BAG, Urteil vom 26.08.2008 - 1 AZR 349/07
Fundstelle
openJur 2011, 97370
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 15. März 2007 - 11 Sa 1364/06 - aufgehoben.

II. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 15. November 2006 - 15 Ca 5371/06 - abgeändert:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger wird verurteilt, an die Beklagte

11.187,11 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Januar 2007 zu zahlen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Berechnung von Sozialplanleistungen.

Der im Februar 1949 geborene Kläger war seit dem 1. Oktober 1996 in der Düsseldorfer Niederlassung der Beklagten als Financial Advisor (FA) tätig. Er erhielt neben der monatlichen Grundvergütung einen jährlichen Bonus. Dessen Höhe richtete sich nach dem im Bezugsjahr erwirtschafteten Umsatz. Der Anspruch war jeweils im ersten Quartal des Folgejahres fällig und stand unter der Bedingung, dass zum Zeitpunkt der Auszahlung weder der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt hat.

Im September 2004 entschloss sich die Beklagte, ihre vier deutschen Niederlassungen zu schließen. Damit war der Verlust von insgesamt 64 Arbeitsplätzen verbunden. Am 2. Dezember 2004 schloss sie mit dem Gesamtbetriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan. Der Sozialplan enthält ua. folgende Regelungen:

" § 2 1. Die Mitarbeiter, die ihr 65. Lebensjahr bei Ausscheiden noch nicht vollendet haben und deren Anstellungsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen gekündigt wird oder die aufgrund eines Aufhebungsvertrages ausscheiden, erhalten eine Abfindung nach folgender Formel: a) Einen Grundabfindungsbetrag von EUR 10000 brutto für FAs, von EUR 15000 brutto für Mitarbeiter im Administrationsbereich. b) Einen Steigerungsbetrag, der sich wie folgt errechnet: Betriebszugehörigkeit x Monatsentgelt x Lebensalter 36 (jedoch mindestens ein Monatsentgelt pro Jahr der Betriebszugehörigkeit) ... § 3 1. Auf Wunsch des betroffenen Mitarbeiters kann, wenn dringende betriebliche Belange nicht entgegenstehen, die Zeit bis zum Ablauf der individuellen Kündigungsfrist einvernehmlich verkürzt werden. In diesem Fall erhöht sich die Abfindung nach § 2 um 75 % der zwischen dem vorzeitigen Ausscheiden und dem Datum des fristgerechten Ausscheidens ansonsten angefallenen Monatsentgelte. ... ... § 4 1. B behält sich vor, die Mitarbeiter unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche unter Fortzahlung des Monatsentgelts (§ 5 d), welches allen FAs ab dem Tag der Freistellung bzw. spätestens ab dem 15. Oktober 2004 als monatliches Mindestentgelt zu gewähren ist, von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freizustellen. ... 3. FAs erhalten für 2004 - gleich ob gekündigt oder ungekündigt - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen den "annual production bonus". § 5 Zur Vermeidung von Streitfragen werden folgende Definitionen getroffen: ... d) "Monatsentgelt" bedeutet bei (a) FAs die in den Jahren 2001, 2002 und 2003 erzielte Vergütung geteilt durch 36 und bei (b) Mitarbeitern aus dem Administrationsbereich die im Jahre 2003 erzielte Vergütung geteilt durch 12. Lohnausfallzeiten werden nicht berücksichtigt."

Der Kläger war vom 15. Oktober 2004 bis zum 31. Dezember 2004 unter Fortzahlung seiner Vergütung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt. Er erhielt in dieser Zeit monatlich 7.694,00 Euro brutto. Unter dem 8./14. Dezember 2004 schlossen die Parteien einen schriftlichen Aufhebungsvertrag, nach dem das Arbeitsverhältnis mit dem 31. März 2005 enden werde, der Kläger unter Fortzahlung seiner "Vergütung entsprechend der Regelung in § 4 Abs. 1 des Sozialplans vom 2-Dec-04" unwiderruflich von der Arbeit freigestellt bleibe, für den Verlust seines Arbeitsplatzes eine Abfindung entsprechend dem Sozialplan in Höhe von 111.941,00 Euro brutto erhalte, die sich im Falle der vorzeitigen Beendigung vor dem 31. März 2005 entsprechend § 3 Abs. 1 des Sozialplans erhöhe. Auf Wunsch des Klägers endete das Arbeitsverhältnis vorzeitig am 31. Dezember 2004. Bereits Anfang November 2004 hatte die Beklagte ihren Mitarbeitern eine in englischer Sprache verfasste, als "Employee Summary" bezeichnete - im Verfahren nicht in die deutsche Sprache übersetzte - Aufstellung überreicht.

Der Kläger hatte einschließlich der jeweiligen Bonuszahlung einen Gesamtbruttoverdienst in Höhe von 144.715,03 Euro im Jahr 2001, in Höhe von 74.396,00 Euro im Jahr 2002 sowie in Höhe von 77.614,00 Euro im Jahr 2003. Hiernach errechnet sich für die Jahre 2001 bis 2003 ein durchschnittliches monatliches Entgelt von 8.242,36 Euro. Wird die Bonuszahlung nicht den Einkünften im Jahr der Auszahlung, sondern dem Bezugszeitraum und damit dem jeweiligen Vorjahr zugeordnet, ergibt sich für den 3-Jahreszeitraum ein durchschnittliches Monatsentgelt von 7.694,00 Euro. Diesen Betrag hatte die Beklagte der Berechnung der an den Kläger ausgezahlten Abfindung zugrunde gelegt.

Mit seiner Klage hat der Kläger gestützt auf § 2 Nr. 1 b des Sozialplans einen weiteren Abfindungsanspruch in Höhe von 7.333,23 Euro brutto, unter Berufung auf § 3 Nr. 1 des Sozialplans wegen seines vorzeitigen Ausscheidens zum 31. Dezember 2004 eine Erhöhung des Abfindungsanspruchs um 1.233,81 Euro brutto sowie nach § 4 Nr. 1 des Sozialplans für die Zeit seiner Freistellung vom 15. Oktober 2004 bis zum 31. Dezember 2004 einen restlichen Entgeltanspruch in Höhe von 1.370,90 Euro brutto geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, bei der Berechnung der Ansprüche aus dem Sozialplan sei ein Monatsentgelt in Höhe von 8.242,36 Euro brutto und nicht ein solches von 7.694,00 Euro brutto maßgeblich. "Erzielte Vergütung" iSv. § 5 Buchst. d des Sozialplans seien die im jeweiligen Kalenderjahr tatsächlich geleisteten Zahlungen. Hinsichtlich der Boni komme es daher nicht auf das Bezugsjahr, sondern auf das Jahr der Auszahlung an.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.937,94 Euro brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31. Dezember 2004 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Im Hinblick darauf, dass sie am 15. Januar 2007 zur Abwendung der Zwangsvollstreckung an den Kläger einschließlich Zinsen 11.187,11 Euro gezahlt hatte, hat sie in der Berufungsinstanz widerklagend beantragt,

den Kläger zu verurteilen, an sie 11.187,11 Euro nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Januar 2007 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, "erzielt" im Sinne des Sozialplans sei die Vergütung dann, wenn sie erarbeitet sei. Auf den Zeitpunkt der Auszahlung der Boni komme es nicht an. Hierauf seien die Mitarbeiter bereits in dem bei den Sozialplanverhandlungen auch dem Gesamtbetriebsrat vorgelegten "Employee Summary" hingewiesen worden.

Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten - auch hinsichtlich der Widerklage - zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren und die Widerklage weiter.

Gründe

Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht der Klage entsprochen und die Widerklage abgewiesen. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu.

I. Die Klage ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen unbegründet. Die Ansprüche des Klägers auf eine Abfindung nach § 2 Nr. 1 b des Sozialplans, auf eine Erhöhung des Abfindungsanspruchs wegen vorzeitigen Ausscheidens gemäß § 3 Nr. 1 des Sozialplans sowie auf Fortzahlung des Entgelts für die Zeit der Freistellung gemäß § 4 Nr. 1 des Sozialplans sind erfüllt. Die Beklagte hat bei deren Berechnung zu Recht ein Monatsentgelt von 7.694,00 Euro zugrunde gelegt. Sie ist zutreffend davon ausgegangen, dass nach dem Sozialplan die an die FA gezahlten jährlichen Boni dem Bezugsjahr und nicht dem Auszahlungsjahr zuzuordnen sind. Das ergibt die Auslegung der in § 5 Buchst. d des Sozialplans getroffenen Regelung.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind Sozialpläne als Betriebsvereinbarungen besonderer Art wegen ihrer aus § 77 Abs. 4 Satz 1, § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG folgenden normativen Wirkung wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen. Auszugehen ist dementsprechend zunächst vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Von besonderer Bedeutung sind ferner Sinn und Zweck der Regelung. Der tatsächliche Wille der Betriebsparteien ist zu berücksichtigen, soweit er in dem Regelungswerk seinen Niederschlag gefunden hat. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (vgl. etwa BAG 13. März 2007 - 1 AZR 262/06 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 183 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 22, zu I der Gründe mwN) .

2. Hiernach erweist sich die von der Beklagten vertretene Auslegung des § 5 Buchst. d des Sozialplans als zutreffend.

a) Der Wortlaut des § 5 Buchst. d des Sozialplans gebietet kein bestimmtes Ergebnis. Er lässt ein Verständnis dahin zu, dass der Jahresbonus erst dann "erzielt" ist, wenn die entsprechende Zahlung dem Arbeitnehmer zufließt. Ebenso gestattet er ein Verständnis, wonach der Bonus auf die dafür erbrachte (Arbeits-)Leistung bezogen ist, also durch diese "erzielt" wird. Der Begriff des "Erzielens" hat einen handlungs- und einen erfolgsbezogenen Aspekt. Dementsprechend kann unter einer "erzielten Vergütung" sowohl die tatsächlich erhaltene als auch die erarbeitete Vergütung verstanden werden. Hätten die Betriebsparteien in § 5 Buchst. d des Sozialplans die Auszahlung und nicht den Erfolg im maßgeblichen Bezugszeitraum als entscheidend angesehen, hätte es allerdings nahe gelegen, statt des Begriffs "erzielt" die Worte "bezahlt" oder "erhalten" zu verwenden. Die für die Auslegung des Landesarbeitsgerichts ausschlaggebende Erwägung, Anspruchsvoraussetzung für den Jahresbonus sei nicht nur der von dem Arbeitnehmer im Bezugsjahr erwirtschaftete Umsatz, sondern auch die im Auszahlungsjahr erbrachte Betriebstreue, ist demgegenüber nicht zwingend. Der Schwerpunkt der Boni liegt eindeutig in ihrer Vergütungsfunktion. Dies wird bereits daran deutlich, dass ihre Höhe vom Erfolg der Mitarbeiter im Vorjahr abhängt. Daher kann dahinstehen, ob die Regelung wirksam ist, wonach der Anspruch auf den Bonus entfällt, wenn das Arbeitsverhältnis zum Auszahlungszeitpunkt - und sei es von der Beklagten - gekündigt ist (vgl. dazu BAG 24. Oktober 2007 - 10 AZR 825/06 - Rn. 27-29 mwN, AP BGB § 307 Nr. 32 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 26) .

b) Systematische Erwägungen sprechen dafür, den Jahresbonus auch im Rahmen des § 5 Buchst. d des Sozialplans nicht dem Jahr der Auszahlung, sondern dem der dafür geleisteten Arbeit zuzuordnen. Nach § 4 Nr. 3 des Sozialplans erhalten die FA "für 2004 - gleich ob gekündigt oder ungekündigt - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen den ‚annual production bonus’". Jedenfalls in diesem Zusammenhang wird der Bonus dem Jahr der Arbeitsleistung zugeordnet.

c) Vor allem sprechen Sinn und Zweck der Regelung für die von der Beklagten vertretene Ansicht. § 5 Buchst. d des Sozialplans dient erkennbar dazu, das für die Höhe der Abfindung ua. maßgebliche Monatsentgelt der Arbeitnehmer sachgerecht und zeitnah zu ermitteln. Dazu wird für die Mitarbeiter aus dem Administrationsbereich, zu deren Vergütung kein umsatzabhängiger Jahresbonus gehört, das letzte, dem Abschluss des Sozialplans vorangehende Kalenderjahr 2003 als angemessen erachtet. Dieses ist als Referenzzeitraum zum einen aussagekräftig und zum anderen zeitnah. Bei den FA, für die der Jahresbonus einen wichtigen Vergütungsbestandteil darstellt, haben die Betriebsparteien statt des Ein-Jahreszeitraums einen Referenzzeitraum von drei Jahren gewählt. Auch hier ist aber aus Gründen der Aktualität davon auszugehen, dass im Zweifel die jüngeren und nicht ältere, länger zurückliegende Bonuszahlungen maßgeblich sein sollen. Dem entspricht es, bei der Ermittlung der in den Jahren 2001 bis 2003 durchschnittlich "erzielten Vergütung" nicht die ältere für das (Bezugs-)Jahr 2000 geleistete, sondern die aktuellere für das (Bezugs-)Jahr 2003 geleistete Bonuszahlung zu berücksichtigen. Sozialplanabfindungen dienen dazu, die mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer auszugleichen oder abzumildern. Dieser Verlust wird zuverlässiger durch die dem Ausscheiden näheren als durch fernere Einkommensverhältnisse beschrieben.

d) Die vom Landesarbeitsgericht vertretene Auslegung führt zwar zu einer einfacheren Handhabung bei der Ermittlung des maßgeblichen Bruttomonatsentgelts, lässt sich doch bei dieser Auslegung die Jahresvergütung ohne Weiteres durch einen Blick in die Jahreslohnbescheinigung feststellen. Dieser Gesichtspunkt ist jedoch nicht ausschlaggebend. Auch die von der Beklagten vertretene Auslegung ist praktikabel. Die Höhe der gezahlten Boni lässt sich unschwer feststellen und dem jeweiligen Vorjahr zuordnen. Das gilt auch für den im Jahr 2004 für das Jahr 2003 gezahlten Bonus. Dieser stand bei Abschluss des Sozialplans im Dezember 2004 bereits seit längerer Zeit fest.

e) Auf das im Einzelnen streitige Vorbringen der Parteien zum Verlauf der Sozialplanverhandlungen, insbesondere zur Vorlage der "Employee Summary" an den Gesamtbetriebsrat, kommt es für die nach einem objektiven Maßstab vorzunehmende Auslegung des Sozialplans nicht an.

II. Die Widerklage ist zulässig und begründet. Der Anspruch der Beklagten auf Rückerstattung der von ihr zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleisteten Zahlungen folgt aus § 62 Abs. 2 Satz 1 ArbGG iVm. § 717 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO.

Schmidt Kreft Linsenmaier Peter Berg Rath