BSG, Urteil vom 06.02.2008 - B 6 KA 6/07 R
Fundstelle
openJur 2011, 96106
  • Rkr:
Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Voraussetzungen für den Einbehalt von Gesamtvergütungsanteilen zur Finanzierung von Verträgen der integrierten Versorgung erfüllt sind.

Die beklagte Ersatzkasse schloss im Jahr 2004 mit Leistungserbringern aus dem Bereich der ehemaligen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Nordbaden vier Verträge, die als Verträge der integrierten Versorgung gemäß §§ 140a ff SGB V bezeichnet waren. Zwei dieser Verträge - im Folgenden: Vertrag Nr 2 bzw Nr 4 - haben als einzigen Vertragspartner ein Krankenhaus bzw einen Krankenhausverbund. Sie betreffen Koronarangiographien, Schrittmacherwechsel und Kataraktoperationen (Nr 2) oder bestimmte operative Eingriffe auf dermatologischem, gynäkologischem, proktologischem und orthopädischem Gebiet (Nr 4) und haben eine bessere Verzahnung ambulanter und stationärer Leistungen zum Ziel. Zur Vergütung dieser Leistungen sind Komplexfallpauschalen vereinbart, die von der Krankenkasse unabhängig von der im Einzelfall stationär oder ambulant erfolgten Behandlung unter Verzicht auf eine Nachprüfung der Behandlungsform gezahlt werden. Die anderen Verträge - Nr 1 und Nr 3 - beziehen zusätzlich zum Krankenhaus Einrichtungen der stationären Rehabilitation ein. In ihnen sind umfassende Behandlungen von Patienten bei bestimmten Eingriffen an Hüft- oder Kniegelenk (Nr 1) oder an Arm, Hüfte oder Bein (Nr 3) geregelt, für die eine am Versorgungsbedarf orientierte Zusammenarbeit zwischen allen an der Versorgung Beteiligten sicherzustellen ist. Als Vergütung hierfür sind ebenfalls Komplexfallpauschalen vorgesehen, die sämtliche im Rahmen des Vertrags erbrachte Leistungen - einschließlich derjenigen der kooperierenden Rehabilitationskliniken - abgelten.

Die Beklagte meldete die genannten Verträge als solche der integrierten Versorgung an die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen eingerichtete gemeinsame Registrierungsstelle und behielt von der Gesamtvergütungszahlung, die sie für das Quartal III/2004 zu entrichten hatte, einen Betrag von 32.484,86 Euro ein.

Die KÄV Baden-Württemberg, welche zum 1.1.2005 die Rechtsnachfolge der KÄV Nordbaden antrat, hat Klage auf Zahlung der ausstehenden Gesamtvergütungsanteile erhoben. Das Sozialgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt (Urteil vom 12.12.2005). Das Landessozialgericht (LSG) hat deren Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 13.12.2006 - juris; Parallelentscheidung veröffentlicht in SGb 2007, 621 = MedR 2007, 318 = GesR 2007, 125). Es ist der Ansicht der Klägerin gefolgt, die von der Beklagten zur Rechtfertigung des Gesamtvergütungseinbehalts in Bezug genommenen Verträge seien keine Integrationsverträge im Sinne des § 140a SGB V. Nach § 140d SGB V stehe die Anschubfinanzierung nur für die Finanzierung von zulässigen Integrationsverträgen zur Verfügung. Dazu gehörten die von der Beklagten abgeschlossenen Verträge nicht, weil in ihnen weder eine interdisziplinär-fachübergreifende noch eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung gestaltet werde. Eine interdisziplinär-fachübergreifende Versorgung im Sinne der gesetzlichen Regelung liege nicht vor, da keine Kooperation von Hausärzten und Fachärzten oder auch von Fachärzten unterschiedlicher Gebiete erfolge; hierunter falle weder die traditionelle Zusammenarbeit unterschiedlicher Abteilungen innerhalb eines Krankenhauses noch die Einbeziehung nachfolgender Rehabilitationsbehandlungen. Auch eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung werde nicht organisiert. Leistungssektoren im Sinne des § 140a SGB V seien die Versorgungssektoren, die das Leistungserbringerrecht in seiner jeweils spezifischen Ausprägung geschaffen habe. Hierzu zählten die akutstationäre Versorgung, die Heil- bzw Hilfsmittelversorgung, die Arzneimittelversorgung sowie die vertragsärztliche und vertragszahnärztliche Versorgung. Für eine sektorenübergreifende Versorgung müsse der vertraglich vereinbarte Versorgungsauftrag mindestens zwei dieser Sektoren umfassen. Dies sei hinsichtlich der beiden lediglich mit Krankenhäusern abgeschlossenen Verträge (Nr 2 und 4) nicht der Fall, da sie niedergelassene Vertragsärzte nicht einbezögen. Dasselbe gelte für die Verträge Nr 1 und 3; diese umfassten allerdings auch Rehabilitationskliniken, doch könne den gesetzlichen Regelungen nicht entnommen werden, dass die - ambulante oder stationäre - Rehabilitation als eigenständiger Leistungssektor zu qualifizieren sei.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 140a Abs 1 Satz 1 SGB V. Das Berufungsgericht verkenne, dass als Leistungssektor im Sinne dieser Vorschrift nicht nur die ambulante und stationäre Versorgung, sondern auch die Rehabilitation anzusehen sei; darauf deute die Regelung in § 137d Abs 3 SGB V gleichfalls hin. Gerade im Bereich der Endoprothetik-Versorgung bestünden Schnittstellenprobleme beim Übergang vom Krankenhaus zur Rehabilitationseinrichtung, die mit Hilfe der integrierten Versorgung besser als in der Regelversorgung zu bewältigen seien. Dem stehe weder die Gliederung des Vierten Kapitels des SGB V noch die Regelung in § 107 SGB V entgegen. Maßgeblich sei vielmehr, dass die in der Regelversorgung existierenden unterschiedlichen Vergütungssysteme für den Akutbereich einerseits und für den Bereich der stationären Rehabilitation andererseits zu Fehlanreizen führen könnten, die eine qualitativ hochwertige und den Bedürfnissen der Patienten entsprechende Versorgung behinderten. Speziell zur Überwindung solcher Probleme sei die integrierte Versorgung geschaffen worden, und dem dienten die Verträge Nr 1 und Nr 3. Aber auch die Versorgung mit ambulanten Leistungen der Krankenhausbehandlung sei ein gegenüber der Versorgung mit Leistungen der stationären Krankenhausbehandlung eigenständiger Leistungssektor. Mithin erfüllten die Verträge Nr 2 und Nr 4 gleichfalls das Erfordernis einer leistungssektorenübergreifenden Versorgung; eine Zusammenarbeit mehrerer Leistungserbringer sei hierfür nicht notwendig.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13.12.2006 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 12.12.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Berufungsurteil für zutreffend und ist darüber hinaus der Ansicht, dass die Abgrenzung zwischen einer interdisziplinär-fachübergreifenden Versorgung und einer Leistungssektoren übergreifenden Versorgung unzulässig verwischt würde, wenn die Versorgung mit Leistungen der Rehabilitation einerseits und sämtliche Leistungsarten des SGB V andererseits als jeweils eigenständige Leistungssektoren behandelt werden. Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen stünden gemäß §§ 111, 111b SGB V gemeinsam im stationären Sektor; ihre Verzahnung begründe deshalb keine integrierte Versorgung. Allein die Notwendigkeit eines Schnittstellenmanagements eröffne noch nicht die Möglichkeit, Verträge der integrierten Versorgung im Sinne von § 140a SGB V abzuschließen.

Die Beklagte hat auf Anfrage mitgeteilt, dass der von ihr einbehaltene Teil der Gesamtvergütung (32.484,86 Euro) in Höhe von 26.042,72 Euro die Verträge Nr 1 und 3 und ansonsten die Verträge Nr 2 und 4 betreffe. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, dass sie die Richtigkeit dieser Berechnungen nicht anzweifele.

Gründe

Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von Gesamtvergütungsanteilen hat, soweit diese zur Finanzierung der ausschließlich mit einem Krankenhausträger bzw einem Krankenhausverbund geschlossenen Verträge Nr 2 und 4 einbehalten wurden. Die von der Beklagten zur Finanzierung der Verträge Nr 1 und 3 vorgenommenen Einbehalte sind hingegen nicht zu beanstanden. Hinsichtlich dieser Verträge war die Beklagte berechtigt, Beträge "zur Förderung der integrierten Versorgung" gemäß § 140d Abs 1 Satz 1 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG vom 14.11.2003, BGBl I 2190) von der an die Rechtsvorgängerin der Klägerin gemäß § 85 Abs 1 SGB V zu entrichtenden Gesamtvergütung einzubehalten.

1. Wie der Senat grundlegend im Urteil vom 6.2.2008 zum Barmer Hausarztvertrag ausgeführt hat (Az B 6 KA 27/07 R - RdNr 10 - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), dürfen die von einer Krankenkasse nach § 140d Abs 1 Satz 1 SGB V einbehaltenen Mittel gemäß Satz 3 aaO ausschließlich zur Finanzierung der nach § 140c Abs 1 Satz 1 SGB V vereinbarten Vergütungen verwendet werden. Nach dieser Vorschrift legen die Verträge zur integrierten Versorgung die Vergütung der in diesem Rahmen erbrachten Leistungen fest.

Die Regelung des § 140d Abs 1 SGB V über die Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung ist seit ihrem Inkrafttreten zum 1.1.2004 mehrfach geändert worden (vgl Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 11). Zum einen ist durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG vom 22.12.2006, BGBl I 3439) die ursprünglich bis Ende 2006 befristete Anschubfinanzierung bis Ende 2008 verlängert und die Pflicht zur Rückzahlung nicht zweckentsprechend verbrauchter Mittel bis zum 31.3.2009 aufgeschoben worden. Zum anderen sind durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378) zum 1.4.2007 in § 140d Abs 1 SGB V die Sätze 2 bis 4 eingefügt worden. Danach dürfen die Mittel der Anschubfinanzierung, bei deren Einsatz die Partner der Integrationsverträge in der Anfangsphase großen Spielraum haben sollten (Begr des Gesetzentwurfs zum GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100, S 152, Zu Nr 121, Zu Buchst a, Zu Doppelbuchst aa), nur noch für voll- und teilstationäre Leistungen der Krankenhäuser und für ambulante vertragsärztliche Leistungen verwendet werden, soweit nicht "Aufwendungen für besondere Integrationsaufgaben" betroffen sind.

Über diese Änderungen hinaus sind die Regelungen über die integrierte Versorgung in den §§ 140a bis 140h SGB V idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 (GKVRefG 2000) vom 22.12.1999 (BGBl I 2626) in einem weiteren Punkt verschärft worden. Diese Bestimmungen waren durch eine enge Verzahnung von Regel- und Integrationsversorgung gekennzeichnet (vgl Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 21). Der Sicherstellungsauftrag der KÄVen sollte durch die integrierte Versorgung unberührt bleiben (Begr des Gesetzentwurfs der Regierungsfraktionen, BT-Drucks 14/1245, S 92, Zu § 140b, Zu Abs 6). Deshalb mussten nach § 140b Abs 6 SGB V idF des GKVRefG 2000 die KÄVen Integrationsverträgen zustimmen, soweit Vertragsärzte daran beteiligt waren. Diese "Verschränkung zwischen dem Sicherstellungsauftrag und der einzelvertraglichen Absprache zur integrierten Versorgung" (Begr des Gesetzentwurfs zum GMG, BT-Drucks 15/1525, S 129, Zu Nr 113, Zu Buchst a) hat der Gesetzgeber durch das GMG beseitigt. Nach § 140a Abs 1 Satz 2 SGB V (seit der Neufassung durch das GKV-WSG zum 1.4.2007 Satz 3) ist der Sicherstellungsauftrag der KÄVen eingeschränkt, "soweit die Versorgung der Versicherten nach diesen Verträgen durchgeführt wird". Integrierende Versorgungsformen umfassen nach der Konzeption des Gesetzes regelmäßig die ambulante Versorgung durch Vertragsärzte und die voll- oder teilstationäre Behandlung im Krankenhaus, was zugleich die finanzielle Beteiligung der KÄVen und der Krankenhäuser bei der Bereitstellung der Mittel für die Anschubfinanzierung nach § 140d Abs 1 SGB V rechtfertigt.

Die verschärften Anforderungen an Abschluss und Gegenstand von Verträgen der integrierten Versorgung gelten für die hier zu beurteilenden nicht, weil diese bereits im Jahr 2004 abgeschlossen wurden (vgl Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 11, 21). Auch die oben genannte - seit dem 1.4.2007 durch § 140d Abs 1 Satz 2 SGB V enger gefasste - Vorgabe für die Verwendung von Mitteln der Anschubfinanzierung ist auf die hier zu beurteilenden Verträge nicht anzuwenden; denn in § 140d Abs 1 Satz 3 SGB V ist ausdrücklich bestimmt, dass dies nicht für Verträge gilt, die vor dem 1.4.2007 abgeschlossen wurden (hierzu s auch BSG, aaO, RdNr 11) .

2. Wie der Senat zur Auslegung und Anwendung der vorgenannten Regelungen ausgeführt hat (BSG, Urteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 12), sind die Krankenkassen auf der Grundlage des § 140d Abs 1 Satz 1 SGB V nur berechtigt, Gesamtvergütungsanteile zur Finanzierung konkreter Integrationsverträge einzubehalten. Das ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus der Formulierung der Vorschrift, "soweit die einbehaltenen Mittel zur Umsetzung von nach § 140b geschlossenen Verträgen erforderlich sind". Mit dieser Regelung wäre es nicht vereinbar, wenn Krankenkassen pauschal und ohne näheren Hinweis auf Inhalt und finanzielles Volumen von Integrationsverträgen zunächst Gesamtvergütungsbestandteile einbehielten und allenfalls auf der Grundlage des § 140d Abs 1 Satz 5 SGB V nach drei Jahren (ganz oder anteilig) zurückerstatteten (zutreffend Felix/Brockmann, NZS 2007, 623, 630; insoweit unzutreffend LSG Brandenburg, Beschluss vom 1.11.2004 - L 5 B 105/04 KA ER - MedR 2005, 62) .

3. Verträge zur integrierten Versorgung iS des § 140a Abs 1 Satz 1 SGB V können nur über eine "interdisziplinär-fachübergreifende" oder über eine "verschiedene Leistungssektoren übergreifende" Versorgung geschlossen werden.

Der Begriff der interdisziplinär-fachübergreifenden Versorgung setzt eine Kooperation von Hausärzten und Fachärzten (hierzu s Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 13) oder von Fachärzten unterschiedlicher Gebiete voraus. Die Kooperationen müssen die Fachgebietsgrenzen des ärztlichen Weiterbildungsrechts überschreiten. Sie müssen zudem im ambulanten Bereich über die traditionelle Zusammenarbeit durch Überweisungen an Ärzte eines anderen Fachgebiets bzw im stationären Bereich über die traditionelle Zusammenarbeit der Abteilungen der unterschiedlichen Fachgebiete innerhalb eines Krankenhauses hinausgehen. Hierfür unzureichend ist insbesondere die Zusammenarbeit zwischen dem Arzt bzw der Abteilung des operierenden Fachgebiets und dem Anästhesisten bzw seinem Fachgebiet, wie sie traditionellerweise ohnehin in jeder Einrichtung stattfindet. Erforderlich ist vielmehr, wie im Urteil des LSG zutreffend ausgeführt ist, ein Konzept längerfristiger, gemeinsam aufeinander abgestimmter Behandlungen von Haus- und Fachärzten oder von Fachärzten unterschiedlicher Gebiete, wobei die Anforderungen im Einzelnen keiner Entscheidung im Rahmen des vorliegenden Verfahrens bedürfen. Das Vorliegen einer dieser Formen interdisziplinär-fachübergreifender Versorgung hat das LSG hinsichtlich der hier zu beurteilenden Verträge im Ergebnis verneint (LSG-Urteil unter C. 2.). Die Beklagte hat dies in ihrer Revisionsbegründung auch nicht mehr angegriffen.

Zu den Voraussetzungen einer "verschiedene Leistungssektoren übergreifenden" Versorgung hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 6.2.2008 Stellung genommen (vgl Senatsurteil, aaO, RdNr 13, 15, 16). Der Begriff der Leistungssektoren iS des § 140a Abs 1 Satz 1 SGB V ist gesetzlich nicht definiert (so Senatsurteil, aaO, RdNr 15 mit Hinweis auch auf die Begr des Gesetzentwurfs zum GMG, BT-Drucks 15/1525, S 129, Zu Nr 113 <§ 140a>, Zu Buchst a). Sein Inhalt ist deshalb nur durch eine am Zweck der integrierten Versorgung orientierte Auslegung zu bestimmen (Beule, Rechtsfragen der integrierten Versorgung, 2003, S 25). Die Zielrichtung dieser Versorgungsform besteht vor allem darin, die starren Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu durchbrechen und den Krankenkassen die Möglichkeit zu eröffnen, außerhalb der bisherigen Regelversorgung eine alternative Versorgungsstruktur zu entwickeln. Es soll eine Verzahnung der verschiedenen Leistungssektoren stattfinden, zum einen, um eine wirtschaftlichere Versorgung zu ermöglichen, zum anderen aber auch, um für die Versicherten die medizinischen Behandlungsabläufe zu verbessern, zB Wartezeiten, Doppeluntersuchungen und Behandlungsdiskontinuitäten zu vermeiden (vgl Baumann <geb. Beule>, JurisPK-SGB V, § 140a RdNr 2). Ausgehend von dieser allgemeinen Zielsetzung des Gesetzes ist der Begriff der "leistungssektorenübergreifenden Versorgung" funktionell zu bestimmen. Ausgangspunkt ist jeweils das Leistungsgeschehen und dessen inhaltlicher Schwerpunkt. "Übergreifend" ist dementsprechend eine Versorgung, die Leistungsprozesse, die in der traditionellen Versorgung inhaltlich und institutionell getrennt sind, nunmehr verknüpft. Behandlungsansatz und Ausrichtung des einzelnen Leistungsprozesses (zB hausärztliche Versorgung, ambulante Versorgung insgesamt, operative Behandlung, medizinische Rehabilitation) geben den entscheidenden Hinweis darauf, ob einzelne Behandlungsmaßnahmen Teil desselben Leistungssektors sind oder unterschiedlichen Sektoren angehören. Eine Operation (zB Implantation eines neuen Gelenks) und die anschließende Rehabilitation (zB Mobilisierung) dienen unterschiedlichen medizinischen Zwecken und sind in der Regelversorgung auch institutionell getrennt. Insoweit betreffen sie (auch) verschiedene Leistungssektoren iS des § 140a Abs 1 SGB V.

Wichtigster Anwendungsfall einer Versorgung, die verschiedene Leistungssektoren miteinander verknüpft, ist die Verzahnung von ambulanten und stationären Behandlungen (vgl Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 17). Diese Art von Verknüpfungen wird bei der Erläuterung der Ziele der Integrationsversorgung bereits in der Überschrift besonders hervorgehoben (Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 <GKV-Gesundheitsreform 2000>, BT-Drucks 14/1245 S 55). Diese Versorgungsstruktur soll "Brücken über die Gräben der Versorgung schlagen". Neben das mehr als 100 Jahre bestehende Versorgungssystem alter Art soll eine Innovation gestellt werden, in der eine bessere, effektivere, die Angebote der Sektoren integrierende und die Ressourcen schonende Versorgung der Versicherten bewirkt wird (von Schwanenflügel, NZS 2006, 285, 287) .

Daraus kann allerdings nicht abgeleitet werden, nur solche Verträge seien von § 140a Abs 1 SGB V erfasst, die Leistungen aus den beiden "Hauptsektoren" anbieten (vgl Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 18). Vielmehr sind unter Zugrundelegung eines funktionellen Ansatzes sowohl innerhalb des ambulanten als auch innerhalb des stationären Hauptsektors weitere Leistungssektoren zu unterscheiden, die Gegenstand von Integrationsverträgen sein können. Beispiel für ein integriertes Versorgungsangebot ohne Einbeziehung des stationären Sektors ist etwa die Verzahnung von ambulanten Operationen und anschließender Versorgung der Patienten in ambulanten Rehabilitationseinrichtungen. Die Ziele der integrierten Versorgung, nämlich ua die Vermeidung unnötiger Doppeluntersuchungen, von Koordinationsproblemen im Behandlungsablauf und von Wartezeiten, können durch ein derartiges Angebot erreicht werden. Auch innerhalb des stationären Behandlungsbereichs ist eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung möglich und bisweilen vom Regelungszweck der Vorschriften für die integrierte Versorgung geboten. So kann etwa die Verknüpfung der Akutbehandlung in einem Krankenhaus - zB Durchführung einer Operation oder Behandlung eines Schlaganfalls - mit der anschließenden medizinischen Rehabilitation in stationären Einrichtungen Gegenstand eines Integrationsvertrages sein. Auch zwischen dem Akutkrankenhaus und dem Träger einer stationären Rehabilitationseinrichtung bestehen im traditionellen Versorgungssystem Schnittstellenprobleme, die im Interesse der betroffenen Patienten durch ein Versorgungsangebot aus einer Hand überwunden werden können.

Über das Erfordernis einer verschiedene Leistungssektoren übergreifenden Versorgung hinaus sind Verträge der in § 140b Abs 1 SGB V - idF des GMG - genannten Vertragspartner nur dann solche der integrierten Versorgung, wenn durch sie auch Leistungen, die bislang Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung sind, künftig ersetzt werden. Das ergibt sich aus der Konzeption der Integrationsversorgung als einer Alternative zur Regelversorgung, wie sie den Vorschriften der §§ 140a bis 140d SGB V seit ihrer Neufassung durch das GMG zugrunde liegt (vgl dazu insbes Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 14, 20 ff) .

4. Diese Grundsätze bedürfen für den Fall der Verknüpfung verschiedener Leistungsangebote von und mit Krankenhäusern weiterer Differenzierung. Solche Verzahnungen reichen, da - wie unter 2. ausgeführt - eine integrierte Versorgung die Verknüpfung verschiedener Leistungssektoren bedeutet, die in der traditionellen Regelversorgung inhaltlich und institutionell getrennt sind, nur unter bestimmten Voraussetzungen für die Anerkennung als integrierte Versorgung im Sinne der §§ 140a ff SGB V aus.

Eine integrierte Versorgung kann zB - wie schon oben erwähnt - durch Verknüpfung von stationärer Akutbehandlung und stationärer Rehabilitation erreicht werden, weil diese Leistungssektoren in der traditionellen Versorgung inhaltlich und institutionell typischerweise getrennt sind. Diese Trennung ist in den bisherigen Strukturen immer dann gegeben, wenn es sich um unterschiedliche Einrichtungen handelt, sodass sich deren Verknüpfung für eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung eignen kann. Aber auch in den selteneren Fällen, in denen ein Träger übergreifend sowohl ein Krankenhaus als auch eine Rehabilitationseinrichtung betreibt, können Verknüpfungen dieser unterschiedlichen Angebote eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung im Sinne einer integrierten Versorgung gemäß §§ 140a ff SGB V bilden. Denn Art und Inhalt der jeweils zu erbringenden Leistungen sind im Krankenhaus einerseits und in der Rehabilitationseinrichtung andererseits unterschiedlich; insoweit werden im Übrigen im Regelfall auch verschiedene Leistungserbringer tätig, selbst wenn einzelne Personen in beiden Bereichen zum Einsatz kommen sollten.

Unzureichend für eine integrierte Versorgung ist es dagegen, wenn innerhalb eines Krankenhauses nur die stationär und die ambulant erbrachten ärztlichen Behandlungen miteinander verknüpft werden, es sei denn, dass die Verzahnung deutlich über das Maß hinaus geht, das normalerweise in der traditionellen Versorgung besteht. Grundsätzlich unzureichend sind die krankenhaustypischen Verknüpfungen zwischen einerseits der stationären Krankenversorgung und andererseits den ambulanten Behandlungen, die im Krankenhaus durch Hochschul- und Institutsambulanzen und durch ermächtigte Ärzte erfolgen. Verknüpfungen zwischen der im Krankenhaus stattfindenden ambulanten und der hier erfolgenden stationären Versorgung können nur in besonderen Fällen für eine Leistungssektoren übergreifende Versorgung im Sinne der §§ 140a ff SGB V geeignet sein, etwa bei Krankheitsbildern, bei denen ein Wechsel zwischen der zB in der Institutsambulanz regelmäßig stattfindenden ambulanten und den zwischenzeitlich erforderlichen stationären Behandlungen typischerweise gehäuft vorkommt. Dies kann möglicherweise bei psychiatrischen Patienten in Betracht kommen, bei denen kontinuierliche ambulante Betreuungen stattfinden, aber in Abständen bei Schüben der Grunderkrankung auch stationäre Betreuungen erforderlich werden. Wird hier eine reibungslose Verzahnung der unterschiedlichen Behandlungen in den verschiedenen Phasen zB durch eine einheitliche Fallpauschale erreicht und werden zusätzlich weitere Verbindungen geschaffen, deren nähere Bestimmung hier offenbleiben kann, so kann eine solche Verknüpfung als eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung im Sinne der §§ 140a ff SGB V zu qualifizieren sein.

5. Unter Zugrundelegung dieser Differenzierungen ergibt sich, dass die hier zu beurteilenden Verträge Nr 2 und 4 weder unter dem Gesichtspunkt einer interdisziplinär-fachübergreifenden Versorgung (hierzu s o 3., RdNr 17) noch unter dem einer Leistungssektoren übergreifenden Versorgung eine integrierte Versorgung gemäß §§ 140a ff SGB V zum Gegenstand haben, während die Verträge Nr 1 und 3 die Voraussetzungen einer verschiedene Leistungssektoren übergreifenden Versorgung in diesem Sinne erfüllen.

a) In den Verträgen Nr 2 und 4 sind Vertragspartner allein die Beklagte und jeweils ein Krankenhaus bzw ein Krankenhausverbund. Sie betreffen Koronarangiographien, Schrittmacherwechsel und Kataraktoperationen (Nr 2) oder bestimmte operative Eingriffe auf dermatologischem, gynäkologischem, proktologischem und orthopädischem Gebiet (Nr 4). Beide Verträge haben eine bessere Verzahnung ambulanter und stationärer Leistungen zum Ziel. Zur Vergütung dieser Leistungen sind Komplexfallpauschalen vereinbart, die die Krankenkasse unabhängig von der im Einzelfall stationär oder ambulant erfolgten Behandlung - unter Verzicht auf eine Nachprüfung der Behandlungsform - zahlt.

Von diesem Inhalt her betreffen diese Verträge allein den Leistungssektor Krankenhaus und verknüpfen innerhalb dieses Bereichs - bezogen auf bestimmte operative Leistungen - lediglich die Erbringung ambulanter und stationärer Leistungen. Verzahnungen zwischen diesen Bereichen bestehen, wie oben ausgeführt, bereits in der traditionellen Versorgung. Von den vorliegenden Verträgen werden keine Fälle erfasst, in denen Verknüpfungen wegen des typischerweise immer wieder notwendigen Wechsels zwischen ambulanter und stationärer Behandlung besondere Bedeutung haben und sich dadurch für eine integrierte Versorgung eignen können. Somit können die Verträge Nr 2 und 4 nicht als solche qualifiziert werden, die eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung im Sinne einer integrierten Versorgung gemäß §§ 140a ff SGB V zum Gegenstand haben.

b) Demgegenüber verknüpfen die Verträge Nr 1 und 3, bei denen Vertragspartner der Beklagten jeweils sowohl ein Krankenhaus als auch eine Rehabilitationseinrichtung sind, die Bereiche der Akutbehandlung und der stationären Rehabilitation, die in der traditionellen Versorgung typischerweise inhaltlich und institutionell getrennt sind.

Diese Verträge erfassen dadurch, dass sie zusätzlich zum Krankenhaus Einrichtungen der stationären Rehabilitation und die dort anfallenden Behandlungen einbeziehen und insoweit eine umfassende Behandlung der Patienten regeln, übergreifend verschiedene Leistungssektoren. Der Vertrag Nr 1 sieht dies für bestimmte Eingriffe am Hüft- oder Kniegelenk vor, der Vertrag Nr 3 enthält solche Bestimmungen für bestimmte Eingriffe an Arm, Hüfte oder Bein. In beiden Verträgen ist bestimmt, dass eine zielgerichtete und umfassende Versorgung der Versicherten im Rahmen einer integrierten Zusammenarbeit zwischen allen an der Versorgung Beteiligten verwirklicht werden soll. Als Vergütung hierfür sind jeweils Komplexfallpauschalen vereinbart, die sämtliche im Rahmen des Vertrags erbrachten Leistungen - einschließlich derjenigen der kooperierenden Rehabilitationskliniken - abgelten.

Von diesem Inhalt her regeln die Verträge Nr 1 und 3 jeweils eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung im Sinne einer integrierten Versorgung gemäß §§ 140a ff SGB V.

6. Aus der Anerkennung der Verträge Nr 1 und 3 als integrierte iS der §§ 140a ff SGB V folgt, dass die vorinstanzliche Verurteilung der Beklagten zur Zahlung in Höhe von 26.042,72 Euro unberechtigt ist. Dieser Betrag beruht auf den Angaben der Beteiligten, die einen Anhaltspunkt für eine Unrichtigkeit nicht erkennen lassen.

Die Anerkennung der Verträge Nr 2 und 4 hat das LSG hingegen zu Recht versagt, sodass insoweit die Revision der Beklagten erfolglos bleibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 155 Abs 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung.