte, an die Zustimmung der Prozeßbevollmächtigten des

Beklagten gebunden gewesen sein soll, ist nicht ersichtlich.

Die erneute Durchführung eines Erörterungstermins ist auch

nicht deshalb erforderlich, weil wegen der Abwesenheit der

Prozeßbevollmächtigten des Beklagten die Absicht des

Berichterstatters fehlgeschlagen war, die Sach- und Rechtslage

auch und gerade mit den Prozeßbevollmächtigten zu erörtern.

Diese Absicht wurde nämlich dadurch weiterverfolgt und das

damit verfolgte Ziel auch erreicht, daß den

Prozeßbevollmächtigten durch den Berichterstatter eine

schriftliche Zusammenfassung seiner Ausführungen zur Kenntnis-

und Stellungnahme übersandt wurde, auf die hin auch die

Prozeßbevollmächtigten des Beklagten Ausführungen gemacht

haben. Eines erneuten Erörterungstermins bedurfte es daher

unter keinem denkbaren Gesichtspunkt.

Schließlich steht auch die im Laufe des Berufungsverfahrens

verfügte Teilrücknahme des Bescheides vom 1. August 1974

gegenüber Herrn C einer Entscheidung nach § 130 a VwGO

nicht entgegen. Der Anwendungsbereich des § 130 a VwGO ist

nicht auf Fälle beschränkt, in denen der maßgebliche

Sachverhalt gegenüber dem für das angefochtene Urteil

maßgeblichen unverändert geblieben ist. Angesichts der durch

den anwaltlich vertretenen Beklagten wahrgenommenen

Gelegenheit, eine rechtliche Würdigung des neu hinzugetretenen

Sachverhaltselements vorzunehmen, dem von Seiten des Gerichts

in einer mündlichen Verhandlung nichts hinzuzufügen wäre, hält

der Senat eine mündliche Verhandlung nach wie vor für nicht

erforderlich.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das

Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Beitragsbescheid im

Ergebnis zu Recht aufgehoben, da er rechtswidrig ist und den

Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1

VwGO).

Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig, weil der

Kanalanschlußbeitrag für das klägerische Grundstück bereits

vollständig der Höhe nach festgesetzt worden ist, so daß einer

erneuten Festsetzung der Grundsatz der Einmaligkeit der

Beitragserhebung entgegensteht. Dieser Grundsatz besagt, daß

ein Kanalanschlußbeitragsbescheid nicht nur die Festsetzung

eines bestimmten Beitrags, sondern auch die Regelung enthält,

daß hinsichtlich dieses festgesetzten Beitrags die

Beitragspflicht entstanden ist und somit in Zukunft nicht mehr

entsteht.

Vgl. OVG NW, Urteil vom 28. November

1995 - 15 A 179/93 -, NWVBl. 1996, 145

(147).

Hier ist durch den Bescheid vom 1. August 1974 an Herrn C

zwar keine volle Heranziehung für das klägerische

Grundstück hinsichtlich des Kanalanschlußbeitrags erfolgt, da

das Zahlungsgebot sich auf die Hälfte des festgesetzten

Betrags beschränkte und die andere Hälfte vorläufig nicht

fällig werden sollte. Jedoch wurde der Kanalanschlußbeitrag

vollständig festgesetzt, so daß dies der Festsetzung eines

erneuten Beitrags entgegensteht.

Allerdings ist die volle Festsetzung nicht ausdrücklich

erfolgt. Jedoch ergibt sich dieser Inhalt des Bescheides im

Wege der Auslegung. Maßgeblich für den Inhalt eines

Verwaltungsakts ist nämlich nicht das von der Behörde

Gewollte, sondern der Erklärungsinhalt, wie ihn der Adressat

bei objektiver Würdigung verstehen durfte, wobei Unklarheiten

zu Lasten der Verwaltung gehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. September

1988 - 1 C 15.86 -, NJW 1989, 53 (54);

BFH, Urteil vom 18. April 1991

- IV R 127/89 -, BStBl. II 1991, 675

(676); Urteil vom 28. November 1985

- IV R 178/83 -, BStBl. II 1986, 293

(294).

Danach ist durch den Bescheid vom 1. August 1974 der volle

Anschlußbeitrag und nicht - wie es der Beklagte wohl wollte -

nur ein Teilanschlußbeitrag für die Möglichkeit der Einleitung

vorgeklärten Abwassers festgesetzt worden.

Die Festsetzung des vollen Anschlußbeitrags ergibt sich

daraus, daß an keiner Stelle des Bescheids von einem

Teilanschlußbeitrag, sondern nur vom "Kanalanschlußbeitrag",

"Anschlußbeitrag" und von der "Beitragspflicht" die Rede ist.

Die Óberschrift lautet: "Heranziehungsbescheid zur Zahlung

eines Kanalanschlußbeitrags". Im Text wird sodann ausgeführt:

"Für Ihr Grundstück ... erfolgt für den Anschlußbeitrag

folgende Festsetzung:". Sodann wird der volle Beitrag

errechnet, dessen Summe am Ende doppelt unterstrichen

ausgeworfen wird. Im Anschluß daran wird eingeschränkt, daß

wegen der Vorklärungsnotwendigkeit "vorerst nur die Hälfte des

o. g. Betrages ... erhoben" wird. Der Betrag wird dabei

ausgeworfen und ebenfalls doppelt unterstrichen, sodann heißt

es: "Der Unterschiedsbetrag wird nachveranlagt, sobald die

geplante Kläranlage betriebsfertig ist und daher die

Vorklärung auf dem Grundstück entfällt."

Der unbefangene Adressat dieser Verfügung konnte sie bei

objektiver Betrachtung - ungeachtet dessen, daß eine solche

Festsetzung rechtswidrig war - dahin verstehen, daß für das

Grundstück der volle Anschlußbeitrag festgesetzt werden

sollte, jedoch vorläufig nur die Hälfte zu zahlen sei, sich

also das Zahlungsgebot auf die Hälfte beschränke.

Allenfalls ein Fachmann kann aus der Tatsache, daß damals

nur eine Anschlußmöglichkeit für vorgeklärte Abwässer bestand

und der Beklagte sich eine Nachveranlagung für den Fall der

uneingeschränkten Anschlußmöglichkeit vorbehalten hatte,

darauf schließen, daß der Beklagte 1974 nur einen

Teilanschlußbeitrag festsetzen wollte. Allerdings sollte sich

die angekündigte Nachveranlagung auf den Unterschiedsbetrag

beziehen, was im Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt des

Bescheids nur so zu verstehen ist, daß sich die

Nachveranlagung auf den Unterschiedsbetrag von 520,50 DM zu

1.041,-- DM, also auf weitere 520,50 DM beschränken sollte.

Der Inhalt des Bescheides vom 1. August 1974 ist damit

zumindest unklar. Diese Unklarheiten gehen zu Lasten des

Beklagten, der die Formulierung des Bescheides in der Hand

hatte und sich daher für den Bürger verständlich hätte

ausdrücken können.

Der Umstand, daß der Bescheid mit diesem Inhalt

rechtswidrig ist, hat für die Auslegung keine Bedeutung.

Entscheidend ist, daß der Bescheid mit diesem Inhalt erlassen

wurde. Die Einwände des Beklagten, es habe für das Entstehen

der vollen Beitragspflicht an der Vollanschlußmöglichkeit

sowie an einer gültigen Satzung gefehlt und die

Kanalanschlußbeitragspflicht werde nicht konstitutiv durch

einen Beitragsbescheid, sondern durch die Verwirklichung des

Beitragstatbestandes begründet, gehen daher ins Leere. Es geht

nicht darum, ob - was unzweifelhaft nicht der Fall war -

seinerzeit eine Vollbeitragspflicht materiellrechtlich

entstanden war, sondern darum, ob der Bescheid entgegen der

Rechtslage den vollen Beitrag festsetzte mit der Folge, daß

ein weiterer Beitrag nicht festgesetzt werden durfte.

Die darauf beruhende Rechtswidrigkeit macht den Bescheid

nicht nichtig (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG NW i.V.m. § 125

Abs. 1 AO). Nur besonders schwerwiegende und zudem

offenkundige Fehler führen zur Nichtigkeit eines

Verwaltungsakts.

Vgl. zu den Voraussetzungen der

Nichtigkeit im Abgabenrecht BFH,

Beschluß vom 30. November 1987

- VIII B 3/87 -, BStBl. II 1988, 183

(185).

Hier fehlt es jedenfalls an der Offenkundigkeit des

Fehlers. Nur für einen fachlich gebildeten Empfänger ist die

Fehlerhaftigkeit erkennbar.

Die erneute Festsetzung eines Beitrags durch den

angefochtenen Bescheid ist unzulässig; dieses Hindernis wirkt

auch zugunsten des Klägers, obwohl die erste Festsetzung im

Bescheid vom 1. August 1974 nicht an ihn, sondern an seinen

Rechtsvorgänger im Grundeigentum gerichtet war.

Die Festsetzung des Vollanschlußbeitrags im

Beitragsbescheid vom 1. August 1974 bewirkt wegen des aus dem

Grundsatz der Einmaligkeit des Beitrags folgenden Verbots der

Doppelveranlagung, daß die erneute Festsetzung eines Beitrags

(im Gegensatz zur bloßen Nacherhebung hinsichtlich des mit der

ersten Heranziehung bewußt oder unbewußt nicht vollständig

ausgeschöpften Beitrags) ausgeschlossen ist.

Vgl. für das jeweilige Landesrecht

OVG Rheinland-Pfalz, Beschluß vom

30. Juli 1985 - 12 B 42/85 -, KStZ

1986, 16; VGH Baden-Württemberg, Urteil

vom 29. März 1989 - 2 S 43/87 -, VBlBW

1989, 345; so auch schon prOVG, Urteil

vom 18. April 1939 - II. C. 103/38 -,

prOVGE 105, 31 (38f.); offen gelassen

für das Erschließungsbeitragsrecht

BVerwG, Urteil vom 18. März 1988

- 8 C 115.86 -, NVwZ 1988, 938

(940).

Der Grundsatz der Einmaligkeit des Beitrags ergibt sich aus

dem Begriff des Beitrags, dessen Wesen im

Kanalanschlußbeitragsrecht gerade darin besteht, eine

einmalige Abgabe zum Ersatz des Aufwandes für die Herstellung

der Abwasseranlage in ihrer Gesamtheit zu sein.

Vgl. Driehaus, Kommunalabgabenrecht,

Loseblattsammlung (Stand: September

1997), § 8 Rdnr. 8c.

Dies bedeutet, daß die einmal entstandene Beitragspflicht

für das Grundstück (unabhängig von Veränderungen in dessen

Nutzung oder der satzungsrechtlichen Veranlagungsgrundlagen)

nicht noch einmal entsteht, so daß der Beitrag nur einmal

festgesetzt werden darf. Das Verbot der Doppelveranlagung gilt

auch in den Fällen, in denen eine Beitragspflicht

materiellrechtlich nicht entstanden ist (etwa mangels

wirksamer Satzungsgrundlage oder mangels Möglichkeit der

Inanspruchnahme), jedoch ein Beitrag wirksam, wenngleich

rechtswidrig, festgesetzt worden und damit eine

Beitragspflicht formellrechtlich entstanden ist. Für die aus

dem Wesen des Beitrags folgende Einmaligkeit ist es

unerheblich, ob die Beitragspflicht materiellrechtlich oder

formellrechtlich entstanden ist.

Hier ist die Beitragspflicht formellrechtlich entstanden:

Durch den Bescheid vom 1. August 1974 in der oben

vorgenommenen Auslegung ist ein Kanalanschlußbeitrag von

1.041,-- DM für das klägerische Grundstück festgesetzt worden,

nur das (nach der Gesamtregelung wohl auch erst als

fälligkeitsauslösend verstandene) Zahlungsgebot hinsichtlich

des Teilbeitrags für die Möglichkeit der Einleitung

ungeklärter Abwässer ist vorbehalten geblieben. Der Beitrag

als solcher ist damit vollständig festgesetzt und die volle

Beitragspflicht begründet worden. Eine Umdeutung in einen

Teilanschlußbeitragsbescheid, wie es der Beklagte will, ist -

wie später noch ausgeführt wird - nicht möglich.

Der durch den Bescheid vom 1. August 1974 begründete

Vorteil des Ausschlusses einer weiteren Beitragsfestsetzung

wirkt nunmehr gegenüber dem Kläger, obwohl der Bescheid ihm

gegenüber nicht erlassen wurde. Das Verbot der

Doppelveranlagung ist eine durch das Beitragsrecht an die

Festsetzung eines Beitrags für ein bestimmtes Grundstück

geknüpfte Veränderung der Rechtsstellung des

Grundstückseigentümers hinsichtlich zukünftiger Beiträge. Der

Beitrag wird zwar vom in Anspruch genommenen

Grundstückseigentümer persönlich geschuldet, er dient aber dem

Ausgleich eines andauernden grundstücksbezogenen Vorteils, der

allen Rechtsnachfolgern im Grundstückseigentum gleichermaßen

geboten wird.

Vgl. OVG NW, Urteil vom 13. Dezember

1982 - 2 A 1066/82 -, S. 8 des

amtlichen Umdrucks.

Nicht entscheidend ist daher, ob bereits einmal ein Beitrag

gerade gegenüber demselben Grundstückseigentümer festgesetzt

wurde. Das Verbot einer erneuten Beitragsfestsetzung folgt

vielmehr aus dem Umstand, daß der Beitrag bereits einmal für

das Grundstück festgesetzt wurde. Das Verbot der

Doppelveranlagung als begünstigende Wirkung des

Beitragsbescheides ist mithin dinglicher Natur und haftet dem

Grundstück in dem Sinne an, daß dieses

anschlußbeitragsrechtlich veranlagt ist.

Vgl. zur Rechtsfigur des dinglichen

Verwaltungsakts OVG NW, Urteil vom

20. Juni 1991 - 7 A 23/90 -, NWVBl

1992, 322; P. Stelkens/U. Stelkens, in:

Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG,

5. Auflage, § 35 Rdnrn. 192ff.;

Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht

I, 10. Auflage, § 45 Rdnrn. 89 ff.;

Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht,

10. Auflage, § 9 Rdnrn. 56 f.; Henneke,

in Knack u. a., VwVfG, 4. Auflage, § 35

Rdnr. 5.2.7; Kopp, VwVfG, 6. Auflage,

§ 35 Rdnr. 63, 65.

Die begünstigende Wirkung des Beitragsbescheides geht daher

kraft seiner Dinglichkeit auf den Rechtsnachfolger im

Grundstückseigentum über. Der neue Grundstückeigentümer kann

sich gegenüber einer nochmaligen Heranziehung zum

Anschlußbeitrag auf die Vorveranlagung berufen.

Vgl. OVG NW, Urteil vom 13. Dezember

1982 - 2 A 1066/82 -, S. 9 des

amtlichen Umdrucks; zur Rechtsnachfolge

in grundstückbezogene

Ordnungsverfügungen vgl. Urteil vom

23. April 1996 - 10 A 3565/92 -, BauR

1996, 700 (701) m.w.N.

Unerheblich ist, daß der Beklagte den Veranlagungsbescheid

vom 1. August 1974 gegenüber dem seinerzeitigen Adressaten

Herrn

C hinsichtlich der Festsetzung eines Beitrags auch für

die Möglichkeit zur Einleitung ungeklärten Abwassers

zurückgenommen und dieser auf Rechtsmittel dagegen verzichtet

hat. Diese Rücknahme ist dem Kläger gegenüber nämlich

unwirksam. Bei dem Bescheid vom 1. August 1974 handelte es

sich im Zeitpunkt seiner Rücknahme im Verhältnis zum Kläger

als jetzigem Grundstückseigentümer um einen nur begünstigenden

Verwaltungsakt. Er begründete nämlich ihm gegenüber den

rechtlich erheblichen Vorteil (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b

KAG NW i.V.m. § 130 Abs. 2 AO) des Verbots erneuter

Beitragsfestsetzung. Dieses Verbot ist nicht bloß ein rein

tatsächlicher, mittelbarer oder reflexartiger Vorteil für den

jeweiligen Grundstückseigentümer, sondern - wie oben

ausgeführt - ein wesensmäßig mit der Festsetzung eines

Vollanschlußbeitrags verbundener rechtlich erheblicher

Vorteil, der somit einen Kanalanschlußbeitragsbescheid auch zu

einem begünstigenden Verwaltungsakt macht.

Vgl. zur Abgrenzung von rechtlich

unerheblichen vorteilhaften Wirkungen

zu rechtlich erheblichen Vorteilen im

Sinne eines begünstigenden

Verwaltungsakts BVerwG, Beschluß vom

22. Oktober 1992 - 6 B 46.92 -,

Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 304,

S. 218f; Urteil vom 9. Januar 1989

- 6 C 47.86 -, DÖV 1989, 544 (545) für

den umgekehrten Fall rechtlich

unerheblicher Nachteile; OVG NW

Beschluß vom 10. Juni 1988

- 15 B 297/88 -, NVwZ-RR 1989, 558;

Erichsen, in: ders. (Hrsg.),

Allgemeines Verwaltungsrecht,

10. Aufl., § 16 Rdnr. 5; Sachs, in:

Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 5. Aufl.,

§ 48 Rdnrn. 126f.; Klappstein, in:

Knack u.a., VwVfG, 4. Aufl., § 48 Rdnr.

7.2.; Knoke, Rechtsfragen der Rücknahme

von Verwaltungsakten,1989, S. 51.

Daher war der Kläger vom Rücknahmebescheid Betroffener im

Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG NW i.V.m. § 122 Abs.

1 Satz 1 AO, so daß er ihm bekanntzugeben war.

Eine Rücknahme gegenüber dem Kläger war nicht etwa deshalb

entbehrlich, weil dieser sich, nachdem er von ihr Kenntnis

erlangt hatte, nach Treu und Glauben so behandeln lassen

müßte, als wenn sie auch ihm gegenüber bekanntgegeben worden

wäre.

Vgl. Kopp, VwVfG, 6. Aufl., § 41

Rdnr. 19ff.

Richtig ist allerdings, daß einem von einem Verwaltungsakt

Betroffenen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben versagt

sein kann, sich auf die fehlende ordnungsgemäße Bekanntgabe

und damit Wirksamkeit ihm gegenüber zu berufen.

So auch im Steuerrecht, vgl.

Tipke/Kruse, AO, FGO, Loseblattsammlung

(Stand: November 1997), § 4 Rdnr.

66d.

Das setzt aber die Treuwidrigkeit der Berufung auf den

Mangel voraus, an der es hier fehlt. Eine solche

Treuwidrigkeit wird etwa von der Rechtsprechung dann

angenommen, wenn die Behörde irrtümlich den Verwaltungsakt

nicht gegenüber dem richtigen Betroffenen bekanntgibt, dieser

aber objektiv zu erkennen gibt, daß er den Bescheid als gegen

sich gerichtet anerkennt.

BVerwG, Urteil vom 27. November 1981

- 8 B 184.81 -, NVwZ 1982, 193

(194).

Hier liegt zwar ein Irrtum des Beklagten über die

Notwendigkeit der Rücknahme auch gegenüber dem Kläger vor,

dieser hat aber in keiner Weise zu erkennen gegeben, daß er

die Rücknahme als auch gegen sich gerichtet anerkenne. Im

Gegenteil meint er, daß aus der nur gegenüber dem

Voreigentümer Herrn C erklärten Rücknahme, die er als

"Trick" bewertet, keine Rechte zu seinem, des Klägers,

Nachteil, abgeleitet werden könnten.

Anerkannt ist auch, daß dann, wenn der Betroffene nach dem

Verwaltungsakt (Inhalts)Adressat sein sollte und der Bescheid

fehlerhaft zugestellt wurde, jedenfalls die spätere

Geltendmachung der Unwirksamkeit treuwidrig sein kann.

Vgl. OVG Hamburg, Urteil vom

17. Dezember 1991 - OVG Bf VI 53/91 -,

GewArch 1992, 300 (301); BayVGH, Urteil

vom 6. Dezember 1990 - 12 B 88.01730 -,

BayVBl. 1991, 338 (339).

Hier sollte der Kläger nach dem Willen des Beklagten gerade

nicht Adressat sein, so daß keine fehlgeschlagene, sondern

eine bewußt unterlassene Bekanntgabe vorliegt.

Daher liegt auch nicht die ebenfalls anerkannte

Konstellation vor, daß ein Adressat den Zugang des Bescheides

treuwidrig vereitelt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni

1990 - 8 C 22.89 -, BVerwGE 85, 213

(215f.); OVG NW, Urteil vom 12.

September 1976 - II A 1571/75 -, MDR

1977, 1048 (1049).

Schließlich ergibt sich die Treuwidrigkeit der Berufung auf

die fehlende Bekanntgabe der Rücknahme dem Kläger gegenüber

ebenfalls nicht aus dem Umstand, daß sie in einem mehrpoligen

Verhältnis, nämlich im Verhältnis zwischen dem Beklagten, dem

Voreigentümer C und dem Kläger, ausgesprochen wurde.

In einer solchen Konstellation kann sich die Treuwidrigkeit

der Berufung des Dritten, der sichere Kenntnis vom Ergehen des

Bescheides erlangt hat oder hätte erlangen müssen, auf

fehlende Bekanntgabe an ihn, aus dem Verhältnis zwischen dem

Dritten und dem Adressaten des Bescheides ergeben, etwa aus

einem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis.

Vgl. BVerwG, Beschluß vom 28. August

1987 - 4 N 3.86 -, BVerwGE 78, 85

(88f.).

Ein solches Verhältnis zwischen C und dem Kläger

besteht nicht. Es geht nämlich nicht - wie in den anerkannten

Fällen eines nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses - darum,

daß der von dem Verwaltungsakt Begünstigte von jenem im

Vertrauen auf dessen Bestandskraft Gebrauch machen und

entsprechende Vermögensaufwendungen tätigen will, deren

Nutzlosigkeit zu verhindern der Dritte aus dem nachbarlichen

Gemeinschaftsverhältnis durch zumutbares aktives Handeln

verpflichtet ist, sondern allein darum, daß Herr C

von einer ihm gegenüber rechtswidrig erfolgten, belastenden

Beitragsfestsetzung zu Lasten des Klägers befreit werden soll.

Es besteht daher nicht das Erfordernis, daß der Kläger zur

Abwendung von Schäden des Herrn C alsbald gegen die

Rücknahme vorgeht.

Da dem Kläger gegenüber die Rücknahme nicht ausgesprochen

wurde, ist sie ihm gegenüber nicht wirksam geworden (§ 12

Abs. 1 Nr. 3 Buchst b KAG NW i.V.m. § 124 Abs. 1 Satz 1

AO).

Vgl. zur relativen subjektiven

Unwirksamkeit BFH, Urteil vom 5. Juni

1991 - XI R 26/89 -, BStBl. II 1991,

820 (821); Bonk, in: Stelkens/Bonk/

Sachs, VwVfG, 5. Aufl., § 72 Rdnr. 128;

Badura, in: Erichsen (Hrsg.),

Allgemeines Verwaltungsrecht,

10. Aufl., § 38 Rdnr. 20.

Es ist bei dem aus dem nicht wirksam zurückgenommenen

Bescheid vom 1. August 1974 folgenden Verbot der

Doppelveranlagung zugunsten des Klägers verblieben.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 12. Februar 1992 wird

nicht etwa der mit Bescheid vom 1. August 1974 festgesetzte

Vollanschlußbeitrag hinsichtlich des Teilanschlußbeitrags für

die Einleitungsmöglichkeit ungeklärten Abwassers nur im Wege

vollständiger Ausschöpfung des Beitrags nacherhoben, was dem

Verbot der Doppelveranlagung nicht widerspräche. Vielmehr wird

neben dem seiner Zeit zu Unrecht festgesetzten Beitrag ein

weiterer, diesmal aufgrund der am 1. Januar 1991 in Kraft

getretenen Beitragssatzung vermeintlich entstandener Beitrag

festgesetzt.

Schließlich kann der Bescheid vom 1. August 1974 auch nicht

in einen bloßen Teilanschlußbeitragsbescheid umgedeutet werden

(§ 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst b KAG NW i.V.m. § 128 AO). Wie oben

ausgeführt, hat der Bescheid für den Kläger als betroffenen

Grundstückseigentümer die günstige Rechtsfolge, daß für sein

Grundstück der Kanalanschlußbeitrag vollständig festgesetzt

und somit eine erneute Festsetzung ausgeschlossen ist. Die

Umdeutung in einen Teilanschlußbeitragsbescheid ließe diese

Rechtsfolge teilweise entfallen und würde den Kläger damit

ungünstiger stellen, was einer Umdeutung entgegensteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die

Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich

aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision

ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2

VwGO nicht vorliegen. Die Streitwertentscheidung beruht auf

§§ 14 Abs. 1, 13 Abs. 2 GKG.