BAG, Urteil vom 19.02.2008 - 3 AZR 61/06
Fundstelle
openJur 2011, 98289
  • Rkr:
Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 27. Juli 2005 - 6 Sa 16/05 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte den Kläger und gegebenenfalls seine Witwe von Stromkosten freizustellen hat.

Der am 14. August 1940 geborene, verheiratete Kläger war von 1963 bis zum 31. August 1998 bei den Stadtwerken der Stadt G beschäftigt. Bei ihnen handelte es sich zunächst um einen Eigenbetrieb. Nach Umwandlung in eine GmbH firmierte diese in die Beklagte um. Sowohl beim Eigenbetrieb als auch bei der GmbH bestand die ständige Übung, den aktiven Mitarbeitern, Ruheständlern und deren überlebenden Ehegatten vergünstigten Strom zu liefern. Der Preisnachlass belief sich bei den Verbrauchskosten und der Zählermiete auf 50 %.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete durch Auflösungsvertrag vom 31. Januar 1996 "mit Ablauf des 31.08.1998 aus betrieblichen Gründen”. Anfang 1999 wurde die E GmbH (im Folgenden: E) in das Handelsregister eingetragen. Die Beklagte, die R AG und die R G übertrugen ihre der regionalen Energieversorgung dienenden Teilbetriebe auf die E. Sie übernahm die Energieversorgung in diesen Gebieten. Die Beklagte ist Gesellschafterin der E mit einem Geschäftsanteil von 7 %. Gegenwärtig betreibt die Beklagte städtische Bäder, das Sportparadies und ein Blockheizkraftwerk in G. Dessen Energie wird ausschließlich an die R AG und einen Großabnehmer geliefert. Es wird für Sondereinsätze hochgefahren und dient dazu, Stromspitzen abzufangen. Dann speist es gegen Vergütung in das Mittelspannnetz der R-Stromversorgung Em ein. Die Beklagte hat behauptet, dass sie Endkunden nicht mehr beliefert und über eine dafür erforderliche Genehmigung nach § 3 EnWG aF nicht mehr verfügt habe.

Der Kläger bezieht seit Vollendung seines 60. Lebensjahres im Jahre 2000 gesetzliche Altersrente. Zunächst erhielt er von der E auch im Ruhestand vergünstigten Strom zu den bisherigen Konditionen. Die E sieht darin einen Abrechnungsfehler, der auf die übermittelten und nicht korrigierten alten Datensätze zurückzuführen sei. Die vergünstigten Leistungen seien zunächst nicht aufgefallen und erst anlässlich einer Steuerprüfung bemerkt worden. Mit Schreiben vom 22. Oktober 2003 teilte die Beklagte dem Kläger ebenso wie den übrigen Mitarbeitern und Ruheständlern, denen die Energiepreisvergünstigung zugute kam, Folgendes mit:

"...

Mittlerweile hat sich dieses Unternehmen gravierend verändert. Zwar betreibt die GE heute immer noch das Sport-Paradies und die Bäder in G, aber Strom und Erdgas werden mittlerweile von der E GmbH geliefert. Nicht nur für den Gesellschafter der GE, die Stadt G, sondern auch für die früheren und die heutigen Mitarbeiter/-innen war und ist die Konzentration der Energieaktivitäten in der E sicherlich die beste Lösung.

Allerdings haben solche Lösungen auch Nachteile. So mussten wir mittlerweile einsehen, dass eine vergünstigte Energielieferung an aktive und passive Mitarbeiter/-innen der GE ohne lohnsteuerliche Konsequenzen nicht mehr möglich ist, da die GE selbst keine Energie mehr an Endkunden liefert.

Demzufolge wird die Geschäftsführung mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung abschließen, nach der eine steuervergünstigte Energielieferung an aktive und passive Mitarbeiter/-innen rückwirkend zum 31.12.2002 eingestellt wird.

Deswegen müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass auch für Sie zum vorgenannten Termin die vergünstigte Energielieferung durch die E GmbH eingestellt werden muss.

...”

Die daraufhin geschlossene Betriebsvereinbarung vom 17. November 2003 enthält folgende Regelungen:

"Mitarbeiter/-innen

1.

Mitarbeiter/-innen, die am 17.11.2003 beschäftigt sind, erhalten anstelle der bisherigen Vergünstigungen für Energielieferungen eine steuer- und abgabenpflichtige (nicht zusatzversorgungspflichtige) monatliche individuelle persönliche Zulage (IPZ). Die Betriebsvereinbarung gilt nicht für Auszubildende.

2.

Die Höhe der IPZ ermittelt sich aus dem Monatsdurchschnitt des individuell gewährten ‚geldwerten Vorteils’ (im Sinne von § 8 EStG) aus der Gewährung der Energievergünstigungen des Kalenderjahres 2002 zuzüglich 10 %.

...

Pensionäre/Hinterbliebene

1.

Bisherige Vergünstigungen für Energielieferungen an Pensionäre bzw. Hinterbliebene, die bis zum 17.11.2003 solche erhalten haben, entfallen mit dem Inkrafttreten dieser Betriebsvereinbarung.

2.

Anstelle der bisherigen Vergünstigungen für Energielieferungen erhält der berechtigte Personenkreis gem. Ziffer 1 auf Antrag und unter Vorlage einer Lohnsteuerkarte eine steuer- und abgabenpflichtige einmalige individuelle persönliche Zulage (EIPZ).

3.

Die Höhe der EIPZ entspricht dem 30-fachen, des individuell gewährten monatlichen ‚geldwerten Vorteils’ (im Sinne von § 8 EStG) aus der Gewährung der Energievergünstigungen des Kalenderjahres 2002.

...”

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe auf Grund einer betrieblichen Übung den Anspruch auf verbilligte Energielieferungen gegen die Beklagte erworben. Die veränderten Umstände hätten dazu geführt, dass sich der ursprüngliche Leistungsanspruch in einen Freistellungsanspruch verwandelt habe. Dieser Anspruch sei nicht wegen Störung der Geschäftsgrundlage weggefallen.

Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,

1.

die Beklagte zu verurteilen, ihn von Forderungen der E GmbH freizustellen, soweit diese für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2003 mehr als 50 % der gemessenen Energiekosten gegenüber ihm abrechnet,

2.

die Beklagte zu verurteilen, ihn auf Lebenszeit, nach seinem Tod seine Witwe auf Lebenszeit, in Höhe von 50 % von den Kosten der Energielieferung (Strom) durch die E oder einen Nachfolgeversorgungsbetrieb freizustellen,

hilfsweise:

die Beklagte zu verurteilen, ihm weiterhin eine Energiepreisvergünstigung von 50 % entsprechend den bisherigen Bedingungen bei der Energielieferung durch die E GmbH zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie sei nicht zu der geforderten Freistellung verpflichtet. Bei den vergünstigten Energielieferungen habe es sich nicht um eine betriebliche Altersversorgung, sondern um einen Personalrabatt gehandelt. Dessen Gewährung habe erkennbar vorausgesetzt, dass die Beklagte Energie an Endkunden liefere. Nur mit dieser Einschränkung sei eine betriebliche Übung entstanden. Da die Beklagte den mit der Energieversorgung an Endkunden befassten Betriebsteil auf die E übertragen habe, sei der Anspruch des Klägers aus der betrieblichen Übung erloschen. Zu der gleichen Rechtsfolge führten auch die Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage. Der geltend gemachte Freistellungsanspruch lasse sich nicht mit einer ergänzenden Vertragsauslegung begründen. Sie widerspreche dem Sinn und Zweck des Personalrabatts. Durch die vergünstigten Energielieferungen der E sei auch keine neue betriebliche Übung zu Lasten der Beklagten entstanden. Die Energiekostenabrechnung sei nach dem 31. Dezember 1998 ausschließlich im Verhältnis zwischen dem Kläger und der E erfolgt. Das Verhalten der E sei nicht geeignet gewesen, im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten einen Vertrauenstatbestand zu begründen.

Das Arbeitsgericht hat den noch anhängigen Hauptanträgen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt sie ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Freistellungsanspruch zu.

A. Weder mit dem nunmehrigen Hauptantrag zu 1 noch mit dem nunmehrigen Hauptantrag zu 2 hat der Kläger eine Freistellung von den Verbrauchskosten für Erdgas verlangt. Gegenstand des Rechtsstreits sind nur die Kosten der Stromlieferung. Die beiden Anträge beziehen sich lediglich auf unterschiedliche Zeiträume. Inhaltlich stimmen sie überein. Der nunmehrige Hauptantrag zu 1 betrifft die Zeit bis einschließlich 31. Dezember 2003, der nunmehrige Hauptantrag zu 2 die Zeit ab 1. Januar 2004. Der Hauptantrag zu 2 spricht von "Kosten der Energielieferung (Strom)”. Der Klammerzusatz "Strom” erfordert eine entsprechend enge Auslegung. Der Kläger hat klargestellt, dass diese Einschränkung auch für den Hauptantrag zu 1 gilt.

Die Freistellungsklage erstreckt sich auf die Zählermiete. Das Landesarbeitsgericht hat die Zählermiete als Kosten der Stromlieferung angesehen. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, sind die nunmehrigen Hauptanträge zulässig. Über den Hilfsantrag hat der Senat nicht zu entscheiden, weil bereits den Hauptanträgen stattzugeben ist.

B. Die Beklagte ist zu der geforderten Freistellung verpflichtet. Auch sie gewährte nach der Umwandlung des Eigenbetriebs mehr als 20 Jahre lang ihren Arbeitnehmern, Betriebsrentnern und deren hinterbliebenen Ehegatten Vergünstigungen in Höhe von 50 % des üblichen Preises bei Energielieferungen. Dadurch entstanden Ansprüche aus betrieblicher Übung. Dies bezweifelt die Beklagte nicht mehr. Die Parteien streiten noch darüber, welchen Inhalt die betriebliche Übung hat und wie sich die spätere Entwicklung auf die dadurch entstandenen Vertragspflichten auswirkte. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die durch betriebliche Übung geschaffenen Pflichten weder erloschen noch wirksam aufgehoben worden. Die betriebliche Übung umfasst die geforderte Freistellung.

I. Im Bereich der betrieblichen Altersversorgung ist die betriebliche Übung vom Gesetzgeber ausdrücklich als Rechtsquelle anerkannt (§ 1b Abs. 1 Satz 4 BetrAVG). Ob eine betriebliche Übung zustande kam und welchen Inhalt sie hat, unterliegt der vollen revisionsrechtlichen Überprüfung (BAG 28. Juni 2006 - 10 AZR 385/05 - Rn. 39, BAGE 118, 360 mwN unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung). Eine betriebliche Übung wirkt auf alle von ihr erfassten Arbeitsverhältnisse ein; individuelle Einzelheiten werden nicht verhandelt. Sie führt ähnlich wie ein Formulararbeitsvertrag zur Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen und damit zu einer Typisierung (vgl. dazu BAG 25. Juni 2002 - 3 AZR 360/01 - AP BetrAVG § 16 Nr. 50 = EzA BetrAVG § 1 Betriebliche Übung Nr. 3, zu B II 1 der Gründe) .

Bei einer betrieblichen Übung kommt es darauf an, inwieweit die Arbeitnehmer aus dem gleichförmigen, wiederholten Verhalten des Arbeitgebers einen Verpflichtungswillen entnehmen können. Die subjektiven Vorstellungen des Arbeitgebers sind unerheblich (vgl. ua. BAG 19. Mai 2005 - 3 AZR 660/03 - AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 71 = EzA BetrAVG § 1 Betriebliche Übung Nr. 6, zu II 4 a der Gründe mwN) .

Für den Inhalt der betrieblichen Übung ist nicht nur das tatsächliche Verhalten des Arbeitgebers entscheidend. Auch Art, Bedeutung und Begleitumstände der üblich gewordenen Leistung sind zu berücksichtigen. Daraus können sich im Einzelfall Bedingungen, Änderungs- oder Widerrufsvorbehalte ergeben (BAG 29. April 2003 - 3 AZR 247/02 - EzA BetrAVG § 1 Betriebliche Übung Nr. 4, zu I 2 der Gründe). Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass es im vorliegenden Fall nicht zu einer derartigen Einschränkung der betrieblichen Übung gekommen ist.

1. Die Beklagte hat sich nach ihrem Vortrag in den Vorinstanzen wie folgt verhalten: Wohnten die Arbeitnehmer, Betriebsrentner oder überlebenden Ehegatten außerhalb des Versorgungsgebiets der Arbeitgeberin, so erhielten sie dann eine Vergünstigung, wenn die Arbeitgeberin mit den örtlichen Energieversorgern ein Gegenseitigkeitsabkommen abgeschlossen hatte und eine Verrechnung der wechselseitigen Leistungen über die gemeinsame Verrechnungsstelle möglich war. Daraus sei zu ersehen gewesen, dass die Beklagte dem "integrierten Abrechnungsverfahren” eine maßgebliche Bedeutung für die Gewährung der Vergünstigung beigemessen habe. Die Teilnahme an diesem Verfahren habe vorausgesetzt, dass die Beklagte die Arbeitnehmer anderer Energieversorger mit Strom beliefere. Sei die Beklagte kein Endversorger mehr, so scheide die für wesentlich gehaltene Verrechnung aus.

Dieses Hindernis beruht im vorliegenden Fall jedoch nicht auf einer persönlichen Entscheidung der Arbeitnehmer, Betriebsrentner oder ihrer überlebenden Ehegatten, sondern auf einer unternehmerischen Entscheidung der Arbeitgeberin. Dass auch für diesen Fall - und zwar unabhängig von den für die Störung der Geschäftsgrundlage geltenden Grundsätzen - ein Widerrufsrecht bestehen soll, ließ sich nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit dem Verhalten der Arbeitgeberin und den Begleitumständen entnehmen.

a) Bereits vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (1. Januar 2002) und damit der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB hat die Rechtsprechung verlangt, dass die eine betriebliche Übung oder eine Gesamtzusage einschränkenden Vorbehalte zwar nicht ausdrücklich formuliert, aber deutlich zum Ausdruck gebracht werden müssen (vgl. ua. BAG 5. Februar 1971 - 3 AZR 28/70 - BAGE 23, 213, zu I 2 c der Gründe; 12. Januar 1994 - 5 AZR 41/93 - AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 43 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 30, zu I 2 der Gründe). In diesem Zusammenhang gewinnen auch die Besonderheiten der gewährten Leistung und die Reaktion der Beklagten auf die veränderten Umstände Bedeutung. Vor diesem Hintergrund war es für die Versorgungsberechtigten zumindest nicht hinreichend klar erkennbar, dass die Beklagte die Vergünstigung mit einem Widerrufsvorbehalt oder einer auflösenden Bedingung verknüpfen wollte.

aa) Die Vergünstigung ist als Personalrabatt anzusehen, obwohl sie den Arbeitnehmern, die außerhalb des Versorgungsgebiets der Beklagten wohnten, von den am "integrierten Abrechnungsverfahren” teilnehmenden örtlichen Energieversorgern gewährt wurde.

Die Einräumung von Personalrabatten verpflichtet den Arbeitgeber, mit den Arbeitnehmern die für den Bezug der Vergünstigung erforderlichen Rechtsgeschäfte abzuschließen. Wird der Personalrabatt unternehmensübergreifend für Konzernprodukte eingeräumt, so hat der Arbeitgeber dafür einzustehen, dass der Arbeitnehmer die preisermäßigten Waren oder Dienstleistungen erhält. Im vorliegenden Fall konnte die für die Vergünstigung maßgebliche Energielieferung von einem konzernfremden Versorger bezogen werden.

bb) Diese weitgehende Abkoppelung von der Eigenproduktion führt dazu, dass ein Großteil der für Personalrabatte typischen Zwecke im vorliegenden Fall keine wesentliche Bedeutung gewinnt. Der Bezug von Fremdleistungen fördert die Identifikation mit den Produkten der Arbeitgeberin und ihres Konzerns nicht oder zumindest deutlich schwächer. Der "psychologische Zusammenhang zwischen Produkten aus eigener Produktion und dem Recht, eben diese Produkte erwerben und nutzen zu können” (vgl. BAG 7. September 2004 - 9 AZR 631/03 - BAGE 112, 23, zu II 1 b aa der Gründe), ist kaum vorhanden. Das mit der Einräumung von Personalrabatt häufig verfolgte Ziel der Absatzsicherung und Umsatzsteigerung spielte im vorliegenden Fall wegen des früher geltenden Gebietsmonopols der Energieversorger keine entscheidende Rolle.

cc) Das Verrechnungsverfahren ermöglichte es allerdings dem Arbeitgeber, die Sachleistungen indirekt aus eigenen Mitteln zu überlassen. Diese Möglichkeit entfiel mit der Einstellung der eigenen Endversorgung durch die Arbeitgeberin. Trotzdem gewährt die Beklagte den aktiven Mitarbeitern die Vergünstigung in modifizierter Form weiter (Nr. 1 ff. der Betriebsvereinbarung vom 17. November 2003), während die Betriebsrentner lediglich eine einmalige Ausgleichszahlung erhalten sollen (Abschnitt Pensionäre/Hinterbliebene der Betriebsvereinbarung vom 17. November 2003). Dies deutet darauf hin, dass nach der Vorstellung und dem Willen der Beklagten die Aufgabe der Endversorgung weder eine auflösende Bedingung für die Gewährung der Vergünstigung noch ein Widerrufsrecht auslöste, sondern eine Anpassung der bisherigen Leistung erforderlich machte.

b) Das Schreiben der Beklagten vom 22. Oktober 2003, das dem Abschluss der Betriebsvereinbarung vorausging, führt zu keiner anderen Beurteilung. Darin hatte die Arbeitgeberin mitgeteilt, dass die "steuervergünstigte Energielieferung an aktive und passive Mitarbeiter/-innen rückwirkend zum 31.12.2002 eingestellt wird”. In diesem Schreiben wurde nicht die frühere Verrechnungsmöglichkeit im Rahmen des "integrierten Abrechnungsverfahrens”, sondern die steuerliche Rechtslage als entscheidend angesehen. Ein Widerrufsrecht oder eine Störung der Geschäftsgrundlage ergibt sich nicht daraus, dass die Vergünstigung steuerrechtlich anders zu behandeln ist als früher. Eine Änderung der steuerrechtlich relevanten Verhältnisse führt dazu, dass die Begünstigten die anfallende Lohnsteuer übernehmen müssen. Denn Nettolohnvereinbarungen sind nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Eine entsprechende Vereinbarung war nicht getroffen worden. Eine derartige Verpflichtung ist auch nicht durch betriebliche Übung entstanden.

2. Das Verhalten der Beklagten seit der Übertragung der Endkundenbelieferung auf die E und seit dem Wegfall der dafür erforderlichen Genehmigung ist zum einen bei der Auslegung der bestehenden betrieblichen Übung zu beachten und konnte zum anderen eine weitergehende betriebliche Übung begründen. Im vorliegenden Fall wurde die Vergünstigung mehr als vier Jahre lang weiter gewährt. Den Rabatt erhielten die Begünstigten zwar von der E. Dies beruhte aber auf einem Verhalten der Beklagten. Von einem derartigen Zusammenhang konnten auch die Begünstigten ausgehen.

Die Beklagte hatte die bisherigen Datensätze an die E weitergegeben. Nachdem die Beklagte keine Endkunden mehr belieferte und das bisherige Verrechnungsverfahren nicht mehr möglich war, sorgte sie nicht für eine Einstellung oder Veränderung der bisherigen Vergünstigungen. Dadurch löste sie für einen Zeitraum von mehr als vier Jahren die Beibehaltung der Vergünstigungen aus. Die begünstigten Arbeitnehmer und die Betriebsrentner konnten nicht erkennen, dass es sich dabei um einen Irrtum handelte. Deshalb kann es offenbleiben, ob die Weitergewährung der Vergünstigung überhaupt irrtümlich erfolgte und der diesbezügliche Vortrag der Beklagten substantiiert ist. Gegen einen Irrtum spricht die Formulierung im Schreiben vom 22. Oktober 2003: "... mussten wir mittlerweile einsehen”. In diesem Schreiben wird nur auf die - rechtlich unerhebliche - Fehleinschätzung der steuerlichen Rechtslage abgestellt.

II. Der Umstand, dass die Beklagte nicht mehr Endkunden mit Energie versorgt, hat wegen des Inhalts der betrieblichen Übung weder zu einer ergänzenden Vertragsauslegung noch zu einer Störung der Geschäftsgrundlage geführt.

Die betriebliche Übung bestand - jedenfalls seit Anfang 1999 - darin, dass die Beklagte den Begünstigten die Einräumung von Rabatten bei den Energielieferungen der E verschaffte und zwar auf einem Wege, der eine Vorfinanzierung durch die Begünstigten ausschloss. Dies bedeutete - zumindest im wirtschaftlichen Ergebnis - eine Freistellung von Ansprüchen auf Zahlung höherer Energiepreise. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Freistellungsanspruch dem Schuldner die Wahl lässt, wie er die Befreiung vornehmen will (BGH 11. April 1984 - VIII ZR 302/82 - BGHZ 91, 73, zu B I 3 der Gründe). Der Schuldner kann beispielsweise nach § 267 BGB als Dritter zahlen, mit dem Gläubiger eine Schuldübernahme (§ 414 BGB) oder einen Erlass (§ 397 BGB) vereinbaren.

III. Durch die Betriebsvereinbarung vom 17. November 2003 ist der Freistellungsanspruch des Klägers nicht wirksam beseitigt worden.

1. Den Betriebspartnern steht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Regelungskompetenz für bereits ausgeschiedene Arbeitnehmer zu (vgl. ua. BAG 16. März 1956 - GS 1/55 - BAGE 3, 1; 13. Mai 1997 - 1 AZR 75/97 - AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 65 = EzA BetrVG 1972 § 77 Ruhestand Nr. 1, zu I 2 der Gründe). Diese Auffassung wird für die betriebliche Altersversorgung im Schrifttum zunehmend kritisiert (vgl. ua. Fitting BetrVG 23. Aufl. § 77 Rn. 39 mwN). Der Senat hat mehrfach offengelassen, ob den Betriebspartnern eine Regelungszuständigkeit auch für die Betriebsrentner und die ausgeschiedenen Versorgungsanwärter zusteht (vgl. ua. 28. Juli 1998 - 3 AZR 357/97 - BAGE 89, 279, zu I 5 der Gründe). Auch im vorliegenden Fall muss diese Frage nicht entschieden werden.

2. Die in der Betriebsvereinbarung vorgesehenen Änderungen halten weder dem kollektiven Günstigkeitsvergleich noch der gebotenen Inhaltskontrolle stand.

a) Die betriebliche Übung ist ebenso wie die arbeitsvertragliche Einheitsregelung und die Gesamtzusage ein individualrechtliches Gestaltungsmittel mit kollektivem Bezug. Für ihr Verhältnis zu einer nachfolgenden Betriebsvereinbarung gilt nicht das Ablösungsprinzip (Zeitkollisionsregel), sondern grundsätzlich ein modifiziertes Günstigkeitsprinzip (ständige Rechtsprechung seit BAG GS 16. September 1986 - GS 1/82 - BAGE 53, 42). Die Regelungen der neuen Betriebsvereinbarung dürfen gegenüber der bisherigen betrieblichen Übung für die Gesamtheit der von ihr erfassten Arbeitnehmer nicht ungünstiger sein (sog. kollektiver Günstigkeitsvergleich). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt.

Ein kollektives Günstigkeitsprinzip erübrigt sich, wenn die vertragliche Regelung "betriebsvereinbarungsoffen” ist, der Arbeitgeber ein ihm zustehendes Gestaltungsrecht ausübt oder eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage zu erfolgen hat. Dies ist hier nicht der Fall. Die Geschäftsgrundlage ist nicht gestört. Die vorliegende betriebliche Übung enthält auch keinen zur Betriebsvereinbarungsoffenheit führenden ausdrücklichen oder stillschweigenden Änderungsvorbehalt. Die Wirksamkeit von Betriebsvereinbarungen, die nach der Verkündung des Beschlusses des Großen Senats vom 16. September 1986 (- GS 1/82 - BAGE 53, 42) abgeschlossen worden sind, ist nach den Grundsätzen dieses Beschlusses zu beurteilen. Nicht entscheidend ist, wann die vertragliche Regelung mit kollektivem Bezug zustande kam (vgl. BAG 20. November 1990 - 3 AZR 573/89 - BAGE 66, 228, zu B II der Gründe). Letztlich kommt es auch darauf nicht an.

b) Bei der Inhaltskontrolle ist zu beachten, dass die vorliegende Vergünstigung zur betrieblichen Altersversorgung zählt. Ein tragfähiger Grund für die Einschränkung der betrieblichen Altersversorgung fehlt.

aa) Die dem Kläger gewährte Vergünstigung wird durch ein biometrisches Risiko, hier das Erreichen des Rentenalters und den Eintritt in den Ruhestand ausgelöst. Unerheblich ist es, dass derartige Leistungen auch den aktiven Mitarbeitern gewährt werden (BAG 12. Dezember 2006 - 3 AZR 476/05 - AP BetrAVG § 1 Nr. 45 = EzA BetrAVG § 1 Nr. 89, zu B II 1 der Gründe) .

Den Urteilen vom 11. August 1981 (- 3 AZR 395/80 - BAGE 36, 39) und vom 2. Dezember 1986 (- 3 AZR 123/86 - AP BGB § 611 Deputat Nr. 9 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 46) lässt sich nicht entnehmen, dass der Senat die vorliegende Vergünstigung nicht als betriebliche Altersversorgung angesehen hat. In diesen Entscheidungen ist diese Frage nicht weiter problematisiert worden; denn sie ist in diesen Rechtsstreitigkeiten nicht entscheidungserheblich gewesen.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Leistungsbegriff des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG weit auszulegen (BAG 12. Dezember 2006 - 3 AZR 476/05 - AP BetrAVG § 1 Nr. 45 = EzA BetrAVG § 1 Nr. 89). Nicht nur Sach- und Nutzungsleistungen, sondern auch die im Ruhestand gewährten Personalrabatte werden erfasst. Sie verbessern den Lebensstandard im Versorgungsfall und dienen damit dem Versorgungszweck.

bb) Wie der Pensions-Sicherungs-Verein die vorliegende Vergünstigung in seinem Merkblatt eingeordnet hat, spielt keine Rolle. Das Merkblatt gibt lediglich die vom Pensions-Sicherungs-Verein vertretene Rechtsauffassung wieder. Ob sie richtig ist, hat der Senat zu überprüfen. Der Pensions-Sicherungs-Verein hat das Betriebsrentengesetz zu vollziehen.

cc) Ebenso ist es unerheblich, dass die Beklagte die Vergünstigung den vor Eintritt eines Versorgungsfalles aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmern grundsätzlich nicht gewährte, selbst wenn sie eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft erworben hatten. Dass sich die Beklagte nicht an die gesetzlichen Unverfallbarkeitsvorschriften hielt, ist kein geeignetes Abgrenzungskriterium. Entscheidend ist, ob die gewährte Leistung nach den gesetzlichen Maßstäben zur betrieblichen Altersversorgung zählt. Die gesetzlichen Unverfallbarkeitsvorschriften stehen nicht zur Disposition der Arbeitsvertragsparteien (§ 17 Abs. 3 BetrAVG).

dd) Unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang Leistungen der betrieblichen Altersversorgung mit einer auflösenden Bedingung verknüpft werden dürfen, kann im vorliegenden Fall offenbleiben. Wie ausgeführt, ist die den Ruheständlern gewährte Vergünstigung jedenfalls nicht hinreichend deutlich davon abhängig gemacht worden, dass die Beklagte Endkunden mit Strom versorgt.

ee) Einschnitte in die Versorgungsrechte müssen den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen. Diese Grundsätze hat der Senat durch ein dreistufiges Prüfungsschema präzisiert (ständige Rechtsprechung seit 17. April 1985 - 3 AZR 72/83 - BAGE 49, 57, zu B II 3 c der Gründe). Es ist auf die Höhe von Versorgungsanwartschaften zugeschnitten. Bei Änderungen der Versorgungsregelungen nach Eintritt eines Versorgungsfalles ist auf die dem Prüfungsraster zugrunde liegenden Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zurückzugreifen (vgl. ua. BAG 9. November 1999 - 3 AZR 432/98 - BAGE 92, 358, zu B I 3 der Gründe; 21. November 2000 - 3 AZR 91/00 - AP BetrAVG § 1 Hinterbliebenenversorgung Nr. 21 = EzA BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 26, zu II 3 der Gründe mwN). Sie führen dazu, dass nach Eintritt eines Versorgungsfalles in der Regel nur noch geringfügige Verschlechterungen gerechtfertigt sein können (BAG 12. Oktober 2004 - 3 AZR 557/03 - BAGE 112, 155, zu I 2 a der Gründe). Diese Grenze ist jedoch überschritten.

IV. Da der gewährte Rabatt zur betrieblichen Altersversorgung zählt und der Kläger vorzeitig ausschied, stellt sich die Frage, ob diese Leistung nach § 2 Abs. 1 BetrAVG zeitanteilig gekürzt werden darf. In der Regel gewährte die Beklagte vorzeitig ausgeschiedenen Arbeitnehmern trotz unverfallbarer Versorgungsanwartschaft überhaupt keinen Rabatt. Daraus ergibt sich, dass sie in der Regel umso weniger auf eine zeitanteilige Kürzung verzichten wollte. Dem Kläger gegenüber, der auf Grund eines Auflösungsvertrages nach Vollendung des 58. Lebensjahres ausschied, verhielt sich die Beklagte jedoch anders. Im Schreiben vom 22. Oktober 2003 berief sie sich nicht auf dessen vorzeitiges Ausscheiden. Sie behandelte ihn vielmehr ebenso wie die betriebstreuen Betriebsrentner. Auch ihm gegenüber machte sie lediglich geltend, dass künftig eine vergünstigte Energielieferung ohne lohnsteuerrechtliche Konsequenzen nicht mehr möglich sei. Für die Vergangenheit sollte dem Kläger die volle Vergünstigung verbleiben. Für die Zukunft bot ihm die Beklagte den vollen Ausgleichsbetrag in Höhe des 30fachen monatlichen geldwerten Vorteils des Jahres 2002 an. Damit verzichtete die Beklagte auf eine zeitanteilige Kürzung der Vergünstigung.

Reinecke

Kremhelmer

Zwanziger

EhRi Ludwig ist wegen Ablaufs seiner Amtszeit an der Unterschrift gehindert. Reinecke

Schepers