OLG Bremen, Beschluss vom 14.06.2011 - Ws 61/11
Fundstelle
openJur 2011, 98585
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 62 KLs 913 Js 30894/08

Eine rechtliche Notwendigkeit für die Einschaltung eines Verteidigers in Revisionsverfahren besteht bei der Einlegung der Revision durch die Staatsanwaltschaft solange nicht, wie diese ihre Revision nicht begründet hat. Die durch eine Tätigkeit des Rechtsanwalts entstandenen Auslagen sind dementsprechend nicht erstattungsfähig, wenn die Staatsanwaltschaft die Revision zurücknimmt.

(Leitsätze: ROLG Dr. Gabriele Röfer)

Tenor

Die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafkammer 62 des Landgerichts Bremen vom 24.03.2011 wird als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Die Strafkammer 62 des Landgerichts Bremen (Große Jugendkammer bei dem Amtsgericht Bremerhaven) verhängte gegen den Verurteilten am 30.04.2009 eine Einheitsjugendstrafe von 3 Jahren. Der Verurteilte verzichtete auf die Einlegung eines Rechtsmittels. Die Staatsanwaltschaft Bremen legte noch am Tag der Urteilsverkündung Revision ein. Eine Begründung erfolgte nicht. Nach Zustellung des Urteils und Prüfung der Erfolgsaussichten wurde die Revision mit Schreiben vom 15.06.2009 zurückgenommen. Mit Beschluss vom 17.06.2009 legte die Strafkammer 62 die Kosten des Revisionsverfahrens und die dem Verurteilten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auf.

Mit Schriftsatz vom 16.07.2010 beantragte der Pflichtverteidiger des Verurteilten für seine Tätigkeit im Revisionsverfahren die Festsetzung einer Gebühr gem. Nr. 4131 VV RVG nebst Auslagenpauschale in Höhe von insgesamt 624,74 Euro.

Mit Beschluss vom 04.08.2009 wurden durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die dem Verteidiger aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen in Höhe von 1.601,44 Euro festgesetzt. Dem Verteidiger wurde dabei u. a. eine Gebühr nach Nr. 4131 VV RVG nebst anteiliger Mehrwertsteuer für die Vertretung des Verurteilten im Revisionsverfahren zuerkannt. Auf den erneuten Antrag des Verteidigers vom 21.09.2009 auf Festsetzung von Gebühren im Rahmen des Revisionsverfahrens setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle durch Beschluss vom 03.12.2009 die dem Verteidiger für die Revisionsinstanz aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen nochmals auf 624,75 Euro fest.

Gegen die Beschlüsse der Urkundsbeamtin des Landgerichts Bremen vom 04.08.2009 und 03.12.2009 legte die Bezirksrevisorin als Vertreterin der Staatskasse am 28.09.2010 das Rechtsmittel der Erinnerung ein.

Mit Beschluss vom 19.10.2010 hob die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 03.12.2009 auf und wies den Kostenantrag des Verteidigers vom 21.09.2009 zurück, da ihm die Gebühr nach Nr. 4131 VV RVG bereits im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 04.08.2009 zuerkannt worden war. Der doppelt gezahlte Betrag in Höhe von 624,75 Euro wurde wieder eingezogen. Hinsichtlich der Gebühr nach Nr. 4131 VV RVG für die Revisionsinstanz half die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle der Erinnerung der Bezirksrevisorin vom 28.09.2010 gegen den Festsetzungsbeschluss vom 04.08.2009 nicht ab.

Mit Beschluss vom 13.01.2011 wies die Strafkammer 62 durch Einzelrichterentscheidung die Erinnerung der Bezirksrevisorin vom 28.09.2010 zurück und stellte fest, dass die vom Verteidiger erstrebte Verfahrensgebühr nach Nr. 4131 VV RVG entstanden war und daher zu Recht angewiesen wurde.

Gegen diesen am 20.01.2011 zugestellten Beschluss hat die Bezirksrevisorin mit Schriftsatz vom 24.01.2011 Beschwerde eingelegt und beantragt, die Gebühr nach Nr. 4131 VV RVG abzusetzen. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass der Verteidiger im vorliegenden Fall nicht einmal Kenntnis von der Revisionseinlegung gehabt habe. Die Auffassung des Landgerichts, wonach die Verfahrensgebühr nach Auftrag, den Mandanten im Revisionsverfahren zu verteidigen, für jede auch nur allgemein beratende Tätigkeit entstehe, sei unzutreffend.

Mit Beschluss der Strafkammer 62 des Landgerichts Bremen vom 24.03.2011 wurde nunmehr der Beschwerde der Bezirksrevisorin vom 24.01.2011 gegen den Beschluss des Landgerichts Bremen vom 13.01.2011 abgeholfen. Der Beschluss des Landgerichts Bremen vom 13.01.2011 und der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 04.08.2009 wurden in Höhe des Betrages von 624,75 Euro aufgehoben. Die Einziehung des Betrages in Höhe von 624,75 Euro durch Rechnungsstellung wurde angeordnet.

Gegen diese Entscheidung wendet sich nunmehr der Verurteilte mit der über seinen Verteidiger eingelegten Beschwerde vom 13.04.2011.

II.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist gemäß §§ 56 Abs. 3, 33 Abs. 3 RVG zulässig. Sie erweist sich jedoch als unbegründet. Dem Beschwerdeführer steht kein Anspruch auf Festsetzung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 4131 VV RVG in Höhe von 624,75 Euro gegen die Staatskasse zu.

Zur Begründung wird zunächst auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses der Strafkammer 62 des Landgerichts Bremen vom 24.03.2011 verwiesen.

Eine rechtliche Notwendigkeit für die Einschaltung eines Verteidigers in Revisionsverfahren besteht bei alleinigem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft solange nicht, wie diese ihre Revision nicht begründet hat. Für die Erstattung von bereits zuvor angefallenen Anwaltskosten aus der Staatskasse besteht kein Raum, weil es sich insoweit um keine „notwendigen“ Auslagen im Sinne von § 473 Abs. 2 Satz 1 StPO handelt.

Der Senat schließt sich der in der obergerichtlichen Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung an, dass aus Sicht eines verständigen Rechtsanwalts so lange keine Notwendigkeit für eine anwaltliche Tätigkeit besteht, wie die Staatsanwaltschaft eine von ihr eingelegte Revision nicht begründet hat. Die durch eine Tätigkeit des Rechtsanwalts unter Umständen entstandenen Auslagen sind dementsprechend nicht erstattungsfähig, wenn die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zurücknimmt (OLG Rostock, Beschluss vom 13.07.2009 – 1 Ws 192/09; OLG Koblenz, Beschluss vom 03.07.2006 – 2 Ws 424/06; KG Berlin, Beschluss vom 13.02.2006, 3 Ws 463/05; OLG Köln, Beschluss vom 05.06.2003 – 2 Ws 317/03; OLG Oldenburg, Beschluss vom 21.12.2001 – 1 Ws 647/01; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.03.1999 – 2 Ws 31/99; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.11.1991 – 3 Ws 616/91).

Die Beurteilung der Frage, ob eine von dem Verteidiger entwickelte Tätigkeit angezeigt und notwendig gewesen ist, hat sich an dem vom Gesetz vorgesehenen Gang des Verfahrens zu orientieren. Insoweit sieht die gesetzliche Regelung vor, dass die Revisionsschrift dem Gegner nur dann zugestellt wird, wenn das Rechtsmittel rechtzeitig eingelegt und die Revisonsanträge form- und fristgerecht angebracht worden sind (§ 347 Abs. 1 StPO). Erst wenn das Gericht, dessen Urteil angefochten ist, die Revision bei der ihm zufallenden Vorprüfung für zulässig gehalten und nicht gemäß § 346 Abs. 1 StPO verworfen hat, soll nach der gesetzlichen Regelung der Revisionsgegner von Amts wegen Kenntnis erhalten. Erst von diesem Zeitpunkt ab kann eine sinnvolle und das Verfahren objektiv fördernde – und damit notwendige – Tätigkeit des Verteidigers geboten sein (KG Berlin, a. a. O.; OLG Düsseldorf, a. a. O.).

Sachgerechte und zweckdienliche Tätigkeiten eines verständigen Verteidigers können erst dann angezeigt sein, wenn anhand der Anträge und Begründung (§ 344 StPO) das Ziel und der Umfang der Revisionsangriffe einwandfrei feststellbar sind. Der dann feststehende Gegenstand der Revisionsrügen ermöglicht erst eine auf den Einzelfall bezogene und das weitere Vorgehen präzisierende Beratung des Angeklagten durch den Verteidiger. Vor Zustellung der Revisionsschrift nach § 347 Abs. 1 StPO besteht demgemäß keine Notwendigkeit des Tätigwerdens im Hinblick auf das Revisionsverfahren.

Zwar steht es dem Verurteilten frei, sich schon vor Zustellung der Revisionsschrift mit seinem Verteidiger über die potentiellen und hypothetischen Revisionsangriffe zu beraten und theoretisch eine bestimmte Verteidigungsstrategie zu entwerfen, indessen lösen solche Tätigkeiten des Verteidigers noch keinen Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse aus, wenn die Staatsanwaltschaft die eingelegte Revision ohne Fertigung einer Revisionsschrift wieder zurücknimmt und es demgemäß nicht zur Durchführung des Revisionsverfahrens kommt. Der theoretische und spekulative Charakter von Tätigkeiten des Verteidigers vor Zustellung der Revisionsschrift weist besonders deutlich aus, dass solche gerade nicht zweckentsprechend und sachgerecht sein können. Dem Angeklagten ist ein Abwarten auf den Zeitpunkt der Kenntnis von der Revisionsschrift zumutbar, um sodann mit seinem Verteidiger die notwendigen Maßnahmen zur Verfolgung seiner Interessen und Verwirklichung seiner Verteidigung zu ergreifen. Insoweit ist er durch den gesetzlich vorgesehenen Verfahrensablauf ausreichend geschützt, ohne dass eine Verletzung eigener Rechte denkbar wäre. Der Senat sieht keine Besonderheiten, die vorliegend eine andere Betrachtungsweise rechtfertigen würden.

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).