BAG, Urteil vom 19.01.2011 - 10 AZR 658/09
Fundstelle
openJur 2011, 96445
  • Rkr:
Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 5. August 2009 - 15 Sa 1803/08 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe eines tariflichen Zuschlags für Nachtarbeit. Der Kläger ist für die Beklagte als Betriebsschlosser im Werk C tätig. Dort wird Zucker produziert. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer in der Zuckerindustrie der alten Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland idF vom 16. März 1999 (nachfolgend: MTV) Anwendung.

Der Kläger arbeitete vor dem Beginn der Kampagne 2007 bis zum 8. September in Normalschicht. Der Kalkofen wurde am 9. September angestochen. Im Kessel- und im Zuckerhaus begann am 11. September der Betrieb. Ab dem 14. September wurden die Rüben angenommen und es begann die Rübenverarbeitung. Der Kläger arbeitete vom 9. September bis zum 16. September in Nachtschicht am Kalkofen. Am 17. September hatte er schichtfrei. Ab dem 18. September wurde er nach dem dann geltenden Kontischichtplan in regelmäßigen Wechselschichten beschäftigt.

Der MTV verhält sich über die Zahlung von Nachtzuschlägen wie folgt:

"§ 7

Zuschläge und Zulagen

...

6.

Zuschlag für Nachtarbeit:

a)

Für Nachtarbeit, die regelmäßige Wechselschichtarbeit gemäß § 4 Ziff. 11 ist, wird ein Zuschlag von 20 % bezahlt. Diese Regelung umfasst auch Kampagnebeginn und Kampagneende an den einzelnen Stationen.

b)

Für Nachtarbeit, die keine regelmäßige Wechselschichtarbeit im Sinne von § 4 Ziff. 11 ist, wird ein Zuschlag von 50 % gezahlt.

Dieser Zuschlag wird nicht gezahlt an Pförtner und Nachtwächter sowie an andere Arbeitnehmer, die auf eigenen Wunsch nur nachts arbeiten.

c)

Arbeitnehmer, die aus ihrer planmäßigen Arbeitszeit herausgezogen und außerplanmäßig zur Nachtschichtarbeit eingeteilt werden, erhalten für Nachtarbeit einen Zuschlag von 50 %, und zwar bis zum planmäßigen Schichtwechsel, jedoch nicht länger als 7 Kalendertage.

..."

Nachtarbeit ist nach § 4 Ziff. 14 MTV die Arbeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr. Wechselschichtarbeit liegt nach § 4 Ziff. 11 MTV dann vor, wenn ein regelmäßiger Wechsel des Schichtbetriebs und damit der zeitlichen Lage der Schicht erfolgt und dieser Rhythmus zusammenhängend mindestens eine volle Arbeitswoche dauert. Als Kampagne gilt nach § 4 Ziff. 8 Satz 3 MTV die Zeit der Herstellung von Zucker aus Rüben, Rohzucker und Dicksaft.

Die Beklagte hat dem Kläger für die Nachtarbeit vom 9. September bis zum 16. September 2007 einen Zuschlag von 20 % gezahlt.

Mit der Klage macht der Kläger für diesen Zeitraum einen Zuschlag von 50 % geltend. Da er nicht in regelmäßigen Wechselschichten gearbeitet habe, richte sich sein Anspruch nach § 7 Ziff. 6 Buchst. b Satz 1 MTV.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 339,84 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Für den Kläger als Betriebsschlosser habe mit dem Anstechen des Kalkofens die Kampagne begonnen. Nach § 7 Ziff. 6 Buchst. a MTV habe sie deshalb lediglich einen Zuschlag von 20 % geschuldet.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Gründe

I. Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat für den Streitzeitraum keinen Anspruch aus § 7 Ziff. 6 Buchst. b Satz 1 MTV auf einen Nachtzuschlag von 50 %, sondern nur einen Anspruch aus § 7 Ziff. 6 Buchst. a MTV auf einen Zuschlag von 20 %. Diesen Anspruch hat die Beklagte erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB).

1. Der Kläger hat zwar im Zeitraum vom 9. bis zum 16. September 2007 Nachtarbeit geleistet, die keine regelmäßige Wechselschichtarbeit iSv. § 4 Ziff. 11 MTV war, weil er in dieser Zeitspanne in Dauernachtschicht beschäftigt wurde.

2. Der Kläger hat aber die Nachtarbeit in der Zeit des Kampagnebeginns an der Station des Kalkofens geleistet. Damit bestimmt sich die Höhe des Zuschlags nicht nach § 7 Ziff. 6 Buchst. b Satz 1 MTV, sondern nach § 7 Ziff. 6 Buchst. a Satz 1 MTV. Nach Satz 2 dieser Vorschrift umfasst die Regelung des Satzes 1 auch den Kampagnebeginn und das Kampagneende an den einzelnen Stationen. Für Nachtarbeit zu Kampagnebeginn und Kampagneende wird damit unabhängig vom Vorliegen regelmäßiger Wechselschichtarbeit (nur) ein Zuschlag von 20 % gezahlt; § 7 Ziff. 6 Buchst. a Satz 2 MTV bestimmt für diese Zeitspanne eine Ausnahme von § 7 Ziff. 6 Buchst. b Satz 1 MTV, wonach Nachtarbeit außerhalb regelmäßiger Wechselschichtarbeit einen Zuschlag von 50 % auslöst. Dies ergibt die Auslegung von § 7 Ziff. 6 Buchst. a MTV.

a) Der Wortlaut des § 7 Ziff. 6 Buchst. a Satz 2 MTV ist nicht eindeutig. Soweit hier auf Satz 1 ("diese Regelung") verwiesen wird, könnte darin eine Rechtsgrundverweisung liegen, so dass auch in der Zeit des Kampagnebeginns und des Kampagneendes der reduzierte Nachtzuschlag nur bei regelmäßiger Wechselschichtarbeit geschuldet wird. Die Bestimmung kann aber auch als Rechtsfolgenverweisung verstanden werden, so dass Nachtarbeit in den genannten Zeiten grundsätzlich nur den geringeren Zuschlag auslöst.

b) Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt sich, dass zu Kampagnebeginn und Kampagneende an den einzelnen Stationen auch ohne regelmäßige Wechselschichtarbeit für Nachtarbeit nur ein Zuschlag von 20 % gezahlt werden soll. § 7 Ziff. 6 Buchst. a Satz 2 MTV ergibt nur mit diesem Verständnis einen erkennbaren Sinn. Ohne die Verweisung wäre die tarifliche Situation eindeutig. Arbeitnehmer, die - wie der Kläger - zu Kampagnebeginn und Kampagneende an den einzelnen Stationen Nachtarbeit außerhalb von regelmäßiger Wechselschicht leisten, hätten Anspruch auf einen Zuschlag von 50 % nach § 7 Ziff. 6 Buchst. b MTV, während bei regelmäßiger Wechselschichtarbeit in diesem Zeitraum nach § 7 Ziff. 6 Buchst. a MTV nur ein Anspruch auf einen Zuschlag von 20 % bestehen würde. Hätten die Tarifvertragsparteien dies gewollt, hätte es einer zusätzlichen Regelung nicht bedurft; der Nachtzuschlag wäre in seinen Voraussetzungen und Rechtsfolgen erschöpfend geregelt gewesen. Es ist fernliegend, dass bei einer klaren tariflichen Ausgangslage eine sinnlose Klarstellung vorgenommen werden sollte. Dies spricht dafür, dass durch § 7 Ziff. 6 Buchst. a Satz 2 MTV sichergestellt werden sollte, dass im Zeitraum des Kampagnebeginns und des Kampagneendes an den einzelnen Stationen für Nachtarbeit grundsätzlich nur ein Zuschlag von 20 % gezahlt wird.

c) Dem entspricht, dass mit Beginn der eigentlichen Kampagne, der Herstellung von Zucker aus Rüben, Rohzucker und Dicksaft, in der Produktion im vollkontinuierlichen Wechselschichtbetrieb gearbeitet und damit regelmäßig ein Zuschlag von 20 % für Nachtarbeit gezahlt wird. Die Tarifvertragsparteien wollten offenbar Nachtarbeit während der Kampagne einschließlich ihres Beginns und Endes an den einzelnen Stationen insgesamt einheitlich mit einem Zuschlag von 20 % vergüten. Um dies für die Zeiten des Beginns und Endes der Kampagne, in der eine Zuckerproduktion noch oder nicht mehr stattfindet, die Anlagen aber hoch- bzw. runtergefahren werden, sicherzustellen, bedurfte es der Regelung in § 7 Ziff. 6 Buchst. a Satz 2 MTV.

3. Die Nachtarbeit des Klägers im Streitzeitraum unterfällt § 7 Ziff. 6 Buchst. a Satz 2 MTV. Der Kalkofen wurde am 9. September 2007 angestochen. Damit begann an der Station des Kalkofens die Kampagne. Der Kläger war im Streitzeitraum bis zur Geltung des Kontischichtplans durchgehend an dieser Station eingesetzt. Damit hat er Nachtarbeit zu Kampagnebeginn an einer einzelnen Station verrichtet.

II. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

Mikosch

Eylert

Mestwerdt

Thiel

Petri